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Mit dem Bolero durch Brüssel

Mit dem Bolero durch Brüssel

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Die "20 km de Bruxelles - 20 km door Brussel" sind Tradition. In diesem Jahr fand der Lauf zum 27. Mal statt. Und für jeden, dem Laufen etwas mehr abringt als ein "Meine Güte, 20 km - bist du verrückt?" und der noch dazu in Brüssel wohnt, ist es eigentlich ein Muss, wenigstens ein Mal mitzulaufen. Nachdem ich 2003 und 2004 noch in den Lauf-Kinderschuhen steckte und mich auch im letzten Jahr für 20 km noch viel zu untrainiert fühlte, war ich in diesem Jahr nach 2 ganz gut überstandenen Halbmarathons mutig genug, mich anzumelden. Das Teilnehmerfeld war inzwischen auf 25.000 Läufer erweitert worden (für das nächste Jahr denkt man wohl bereits über 30.000 nach), so dass ich auch im April mit Startnummer 24148 noch eingetragen wurde.

Der Lauf beginnt und endet traditionell am Park Cinquantennaire - sozusagen im Herzen der Stadt und in unmittelbarer Nähe des Europa-Viertels. Dort strömten also immer mehr Menschen zusammen, je weiter es auf 15 Uhr - die Startzeit - zuging. Die 3 Tage zuvor hatte es in Brüssel eigentlich fast pausenlos geregnet, am Samstag noch kamen Wassermassen vom Himmel, die eigentlich nichts Gutes verhießen. Doch der Wetterbericht versprach schon die ganze Woche, dass am Sonntag eine trockene und heitere Unterbrechung zu erwarten sei - und siehe da: er hatte nicht gelogen! So wurde es wettertechnisch für Läufer und Zuschauer ein wunderbarer Nachmittag. Dementsprechend gut drauf waren alle, die sich vor dem Triumphtor einfanden. Traditionen spielen in Belgien keine unwichtige Rolle, wie ich in den 4 Jahren, die ich inzwischen hier lebe, schon öfter feststellen konnte. Es liegt wahrscheinlich in der Natur eines so kleinen und - bei allem Respekt - in der Wahrnehmung von außen eher unbedeutenden Landes, dass es die Ereignisse, die es so hat, dann auch entsprechend zelebriert. Bei den 20 km von Brüssel gehört darum unbedingt dazu, dass eine Viertelstunde vor dem Start der "Bolero" von Ravel gespielt wird - und jede Minute ein Stückchen lauter wird. Das, ja sehr pathetische, Ende wird dann auch entsprechend von allen beklatscht und unmittelbar von der Nationalhymne verfolgt (auch eine Tradition natürlich, was insofern lustig ist, dass ja viele Läufer auch andere Nationalitäten haben, so dass es sich unter den Läufern erst rumspricht "Oh - that's the National Anthem!"). Auf dem Triumphtor haben inzwischen die Honoratioren des Tages Platz genommen, um pünktlich um 15 Uhr (für belgische Verhältnisse enorm, dass es wirklich pünktlich ist!) den Startschuss abzugeben. Ach, was sag ich - es handelte sich tatsächlich um einen Kanonenschuss, der das gesamte Feld zusammenfahren und die Tauben auf den Gebäuden links und rechts in die Luft schrecken ließ.

Nach diesem "Hallo - wach?"-Ruf setzt sich das Teilnehmerfeld dann langsam in Bewegung. In diesem Jahr wird zum ersten Mal mit dem Champion-Chip die Zeit genommen. Jeder hatte ihn in seiner Starttüte, eigene durften nicht verwendet werden und musste ihn mit einem Plastikband an seinem Schuh festmachen - am Ende bekam man nur gegen Rückgabe des Chips seine Finishermedaille ausgehändigt. Die Matten zur Zeitnahme liegen am Ausgang des Parks. In den vergangenen Jahren war der Lauf immer länger als 20 km - eher so Halbmarathonlänge. Und auch in diesem Jahr steht das 20 km-Schild dann etwa in Höhe Place Montgomery, gut 500 m vor dem Zieltor. Keine Ahnung, warum die Veranstalter es anscheinend einfach nicht hinkriegen, mal echte 20 km abzumessen...

Brüssel ist hügelig. Ich erwähne das, weil die meisten (mich eingeschlossen) das nicht so erwarten würden. So geht es direkt nach dem Start etwas bergab die Rue de la Loi entlang, was mir zum Einrollen ganz gut tut. Diese Straße steigt dann aber am Ende auch wieder etwas an, so dass man schon ahnen kann, was einen so erwartet. Danach geht es an einem weiteren Park und am königlichen Schloss vorbei in Richtung Justizpalast. Diese etwa 1,5 km führen über Kopfsteinpflaster. Da sich hier bei km 3 auch schon der erste Getränkestand befindet, muss man danach etwas aufpassen, da das Pflaster durch das Wasser schon etwas rutschig ist. Am Justizpalast biegen wir ab in Richtung Avenue Louise. Um den Verkehr am Laufen zu halten, muss die Läuferschar insgesamt 3 Tunnel durchqueren, die Brüssels inneren Ring kennzeichnen. Sehr praktisch für Autofahrer, diese Tunnel - für Läufer find ich sie blöd. Es geht etwas steil runter hinein und nach stickiger Luft, wenig Platz und dröhnenden Gebläsen wieder steil rauf hinaus. Der Publikumszuspruch ist aber überall beträchtlich, es gibt einige Bands und Trommler immer wieder, die Läufer klatschen gemeinsam mit den Zuschauern, was in den engeren Straßen wirklich eine beträchtliche Wirkung hat.

Nach der Louise folgt der Bois de la Cambre, eine etwas größere Parkanlage, in der ich auch oft meine Runden drehe. Hier spüre ich zugleich Demotivation und Ansporn: einerseits weiß ich, dass ich nur 5 min entfernt wohne, andererseits kenne ich die Parkrunde genau und kann mir so meine Kräfte gut einteilen: wo es bergab geht, lasse ich es rollen, bergauf nehme ich mich etwas zurück. Am Ende des Parks ist das 10-km-Schild und die Hälfte also geschafft. Hier stehen auch 2 meiner Groupies und als ich ihnen zuwinke, entrollen sie ein Plakat "Barbara, your're the best!" Waaaah - wie toll ist das denn??? Dieser Einfall lässt mich noch 2 weitere km grinsen, was gut ist, da es jetzt auf dem Boulevard Franklin Roosevelt wieder etwas bergauf geht.

Es folgt der Teil der Strecke, der mir später als ziemlich endlos in Erinnerung bleibt. Zum Glück geht es in Boisfort noch einmal ein ganzes Stück bergab, so dass ich dort nochmal gut Meter machen kann. Ich fühle mich gut und hole auf diesem Abschnitt sicher einige Zeit raus. Dann kommen wir auf den Boulevard de Souverain - diese km zwischen 13 und 17 lassen meinen Magen grummeln. Nein, nicht wegen mangelnder Versorgung: es gibt genug Wasserstände und einen Gatorade-Stand, der uns ca. 500 m zähes Laufen beschert, da echt die ganze Straße klebt. Für mich aber sind diese 4 km, auf denen meine Beinchen dann auch zunehmend schwerer werden, ein Countdown hin zum gefürchteten letzten Abschnitt der Strecke: die Avenue de Tervuren - der Mount Everest!

Bei km 17,5 ist es soweit: am Parc Woluwé biegen wir auf die Tervuren ein. Zunächst geht es noch relativ sanft, ab km 18 dann richtig doll bergauf! Ich weiß, dass da noch ein Spa-Stand kommen muss und nehme mir erstmal vor, auf jeden Fall bis dorthin zu laufen. Das schaffe ich, dann gehe ich ein paar Schritte und trinke dabei nochmal was. Das Anlaufen klappt danach besser als befürchtet - und wenige Meter weiter steht dann dort die zweite Gruppe Groupies: "mein" Lauftreff, d.h. der Teil davon, der heute nicht aktiv ist. Nochmal großes Hallo und dann geht es für mich auf (im wahrsten Sinne des Wortes) den letzten Kilometer.

Nun ja, es wäre der letzte, wenn am Montgomery Schluss wäre. Ist es aber nicht. Ich kann mich bis dorthin nochmal zu einem kleinen "Spurt" motivieren, dann aber sagen meine Beinchen "Schluss jetzt - du kommst auch so noch gut ins Ziel!" Ich höre auf sie und lasse es austrudeln. Nach 2:08:08 bin ich hochzufrieden im Ziel. Knips - der Chip ist ab und ich bekomme eine sehr glänzende goldene Medaille am belgischen Bande. Ich bin lange nicht so euphorisch wie nach dem Berliner HM, aber sehr stolz diesmal. Und es hat echt Spaß gemacht!

Zum Schluss - oh Mann, es ist doch wieder lang geworden! - bleibt nur ein bitterer Punkt: 75 m vor dem Ziel musste ich leider mit ansehen, wie ein Mann von etlichen Medizinern eine Herzdruckmassage bekam. Und wie mir hinterher dann gesagt wurde, hat er es wohl nicht geschafft...

Mein Fazit: ich werde mich auch in Zukunft auf Läufe beschränken, die ich unbedingt mal mitmachen will oder die ein landschaftlich schönes Erlebnis versprechen. Ob ich dabei jemals über die HM-Distanz hinausgehe, weiß ich noch nicht, bezweifle es aber. Bilder wie das vom Sonntag möchte ich mir gern ersparen - und ich muss mit Sicherheit nicht meine eigenen Grenzen ausloten. Für 20 km reichen Training, Kraft und Lust - nur neue Schuhe werd ich mal brauchen, weil meine beiden Paare es über 15 km einfach nicht bringen. Aber die hab ich mir jetzt auch echt verdient.

LG, an alle, die es bis hier noch geschafft haben -

Babs

P.S. Wenn ich die Fotos übermittelt krieg, werd ich noch ein paar davon hochladen...

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Danke Barbara für die schöne Führung durch Brüssel. Diesen Lauf wollte ich auch schon immer einmal machen und jetzt nach meinem "Comeback" klappt es ja vielleicht auch einmal

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Puh Babs,

irgendwie klingt der Laufbericht, als wäre der Lauf lang gewesen. :haeh: Glückwunsch zum Durchkommen...vor allem wegen des Mont Everest von belgien...bin stolz auf Dich :)

mandy
mein Blog: AmandaJanus

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Ach war das schön zu lesen und in Erinnerungen zu schwelgen. Der Parc Woluwé war mein Laufrevier (eine Runde wohl eher 3 als 4 km aber immerhin mit Bergen war es). Sollte ich wirklich mal nur zum Laufen zurück kehren?

Wenn ich so sehe, was du an HM läufst wird es aber bestimmt irgendwann ein M werden (die meisten Leute sterben doch sowieso im Bett) und Lux klingt doch toll.

Gratulation zum Lauf und Danke für den schönen Bericht

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Ja, also, Fernand - wie schon in deinem Luxemburg-Bericht geschrieben: so lange ich noch hier bin, können wir jederzeit gern mal zusammen durch Brüssel toben (und Jörg nehmen wir gleich noch mit). Vielleicht werd ich ja noch ein bisschen schneller...

Mandy, der Lauf war länger als ausgeschrieben zumindest :zwinker5: Nee, es war einfach die schöne Stimmung und auch Strecke, die ich ein bisschen beschreiben wollte. Ist halt etwas länger geworden... Die Avenue de Tervuren ist sicher nicht gleich der höchste Berg ganz Belgiens (weiß gar nicht, welcher das eigentlich ist, aber da sind ja auf jeden Fall die Ardennen), aber für einen Läufer isses schon ziemlich anspruchsvoll. Mich hat aber gefreut zu merken, dass sich das regelmäßige Training hier doch mal auszahlt und es daher nicht so schwer ging wie befürchtet...

Und Jörg: ja, mach mal! Der Lauf ist viel lohnenswerter als ich letztes Jahr noch dachte, wo ich nur Groupie war. Die Häufung der HM in den letzten paar Wochen ist eher zufällig entstanden - dafür hielt sich mein Training dazwischen aber auch in Grenzen (zuviel Arbeit). Jetzt isses erstmal gut damit und ich will versuchen, meine 10er Zeit mal vorzeigbar zu machen.

LG und danke fürs Lesen,
Babs

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Babsbara hat geschrieben:Die Avenue de Tervuren ist sicher nicht gleich der höchste Berg ganz Belgiens (weiß gar nicht, welcher das eigentlich ist, aber da sind ja auf jeden Fall die ArdennenBabs

:prof: Die höchste Erhebung Belgiens ist das Signal de Botrange, eigentlich kein Berg sondern mit 694 m nur der höchste Punkt auf einer Hochebene in den Ardennen :prof:
Neue Laufabenteuer im Blog

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Ha, da lag ich mit den Ardennen ja gar nicht so falsch :-) Danke Jörg!

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Hi Babs, hört sich nach nem tollen Lauferlebnis an, auch wenn mich solche Mitteilungen wie die "Herzdruckmassage" schon immer sehr betrüben. Na ja, wenn ich 87 bin, möchte ich auch so sterben, aber nicht 75 m vor dem Ziel, reinlaufen und Medallie abfassen würd ich schon noch gern!

Im Übrigen gibts auch landschaftlich schöne Marathons oder Marathons, die man unbedingt mal mitmachen will :P . Na ja, nur die Ruhe, Du hast schon recht, das Training für einen Halben ist natürlich auch wesentlich einfacher. Trotzdem läufst du irgendwann nen Ganzen. (Das muß gerade ich sagen, die dieses Rumgeunke auch nicht leiden kann, na ja, sorry babs :peinlich: )

Liebe Grüße von der sohlensuchenden Kathrin :hallo:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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Jepp, Kathrin-

schön war's! Und was die Streckenlänge betrifft: ich will mal sagen, ich lass es langsam angehen. Vor einem Jahr hätt ich noch nicht gedacht, dass ich mal 2 Stunden am Stück rumlaufen will. Jetzt wird das langsam normal. Mein Bewegungsapparat braucht länger, um sich an höhere Belastungen zu gewöhnen, das muss ich respektieren. Und zum Glück gibt es ja auch bei den landschaftlich reizvollen Läufen meist einen HM im Angebot :-)

LG,
Babs (die dir auf jeden Fall schon mal ein Bier* verspricht fürs Suchen, egal wie's ausgeht!)

*wahlweise auch Sekt, Kaffee, Kuchen, Eis...

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Bolero als Warm-Up-Musik und zum Spannung-Steigern - geil! Das will ich bei meinem ersten M haben (so in 2, 3 Jahren). Alternativ den Zarathustra... Und die Läufermasse zelebriert das in Last-Night-of-the-Proms-Manier. *Gänsehaut*

Morgen beim Chaselauf ist wohl eher "I'm singing in the rain" mit 62.000 angesagt ...

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Jepp, bamz - diese Art Countdown hat was!

Und hier, wie versprochen, noch ein paar Bildchen...

Gruß,
Babs
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