Diesmal treibe nicht ich Mammis Puls hoch, sondern das Lampenfieber. Beim Warmlaufen mache ich mich nochmal so richtig breit und drücke auf die Blase. Aber daran hat sich Mammi in den letzten Wochen schon gewöhnt. Obwohl Mammi gaaanz langsam läuft, zeigt die Herzfrequenz einen Wert von 160 an. Mammi wird unruhig, das gleiche ist schon beim letzten Trainingslauf passiert. Da sich die Herzfrequenz aber dabei wieder eingepegelt hat, beschließt Mammi, den Marathon-Start zu wagen.
So'n Mist - da Mammi beim Warmlaufen zu langsam ist, verpaßt sie das Treffen mit Tante Tati und den anderen. Dabei sollten sie doch meine tolle Behausung bewundern. Na gut, dann eben noch mal schnell auf's Dixi und in die Läufermassen reingedrängelt, vorbildlich in Block C, wie's auf der Nachmelde-Startnummer steht. Ich wiege jetzt schon 90 Gramm. Okay, das ist nur ein Tausendstel von denen, die neben, vor und hinter Mammi stehen. Ansonsten ist aber schon alles dran und fertig an mir - ich muß jetzt nur noch dicker und länger werden. Immerhin schaffe ich schon fast 15 Zentimeter. Trotzdem falle ich meiner Mammi noch nicht zur Last, die zwei Kilo mehr stemmt sie noch locker. 10.00 Uhr. Die Masse setzt sich in Bewegung. Das Wetter ist perfekt, 14 Grad, Sonne, kein Wind, keine Regentropfen, die an meine Behausung klopfen.
Mammi läuft erstmal vorsichtig 9,5 km/h. Irgendwann muß doch die Herzfrequenz wieder runtergehen ! Nach fünf Kilometern steht Mammis Kumpel am Straßenrand und freut sich, daß er uns beide sieht. Gestern hat er zu uns noch "Dicke" gesagt, aber ich nehme ihm das nicht übel. Vielleicht revanchiere ich mich später mal und sabbere ihm das T-Shirt voll oder beglücke ihn mit einer vollen Windel .... Weiter geht's in Richtung Pillnitz. Die Streckenbetreuung ist wirklich sehr gut. So viele Verpflegungspunkte gab's bei meinem ersten Marathon nicht. Jeder Kilometer ist ausgeschildert und wir arbeiten uns langsam zur Streckenhälfte vor. An der Strecke stehen so viele Onkel und Tanten, die sich über uns freuen und klatschen. Ich laufe ja inkognito mit, denn Mammi hat meine Behausung gut mit der Startnummer kaschiert. Ab und zu wird mein Schaukeln von rhytmischem Trommeln begleitet. Die sind so laut, daß sogar ich sie hören kann.
So, die Hälfte ist geschafft. Obwohl sich Mammi verpflastert hat, fängt jetzt der Pulsgurt an zu scheuern. Das ist scheinbar der Tribut, den sie mehr Oberweite und dickem Bauch zollen muß. Egal, Hauptsache, ich mache keine Probleme. Die Herzfrequenz hat sich nach einer Dreiviertelstunde eingepegelt und liegt bei 150, obwohl Mammi ein km/h draufgelegt hat. Als Mammi sich gerade von einer Vier-Stunden-Zielzeit verabschiedet, geht ein lauwarmer Herbstregen auf uns nieder. Die Onkel und Tanten am Weg flüchten unter Brücken und in Hauseingänge. Wir laufen weiter und freuen uns über die Wasserkühlung von oben. Langsam kriege ich Hunger. Ich glaub, ich muß mich mal bemerkbar machen. "Baby an Magen : Schieb mal'n bißchen Nährstoff rüber !" - "Ups, wer bist Du denn ?" - "Ich hab die Bude genau unter Dir. Wie sieht's aus, kannst Du was besorgen ?" "Okay, ich versuch's mal !". Mammi hat das Signal verstanden. Es gibt zwar nur wieder dieses eklig süße Zeug, aber besser als garnichts. Schön, daß man Mammis Körper so gut im Griff hat.
Aber hallo, da steht ja Pappi und drückt auf den Auslöser. Und Mammis Kumpel ist auch wieder da und reicht Mammi die Laufjacke. Aber Mammi ist schon wieder trocken. Nur Hunger habe ich immer noch und da Mammi nichts nachschiebt und mich mit blöden Gummibärchen abspeisen will, geb ich erstmal 'nen Auftrag an den Magen : "Bitte leicht krampfen !". Das kennt Mammi von früheren Marathons und wird langsam nervös. An der nächsten Verpflegungsstelle gibt's erstmal Banane und Tee. Das reicht grad mal für drei Kilometer. Heute bin ich egoistisch - ich habe einen Mordshunger. Bei Kilometer 30 gibt's nochmal das Zuckerzeug mit Apfelgeschmack - für mich auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Magen legt sich jetzt voll ins Zeug und ist ein einziger Krampf. Vor Schreck trinkt Mammi erstmal ihre Anti-Krampf-Mischung, das hilft aber bei Magenkrämpfen scheinbar nicht. Mammi wird richtig langsam. Im Großen Garten, vor 15 Jahren noch das Lieblingslaufrevier von Mammi, würdigt sie dem Herbstlaub und dem Großen Palais keinen Blick und kämpft nur noch mit meinem Obermieter. So schlimm war's noch nie.
Pappi wartet bei Kilometer 35 und macht sich langsam Sorgen. Wir schnecken an der gläsernen Manufaktur vorbei. Dort wird der große Bruder von unserem Pampersbomber gebaut. Endlich sind wir bei Pappi. Mammi hat eigentlich keine Lust mehr - der Magenkrampf strahlt schon auf den Rücken ab, die wundgescheuerte Stelle unter dem Pulsgurt schmerzt und die Beine werden langsam schwer, weil wir jetzt schon länger unterwegs sind, als sonst. Spontan begleitet uns Pappi auf dem Fahrrad, obwohl das eigentlich verboten ist. Mammi würde am liebsten ihren ganzen Magen von sich geben, kann aber nicht. Und so schlurfen wir Meter um Meter vorwärts, während Pappi motiviert und die ersten Verpflegungspunkte anfangen, abzubauen. Mammi schnappt sich noch die letzten eingeweichten Bananen, die aber auch nur kurz den Magen beschäftigen. Die nächsten Kilometer sind die schlimmsten. Dann endlich kommt der Schloßplatz mit der Semperoper in Sicht ! Pappi fährt voraus ins Ziel, um das Zielfoto vorzubereiten. Die Onkel und Tanten feuern uns an und erzählen uns, daß wir es gleich geschafft haben. Die letzten 300 Meter läuft Mammi mit einem Hockenheimer zusammen, der sie zu einem Endspurt überreden will. Aber Mammi kraucht schon auf dem Zahnfleisch und will nur noch einigermaßen anständig durch's Ziel laufen.
Endlich sind wir angekommen ! Die Medaillen sind alle, aber wenigstens gibt's noch was zu essen. Pappi macht noch ein paar Zielfotos und schimpft mit uns wegen der Dummheit, trotz Magenkrämpfe durchzulaufen. Aber jetzt ist alles vergessen. Wir humpeln nach Hause, begutachten die Kolateral-Schäden und genehmigen uns einen Teller Nudeln mit Tomatensoße. Mammi beschließt, nie wieder einen Marathon durchzulaufen, wenn sie ihn nicht unter vier Stunden beenden kann. Aber bis zu meinem Zieleinlauf wird das sowieso nicht mehr passieren und danach kann ich mir das Ganze dann von außen ansehen.
Tja, gewertet wurde ich diesmal wieder nicht, ist bei der bescheidenen Zeit auch garnicht so schlimm. Mammi kann noch immer nicht beim Thread "Marathon über 5 h: Ist das noch ein Marathon?" mitreden und Pappi ist uns schon nicht mehr böse, zumindest habe ich abends wieder meine Streicheleinheit bekommen. Jetzt legen wir erstmal die Beine hoch und freuen uns auf die nächste Woche. Da werde ich dann von Oma und Opa bewundert und mein Kumpel Pünktchen ist auch da ....
Bis zu meinem Zieleinlauf sag ich jetzt Tschüüüß
,euer Krümel
(das muss "die" heißen). Dein Krümelchen macht sich ja schon ganz ordentlich bemerkbar. Lasst es euch gut gehen. 
Und nun geniese endlich diese Zeit und mach dem Winzling keinen Stress mehr 
.
.
Gute Erholung an deine Mama, hat sie sich redlich verdient nach der Leistung.
. Deshalb bestell ihr schöne Grüße, liebe Glückwünsche zum 1. Platz in der Schwangerenwertung und sag ihr, sie soll sich melden, wenn sie wieder in der Gegend ist. Ich kann auch gaaaanz langsam mit Euch beiden laufen 
.
:streichel
muß ich hier noch was zu ihrer Verteidigung schreiben. Die zwei Marathons habe ich locker weggesteckt und dabei offensichtlich keinen Mangel gelitten, denn bei meiner letzten Vermessung wurde amtlich festgestellt, daß ich ein echt dicker Brocken und kerngesund bin. Sowohl bei Größe, als auch bei Masse liege ich an der oberen Grenze. Und das, wo ich doch dem zarten Geschlecht angehöre ... 
. Okay, ihr dürft mich ab sofort Dicke nennen und meine Mammi bemitleiden. Ich versuche, mir bis zu meinem Erscheinungstermin noch ein paar Gramm abzustrampeln - aber ihr wißt ja, wie das mit dem Abnehmen so ist 
.
