Diesmal gab’s am Vorabend gleich die kalte Dusche: „Ich laufe morgen so 52 Minuten und mache mir keinen Stress!“ Der, der das sagte, ist Ende 40, korpulent, GelegenheitsFußballer und neulich so „aus Neugier“ einmal mit den Kumpels die 10 km Strecke abgelaufen, „um zu sehen wie das so ist – kann man machen. Aber locker bleiben.“
Der, der das hörte, war ich, trainiere nun ein Jahr mehr oder weniger regelmäßig, Theoriestudium inklusive, und vor vier Wochen in Celle an der 1-Stunden-Schallmauer deutlich gescheitert. Und trete nun an, diese ein für allemal hinter mich zu lassen, mit Wucht zu durchbrechen und zu zerkrümeln. Die letzte Woche mit dosiertem Training angegangen. Ein „langer Lauf“ liegt auf den Tag genau eine Woche zurück (14 km in 1:40) und nun hochkonzentriert bis in die Haarspitzen soll es in Hermannsburg 5X Minuten auf den 10 Kilometern werden. Glückwünsche und Tipps aus dem Forum begleiten mich.
Die Landluft scheint ungeahnte Kräfte zu mobilisieren. Wie kann der Kerl das schaffen? Ist doch ohne gezieltes, ausgefeiltes Training + Forumsberatung und Laufschuhe inkl. Funktionskleidung unmöglich?! Jetzt zog sich das Landei obendrein noch ein Bier rein, na gut ist auch Party, prostete ich ihm also zu: „Na, zum Wohl, ich halte mich morgen an dich!“ Es blieb nicht bei diesem einem Bier, diese Ansage musste erst einmal im Alkohol gebadet und ertränkt werden.
12 Stunden später sehen wir uns auf der Startlinie wieder. Er steht wie selbstverständlich in der ersten Reihe: Sturmkäppi, energischer Blick hinter verspiegelter Sonnenbrille + verschmitztes Lächeln. Ich natürlich brav hinten eingereiht, der Puls steht jetzt schon auf 180, mental leicht verkrampft, was wenn’s schief geht? Und im gleichen Gedanken: den holst du dir, das Großmaul hängste ab.
Die Sonne scheint, mal ist sie von Wolken verdeckt, es sind so um die 5° Grad Celsius, zuweilen leichter Wind. An den äußeren Bedingungen kann es heute nicht scheitern.
Los geht's: Etwa 200 Metern nach dem Start verengt sich die Strecke ganz enorm und Läufer, die von hinten das Feld aufrollen wollen, kommen erst einmal ins Trippeln. Wieso sich mir jetzt ein Walker in den Weg stellt, will mir nicht einleuchten, hätte der nicht von ganz hinten - aber ist ja Volkslauf, motz hier nicht rum, wir wollen doch alle Spaß haben.
Dann folgt der erste Kilometer auf Asphalt. Ich weiß noch nicht recht, was für ein Tempo ich laufe, nur dass der Puls mit über 90% HFmax eigentlich schon viel zu früh viel zu hoch ist. Egal, ist ja Wettkampf heute, und habe ich nicht neulich von jemandem gelesen, dass er in Wilstedt anno 05 zu seiner eigenen Verwunderung immer viel zu schnell und angestrengt gelaufen ist, und es hat doch geklappt? Also, warum nicht, schieb deine Versagensängste beiseite und halte lieber nach ihm Ausschau: nichts zu sehen von dem Kerl. Aber hoppla: Kilometer 1 in 5:45, das geht ab wie Rakete.
Dann biegen wir nach links in den Wald. Noch habe ich meinen Rhythmus überhaupt nicht gefunden. Auch mein Atem erscheint mir gepresst, unruhig und daneben. Und die 5:45 beunruhigen mich eher als das sie mir Zuversicht geben. So schnell bin ich im Training höchst selten – und wenn, dann ist das ja schon fast ein Tempointervall (Lachen verboten! Streng verboten!). Bevor ich mir darüber weiter Gedanken machen kann, ist der zweite Kilometer in 5:40 hinter mir.
Vor mir läuft eine Frau, Kurzhaarschnitt – um nicht zu schreiben Sporthaarschnitt - rotes T-Shirt mit dem Aufdruck „Vfl Suderburg“. Die ist im Training, die weiß, was sie tut, bei 5:40, kommste mit 54 rein, also häng dich ran. Egal, wenn’s zu schnell ist, ist das so, aber du musst dieses Tempo halten, wenn du dein Ziel erreichen willst. Dranbleiben.
Neben diesen Gedanken schiebt sich die Beobachtung, das mir einer an den Fersen klebt. Wie unangenehm – ach lass den mal vorbei und „Vfl Suderburg“ darf ruhig ein bisschen Vorsprung rausholen, halte dich mal zurück, bergauf geht’s jetzt auch noch, ach einfach aufhören, Beine baumeln lassen und den Sonnenschein genießen: muss das schön sein.
Trotzdem setze ich Fuß vor Fuß und komme Kilometer 3 und 4 mit jeweils 6:20 weiter. Das ist zwar unter Soll, aber habe ich mir nicht vorher ein ordentliches Zeitpolster erlaufen? Das wird schon, das wird schon.
Den fünften Kilometer laufen wir, das heißt mein „Hase“ und ich in schönster Eintracht neben her. Ja, es reicht zu einem Schwätzchen.
(Ich:) Und? Haben Sie eine Zielzeit? (wieso sieze ich die jetzt, duzen sich nicht alle Läufer?)
(Sie:) Nein, schön durchlaufen und genießen!
(Ich, matscho-matscho:) Ich schon (hechel – hechel) unter ner Stunde will ich ankommen! (der mal zeigen, wo hier der Hammer hängt)
(Sie:) Na, das schon, logo!
Ich werde Rot. Meine Spitzenzeit scheint hier in der Lüneburger Heide so der Jedermanndurchschnitt zu sein. No use to talk about it. Dann erfahre ich noch, dass meine Begleiterin vier Marathons hinter sich hat (sub 4 Stunden), wie sie zum Laufen gekommen ist. „Aber nun über 50 muss man kürzer treten, da isses nicht mehr so doll!“ Ich halte meinen Schnabel. Das macht sich in einer 5:45 Zeit bemerkbar.
Mittlerweile haben wir auf einen Läufer aufgeschlossen, der nun deutlich AK 30 ist und mit leichtem lockeren Schritt dahineilt. Meine Suderburgerin ist mir weg gelaufen, nachdem ihr Versuch, sich bei mir im Windschatten aufzuhalten, fehlgeschlagen ist.
Also, dann, auf ein Wiedersehen und Hallo mein neues Zugpferd. Ohne es zu wollen, gerate ich in den Gleichschritt mit ihm: lange ausholende Schritte in Harmonie. Hey, das geht ja wie von selbst – und erstaunlicherweise immer schneller. Begünstigt wird der Auftrieb durch eine leicht abschüssige Wegstrecke. Mannometer, hatte ich vorher Schmerzen, eigentlich gar keinen Bock sondern eher Pflichtgefühl und Qual, die mich vorwärts trieben, schwebe ich jetzt über dem Erdboden. Jeder Schritt wird mir leicht und leichter. Übertreib bloß nicht – bleib auf dieser Welt, nicht abheben. Ja, so kann’s weiter gehen, so komme ich bis ans Ende der Welt, so laufe ich immer weiter.
Leider ist dann doch Schluß mit lustig. Kilometer 6 in 5:15 ist das bislang schnellste, was ich je erlebte (seit Beginn meiner Datenaufzeichnung) und auf sicher mit das schönste Lauferlebnis.
Nun scheint sich wieder eine kleine Anhöhe vor uns aufzutun. „Vfl Suderburg“ ist noch in Blickkontakt, aber deutlich 200-300 Meter vor mir. Mein AK 30 entpuppt sich beim näheren Hinsehen als Dickerchen, der nach der Abfahrt deutlich an Tempo verliert. Ich denke aber nicht daran, langsamer werden zu wollen und ziehe mal sachte an ihm vorbei. „Bleib dran!“, denke ich bei mir und versuche das Tempo zu halten. Jetzt tut’s wieder weh und von mir aus, könnte es vorbei sein. Es sind doch nur noch vier. Nur vier? Moment, eigentlich eine Riesenstrecke. Nicht Bange machen lassen, denke von Kilometer zu Kilometer, gleich kommt Nummer 7 – da, bei 5:32.
Kann man jetzt schon an Endspurt denken? Pummelchen ist abgehängt, „Suderburg“ weit vor mir. Ich versuche Gas zu geben. Es bleibt bei dem Versuch. Es waren wohl nur wenige schnelle Zwischenschritte und die Erkenntnis: Du läuft’s hier am Limit. Darüber hinaus ist niemand gefordert. Mit 5:42 wäre No. 8 geschafft. Und ohne großes Kopfrechnen ist mir nun klar, unter der Stunde bleibst du allemal.
Jetzt noch schmeißen, wäre ja mehr als dumm. Zwei Kilometer sind gar nichts! Nur, schaffen muss man die auch. Es fallen mir Horrorberichte aus dem Forum ein, in denen berichtet wurde, gerade auf den letzten beiden Kilometer dramatisch eingebrochen zu sein. Sekunden werden schnell zu Minuten. Weiter beißen wird mit 5:38 auf Kilometer 9 belohnt.
Dann geht’s ins Stadion, ich erkenne und höre meine Leute. Diese Anfeuerungen beflügeln noch einmal auf den letzten 500 Metern und zaubern sogar ein Lachen auf mein Gesicht. Tatsächlich hoffe ich immer noch, mein Landei auf der Zielgeraden abzufangen. Pustekuchen, nix zu sehen von ihm. Egal, ich taumele ins Ziel, so erschöpft war ich noch nie, vergesse meinen Zeitmesser zu stoppen und lasse mich fallen. „Vfl Suderburg“ kommt dazu, ermahnt mich aufzustehen und weiter zu laufen und versichert: „Unter einer Stunde war das bestimmt!“ Es sind 55:24 - neuer Fabelweltrekord für mich und Platz 94 von 113 und letzter in meiner AK.
Mein untrainiertes Naturtalent legte eine eine 51:39 hin, Suderburg schaffte 55:08 und mein Flugbegleiter 55:28 (habe ich aber nicht gemerkt, dass der mir im Nacken war - auf dem Zielfoto so auch nicht zu sehen)
Der schnellste war übrigens mit 32:16 einer aus dem Jahrgang 1980. Also, ich würde den glatt zur Olympiade melden.
Gemessen habe ich eine Strecke von 9,67 km. Das sind doch 10 - oder?
Ich grüße alle Grüßbaren, besonders Gnies und unbekannterweise Pingufreundin sowie Kobold (den Ameisenbären habe ich leider nicht gesehen, aber eine echte OHE-Diesellok), die mich, ob sie wollten oder nicht , ordentlich angeschoben haben. Keep on running.
Die drei Bilder zeigen
Gruppenbild mit Dame
Konzentration vor dem Start
Nach dem Rennen: ich tanz den Van
2
Erstmal Glückwunsch zur neuen Bestzeit und danke für den unterhaltsamen Bericht!
Es gäbe viel zu sagen zu deinem Bericht, ich versuche mal ein paar Dinge. Es gibt tatsächlich Läufer, für die ist eine Zeit von 1 h für 10 km auch wenn sie wenig oder gar nicht trainiert haben keine nennenswerte Hürde. Das schmälert nicht die Leistung derer, die sich dafür richtig anstrengen und lange trainieren müssen.
Ob Fussballer im Allgemeinen dazu gehören, weiß ich nicht. In unserem Dorf war vor ein paar Jahren mal ein kleines Läufchen ohne Zeitmessung über 12 km. Am Start 3 Leute, ein Fussballer, ich und eine Läuferin aus einem Verein, die noch nie so weit gelaufen ist. Der Fussballer vorneweg, war schon nach 300 m nicht mehr zu sehen, wir beide gemütlich hinterher (wir wollten ja die 12 km schaffen und ich kannte die nicht ganz anspruchslose Strecke). Nach etwa 1,5 km stand unser Fussballer pumpend an einem Baum gelehnt, ich machte mir echt Sorgen aber er lebte noch. Als er schließlich unter dem tosenden Beifall seiner Vereinskollegen ins Ziel kam, hatten wir beide schon eine Bratwurst gegessen und gut getrunken.
Im WK laufe ich übrigens immer schneller als im Training, es ist sogar so, dass ich bis auf die Intervalle (die ich viel zu selten mache) die Rennpace im Training überhaupt nie erreiche (auch wenn ich mir größte Mühe gebe).
Richtig schnell laufen (für seine Verhältnisse) hat schon was, nicht wahr!
Es gäbe viel zu sagen zu deinem Bericht, ich versuche mal ein paar Dinge. Es gibt tatsächlich Läufer, für die ist eine Zeit von 1 h für 10 km auch wenn sie wenig oder gar nicht trainiert haben keine nennenswerte Hürde. Das schmälert nicht die Leistung derer, die sich dafür richtig anstrengen und lange trainieren müssen.
Ob Fussballer im Allgemeinen dazu gehören, weiß ich nicht. In unserem Dorf war vor ein paar Jahren mal ein kleines Läufchen ohne Zeitmessung über 12 km. Am Start 3 Leute, ein Fussballer, ich und eine Läuferin aus einem Verein, die noch nie so weit gelaufen ist. Der Fussballer vorneweg, war schon nach 300 m nicht mehr zu sehen, wir beide gemütlich hinterher (wir wollten ja die 12 km schaffen und ich kannte die nicht ganz anspruchslose Strecke). Nach etwa 1,5 km stand unser Fussballer pumpend an einem Baum gelehnt, ich machte mir echt Sorgen aber er lebte noch. Als er schließlich unter dem tosenden Beifall seiner Vereinskollegen ins Ziel kam, hatten wir beide schon eine Bratwurst gegessen und gut getrunken.
Im WK laufe ich übrigens immer schneller als im Training, es ist sogar so, dass ich bis auf die Intervalle (die ich viel zu selten mache) die Rennpace im Training überhaupt nie erreiche (auch wenn ich mir größte Mühe gebe).
Richtig schnell laufen (für seine Verhältnisse) hat schon was, nicht wahr!
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Gratulation zum Beinahe-"Fabelweltrekord". Leider zählen nur ordentlich vermessene Strecken.ottoerich hat geschrieben:Gemessen habe ich eine Strecke von 9,67 km. Das sind doch 10 - oder?
Musst dich also demnächst nochmal bemühen.
Aber danke für den unterhaltsamen und amüsanten Bericht!
"If I had no sense of humor, I would long ago have committed suicide." (Gandhi)
7
Hi Ottoerich,
Glückwunsch zu Deiner PB. Der Bericht war köstlich und las sich sehr kurzweilig. Du kannst gerne häufiger Deine Wettkampferlebnisse zu Papier bringen.
Aber eine Sache fiel mir auf:
Wenn ich mich nicht völlig blöde anstelle, kommt bei mir da eine 56:40 raus
Klugscheiß-Modus aus
Ich wünsche Dir noch viele neue Bestzeiten und weiterhin so herzerfrischende Laufberichte und natürliche -erlebnisse!!
Glückwunsch zu Deiner PB. Der Bericht war köstlich und las sich sehr kurzweilig. Du kannst gerne häufiger Deine Wettkampferlebnisse zu Papier bringen.
Aber eine Sache fiel mir auf:
Klugscheiß-Modus an:ottoerich hat geschrieben:Die ist im Training, die weiß, was sie tut, bei 5:40, kommste mit 54 rein, also häng dich ran.
Wenn ich mich nicht völlig blöde anstelle, kommt bei mir da eine 56:40 raus
Klugscheiß-Modus aus
Ich wünsche Dir noch viele neue Bestzeiten und weiterhin so herzerfrischende Laufberichte und natürliche -erlebnisse!!
Gruß Volker
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Danke für den Tipp.vo0509 hat geschrieben:... kommt bei mir da eine 56:40 raus ...
bei mir ist das so: Religion gut, Kopfrechnen schwach. Ich Dussel habe tatsächlich immer meine Kilometerzeit mit 10 multipliziert, um auf die theoretische Endzeit zu kommen. Eine Minute hat aber 60 Sekunden! Wieso eigentlich?
Demnächst werde ich also Gehirnjogging beim Laufen üben: die Zeit in Sekunden umrechnen, mal 10, geteilt durch 60, ähh, Moment ist auch falsch. Vielleicht so: die Minuten bleiben Minuten, also die einfach 10x, die Sekunden x10, dann durch 60 teilen macht Minuten, Rest ist Sekunden - oder wie?
Bei mir ist nur hängen geblieben: Punktrechnung geht vor Strichrechnung. Aber Striche kommen hier gar nicht vor.
Congratulations!!!
10"Whow, Hut ab!" sag ich da nur noch!
Toller Lauf, toller Leistung, spannender und kurzweiliger Bericht ... was will das Fori-Herz mehr?!
Das war ja eine dermaßen deutliche Steigerung deiner Bestzeit, dass mir die Worte fehlen ... bei deinem Tempo hättest du glatt den Ameisenbär überholt und abgehängt
Lg,
Anne
Toller Lauf, toller Leistung, spannender und kurzweiliger Bericht ... was will das Fori-Herz mehr?!
Das war ja eine dermaßen deutliche Steigerung deiner Bestzeit, dass mir die Worte fehlen ... bei deinem Tempo hättest du glatt den Ameisenbär überholt und abgehängt
Lg,
Anne
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Dein Fußballer kann vielleicht schneller laufen, aber auf keinen Fall so unterhaltsame Berichte schreiben .
Glückwunsch zur deutlichen sub60!
Conni
Glückwunsch zur deutlichen sub60!
Conni