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Berlin ... damals vor 12 Jahren!

Berlin ... damals vor 12 Jahren!

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Ein Laufbericht, den ich mal für eine andere Plattform vor zwei Jahren geschrieben hatte ... vielleicht passt er ja auch hier rein ... Berlin-Marathon-Memories ... :) Wenn man das Ende liest, sieht man, dass die Erinnerungen stark genug waren das Laufen wieder anzufangen :daumen:

Mein Gott, das ist jetzt 12 Jahre her ... Lange habe ich nicht mehr davon erzählt, bis sich gestern ein sehr lieber Mensch dafür interessiert hat. Ich glaube, ich habe mindestens eine halbe Stunde erzählt, geplappert, mich wiederholt und habe dabei die ganze Zeit über die gesamte Breite meines Gesichts gestrahlt. Dabei ist das doch schon 12 Jahre her. Es war eins der schönsten Erlebnisse meines Lebens.

Im September 1992 war es soweit, nachdem ich im Frühling meinen ersten Marathon in Hamburg absolviert hatte, wollte ich am größten Laufereignis auf deutschen Straßen teilnehmen. Der Berliner Stadtmarathon startete in den 70er Jahren mit nur einigen hundert Verrückten, die sich die 42.195 Meter Laufstrecken antun wollten. Nach einem Maximum von 25.000 Läufern im Jahr nach der Wiedervereinigung hat sich die Läufermasse auf so circa 40.000 Beine, also 20.000 Läufer eingependelt. Zusammen mit einem Freund begab ich mich also zum ersten Mal in die große, riesige Stadt. Nach einer kleinen Tour durch die Stadt begaben wir uns dann auf den Weg zur sogenannten Marathonmesse, bei der neben der Startnummernausgabe und einem Souvenirverkauf auch eine große Marathonmesse stattgefunden hat, die bereits am Donnerstag vor dem Lauf begann. Auf der Messe wurden neben Vorführungen und viel Prominenz auch Lauf- und medizinisch-sportliche Untersuchungen angeboten, alles in Allem war es eine gute Ablenkung, denn etwas nervös war ich schon an diesem Freitag vor dem großen Lauf, zu dem nahezu eine Million Zuschauer erwartet wurden.

Am Samstag gibt es alljährlich einen sogenannten Frühstückslauf, der über circa sechs Kilometer vom Schloss Charlottenburg ins Berliner Olympiastadion führt und sich großer Beliebtheit erfreut. Da geht schon die eine oder andere La-Ola-Welle durch den sich durch die Straßen windendener Läuferwurm, man unterhält sich angeregt im lockeren Trab und freut sich, dass man einmal nicht durch die Zuschauereingänge das Stadion betritt, sondern wie einst große Olympioniken durch die Katakomben ins Stadion hineinläuft. Anschließend gibt es für alle Läufer ein großes Frühstück, für das man mit der Startnummer entsprechende Gutscheine erhalten hat.

Sonntag, 6 Uhr. Ich wache auf. Ich bin aufgeregt, weiß aber nicht genau warum, denn es ist ja nicht mein erster Marathon. Dennoch bin ich und mein Laufkumpane beim Frühstück nicht recht entspannt. Jetzt aber noch die letzten Vorbereitungen. Leichtes Frühstück, ja keine Milch trinken, denn die wird in den nächsten Stunden ganz schön durchgeschüttelt werden. Meine Tasche steht fertiggepackt in der Ecke, nur das Nötigste, dass man den Bekannten in die Hand drücken kann, wenn es ernst wird. Den Check-In passieren wir schon so gegen 8 Uhr morgens, eine Stunde vor dem Start. Die Organisation ist prima, die Läufer werden am Charlottenburger Tor getrennt nach bisherigen Marathonerfahrungen und Laufbestzeiten in eine grobe Reihenfolge sortiert, Hektik kommt keine auf, denn viele Organisatoren haben die Sache gut im Griff und alle Läufer und Läuferinnen helfen sich gegenseitig, wo sie können. Sei es, dass jemand noch eine Banane zur Beruhigung braucht oder seine Pflaster oder Vaseline vergessen hat, um sich gegen wunde Stellen zu schützen. Diese bittere Erfahrung habe ich bei meinem Marathondebut auch schon gemacht und das sollte mir kein zweites Mal passieren.

Sonntag, 8:30. Luftballons werden verteilt, die unzählige Helfer mit Helium gefüllt haben und beim Start steigen gelassen werden sollen, sicherlich ein tolles Bild, denke ich mir, während mein Puls schon steigt, wenn ich nur an den Start denke. Ich war noch nie zuvor in Berlin, freue mich wahnsinnig, das Brandenburger Tor nicht nur das erste Mal in natura zu sehen, sondern gleich hinduchzulaufen. Nur noch wenige Minuten bis zum Start, irgendjemand heizt nochmal die Stimmung unter den Läufern an, dann starten um 8:50 unter dem großen Jubel aller die Rollstuhlfahrer, die bei solchen großen Laufsportveranstaltungen nicht mehr wegzudenken sind. Ein letztes Mal gehe ich in die Knie, bin gut gedehnt, freudig erregt und fühle mich topfit. Der Anblick ist atemberaubend, in jede Himmelsrichtung sieht man nur Beine und Sportschuhe in jeder Farbe. Eine letzte Probe, ob die Startnummer richtig sitzt, dann hören alle den Countdown, der Startschuss und ... nichts! Niemand läuft los! Zum Glück ist es nur ein ganz normaler Stau, denn 20.000 Leute können nun mal nicht gleichzeitig über eine 30 Meter breite Startlinie laufen. Aber nach circa 90 Sekunden war es dann soweit und wir waren unterwegs.

KM 1 Der erste Kilometer ist geschafft, natürlich viel zu schnell, die Stimmung trägt einen. Zuschauer stehen hier erst wenige, da im Prinzip vor lauter Läufern kein Platz am Rand ist, aber schon hier erfreuen sich Fans und Passanten einfach an den Laufverrückten, die hier mehr oder weniger verbissen ihre eigenen Grenzen testen wollen. Dann, nach drei Kilometern kommt das Brandenburger Tor. Noch immer ist es eine dichte, inhomogene Masse an Läufern, die sich zwischen den einzelnen Torbögen hindurchdrückt, aber schnell lichten sich die Reihen, obwohl man immer noch das Gefühl hat, hier würden nicht 20, sondern 50.000 Läufer mitlaufen. Die Schnellsten sind hier schon vor einigen Minuten durch, aber das ist das Schöne an einem Lauf wie dem Berlin-Marathon. Für die Zuschauer ist der Erste genauso bewundernswert wie der Letzte. Schon nach wenigen Kilometern kommt die erste Musikkapelle, die sich die Lunge aus dem Hals trompetet, um Zuschauern und Läufern gute Laune zu vermitteln. Und weiß Gott, die habe ich. Überall lachende Menschen, auch wenn unter den Läufern immer welche sind, die es relativ ernst nehmen oder sich schon jetzt mit den ersten Weh-Wehchen herumplagen, weil sie das Aufwärmen nicht allzu ernstgenommen haben.

KM 11 Nach elf Kilometern bin ich am Checkpoint Charlie angekommen. Hier ist also der ominöse Punkt, über den ich schon soviel gehört habe. Fast hätte ich ihn übersehen vor lauter Lauferei, aber nebn mir unterhielten sich gerade zwei Mitläufer darüber, sodass ich das Wesentliche doch noch mitbekommen habe. Es geht mir prima, vor mir läuft eine junge Frau, die eine ganze Schar Männer hinter sich versammelt hat. Ich bin sicher, einige der Herren würden sicher gerne etwas langsamer laufen, aber den schönen Anblick dieser neongelben Laufshorts will ishc keiner entgehen lassen. Also gut, laufe ich dem gelben Laufdress mit der schönen Frau darin auch ein bisschen hinterher ... muss ein ziemlich lustiges Bild abgeben, denke ich so bei mir ... und wieder ist ein Kilometer geschafft. Da sehe ich wieder einen der sogenannten "Zeitläufer". Mehrere Prominente oder zumidest erfahrene Läufer haben ein Schild auf dem Rücken und in der Hand, auf dem eine gewisse Zielzeit steht. Wer also beispielsweise 3:30 als Endzeit anvisiert, aber Angst hat, dass er zu schnell oder zu langsam durch die Straßen läuft, kann sich an die Zielläufer halten, die ein nahezu gleichmäßiges Tempo durchlaufen. Neben mir regen sich aber natürlich zwei offensichtliche Laufprofis auf, dass Herbert Steffny gerade viel zu schnell und/oder zu langsam unterwegs ist. Manchen kann es einerseits nicht Service genug sein, andererseits kann man es nicht jedem Recht machen. Das wird in Berlin aber genau so sein, wie in anderen Städten auch, denke ich so bei mir.

KM 17 Kreuzberg, darauf habe ich mich besonders gefreut. Das besondere Flair, von dem viele immer geschwärmt haben, ist auch hier zu spüren, während ich an dem bunt gemischten Menschenreihen vorbeilaufen. Überall gibt es Tröten, Rasseln, Pfeifen und Jubel, auch hier in Kreuzberg ist was los, denn ein paar Punks haben fast ihr gesamtes Doppelfenster mit Boxen ausgefüllt und beschallen gut einen Kilometer mit allerbester Punkmusik, brachial und laut. Das hat wohl zwei positive Effekte: die, die es mögen, werden beflügelt und fliegen weiter über den Asphalt, die, die diese Musik hassen, werden schneller laufen, um möglichst bald aus dieser Akustikzone herauszukommen. Wieder eine der Servicestationen, die alle zwei bis drei Kilometer eingerichtet sind. Hier gibt es Schwämme, Wasser, Tee, einige haben sich auch ihre eigenen Getränke mitgebracht und die dort hinstellen lassen. Wenns hilft ... Ich begnüge mich mit dem Angebotenen, das einem von vielen Helfern am Straßenrand gereicht wird. An den Stationen gibt es gerade am Anfang des Laufs immer etwas Gedränge, weil jeder im Laufen an den Straßenrand denkt, um ja keine Sekunde zu verlieren und auch wenn einige stolpern, geht doch alles reibungslos, da der Stand genügend lang ist, damit alle was abbekommen.

KM 21 Gleich ist Halbzeit und alles scheint gut zu laufen. Ich bin im Zeitplan und fühle mich gut. So langsam bekomme ich Angst, dass ich morgen mehr Muskelkater in der Halsmuskulatur als in den Beinen haben werde, denn überall gibt es links und rechts soooo viel zu sehen. Da laufen die Exoten mit, ein Hund mit einer eigenen Startnummer, ja selbst ein Vater läuft zusammen mit seinem Baby im Kinderwagen, der natürlich auch seine eigene Startnummer hat. Gute Idee eigentlich, werde ich irgendwann auch mal drüber nachdenken. Egal, wo wir laufen, stehen Unmengen von Menschen an der Straße, zum Teil nachdenklich, meist aber in Festtagsstimmung, jubeln und schreien oder stehen einfach verklärt blickend da und scheinen seit Stunden zu applaudieren. In Villenvierteln haben sich Omi und Opi ihre Gartenstühle an die Straße gestellt und winken den Läufern zu. Reisegruppen aus Hollan und Dänemark stehen in großen Gruppen in ihren Landesfahnen gekleidet und jubeln ihren Landsleuten zu, wenn sie sie erkennen. Frenetisch wird jeder angefeuert, Läufer die nicht mehr laufen können und wollen, werden von ihnen begleitet, bis sie wieder einen guten Rhythmus haben und auch ich beginne Läufern einen Klaps auf den Po zu geben, wenn sie sich nur noch gehend dem Ziel nähern. Und es ist wirklich toll, wenn man sich kurze Zeit später umblickt und man sieht, dass der Geplagte wieder in den leichten Trab gewechselt ist und leicht lächelt, wenn man ihm ein aufmunterndes "Auf geht's" zuruft.

KM 35 Eines der Highlights des Berlin-Marathons. Die "Wilde Sau" ist eine langezogene S-Kurve zwischen Kilometer 35 und 36 und ist wohl an diesem Laufsonntag einer der lautesten Plätze Berlins, hinter der sich auch die Loveparade verstecken könnte. In circa 20 Reihen stehen Menschen dichtgedrängt und peitschen alle Läufer nochmal ein, um aus jedem Einzelnen das Letzte herauszukitzeln. Begleitet zu heißen Samba-Rhythmenfliege ich förmlich durch die Reihen, strahle über das ganze Gesicht. Was soll mir jetzt schon noch passieren?

KM 36 Jetzt weiß ich, was mir noch passieren kann! Ich kann kaum noch laufen ... der "Hammer" hat eingesetzt, fast schon eine Blockade, gegen die man nur schwerlich ankommt. Doch dann brandet Jubel auf, Leute zeigen in meine Richtung und freuen sich. Bin ich etwa schneller geworden? Ist meine Hose runtergerutscht? Warum stehe ich denn auf einmal im Mittelpunkt des Interesses? Die ANtwort ist ernüchternd, dennoch freue ich mich genauso, als ich den Läufer neben mir entdecke, der scheinbar mit Leichtigkeit den Marathon absolviert und dabei spielerisch mit drei Bällen jongliert. Und sofort klemme ich mich dahinter, schaue auf den Boden und stelle mir vor, die Leute würden nur wegen mir jubeln ... das hilft, ehrlich!

KM 40 Es ist nicht mehr weit, gleich biege ich auf den Kurfürstendamm ein, an dessen Ende das Zeil wartet. Man merkt deutlich, wie auf beiden Straßenseiten und auf dem Mittelstreifen sich die Leute drängen und feiern, als ob Deutschland Weltmeister geworden wäre. Man merkt deutlich, wie viel schneller jeder von uns noch einmal wird, getragen auf der Woge des Jubels und nicht nur ich strahle wie ein Honigkuchenpferd ...

KM 41 Ja, gleich habe ich es geschafft. Kennt ihr das Gefühl, wenn Freude in einem aufsteigt, man vor Freude lachen und weinen zugleich muss? So, nur noch viel schöner ist der letzte Kilometer beim Berlin-Marathon. Ein Gefühl, das man nie vergessen wird. Noch einmal werde ich schneller und schaue ungläubig zu, wie ein barfüßiger Läufer mit freiem Oberkörper mich überholt ... das wäre ja noch ok, aber das Unikum läuft bei fast 30 Grad mit einem Motorradhelm auf dem Kopf. Wieder gibt es frenetischen Beifall. Ich habe ihn übrigens bei anderen Marathonläufen wiedergetroffen.

KM 42 Noch 195 Meter, ich sehe das Ziel, habe Tränen in den Augen wie viele andere neben mir auch. Einige gehen dem Ziel entgegen, die meisten jedoch scheinen dem Ziel entgegenzufliegen. Dann ist es geschafft. Automatisch geht die Hand zur Uhr, irgendjemand hängt mir eine Medaille um den Hals, ich bin einfach nur glücklich!

Im Ziel ist ebenfalls für alles gesorgt; neben den obligatorischen Getränken, Bananen und Orangen gibt es noch kostenlose Massagen sowie medizinische Versorgung wie übrigens an jeder Servicestelle entlang der Strecke. Sowohl kleinere Blessuren als auch größere Probleme werden hier fachkundig versorgt, damit es zu keinen größeren Unglücken kommen kann.

Die Startgebühr für den Lauf war damals circa 30 Euro, mittlerweile dürfte es etwas mehr sein, dennoch sollte sich jeder Laufbegeisterte dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Die Strecke ist fast vollständig eben und verläuft durchgehend auf dem Asphalt der Straßen Berlins, von daher auch für Anfänger eine perfekte Strecke! Ich hoffe, ich konnte euch in diesem etwas anderen Erfahrungsbericht ein wenig von der Stimmung vermitteln, die jedes Jahr im Herbst auf euch wartet. Es lohnt sich wirklich und die Organisation des größten deutschen marathons ist wirklich hervorragend. Ein Jahr später war ich wieder dabei, leider habe ich das Laufen seit ein paar Jahren stark eingeschränkt, aber wenn ich jetzt wieder drüber nachdenke ... bekomme ich große Lust, wieder die Laufschuhe zu schnüren.
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