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Märchen in Sportmedizin und Leistungsdiagnostik

Märchen in Sportmedizin und Leistungsdiagnostik

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Hallo, im aktuellen Nüchtern-Thread wurde auf eine Seite des Instituts für Sportdiagnostik hingewiesen. Einiges, was dort steht, erscheint mir auch sinnvoll zu sein. Bei anderem habe ich das Gefühl, dass dort vor allem die eigenen Produkte gerechtfertigt werden sollen. Nun ist es ja prinzipiell nicht zu kritisieren, von dem, was man verkauft, überzeugt zu sein. Einiges ist mir aber doch aufgefallen.

Punkt 7 dort:
&quot hat geschrieben: Und dies ist richtig so, weil weltweit anerkannt ist, dass der Mensch bei 4 mmol/l Laktat ein Gleichgewicht (steady-state) zwischen Laktatbildung und -beseitigung aufweist und z.B. die dazugehörige Leistung in einem Halbmarathonlauf durchhalten kann.
Dass die 4mmol/l ein universeller Wert, unabhängig vom Individuum, wären, halte ich für eine sehr gewagte Behauptung. Macht aber natürlich die Leistungsdiagnostik mit Hilfe von Laktatmessung einfacher :-)

Der Ausdruck `weltweit anerkannt' amüsiert mich ohnehin immer.
&quot hat geschrieben: Vor 10 Jahren wurden die zahlreichen individuellen Schwellenkonzepte von H. Heck kritisch untersucht. Das Ergebnis lautet: Alle Konzepte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, deshalb kann kein "individuelles Verfahren" stimmen.
Das habe ich bisher für ein Indiz dafür genommen, wie problematisch eine Leistungsdiagnostik via Laktatmessung ist. Deshalb zu festen 4mmol/l zurückzukommen, finde ich dann doch eher komisch.
&quot hat geschrieben: Diese verwandten mathematischen Verfahren können das physiologische individuelle maximale Laktat-Steady-State nicht angeben.
Nun ist doch etwas physiologisch individuell? Was?

Später in Punkt 14:
Als Replik auf ``Die anaerobe Schwelle liegt im Mittel bei 4 mmol/l Laktat (Heck et. al. 1985) bei Ausdauertrainierten aber meist niedriger.''
&quot hat geschrieben: Die anaerobe Schwelle (aerob-anaerobe Schwelle, maximales Laktat-steady-state (maxlass) Leistung bei 4mmol/l Laktat) liegt beim Ausdauertrainierten nicht niedriger als beim Ausdaueruntrainierten, sonst wären die zugrundeliegenden theoretischen Zusammenhänge und experimentellen Begründungen zur anaeroben Schwelle falsch und grundsätzlich nicht auf jeden Menschen übertragbar.
Nun ja, wenn man wie hier anscheinend 4mmol/l als eine mögliche Definition der Schwelle angibt, dann liegt sie wohl zwangsläufig bei Untrainierten nicht niedriger ;-) Was hier ansonsten geschrieben wird, darf als Geschwafel abgetan werden.

Als Replik auf ``Gute Marathonläufer absolvieren Ihre Rennen im Bereich der anaeroben Schwelle. Deren Laufzeiten können deshalb über die Schwellenleistungsfähigkeit prognostiziert werden. Marathonläufer regionaler Klasse (ca. 3:00 h) laufen mit ca. 95% der Geschwindigkeit der anaeroben Schwelle''
&quot hat geschrieben: Im Marathonlauf kann deshalb keine Laufgeschwindigkeit entsprechend der anaeroben Schwelle oder bei 95% durchgehalten werden, weil hier schlichtweg ein zu hoher Kohlenhydratumsatz stattfindet.
Also, ich habe keine Ahnung, wie gut die Zahl 95% ist, für einen 3h-Läufer erscheint sie mir auch etwas hoch. Wenn man aber wie IS meint, dass `weltweit anerkannt' wäre, dass man an der Schwelle einen HM laufen kann, dann heißen diese 95% nur, für einen M 2.105 mal so lange zu brauchen wie für einen HM. Dies ist ein guter Wert.

Wenn man der Faustregel folgt, dass Schwellentempo Stundenlauftempo sei, dann stimmen die 95% eher für die Elite und ein 3h-Läufer kommt auf einen niedrigeren Wert.

Als Replik auf ``Das Maximum der Fettverbrennung - absolut betrachtet - liegt bei 55-72% Vo2 max. [...] Mithin führt ein Training von ca. 90% der anaeroben Schwelle auch zu einer maximalen Fettverbrennung.'':
&quot hat geschrieben: Aus den in 1-3 gemachten Zusammenhängen ergaben sich bereits einige Anhaltspunkte, die gegen die Annahme sprechen, dass das Maximum der Fettverbrennung bei 90% der anaeroben Schwelle liegt. Aus den Simulationsuntersuchungen von Mader geht hervor, dass sich das Maximum der Fettverbrennung niedrigeren Sauerstoffaufnahmewerten bzw. >= 1.5mmol/l Laktat entsprechend ca. 65-70% zur anaeroben Schwelle befindet. Bei 90% überwiegt bereits der Kohlenhydratstoffwechsel, [...]
Dass der Kohlenhydratstoffwechsel überwiegt widerspricht noch nicht im geringsten der Annahme, dass der Fettstoffwechsel hier absolut sein Maximum hat.

Ich wäre mit den Aussagen auf dieser Seite jedenfalls vorsichtig.

Gruß,
Carsten

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Wenn ich Dich richtig verstehe, kann man das auch so zusammenfassen: Leistungsdiagnostik ist scheiße. Insbesondere das selbsternannte Institut für Sportdiagnostik trennt nicht angemessen die Spreu vom Weizen und erzählt dann noch der Spreu was vom Pferd.
In Stimmung für unangemessene Zusammenfassungen:
M

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Interessant - das ist ja genau das Institut, das mir vor zwei Wochen von einem Sportarzt (Namen will ich jetzt nicht nennen, aber wer suchet, der wird finden :wink: ) dringend empfohlen wurde: "Sie müssen unbedingt noch eine Leistungsdiagnostik machen lassen, da gehen Sie mal dorthin - karteüberreich - das sind die besten hier im süddeutschen Raum..."

Vieles von dem, was die auf Ihren Seiten schreiben, mag ja stimmen (vielleicht sogar das meiste) - ich bin jedenfalls nicht in der Lage, das zu widerlegen. Mich stört nur immer, wenn Werbung (auch seriöse) mit wissenschaftlichem Jargon als ewige Wahrheit verkauft wird. Irgendwie klingeln bei mir da die Alarmglocken...

Michael

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Hallo!
Meike hat geschrieben:Wenn ich Dich richtig verstehe, kann man das auch so zusammenfassen: Leistungsdiagnostik ist scheiße.
Das wollte ich nicht sagen. Leistungsdiagnostik hat natürlich ihre Berechtigung. Dass ich der Leistungsdiagnostik im Hobbybereich skeptisch gegenüberstehe, ist allerdings wahr.
Insbesondere das selbsternannte Institut für Sportdiagnostik trennt nicht angemessen die Spreu vom Weizen und erzählt dann noch der Spreu was vom Pferd.
Das Bild war mir jetzt zu kompliziert ;-)

Gruß,

Carsten

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Kompliziertes Bild hin oder her, finde ich es doch sehr angenehm, daß hier mal wieder Sachthemen behandelt werden. Juhu, es ist doch noch ein Laufforum! :daumen:
Besten Gruß
M

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Hallo Carsten,

Interessante Analyse. Wobei ich nicht allzu viel dazu sagen kann, weil ich eine Leistungsdiagnose für mich für absolut überflüssig halte. Ich wüsste nicht, was die mir sagen könnte, was ich nicht schon weiß oder was ich dann im täglichen Training berücksichtigen könnte.

Ich denke, dass ich mit einer simplen Strukturierung des Trainings, verbunden mit einer ausreichend hohen Zahl von Wochenkilometern noch so viel Potential zur Verbesserung meiner Bestzeiten habe, dass ich das Geld, was so eine Diagnostik kosten würde, für etwas Sinnvolleres ausgeben kann.

7
CarstenS hat geschrieben:Ich wäre mit den Aussagen auf dieser Seite jedenfalls vorsichtig.
Und würde dort keinen Cent lassen. Die Aussagen zeugen von Inkompetenz oder bewußten Falschaussagen zum eigenen Vorteil ums mal hart auszudrücken :frown:

Grüße - uli -

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hallo zusammen,

ich kann CarstenS nur zustimmen. Wer sich auf der selben Homepage den Beitrag zu 'Was ist Laktat' durchliest, mag sich weiter verwundern:
Wenn während einer intensiven Ausdauerbelastung der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff nicht ganz ausreicht, um den im Muskel benötigten Energiebedarf (ATP, energiereiche Phosphate) zur Muskelkontraktion zu decken, entsteht das saure Stoffwechselprodukt Laktat.
Doch Laktat entsteht auch in Ruhe, wenn genügend Sauerstoff verfügbar ist, selbst Leistungssportler weisen einen Ruhelaktatwert auf.

An späterer Stelle wird unklar, welchen Stellenwert der aeroben Trainingsbelastung beigemessen wird:
Diesen Bereich von 4 mmol/l Laktat bezeichnet die Sportmedizin als:

* maximales Laktat Steady State (maxlass),
* aerobe/anaerobe Schwelle oder
* Fettstoffwechselgrenze,

die im Cardio-/Fettstoffwechseltraining nicht überschritten werden darf

Demnach dient das Training unterhalb 4mmol der Fettstoffwechselökonomisierung.

Überraschend kommt dann

Nur mit Hilfe der Blutlaktatkonzentration bei körperlicher Belastung kann man auf die individuelle Stoffwechselsituation schliessen. Und dies ist ganz wichtig, weil für milde aerobe Trainingsbelastungen mit dem Ziel, Kalorien in Form von Fetten zu verlieren und/oder positive Anpassungserscheinungen auszulösen, ganz bestimmte individuelle Laktatkonzentrationen einzuhalten sind.
Hmm .. 'Ziel, Kalorien in Form von Fetten zu verlieren' ... das hat mit Sport eher wenig und mit Abnehmen wollen vielleicht etwas zu tun. Damit geraten 'Fettstoffwechsel' und 'Kalorien verlieren' als Ergebnisse aeroben Trainings in einen falschen Zusammenhang - zum Verlieren von Kalorien bedarf es einer negativen Energiebilanz über alles.

Im Abgesang des Artikels wird dann noch mal richtig rundum zugeschlagen:
Das Ausdauertraining nimmt aufgrund seiner gesundheitlich überragenden Stellung einen immer breiteren Rahmen im Fittness-und Rahacenter ein:
Es gilt das Herzinfarktrisiko zu vermindern, die Qualität des Fettstoffwechsels und des immer höher belasteten Immunsystems zu verbessern, den zu hohen Blutdruck, oft in Verbindung mit Übergewicht, zu reduzieren und den berufsinduzierten Stress durch eine trainingsbedingte Vagotonie (beruhigende, ausgleichende, HF-absenkende Situation) abzufedern und sich allgmein "besser zu fühlen".
Für die (falsche) Schlussfolgerung, dass diese Effekte eigentlich nur dann so richtig eintreten können, wenn ein Laktattest gemacht wurde, ist nun hinreichend motiviert worden.

Diskussionswürdig ist dann auch das Rezept des Instituts, für alle Sportarten die Laktatbestimmung nur aus einem 15-minütigen Radstufentest ermitteln zu können:
Mit deren Hilfe können auf Basis der Untersuchungsdaten aus einem 15-minütigen Radstufentest alle gängigen Ausdauergeräte, incl. Spinning, Fatburner und Aerobic mit der laktatgeeichten Herzfrequenz trainiert werden.
Hier wird schlicht übersehen, dass die arbeitende Muskulatur für den Anstieg des Laktats 'verantwortlich' ist, wohingegen die restliche Skelettmuskulatur incl. Herzmuskulatur gleichzeitig Laktat verstoffwechselt, den Spiegel also senkt. Daher kommt es entscheidend auf die beteiligten Muskeln, mithin die Sportart, an, wenn Laktatwerte bestimmt werden. Demensprechend ist ein Radstufentest wenig aussagefähig für das Laktatverhalten beim Schwimmen.

knightowl

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So und wer mailt denen jetzt mal den Thread, damit sie wissen was für'n Quatsch sie da verbreiten? :D

Grüße - Uli -
Gesperrt

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