Toronto21
Greenhörnchen
amanda
Prolog:
Nach einer viel zu kurzen Nacht auf einem viel zu engen Sofa hörte ich ein lautes Regenprasseln. Nein, ich war nicht in Hamburg. Ich war in Urmitz und so einen Regen kannte ich nicht. In Hamburg mag es zwar häufiger regnen, der Legende jedenfalls nach, aber nicht so laut und nicht so doll. Gut, dachte ich. Die Mädels werden bestimmt nicht so blöd sein und bei so einem Regen irgendeinen, mir bis dahin unbekannten 1. Erpeler Friedenslauf laufen zu wollen. Ich werde einfach nett sein und bei der erstbesten Gelegenheit, wenn eines der Mädels über das Wetter und den bevorstehenden Lauf mault, zustimmen, dass wir ja nicht zwingend laufen müssen.
Scheiss die Wand an - ett schüttet! Unwillig über das prasselnde Geräusch an meiner Fensterscheibe öffnete ich ein Augenlid und mein Auge bestätigte das, was meine Ohren bereits vernommen haben. Sintflut! Die Welt geht unter! Aber sowatt von!
Nachdem ich meinen Leib in die Küche geschleppt und ein wenig mit dem Kaffeegeschirr herumgescheppert hatte, schlurften auch Mandy und Stefan herbei. Zaghaft fragte ich "Wir laufen doch, oder?" in der Hoffnung auf Widerspruch. Laufen im Regen ist ja eigentlich wunderschön, aber das hier ist kein Regen, das ist Doomsday. Das jüngste Gericht. "Klar!" bestätigte Mandy nickend und Stefan fragt lauernd "Wieso? Willste etwa kneifen?" Ich bemühe mich um eine entschlossene Miene - jetzt bloß keine Schwäche zeigen...."Natürlich will ich!" beteuere ich "und WIE!" Verdammte Hacke! Also...auf zum Friedenslauf.....und Wasser marsch!
Es ist einfach nicht zu fassen, Es regnet. Es schüttet aus Kübeln und das ist doch der Tag, des Erpeler Ley Laufs...den kann ich so nicht laufen. Zuhause hätte ich bleiben sollen, immer gerät man in komische Geschichten, man setzt einen Fuss vor die Tür, und kommt weit im Westen an und dort geht die Welt unter und das soll ich mir auch noch live ansehen...von einer Anhöhe, vom Auge Gottes. Bei Regen! So was doofes. Naja gut...es wird so sein wie immer: ein Lauf ist ein Lauf und den läuft man eben.
1. Akt
Als ich als zurückhaltender und höflicher Hamburger im Zielbereich freundlich nach etwas Trinkbaren fragte, schubste mir die Thekenkraft unwirsch einen Plastikbecher hin und brüllte:
"Hier, haste Tee!"
Etwas verängstigt griff ich den heißen Plastikbecher und traute mich nicht, mir anmerken zu lassen, dass ich gerade dabei war, mir die Finger zu verbrennen.
Meinen bisherigen Erfahrungen nach zeichnen sich die Helferlein am Küchen- u. Getränkebuffet einer Laufveranstaltung allzeit durch ein überdurchschnittlich freundliches und umsichtiges Verhalten uns geschwächten Läuferleins gegenüber aus - nicht so beim Erpeler Friedenslauf. Zwei mittelalte wohlbeleibte Herren standen hinter zwei großen Silbertöpfen und schöpfen dampfenden Tee in Plastikbecher. Meine Frage, ob es denn noch was anderes zu trinken gäbe, wurde mit einem zweistimmigen, diktatorischen "Näh! Nur TEE!" beantwortet und liess mich zusammenzucken. Aha, ich merke schon...hier gibbet kein Gedöns und keinen Schnickschnack....nur TEE! und basta! Wo kämen wir da hin, wenn hier jeder Sonderwünsche erfüllt bekäme.... Mein leise-ängstliches "Dankeschön" wurde mit einem mürrischen lauten "Joh!" bedacht - naja...was soll's....sind ja nicht zum Höflichkeitsfloskeln-Austauschen hier....
So standen wir nun mit unseren brüllendheissen TEE!-Bechern in der kalten Händen - und ohne darüber gesprochen zu haben, war uns klar, dass diese Becher ausgetrunken werden mussten, bis zum letzten Tropfen, trotz Brandblasen an den Fingern und Verbrennungen im Rachen....die beiden Tee-Verteiler flößten uns zuviel Respekt zum Reste-Übriglassen ein. Da mußten wir durch.
Ich enteckte eine große Kuchenplatte mit diversen belegten und gefüllten Plundern und fragte die Thekenkraft, ob das auf dem einen Plunder Vanillepudding sei.
"Dat sind Kaffeeteilchen. Willste wat?"
"Ja, und zwar den mit dem Vanillepudding, sofern es sich dabei um Vanillepudding handelt".
Etwas verwirrt griff die Thekenkraft wahllos irgendeinen Plunder, brummelte was von "Dat sind Kaffeeteilchen. Watt willste denn?" während ich ihm verbal und mit dem Kopf in Richtung des vanillebepuddingten Plunders lotste. Endlich griff er nach dem richtigen "Kaffeetteilchen" und bei Greenie wieder angekommen, erklärte mir diese, dass Kaffeeteilchen halt Kaffeeteilchen seien und wie man das denn in Hamburg nennen würde. Mir fiel nichts besseres als "Gebäck" ein, was weder Greenie noch mich befriedigte, während wir im Hintergrund immer wieder laut und vernehmlich, "Hier, haste Tee!" vernahmen. Offensichtlich macht man das im Rheinland so. Obwohl es ja eigentlich ein Friedenslauf war und das nicht wirklich friedlich klang.
Mit verwirrtem Blick hielt Stefan sein Puddingteilchen fest umklammert und ich versuchte ihm helfend, das Rudel-Leben der "Kaffeeteilschen" näherzubringen...das Kaffeeteilchen an sich hat keine eigene Persönlichkeit, es ist nur Teil des Ganzen - es ist nicht Kirschplunder, Nussecke, Puddingteilchen, Apfeltasche, sondern nur "Kaffeeteilschen", quasi eine homogene Masse - trotz fundierter Erklärungsversuche wurde sein Blick nur verständnisloser. Naja, lassen wir's gut sein und lassen uns lieber nochmal mit einem freundlichen "Da, haste Tee!" anschreien.
Zuvor liefen wir gut 13,5km in gefühltem 8er Schnitt (oder war es noch langsamer?) und tatsächlichem 6:42er Schnitt, was mir trotzdem irgendwie unwirklich langsam vorkam. Ich wurde ohne mein Wissen zu diesem 1. Erpeler-Ley Friedenslauf angemeldet und hatte die Funktion des Hasen, in der ich für mein Gefühl kläglich versagte.
Obwohl Stefan ständig quengelte, hatte ich überhaupt keine Lust auf "schnell"....watt die blöde Rennerei bloss immer soll? Nein, meine Suppe ess' ich nicht und einen 6er-Schnitt lauf' ich auch nicht....und Mandy pflichtete mir bei - jerannt wird nicht. Stefan schien minütlich mehr innerlich zu zerbrechen und fügte sich dann seinem Schneckenschicksal. Und außerdem wußte ich ja - irgendwo hinter der nächsten Kurve lauert "der Berg"...bloss keine Kräfte vergeuden. Der Berg ruft.
Zaghafte Tempoverschärfungen wurden mit stoischer Langsamkeit und vor dem Greenhorn wedelnde Polaruhrendisplays mit, "Geh mir weg. Wenn ich laufe, kann ich net lesen und außerdem wird mir beim Laufen vom Lesen eh schlecht." beantwortet. Wobei sich die Frage stellt, wie oft das Greenhorn in seinem Läuferleben schon während des Laufens gelesen hat.
Beim Berg mit den hundertundirgendwas Höhenmetern (http://www.laufen-aktuell.de/laufen-aktuell/content/forum/showthread.html?t=15510) entschloss sich die von mir gehäselte Damenwelt plötzlich in den Gehschritt zu wechseln, während ich mein ohnehin kaum noch verlangsambares Tempo hielt, oben wieder umkehrte, kurzfristig in den Genuss kam, als schneller Läufer betrachtet zu werden ("Guck mal, da kommt der Erste schon wieder zurück!"), um die Damenwelt den Rest nach oben zu ziehen. Diese hatte aber offensichtlich nur kurz das Gehen eingeschlagen, denn sie waren fast schon oben. Brave Mädchen. Meine Versuche als Hase wurden, wenn auch im wahrsten Sinne des Wortes sehr langsam, belohnt.
War das ein Sch...Berg...verdammich. Die spinnen doch!
"Oh Gott, die spinnen doch!" stöhnte Mandy, als sich endlich der "Berg" lang und drohend vor uns aufreckte. Mit "die" konnten nur die ratgebenden Foris gemeint sein, die die 115 Höhenmeter im Vorfeld als "gar nicht wirklich vorhanden" und "harmlos" bezeichnet hatten. Da auch mir der "Berg" reichlich Respekt einflösste, bemühte ich mich, stur auf den Boden zu gucken und einfach weiterzulaufen...gar nicht hingucken, irgendwann wird man schon oben ankommen. Nur noch bis zur nächsten Kurve... Bei der nächsten Kurve war der Berg aber immer noch da und es sah nicht danach aus, als wenn er uns allzu bald erlösen würde.
Ich fand mich ja schon tapfer, diesem Berg überhaupt den Kampf anzusagen, dass er stärker sein würde, war mir fast klar und dann kam der Punkt, an dem der Kampf entschieden wurde...ich ging einfach! Noch tapferer und bewundernswerter war aber Greenie! Staunend sah ich hier nach, wie sie einfach weiterlief höher und höher und weiter und weiter...boah..das will ich auch mal können, wie kann man das denn?
Meine Lunge brannte. "Verflixt, beim Röntgenlauf sind die Berge bestimmt 10x so hoch, also japs' nicht und lauf!" wies ich mich innerlich zurecht. Meine Lunge pfiff und brannte. Stefan tänzelte unbekümmert weiter und entschwand alsbald (hinter der nächsten Kurve) aus unserem Blickfeld. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Mandy in einen flotten Walkingschritt gefallen war. Eine gute Gelegenheit, mein eigenes Unvermögen als Mitgefühl zu tarnen. Ich ging auch ein paar Schritte und fragte pseudo-besorgt "Geht's noch?", krampfhaft bemüht, mein Keuchen und Japsen zu überspielen. "Och, die spinnen doch!" keuchte Mandy und ich stimmte ihr nickend zu. Genau. Die spinnen doch.
Nach ein paar gekeuchten Metern rissen wir uns mannhaft zusammen und trabten wieder an. Geht doch. Läuft doch. Aber spinnen tun die trotzdem.
Am Wendepunkt angekommen, auch das "Auge Gottes" genannt, welches wir trotz aller Mühen nicht zu Gesicht bekamen, wurden wir mit einem Kreuzchen auf der Startnummer als erfolgreiche Wendepunkterreicher markiert und liefen wieder zurück. Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir uns zur Sicherheit mit Eddingstiften eingedeckt.
Ja, auf dem Gipfel des Berges erwartete ich die Erleuchtung des Tages, alle Mühe sollte belohnt werden mit einem Blick in das Auge Gottes...aber da stand nur ein Tisch im Wald und um den sind wir rumgerannt...irgendwie ja auch schön, denn nun ging es den Berg runter nicht erleuchtet aber dafür schneller und leichter und schwebender. Unten angekommen wagte ich dann sogar, etwas von den angeboteten Getränken zu schlürfen. Dann ging es raus aus dem Wald, wieder auf den gepflegten Radweg mit Blick über wirklich grüne Felder.
"Jetzt wird hier mal genossen, verdammt nochmal!" gab ich als Stall-Order aus und wies mehrfach mit Nachdruck auf den hällischen Wald, die schönen Wiesen, die gute Luft und die tolle Aussicht hin. Irgendwie schien aber zumindest Stefan der rechte Wille zum Geniessen zu fehlen, er brummelte nur unwirsch irgendwas von "langsam" und "7-er Schnitt" und "Wettkampf" vor sich hin.
Auf dem Rückweg entdeckte Greenie ein Pony mit einem Pony, also einem Ponyhaarschnitt (aber sowat von Pony), welches ich uhrenlesend und gelangweilt zur Kenntnis nahm. Das Pony hatte wirklich einen akuraten Ponyhaarschnitt. Meine Begeisterungsschreie über ein dickes braunes Pony, das einen buschigen blonden Haarschopf mit säuberlich geschnittenem Pony zur Schau stellte, wurden von Stefan weitestgehend unbeachtet. "Stefan, datt Pony hat 'nen Pony!" quakte ich noch einmal mit Nachdruck, aber er schien wirklich nur mit seinem Polar-Display und unserer ermahnenswürdigen Langsamkeit beschäftigt. Aber ich war mehr daran interessiert, ob die langsamen 13,5km irgendwann mal ein Ende haben würden, denn 13,5km können ganz schön lange sein. Jedenfalls in diesem Schnitt.
Bei Kilometer 11 rechnete ich hoch und und kam zu dem Ergebnis, dass wir trotz Entdeckung der Langsamkeit irgendwas bei unter 1.30 Stunden landen müssten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals, auch nicht im Training bei absolutem Rekom-Tempo, so langsam gewesen zu sein. Ich zermarrterte mir das Hirn, wie man wohl im Training Rekom läuft, wenn man jetzt schon knapp unter 7 Minunten auf den Kilometer läuft.
Plötzlich hatte das Geniessen ein jähes Ende, Mandy's Schritte verlängerten und verschnellerten sich und ich rannte verwirrt hinterher. Was'n datt nu? "Machste 'nen Endspurt?" fragte ich bänglich und Mandy nickte wildentschlossen. Na gut, dann eben Endspurt....schliesslich hatten wir ja vorher genossen, da kann man jetzt auch mal rennen. Stefan schien mindestens so verwirrt wie ich, wedelte mit seinem Display herum und verstand die Welt nicht mehr.
Urplötzlich entschloss sich Mandy, das Tempo zu verschärfen und meine Uhr spuckte eine Zahl von unter 5:30 aus. Da sie dies auch bei Kilometer 12 noch tat, war das ein deutliches Zeichen, dass wir schneller wurden und ich als Hase hinter den Damen herlief. Toller Hase...
Ich liebe ja immer die letzten 3 km eines Laufes und nachdem Stefan bei km 10 was von 1:02 murmelte bekam ich Lust zu laufen. Es ist nicht mehr weit, man weiß, dass in 18 min spätestens alle Qual ein Ende hat, das ist überschaubar. Ausserdem sieht man so unglaublich dynamisch aus und so wurden wir zu Laufgöttinen mit Flugmodus an.
Aber ich wollte den sensiblen Damen nicht ihre plötzliche Tempoverschärfung nehmen. Nachher war ich Schuld, dass es ihnen plötzlich zu schnell und sie den letzten Kilometer wieder langsamer wurden.
Und plötzlich hoben wir ab - Mandy und ich rannten göttinnengleich die letzten Meter zum Ziel...bzw. wollten zum Ziel rennen, als uns ein mürrischer Streckenposten anwies, noch eine letzte Runde ums Plateau zu rennen. Eine Göttinnenrunde - von mir aus..schneller...länger...weiter....das Ziel flog uns entgegen und wir flogen hinein.
Ein kleines Mädchen drückte uns Urkunden und Erinnerungsnadeln in die göttlichen Hände und wir flatterten zum Verpflegungsstand, um uns mit Kuchen und Kaffee zu stärken (bzw. TEE! und Kaffeeteilschen, aber das wußten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht...)
Im Ziel ließ ich beiden den Vortritt und anschließend ließen wir uns, wie oben beschrieben, von der Thekenkraft mit Tee anbrüllen, äh, versorgen.
Ich nahm mir vor, es beim nächsten Bäckerbesuch in Hamburg mal unwirsch und leicht brüllend mit "Ich hätt gern Kaffeeteilchen" zu versuchen. Mal sehen, was passiert.
Epilog:
Am nächsten Morgen, also heute, liefen wir ca. 8,5 Kilometer um den Laacher See. Wenn man so will, knapp über Wettkampftempo, denn viel langsamer waren wir auch da nicht.
Für den Laacher-See-Morgenlauf um 07.30 Uhr hatte Stefan "Nüchternheit" befohlen...wegen dem Trainingseffekt für irgendwatt oder so...ich versuchte zwar, heimlich noch einen halben Toast zu verschlingen, hatte aber keine Chance, Stefan's Argusaugen zu entkommen und musste mich nüchtern auf den Weg machen. Schön war datt aber nicht...irgendwie war mir fies und müde war ich auch und mein Magen jammerte "Ich fühle mich so leer", während ich schlapp und fußlahm hinter den Beiden herwackelte. Dennoch tat die Magie der morgendlichen See-Panoramas ihr Übriges, so das ich dennoch den See umrunden konnte ohne an Hunger zu sterben.
Der Laacher See ist mir schon nach 1 maliger Umrundung ans Herz gewachsen, dort laufe ich gern. Erstaunlich war, wie schnell die Kälbchen des Sommers zu Teenies geworden waren. Braune Teenie-Kälbchen mit dreckigen Popos...aber schön. Stefan lief wieder leichfüßig vor uns her, eigentlich möchte ich ja gern mal sehen, wie es aussieht, wenn er richtig läuft...naja vielleicht im nächsten Leben. Der See hat gegluckert, die Glocken geläutet, mehr Idylle braucht kein Mensch.