Moin,
aus diesem Bericht soll bitte niemand irgendeinen Vorwurf herauslesen, wenn dann an mich selbst. Bei einem gemütlichen Jog vor zwei Wochen mit JPS (Glückwunsch zum Debut-Marathon in Mainz 4:38:47) stellten wir fest, dass wir wohl beide Schönwetterläufer sein könnten. Ist zwar mein erster durchlaufener Winter, aber Schnee finde ich angenehmer als Regen, und so richtig "soaking wet" war ich dieses Jahr noch gar nicht geworden. Das hat sich gestern geändert.
Bremerhaven: zig verschiedene Läufe stehen auf dem Programm. Gleichzeitig mit den Halbmarathonis (12 Seemeilen, ca. 21,1 km) starten andere ein Rennen über 6 Seemeilen. Ganz hinten einsortiert laufe ich gemütlichst los, horche mich um, die anderen "Letzten" sind alles Leute, die noch nie vorher 10 km gelaufen sind. Nach ein paar belanglosen Sätzen wollen die sich an mich heranhängen. Ulkig, denke ich mir, Hase war ich noch nie. Die Strecke ist abgesehen von einer Deichüberquerung, einer Baustellentreppe, zwei scharfen Kurven und einem U-Turn, ziemlich geradeaus. Im ersten viertel wechseln sich bedeckter Himmel und Sonne ab, was mir einen Gesichtssonnenbrand einbrachte. An einer Verpflegungsstelle entnehme ich den Äusserungen eines Mitläufers, dass ich der letzte unter den Halbmarathonis bin. Hups, das waren alles Kandidaten für "6 Seemeilen"? Schade, kurzes Überschlagen, ob ich die Chance hab, zum Vorletzten aufzuschliessen. 33 min mal 4 - hej, Moment, wenn ich weiter so zu rennen schaffe, wird das eine PB, unglaublich, bei dem Gegenwind, der hier aus jeder Richtung zu kommen scheint.
Bevor das 6 Seemeilen-Rennen beendet wird, überhole ich noch drei weitere, jeweils in einem Tempo, dass mir selber schlecht wird, mein Pulser zeigt zwischenzeitlich Werte jenseits der 190.
Erwähnte ich bisher die Zuschauermassen? 4 mal muss man am Deutschen Schifffahrtsmuseum vorbei, da haben sich ein paar Angehörige untergestellt. Sonst vereinzelte Deich-Spaziergänger, Sicherungsposten, und das war es. Kurz vor Halbzeit muss ich mich durch eine Masse von Touristen pflügen. Ein Idiot hält mich fest. "Tschuldigense maljunger Mann,mein MätzedishatnePann, wat saachisch dann dämADAC, wo simma dann he?" Ein wenig fassungslos, entgeistert schaue ich den Mann an. Ein Fabrikat Mercedes steht da, am liebsten hätte ich mir dieses Euskirchener Kennzeichen gemerkt. Wenigstens komme ich mal kurz zum Durchatmen. "Sie müssen entschuldigen, ich nehme hier gerade an einem Wettrennen teil" Ich will schon weiter, da sagt er "Bei däm Drisswetter? Un, watt jitt et ze jewinne? Un wo simma he?" Langsam wütend, schleudere ich ihm ein "Egal, Ruhm und Ehre, Bremen" entgegen. Und schleiche mich, der Depp greift nach seinem Mobiltelephon.
Mach das Beste draus, den Mann haste wenigstens tüchtig verarscht, grinse ich in mich hinein. Jetzt aber hurtig! Schwierig, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen, komme nicht recht in Trit. Üärgh, aus dem bedeckten Himmel heraus wurde langsam Niesel. Und nun heftiger Regen. Im Verpflegungsbereich kredenzt man Wasser, Äpfel und Bananen, portioniert.
Ein kleiner Junge läuft ein paar Meter neben mir her, brabbelt "Sie können aufgeben, Sie gewinnen eh' nicht heute." Als ich einfach stoisch weiterlaufe, legt er nach: "Es wär keine Schande, wird halt irgendein anderer Arsch letzter!" Na hoffentlich wird da heut abend ein Vater-Sohn-Konflikt aufgearbeitet, denke ich mir, eigentlich fühle ich mich super, keine Ahnung, warum mir NIN im Hirn rumspukt:
"I have found. 'n you can find. happiness in slavery. I don't know what I am
I don't know where I've been." immer wieder. Immerhin bringt es mich auf die Idee, "Head like a Hole" in mich hineinzusummen. Prima Rhythmus, hört selber:
"head like a hole.
black as your soul.
i'd rather die than give you control.
head like a hole.
black as your soul.
i'd rather die than give you control.
bow down before the one you serve.
you're going to get what you deserve.
bow down before the one you serve.
you're going to get what you deserve." ob mein Schweinehund hingehört hat?
Gelegentlich überholt mich einer von den schnelleren Halbmarathonis. Die sind alle in ganz kurz unterwegs, ich fühl mich in meiner Kluft 3/4-Tight, Fleece-Pulli, FCSlab-Trikot so richtig wie ein Weichei. An der Baustellentreppe verliere ich jedes Mal bestimmt eine viertel minute, originelle Idee so ein Hindernisparcours. Beobachte die schnelleren, um was zu lernen. Ah, der tritt mit Karacho in die Pfütze, dass da ein nicht identifiezierbares Metallstück drinliegt, weshalb ich Angst hätte, mir den Fuss zu verknicken, interessiert ihn nicht. Ei, wie tollkühn.
Wenig später, am Leuchtturm eine Variation: zu schissig für diese Pflastersteine laufe ich am Rand, alle andren kürzen über die Wiese ab. Das mache ich einmal, meine Füsse sind nun klatschnass, naja, kein Wunder, die Wiese ist inzwischen eine Pfütze, in mancher Stadt wäre das der grösste See. Und wo mir spontan danach ist, das Wasser war ein wenig kalt, die ganze Zeit rumpelt es in mir, erbreche ich mich in die Nordsee. Mjam, jetzt geht's besser. Denkste.
Der zweite Hälfte der dritten Runde wird die langsamste, etwas über 45 Minuten, egal, allein der Tourist hat mich bestimmt eine Minute gekostet, die Baustelle auch eine, d.h. meine Form hätte für eine "unter normalen Umständen 2:22" reichen müssen, um pb zu toppen. Aber irgendwie bin ich einfach immer weiter gelaufen, die letzten 8 km war ich einsamer als je im Training am Werdersee. Muss am Wetter liegen, es hatte sich eingeregnet.
Schlussgerade, auf dem Weg zum Parkplatz des DSM kann man eigentlich nicht mehr laufen, er ist eine einzige Schlammpfütze, aber es ist mir egal. Da kommt mir der Führungsläuferradfahrer entgegen, ich habe doch bitte auf der Ideallinie zu bleiben, meint er und grinst. "Komm is nich mehr weit." Ein letztes Mal rum ums DSM. Die Streckenposten bilden ein Spalier, ihre jeweils andre Hand soll ich abklatschen. Angesichts von mehr als 2,5 Stunden sch... ich auf die Zeit, und geh auf den Spass ein. Die letzten Meter vor der Ziellinie rafft sich mein Puls auf 203 hoch. Aha, war dieser Lauf also für etwas gut, neue HfMax ermittelt.
Nach einer viertelstunde kriech ich aus dem Umkleidezelt, um eine Erfahrung und ein schickes finisher-Shirt reicher. Auf zur Bushaltestelle. Mir fällt auf: Ich sitze in gleissender Sonne. Wo war die eben? Wann kommt eigentlich der Bus? Ein Blick auf die Tafel lehrt: Sonntags nie. Tja, zu Fuss zum Bahnhof. Dauert eine halbe Stunde, auf dem Hinweg waren es 14 Minuten, unterwegs begegnen mir hunderte Menschen, alle in Herbst/Winterkleidung, ich bin der einzige im T-Shirt. 51 Minuten Zugfahrt später in Bremen, dasselbe Bild, bloss schüttet es gerade ein wenig - bis ich in der Strassenbahn sitze. Abends: nie so schnell eingeschlafen wie nach diesem, meinem 3. Halbmarathon.
Schönwetterläufer im Paralleluniversum
1Liebe Grüsse von Gregor (Bremen)
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