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Volkslauf auf dem Dorfe ... und hinterher ins Freibad

Volkslauf auf dem Dorfe ... und hinterher ins Freibad

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- Kleine Vorwarnung: Der Bericht ist reichlich lang geraten ... aber subjektiv war der Lauf es auch :D ! Hoffe, ihr habt trotzdem ein bischen Spaß beim Lesen! - vg, der müde kobold


"Trocken oder halbtrocken?“ lautet die Frage der freundlichen Dame hinter dem Anmeldetisch, als ich ihr meinen Namen sage. „Wie bitte?“ „Trockenen oder halbtrockenen Wein, was möchten Sie lieber?“ Wohin um alles in der Welt bin ich hier geraten? Ich will doch einfach nur die 10 Kilometer laufen ... aber vielleicht ist ja hier an der Ruwer das Weintrinken vor einem Volkslauf Pflicht?!
„Äh, lieber trocken bitte!“ Zusammen mit meiner Startnummer bekomme ich eine Flasche „Kaseler Nies’chen“, Jahrgang 2002 in die Hand gedrückt, zum Glück noch fest verkorkt. Meine Stimmung hellt sich schlagartig auf, handelt es sich doch um einen meiner Lieblings-Rieslinge.
Der Tag hätte bislang kaum blöder laufen können. War unausgeschlafen, musste bis 13 Uhr arbeiten, für ein richtiges Mittagessen reichte die Zeit nicht mehr, weil ich dann den Bus verpasst hätte, der am Samstag leider nur stündlich fährt. Mangels exakter Ortskenntnis und dank falscher Ratgeber („Nein, hier dürfen Sie auf keinen Fall aussteigen, Sie müssen noch vier Haltestellen weiter!“) hatte ich dann mitsamt der vollgepackten Sporttasche noch einen kleinen Fußmarsch von ca. 1.5 km hinter mich gebracht.
Aber nun stehe ich da im Mertesdorfer Freibad mit meinen Startunterlagen zum 16. Ruwertal-Lauf in der Hand und fange beim Blick auf die Weinberge, die langsam erste grüne Knospen zeigen, an, mich auf den Lauf zu freuen. Also hinein in die Umkleidekabine, Tights und Shirt an, Startnummer festgepinnt, Schuhe an und raus in die Sonne.
Der Lauf findet auf dem neuen Ruwertal-Radweg statt, der auf einem alten Bahndamm vom Moseltal bei Trier hinauf bis in den Hochwald nach Hermeskeil führt. Eine ca. 2 Meter breite, frisch asphaltierte Strecke, links und rechts davon ein ca. 60 cm breiter Streifen fester Sand, teils mit feiner Schotterauflage. Wir laufen eine Wendepunktstrecke, die größtenteils auf diesem Radweg entlangführt und ihn nur an einer Stelle (kurz vor dem Wendepunkt) kurzzeitig verlässt.
Am Start das übliche Gedränge bei ca. 260 Startern. Ich stelle mich zuerst mittendrin an, um mich dann wieder ein paar Schritte nach hinten zu verkrümeln, als rund um mich herum Zahlen wie „45:00“, „auf jeden Fall besser als 41:00“ etc. genuschelt oder lauthals verkündet werden. Ich selbst habe mir vorgenommen, meine Bestzeit aus dem Oktober des vergangenen Jahres (52:45) zu unterbieten und möglichst nah an die 50-Minuten-Schallmauer heranzulaufen. Da will ich denen, die es noch eiliger haben, nicht im Weg rumstehen.
Überhaupt scheinen hier nur schnelle Jungs und Mädels unterwegs zu sein, zumindest bilde ich mir das ein, als ich so in die Runde gucke und mich in meinen vergammelten RP-Höschen und T-Shirt nahezu allein unter all’ den Vereins- und Lauftreff-Trikots wiederfinde. „Mörderläufer“ steht auf einigen der Trikots ... also halte ich lieber respektvoll Abstand ... man kann ja nie wissen!? :teufel:
Auch der Inhalt der Outfits lässt mich neidvoll erblassen ... mein Stolz darauf, mich von BMI 30 auf 22 heruntergearbeitet, schrumpft beim Anblick der sehnigen Körper ohne ein überflüssiges Gramm Fett kurzzeitig dramatisch zusammen. :peinlich: Aber das legt sich zum Glück sofort, als ich beschließe, mich einfach auf meinen Lauf zu konzentrieren und mein Tempo zu finden.
Der Startschuss kommt relativ unvermittelt, das scheine nicht nur ich so zu empfinden, sondern andere auch. Auf jeden Fall dauert es einige endlos scheinende Sekunden, bis sich das Feld in Bewegung setzt. Egal, auf geht’s, jetzt wird Bestzeit gelaufen! Du hast gut trainiert, die Strecke ist flach, die Landschaft rundum ist fantastisch, beste Voraussetzungen für einen richtig tollen Lauf!
Aber schon nach ein paar hundert Metern bekomme ich das Gefühl von: „Heute geht nix!“. Die Beine sind wie Blei, obwohl ich mich gut aufgewärmt und gedehnt habe, fühlt sich alles verspannt und schwer an und ich habe das Gefühl, von einem unsichtbaren Gummiband zurückgehalten zu werden. Versuche mich abzulenken, indem ich links und rechts in die Gegend schaue: Blühende Obstbäume, saftig grüne Wiesen, gelbe Löwenzahntupfen darin ... ich ertrinke in einem Farbenrausch. Rechts neben der Strecke eine Kuhweide, auf der 20 ehemals friedlich grasende Jungrinder angesichts der vorbeitrabenden Menschenmassen je nach Temperament friedlich wiederkäuend liegen bleiben, ein Stückchen mittraben oder in wilden Galopp verfallen und dabei die Hinterbeine hoch in die Luft strecken.
Leider beginnt es auch sehr intensiv nach Landwirtschaft zu riechen. Obwohl ... das riecht nicht nach Kuh- oder Schweinemist ... das riecht nach „mindestens eine Woche nicht gewaschen“. Der Quell des Geruchs läuft ca. 7-8 Meter vor mir, ist männlichen Geschlechts, vielleicht Anfang 30 und mieft einfach atemberaubend ... in Gedanken taufe ich ihn „Stinky“! Zum Glück scheint Stinky noch langsamer als ich, ich laufe also einfach gleichmäßig weiter, ziehe an ihm vorbei, gewinne vielleicht 10 m Vorsprung und kann endlich wieder richtig durchatmen. Aber so leicht lässt Stinky sich nicht abhängen. Lässt es sein Stolz nicht zu? Hatte er nur einen kleinen Durchhänger? Auf jeden Fall kommt der Gestank wieder näher, eine Wolke umfängt mich, mit fliegenden Beinen, fast schon im Sprint zieht Stinky an mir vorbei. Egal, dann ist er halt schneller! Hauptsache, er ist nicht mehr in meiner Nähe. Aber zu früh gefreut! :motz: Stinky hat offenbar eine eigene Taktik. Kaum hat er mich scheinbar lässig ein paar Meter abgehängt, fällt er wieder in einen müden Zuckeltrab zurück, so dass er wieder unmittelbar vor meiner Nase vor sich hin müffelt. Wieder das gleiche Spielchen: Ich laufe relativ gleichmäßig weiter, überhole, laufe ein wenig Vorsprung heraus ... und Stinky legt einen Zwischenspurt ein. So geht es auf den ersten 4-5 km mehrfach weiter, bis Stinky sein Fahrtspiel-Training aufgibt, langsam aber sicher zurückfällt und aus meiner Riechweite verschwindet.
Zwischendurch (ca. nach 2,5 km) kommt die einzige Verpflegungsstation auf der Strecke. Versuche einen Becher Wasser zu erwischen, aber der Stand ist personell hoffnungslos unterbesetzt und die Helfer kommen mit dem Ausschenken nicht nach. Unmittelbar vor mir greift sich jemand den letzten Becher, ich gehe leer aus. Überlege für Sekundenbruchteile, ob ich kurz stehen bleiben soll, bis es Nachschub gibt, entscheide mich aber für’s Weiterlaufen. Bin im Grunde schon ziemlich entnervt, weil’s nicht läuft. Bei km 4 überlege ich ernsthaft, warum ich mir diesen Quatsch eigentlich antue. Warum muss ich unbedingt an Volksläufen teilnehmen? Warum kann ich nicht friedlich ohne Wettkämpfe durch die Gegend traben wie so viele andere auch? Warum soll ich mir die Lunge aus dem Hals rennen, um dann doch bestenfalls im hinteren Mittelfeld zu landen?
Aber so leicht will ich mich nun auf nicht klein kriegen lassen. Irgendwie muss ich ja zum Startpunkt zurück. Und nur zu gehen, lässt mein Stolz nicht zu, zumal in den drei Dörfern, durch die wir unterwegs gekommen sind, zig Menschen am Wegesrand stehen, um uns anzufeuern. Außerdem habe ich kein Geld eingesteckt, um mich an einem der unterwegs aufgebauten Weinstände wieder zu stärken. :teufel: Also: Da muss ich jetzt durch!
Nach etwas mehr als 5 km ist der Wendepunkt erreicht, ich umrunde die blaue Tonne ... und merke nach einigen Laufschritten total verblüfft, dass irgend jemand das Gummiband zertrennt hat, das mich bislang die ganze Zeit zurückhielt. Erst jetzt wird mir richtig klar, dass wir auf dem Hinweg die ganze Zeit „bergauf“ gelaufen sind. Die Steigung ist minimal, so dass man sie kaum sehen kann. Aber nun auf dem Rückweg ist das leichte Gefälle deutlich zu erkennen! Mit neuem Mut nehme ich also den Rest der Strecke in Angriff. Der erfrischende Regen aus dem Rasensprenger, den jemand etwa bei km 6.5 aufgestellt hat, tut mir ebenfalls gut.
Ca. 2,5 km vor dem Ziel dann endlich wieder der Verpflegungsstand, den ich schon herbeigesehnt habe, denn langsam wird nicht nur der Mund trocken, sondern ich bekomme richtig Durst ... kein gutes Zeichen! Aber wieder das gleiche blöde Spiel wie auf dem Hinweg: Keine gefüllten Becher da, die Helferin kramt gerade erst hinter sich eine neue Wasserflasche hervor. Ich müsste eigentlich stehen bleiben und warten, befürchte aber, dass ich dann vollends aus dem Rhythmus komme und die Lust verliere, die ich gerade erst wieder gefunden habe. Wahrscheinlich treffe ich jetzt die falsche Entscheidung, denn ich greife mir nur einen Schwamm und versuche mein Tempo halbwegs zu halten. Ein wenig Wasser aus dem Schwamm drücke ich beim Laufen in den Mund (bääh!), ein wenig kommt auf den Kopf, dann klemme ich mir das feucht Stückchen Schaumstoff in den Nacken und laufe weiter. Km 8 ist erreicht, km 9 ... ich bin ziemlich fertig! Den letzten Kilometer zu erreichen, hat mir bei meinen bisherigen Läufen immer einen „Kick“ gegeben und nochmal neue Kräfte freigesetzt. Aber heute bin ich total apathisch. Überhole noch ein paar „Jungspunde“, die sich übernommen haben und eine Gehpause einlegen. Scheinbar möchten die sich das von einer „etwas gesetzteren Dame“ nicht bieten lassen und nehmen ihrerseits wieder Tempo auf. Normalerweise würde ich versuchen dagegen zu halten. Aber dieses Mal ist mir alles wurscht! „Irgendwie“ rette ich mich die letzten paar hundert Meter ins Ziel. Dort gibt es Wasser ... stürze erst einmal zwei Becher hinunter und muss mich eine Minute an einem Verkehrsschild festhalten, um nicht aus den Puschen zu kippen.
Zum Glück erhole ich mich relativ rasch. Noch ein bischen softes Auslaufen, dann zurück ins Freibad zu den Umkleiden, Badeanzug an und hinein ins kühle Nass! Nach ein paar erfrischenden Bahnen bin ich mit der Welt wieder halbwegs im Reinen.
Da ich meine Uhr nicht dabei habe, sehe ich das Endresultat erst auf der Ergebnisliste: 52:43. Doch noch eine PB, wenngleich lediglich eine Verbesserung um 2 Sekündchen. Ganz zufrieden bin ich mit der Zeit nicht, ich hätte mir eigentlich aufgrund der Trainingszeiten erhofft, deutlich unter 52:30 laufen zu können. Aber an dem Tag war für mich offenbar einfach nicht mehr drin. Und beim nächsten Mal werde ich zum Trinken stehen bleiben, und wenn's mich eine Minute kostet ...
P.S. "Stinky" habe ich im Freibad weder gesehen noch gerochen ...

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kobold hat geschrieben:Bei km 4 überlege ich ernsthaft, warum ich mir diesen Quatsch eigentlich antue. Warum muss ich unbedingt an Volksläufen teilnehmen? Warum kann ich nicht friedlich ohne Wettkämpfe durch die Gegend traben wie so viele andere auch?
Weil wir das jeden Tag haben können? :zwinker2:
Das mit der Steigung war gemein, ist mir auch schon mal passiert. :nene:
Und was dein "Stinky" war, war bei meinem HM im März der "Rotzer". Ich glaube, der war mir dann lieber. Das unangenehme ist ja, dass diese Figuren nicht gleichmäßig laufen können und man sie so schwer los wird.
Gratuliere zur pB, auch wenn´s nur 2 Sekündchen waren. Das läßt Platz für neue Bestzeiten. :zwinker2:
"If I had no sense of humor, I would long ago have committed suicide." (Gandhi)

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Ein unterhaltsamer und humorvoller Bericht, Kobold. Danke schön.
kobold hat geschrieben:- Kleine Vorwarnung: Der Bericht ist reichlich lang geraten ... aber subjektiv war der Lauf es auch :D !
Wenn eine einen Volkslauf tut, dann kann sie viel erzählen!

kobold hat geschrieben:„Stinky“!
Sei ihm dankbar! Er hat dich eine Weile von deinen Strapazen abgelenkt. :wink:

kobold hat geschrieben: Bei km 4 überlege ich ernsthaft, warum ich mir diesen Quatsch eigentlich antue. Warum muss ich unbedingt an Volksläufen teilnehmen? Warum kann ich nicht friedlich ohne Wettkämpfe durch die Gegend traben wie so viele andere auch?
Ein Volkslauf, bei dem man sich nicht wenigstens ein Mal die Sinnfrage gestellt hat, ist kein richtiger Volkslauf. :P
Und ein Volksläufer ohne inneren Heine-Schwund ist bestenfalls ein Jogger. :teufel:
kobold hat geschrieben:Irgendwie muss ich ja zum Startpunkt zurück. Und nur zu gehen, lässt mein Stolz nicht zu, zumal in den drei Dörfern, durch die wir unterwegs gekommen sind, zig Menschen am Wegesrand stehen, um uns anzufeuern.
Ich fange auch an zu rationalisieren, wenn sonst nichts mehr hilft. :zwinker4:

kobold hat geschrieben: Ca. 2,5 km vor dem Ziel dann endlich wieder der Verpflegungsstand, [...] Aber wieder das gleiche blöde Spiel wie auf dem Hinweg: Keine gefüllten Becher da, die Helferin kramt gerade erst hinter sich eine neue Wasserflasche hervor.


:klatsch: :motz: :sauer: wäre meine Reaktion gewesen. Aber vielleicht hilft der ansteigende Adrenalinpegel besser als ein Becher Wasser, die Strapazen zu überstehen.
kobold hat geschrieben:52:43. Doch noch eine PB, wenngleich lediglich eine Verbesserung um 2 Sekündchen.


Ich gratuliere, das ist doch optimal! Unter schwierigen Bedingungen, mental wie physisch, eine Bestzeit, und gleichzeitig die Motivation, dich noch weiter zu steigern, weil du das Gefühl hast, es wäre mehr möglich gewesen. :daumen:
langsam läuft am längsten

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Erst ein Nies'chen und dann mit Näschen auf den Spuren der Mörderläufer... ;-)

Schöner Bericht - Danke!
...und...
Glückwunsch zur minimalistischen Bestzeit :P !

Gruß!
Burkhard
...hab hier nur meine Meinung formuliert. so what?

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Hallo allerseits,

besten Dank für die Glückwünsche ...
Trotz aller Sinnfragen unterwegs - meine Motivation, die 50 Minuten-Grenze anzugehen, ist ungebrochen :) . Jetzt laufe ich erst einmal HM und regeneriere dann ein bischen. Aber im Spätsommer/Herbst gibt's ja noch genug Möglichkeiten ...

@WinfriedK: Uuups, der "Rotzer" ... ich erinnere mich voll Ekel an diesen Teil deines Laufberichts! Bin gar nicht sicher, ob "Stinky" wirklich schlimmer war ... ist wohl die Wahl zwischen Pest und Cholera :teufel:

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Gratuliere zur Bestzeit, das Training scheint ja zu stimmen für den HM in Luxemburg.
Ich finde es trotz allem schade, wenn trotz Startgeld nicht mal ein vernünftiger Wasserstand unterwegs aufgebaut wird.

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@kobold. Hallo! Cooler Bericht. ich bin dort auch mitgelaufen. Mir war es aber leider schon zu heiß an dem Tag, bzw. ich habe noch nicht an diese Temperaturen gewöhnt. Der Kaseler Wein ist wirklich sehr sehr gut!!!!! :)
Der frühere Streckenverlauf war "landschaftlich" etwas reizvoller! ;) ....da waren dann aber auch nie so viele Leute dabei.
Aber ich hatte ähnliche Gedanken, nachdem ich bei KM3 schon fast total platt war. Aber im Ziel ging das ja wieder!


Wo gehst Du denn in Trier laufen?

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Glückwunsch, Kobold -denn eine eingestellte pehbeh ist eine eingestellte pehbeh. :D

Sonnigen Tag noch
Liebe Grüsse von Gregor :hallo: (Bremen)
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