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Laufen mit James Last

Laufen mit James Last

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Ein Volkslauf am Nachmittag statt morgens, das ist wie die Lasagne nach dem Tiramisu essen. Irgendetwas stimmt nicht mit der Reihenfolge. Sollte man vorher duschen? Was isst man und wann? Das ganze eingespielte Prozedere – aufstehen, Laufsachen anziehen, Banane essen, zum Start fahren, laufen – geschenkt. Aber weil ich mir ja vorgenommen habe, bis ins hohe Alter flexibel zu bleiben, starte ich auch mal nachmittags.

Wiesbaden-Naurod zu Ehren. Der Ort lockt mit Wald, Feld, Streuobstwiesen und "topographischen Gegebenheiten" wie es in der Ausschreibung heißt. "Topographische Gegebenheiten" klingt schöner als "Heartbreakhills" oder "Hügel der quitschenden Lungen", aber es ist ein klein wenig verblümt.

Weil ich das ahne, mache ich mich auf die Suche nach dem Aushang des Streckenprofils. Aber es gibt nirgendwo einen. Wie ich jetzt weiß, wäre es dabei ganz einfach gewesen, einen anzufertigen. Man hätte nur ein solides Brotmesser quer auf ein Blatt legen und seine Umrisse nachzeichnen müssen. In Naurod geht es ein wenig runter, dann ziemlich hoch, dann wieder runter, dann hoch, dann wieder ... aber ich will niemanden langweilen.

Die Wartezeit vor dem Start wird uns versüßt durch zwei sonnengebräunte Vorturner, die versuchen, aus einer Horde knorpeliger Jungs mit verwaschenen Trägerhemden und schief sitzenden Startnummern so eine Art Jazz-Tanz Formation zu machen. Aber das Synchron-Gehopse zu Discomusik macht allen Spaß und die Anwohner entlang der Dorfstraße haben noch lange etwas zu erzählen. Plötzlich, mitten im Gedränge, erkenne ich ihn. Das ist doch nicht etwa...Tatsächlich. Unmöglich, dass ich mich täusche. Vor mir auf der Straße tänzelt James Last. Das hätte ich nicht gedacht. Er hier? Man sieht es schon am Schenkelwippen – der Mann hat Musik im Blut. James Last beim Volkslauf in Wiesbaden-Naurod – toll.

Ich wäre gern länger in seiner Nähe geblieben aber beim Start reiht er sich ganz vorne ein und das wäre für mich zu verwegen. Bis Kilometer 2,5 ist alles gut. Trappel trappel trappel über die Straße, dann trappel trappel in den asphaltierten Feldweg, dann knirsch knirsch knirsch auf den Waldweg und dann kommt er, der in Erfahrungsberichten erwähnte "Stich in den Wald". Das klingt eigentlich harmlos. So etwa wie "ein Stich ins Grüne". Ein Stich, das kann eigentlich nur "ein bisschen" sein. "Ach Du liebes bisschen", denke ich folgerichtig, als ich den Anstieg sehe. Das kann ja lustig werden. Das wird es auch, aber man kommt kaum zum Kichern. Es folgt das besagte Brotmesserprofil. Die Strecke ist wunderschön. Bäume applaudieren mit weißen und rosa Blüten, das sattgrüne Gras macht mich neidisch auf Schafe und die Rapsfelder miefen vor sich und mich hin.

Ich habe mir den Streckenverlauf vorher angesehen. Eine Runde mit extra Schleife. Aber ich weiß eigentlich nie, wo ich bin. Es gibt Menschen, die noch Jahre nach einem Lauf die Strecke beschreiben können: "...dann biegt man links an der Scheune ab, nach 200 Metern kommt eine lange Kurve und danach ein Anstieg von etwa 500 Metern". Mir ist soetwas ein Rätsel. Ich leide unter Streckenamnesie. Aus den Füßen aus dem Sinn. So bin ich völlig überrascht, mich bereits zum zweiten Mal an einer Stelle mit Gegenverkehr wiederzufinden. Erst jetzt bemerke ich: es ist ein strategischer Stützpunkt. Hier parkt ein einzelnes Auto, aus dem ein Radio ertönt. Daneben steht ein älterer Herr und ruft den Läufern ständig die aktuellen Fußball-Spielstände zu. So ist das, Samstags nachmittags, auf einer Wiese in Naurod.

Und dann sehe ich ihn. Schon von Weitem. Seine weißen wehenden Haare sind nicht zu übersehen. Vor mir läuft James Last. Er hält sich glänzend. Sein Atem geht ruhig und gleichmäßig. Es ist mir eine Ehre, ihn zu überholen. Am Montag werde ich alle seine Platten kaufen, oder sagen wir - zumindest die Letzte. Ich laufe weiter bergauf und bergab und inzwischen zieht es in meinen Oberschenkeln bei dem einen so wie bei dem anderen. Die Strecke verwirrt mich immer mehr - schon wieder werde ich auf den Stand der Bundesligaergebnisse gebracht. Meine Wahrnehmung verdüstert sich. Was wäre, wenn ich nun in einem Paralleluniversum gelandet bin, und es jetzt bis ans Ende der Ewigkeit so weiter geht? Bergauf, Raps, Bergab, Bundesliga, Bergauf, James Last, Bergab, Wald ...? Doch dann kommt der erhebende Moment von sovielen Volksläufen: ich darf dort abbiegen, wo vorher nur die Läufer der 10er Strecke abgebogen sind, ich werde nicht auf eine weitere Runde geschickt.

So kommt es, dass ich etwas Erleichterung verspüre, obwohl es gerade wieder bergauf geht. Vor mir kämpft ein Läufer, dessen Trikot-Aufdruck ihn als Vereinsmitglied in einer hügeligen Gegend ausweist. "Du musst Berge doch gewohnt sein", ruft ihm eine Läuferin zu. "Schon", ruft er zurück "aber doch nur bergab". Ein klassischer Tiefstapler. Wo sich die Spreu vom Weizen trennt, sind blöde Witze immer ein untrügliches Kennzeichen für die Weizenfraktion. Trappel trappel trappel, da ist ja wieder der Feldweg. Weit kann es nicht mehr sein. Ich biege in die Ortsstraße ein, auf der ich vor knapp zwei Stunden noch neben James Last in die Hocke ging und fege ins Ziel. Zu meiner Verblüffung war ich mehr als drei Minuten schneller, als auf dem fast ebenen City-Halbmarathon in Frankfurt vor ein paar Wochen.

Auf der Homepage des Vereins waren 100 selbstgebackene Kuchen angekündigt, mein Trainingspartner und ich probieren ca. 23 davon. Auf der Heimfahrt hänge ich ein wenig meinen Gedanken nach. Wann mag James Last ins Ziel gekommen sein? Und was, wenn ich mich getäuscht haben sollte? Nein, ausgeschlossen. Es war James Last. Ganz bestimmt.

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Mal wieder Frau Schmitt... :daumen:

Aber eine Frage:
Ich biege in die Ortsstraße ein, auf der ich vor knapp zwei Stunden noch neben James Last in die Hocke ging
Was bitte schön Unanständiges hast du getan, dass du vor Herrn L. in die Hocke gehst?
Wie viele Dinge gibt es doch, die ich nicht brauche!
Diogenes von Sinope
Dem Speed Badminton verfallen...da muss man auch viel laufen!

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Glänzend!!! Sicher war es Herr Last, wer sonst, und er wird noch lange davon erzählen wie es war, als er die begnadete Autorin Frau Schmitt beim Volkslauf gesehen hat :daumen:

Jetzt aber weg, wird so glitschig hier :D
Jürgen

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frauschmitt2004 hat geschrieben: Wann mag James Last ins Ziel gekommen sein?
Hoffentlich hat er seinem Familiennamen nicht alle Ehre angedeihen lassen!

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Ich habe mir große Mühe gegeben, mir das "Last but not Least" zu verkneifen...

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Verzeihung, frauschmitt, ich hätte es mir denken können. Ein zu billiger Kalauer.

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Hi,

Oh Frau, wie immer geil geschrieben, frauSchmitt2004, aber apropos geil
einfach-Marcus hat geschrieben:
Aber eine Frage:Was bitte schön Unanständiges hast du getan, dass du vor Herrn L. in die Hocke gehst?
Dödel, :wink: sie schrieb, dass sie "neben James Last in die Hocke ging", nicht, was du wieder ferkeliges herausliest. :D
Liebe Grüsse von Gregor :hallo: (Bremen)
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:hihi: ein schöner bericht, so was liest man gerne. Aber denke auch an dein Versprechen :prof: : du musst dir morgen die letzte platte von james last kaufen. :P
Belustigte Grüße und natürlich Glückwunsch
Birgit

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Köstlich! Mit großem Vergnügen gelesen. War so gut wie Lasagne und Tiramisu einschl. einem trockenen Bordeaux und einem doppelten Espresso :o)

Ciao
Bifi

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Mir gefällts auch. Annähernd fast so gut wie der letzte.

Aber bei derartig erbaulicher Berichterstattung wird zu leicht übersehen, dass du auch verflixt schnell rennen kannst. 1:54:37,6 beim HM über Hügel - nicht übel! :daumen:

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Ganz super Frau Schmitt! :daumen: :respekt:

Und erst dieser tolle Bericht... :D - Einfach klasse!

Und, mit welcher Zeit steht James Last in der Ergebnisliste?

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Sehr geehrte Frau Schmitt,

ich habe mich köstlich amüsiert. Gratulation zur erfolgreichen Rückkehr aus dem Paralleluniversum und Grüße an James Last ! Streckenamnesie halte ich für weniger gefährlich als Pace-Akribie, bei der sogar pedantisch jede Pinkelpause zeitlich erfaßt wird :gruebel: .
In Erwartung weiterer, so schöner Laufberichte, verbleibt
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...
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