Gestern (und heute) war es wieder soweit:
Der Hunderter von Biel stand auf dem Programm. Dieses Event wird Mitte Juni am Rande des schweizerischen Jura ausgetragen und zieht die Ultraläufer Mitteleuropas jedes Jahr auf’s Neue in seinen Bann. Es klingt schon wahnsinnig: Eine große Runde von 100km entsprechend abzusichern , zu versorgen, mit Hinweisschildern nicht nur an Weggabelungen zu versehen, die dann auch noch beleuchtet sein müssen, denn der Start ist ja 22 Uhr – eine logistische Meisterleistung des Veranstalters.
Dieses Jahr standen die Vorzeichen gut: Der Wetterbericht verhieß für Freitag und Samstag reichlich Sonnenschein, keinen Regen und klaren Himmel. Dazu kam, dass der Mond schon zu mehr als 3/4 voll war. Das machte Lust auf die Bieler „Nacht der Nächte“, auch wenn der Rennsteiglauf erst 4 Wochen zurücklag und man nicht wusste, wie man das verkraften würde.
Im letzten Moment angelte ich mir noch einen schweizer Fahrradbegleiter, der sich im Gästebuch der Homepage des Veranstalters verewigt hatte und dieses Jahr selbst nicht laufen konnte, aber dabei sein wollte und sei es als Radbegleitung – ein Glücksgriff, denn er war einfach fantastisch.
Am Festzelt konnte ich dann nach der etwas späten Pasta sigi kennen lernen, der schon zuvor Conni und Spike getroffen hatte, die sich aber schon für den Lauf fertig machten. Irgendwie hatte ich die Zeit ganz vergessen: Die letzten Vorbereitungen liefen dann bei mir auch etwas flotter ab, als sonst...
Dann der Start, der diesmal etwas verlegt wurde – ja, so „genau“ sind die Schweizer eben!
Nach dem Start galt es, das richtige Tempo zu finden – ein echtes Problem bei der Euphorie, die die dicht gedrängte Zuschauermenge vor allem nach dem Start in den Bieler Straßen erzeugte. Eine wundervolle Atmosphäre, die sich einem bietet, durch die von Zuschauern gesäumten, beleuchteten Bieler Straßen zu laufen. Und immer wieder kann man etwas zurückgeben, von dem was die Zuschauer den Läufern geben: Man kann auch sie anspornen, vielleicht weiter draußen dann, wenn die Lautstärke etwas abnimmt, die Reihen etwas weniger dicht sind. Denn so haben auch die Zuschauer Spaß: Wenn sie nicht nur geben, sondern auch nehmen - mit den Läufern - wenn auch nur begrenzt - kommunizieren können.
Und wie schon letztes Jahr erlebt: Die zahlreichen Kinder an der Strecke, die Ihre Hände herausstrecken, teilweise rufen: "Give me five!" und sichtbar Spaß daran finden, abgeklatscht zuwerden.
Die ersten zwei, drei km, konnte ich mit dem Tempo noch an mich halten, ein paar Gespräche mit Bekannten und auch unbekannten Läufern halfen dabei. Doch dann ging’s viel zu schnell weiter. Das Überholen wurde zum Rausch. Schon bei km 7 der erste giftige Anstieg über 1,5 km. Kaum zu glauben: Gerade die steilen „Abstiege“ nach dem Erklimmen der „kleinen Gipfel“ unterwegs gehen in die Beine (...und sind häufig Ursache von Krämpfen)! Ca. bei km 17 ging es dann über die historische überdachte Holzbrücke von Aarberg, die die Zuschauer so dicht säumten, dass die Läufer den Eindruck bekommen mussten, durch einen Tunnel zu laufen.
Dann durfte in Lyss mein Radbegleiter zu mir stoßen. Von Beginn an harmonierten wir bestens. Bei einigen Biel-Veteranen sind die „Velos“ ja nicht so gern gesehen und auch ich hätte wohl dieses Jahr die Strecke ohne Begleitung in Angriff genommen, wenn es denn nicht diese Fügung gegeben hätte.
Schnell waren die Kilometer 30 und 40 überwunden. Irgendwann laufe ich wie schon auf dem Rennsteig auf Martin Grüning auf. Wir laufen zwei Kilometer zusammen, unterhalten uns. Netter Kerl, geht aber noch schneller an als ich... Bei km 42 dann eine passable Steigung.
Vielerorts gab es Volksfeste entlang der Strecke: Die Leute saßen in Gartenwirtschaften oder einfach an Bierbänken oder riesigen Tischen direkt an der Strecke. Da und dort spielte Musik. Mit fortschreitender Zeit und somit Strecke wurden die Zuschauerzahlen geringer.
Zwischen km 56 und 67 dann der „Ho-Chi-Minh-Pfad“, ein Streckenabschnitt, in dem die Läufer auf Grund der Enge und Beschaffenheit des „Weges“ wieder auf die evtl. Radbegleitung verzichten mussten: Wurzeln, hohes Gras, große, aus der Fläche ragende Steine, herabhängende und herab gefallene Äste machten diesen Abschnitt zu einem Hindernislauf. Hier bewährte sich die Stirnlampe!
Einsam lief ich diesen Pfad, kein Läufer weit und breit, wunderbare Luft, sternklarer Himmel – ein Traum, trotz Anspruch dieses Abschnittes. Doch dann gab es eine Begegnung der besonderen Art: Ein Rascheln auf der dem Fluss zugewandten Dammseite und plötzlich springt er mir direkt vor die Füße: ein reichlich ausgewachsener Dachs – ich wusste gar nicht, dass Dachse so groß werden! Ich mache einen Satz zur Seite und schreie vor Schreck. Das gute Tier erschrickt vermutlich ebenso vor mir und zeigt mir, wie schnell man auf dem Emme-Damm tatsächlich laufen kann: 30 Meter entlang des Weges im Affenzahn, welcher mich zum Fußgänger stempelt, um dann auf der dem Fluss abgewandten Seite des Dammes wieder unterzutauchen. Mein Herz rast noch immer wie wild. Sonst unerschrocken, war das doch der Hammer!
Das Schild bei km 60 steht wie letztes Jahr wieder ca. 500 Meter zu spät. Wer es nicht weiß, muss wohl denken: Was habe ich da jetzt gebummelt!
Dann dürfen auch wieder die Radbegleiter mit von der Partie sein. Ein paar Anstiege und irgendwann graut dann der Tag. Bei km 80 wird es dann plötzlich zäher. Entlang der Aare ist es etwas eintönig: lange Geraden und wenig Abwechslung stellen höhere Anforderungen an den Kopf als an die Beine.
Viele werden hier zu „Fußgängern“. Einige, die man ermuntert, weiterzulaufen, nehmen dies tatsächlich an. Man kommt ins Gespräch. So wird auch dieser Lauf ein Lauf der Kontakte. Man sammelt Eindrücke und Erinnerungen, die man mit nach Hause nehmen kann. Ich könnte mir nicht vorstellen, einen Walkman zu tragen – denn sonst müsste ich auf diese wertvollen Erlebnisse verzichten.
Die Kilometer bis 95 ziehen sich endlos. Dann schicke ich meinen Radfahrer voraus. Die letzten Kilometer will ich allein „genießen“, sofern man das noch so ausdrücken kann. Man zählt jeden dieser letzten Kilometer mit. Einem Läufer vor mir komme ich immer näher. Dennoch, der Abstand ist zu groß! Und: Nein, was soll das: auf dem letzten Kilometer noch jemand überholen: „Lass gut sein!“, sage ich zu mir selbst. Doch hinter mir knirscht der Kies unter einem Fahrrad: Ich wende mich: 3 Läufer kommen da in Formation angeflogen. Nun gebe ich doch noch mal alles: Tut mir Leid, den Läufer vor mir muss ich nun doch noch passieren. Ich rette mich ins Ziel. Es ist geschafft! Den Genuss der letzten Meter konnnte ich nun doch nicht so lang auskosten, wie mir lieb gewesen wäre. Aber irgendwann packt einen wieder das Biel-Fieber und man unternimmt eben abermals einen Versuch, die 99950 Meter zurückzulegen, um die letzten 50 Meter - dann aber richtig - zu genießen...
100km von Biel-(m)eine wirklich außergewöhnliche Begegnung!*
1...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?