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Vom Schnaufer gejagt - immer locker aus der Hüfte

Vom Schnaufer gejagt - immer locker aus der Hüfte

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Nett, wenn man beim Warmlaufen von einem aufgebrezelten Mittsechziger betont lustig angesprochen wird. "So, schon mal einen Vorsprung herauslaufen?" Seine Begleitung schaute ob dieses gockelhaften Gebarens wenigstens ein wenig pikiert. Zurück im „Stadion“ stellt sich heraus, es sind ja gar nicht so viele Starter, wie befürchtet, trotz Deutschland-Cup der SG-Stern – haben sie in Sindelfingen die sportlich engagierten abgebaut?

Hippelig hoppelte ich noch ein wenig über den Rasen und suchte mir meinen Traumplatz im Starterfeld, eher im hinteren Bereich. Denn zum einen hatte ich die letzten zwei Monate die Tempoeinheiten wegen Krankheiten und zu wenig Zeit arg spärlich streuen müssen und die Wochenkilometer sanken zeitweise auf Pinguinsche Dimensionen. Und andererseits sah der große taktische Plan einen verhaltenen Start vor, lieber das Feld von hinten aufrollen, als überrollt zu werden. Klar, dass ich mich da in mitten von eher freizeitjoggenden Walkingverweigerinnen und eisgrauen Herren sah.

Startschuß, Ziellinie, erstes Sortieren auf den eindreiviertel Stadionrunden und das Überholen hat begonnen, es sollte bis auf eine Ausnahme nicht mehr enden. Endlich hinaus auf die erste vergleichsweise flache und daher recht schnell gelaufene, erste Runde durch Streuobstwiesen und Weinberge. Nach ca. eineinhalb Kilometer hatte ich mein Renntempo erreicht und mich nun auch eher in dem Teil des Feldes einsortiert, bei dem jedes Überholmanöver zum Positionskampf ausartet. Vorteil des Locals ist ja, man kennt jeden Meter der Strecke nicht nur mit Vor- und Nachname, sondern auch gleich noch die ganze Verwandtschaft. So konnte ich die zwei kurzen Steigungen und das ebenfalls kurze aber steile Gefälle zu weiteren Überholmanövern nutzen. Jetzt nur nicht zu sehr überdrehen, es geht am Ende der ersten Runde gut einen Kilometer weitgehend moderat bergab, hier zu schnell zu laufen rächt sich später.

Aber ich fühlte mich gut, leider war nun die Sonne herausgekommen und es wurde richtig heiß, zumindest wurde mir heiß, ich hatte wohl doch zu wenig getrunken am Vormittag. Der Stadionsprecher, in guter alter Tradition der Vorsitzende der Leichtathletikabteilung, hatte vor dem Lauf ja eher den Eindruck erweckt, bei dem 10er und dem Halbmarathon danach handelt es sich um eine hochgradig gefährliche Sache, trinkt Leute, trinkt ausreichend und viel! Nun ja mein Mund und Rachen waren schon ganz schön trocken, da fängt dann der Atem etwas zu rasseln an.

Nach dem kurzen Stück über einen sehr holperigen Feldweg, dann das Ende der ersten und der Beginn der zweiten Runde, die dann auf ca. 2 km gut 160 Höhenmeter hoch durch den Wald geht, dort dann über einige Serpentinen wieder hinaus in die Weinberge, ein super Ausblick, wer da noch ein Auge dafür hat, und schließlich nach einer kurzen Gegensteigung wieder zurück ins Stadion. Dort, am „Rundenwechsel“ erwarteten mich auch meine Groupies, Hannahs „auf geht’s Papa!“ nahm ich mit Humor, ein Lächeln war zu diesem Zeitpunkt noch durchaus möglich. Bald kam aber das Kriterium der Volkslaufstrecke, eine immer steiler werdende Rampe zum Waldrand hinauf. Hier beginnt man Versuche zu starten, ob man nicht doch auch noch durch die Ohren Luft bekommen könnte, wie weit kann ich den Mund aufreißen, ohne mit der Unterlippe im Schotter zu streifen?

Hier nun zeigte sich, dass die viele Arbeit an einem ökonomischen Laufstil, mit sehr viel Bewegung aus der Hüfte und dem Becken heraus, sich bezahlt macht. „Locker aus dem Becken heraus schwingen“, befahl ich mir immer wieder selbst. Und es funktionierte, der Abstand zum Nächsten verkürzte sich zusehends, ich holte auf, ihn ein und dann über. Auf dem Flachstück am Waldrand entlang, kam er wieder auf, ich wollte auf keinen Fall schneller laufen und sparte mir die Körner für den finalen Anstieg durch den Wald. Kurz vor dem Einmünden in selbigen war der Konkurrent wieder auf mich aufgelaufen, konnte aber in der Steigung das Tempo nicht halten. Hurra!

Aber was war das, da war ein Keuchen hinter mir, ein Schnaufen, das nichts Gutes verhieß, ich glaubte den feuchten Atem in den Kniekehlen zu spüren. Schneller also, immer locker aus der Hüfte! Und tatsächlich es ging schneller. Aber was war das, das Keuchen, das Schnaufen wurde zwar hochfrequenter, aber nicht leiser, eher lauter. Immer locker aus der Hüfte! Es ging noch ein klein wenig was. Aber was war das, der Keucher und Schnaufer konnte immer noch folgen. Erschreckt sah ich nach hinten, immer gewahr ein wahres Laufmonster zu erblicken. Aber was war das, nichts, kein Monster, kein Läufer, der Abgehängte gute 20 – 30 Meter hinter mir, dazwischen nichts außer meinen Schweißtropfen und meinem Keuchen – Meinem Keuchen! Ich hatte mich selbst gejagt!

Immerhin konnte ich so auf dem höchsten Punkt auf den Läufer vor mir auflaufen und folgte ihm die ersten 50 Meter, ließ ich aber dann etwas ziehen und bereitete mich innerlich auf das Bergabfinale vor. Beim letzten Verpflegungspunkt noch schnell einen Schluck Wasser um den Mund auszuspülen und dann beschleunigt. Bald waren der Waldrand und der Aussichtspunkt oberhalb der Weinberge erreicht. Hier stürzt sich die Strecke kurzzeitig recht steil hinab. Gut wenn man sich auskennt, dann kann man es hier „laufen lassen“ und muss nicht befürchten, irgendwo einzuschlagen. Der vor mir kannte die Strecke wohl nicht und war erstaunt, warum ich so schnell an ihm vorbeizog. Gut für die Knochen, dass es anschließend wieder flacher weiterging. Gut für meine Reserven dass es abwärts ging, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt so gut wie keine mehr. Wieder war mein Mantra „Immer locker aus der Hüfte schwingen!“, nur unterbrochen von „Locker aufsetzen und geschmeidig abrollen!“

So ging es in die Gegensteigung kurz vor dem Stadion. Fragte ich mich letztes Jahr bei meinem ersten Wettkampf nach dem Neueinstieg ins Laufen, noch irgendwann einmal, warum tue ich mir das nur an, was ist es wert, sich so zu quälen, fragte ich mich an dieser Stelle, warum tue ich mir das nur an, was ist es wert sich so zu quälen. Kaum hatte der Gedanke sich etwas besser festgesetzt und schon fast den Kampf gegen das gebetsmühlenhafte „Locker aus der Hüfte!“, das wie ich immer kurzatmiger wurde, gewonnen, als endlich das Stadion erreicht war. Meine Mädels erwarteten mich hier und der Gedanke huschte mir durch den Kopf, ob es langfristig ein guter Gedanke ist, wenn einen die Töchter in diesem Zustand sehen? Aber auf der weichen Tartanbahn kam ich dann allerdings wieder etwas zu Kräften und konnte wenigsten die letzten 200 Meter wieder locker laufen.

Im Ziel warf ich den ersten scharfen Blick auf die Uhr, Ouuups, Bestzeit! Und das bei der miesen Vorbereitung, wie gut dass ich die Schnapsidee hatte, hier kurzfristig nachzumelden. Später erfuhr ich dann noch, dass es sogar zum 5ten Platz der Altersklasse gereicht hatte. Aber das war da schon nicht mehr so wichtig, es war schön, mit den kleinen Mädchen herumzualbern, vom großen in den Arm genommen zu werden und überhaupt die Postwettkampferleichterung zu genießen. Noch ein schöner Punkt am Rande, beide Knie haben nicht einmal gemuckt. Moshe sei Dank!

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Jörg- gejagt vom alter ego, dem alten Schnaufsack! Was hab ich gelacht bei dieser Stelle.
Vielleicht hättest du an dieser Stelle, wo selbst das Atmen durch die Ohren in Erwägung gezogen wurde, kurz an mein Kammerlander-Mantra denken müssen? Na gut, vielleicht besser nicht, sonst wärst du vor lauter Lachen endgültig aus dem Rhytmus gekommen. :zwinker5:

Auf jeden Fall wieder mal ein toller Laufbericht, und natürlich auch herzliche Gratulation zur PB (wo steht eigentlich die entsprechende Zahl... du weisst schon, für die Statistik)

Liebe Grüsse, Marianne :hallo:

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herzlichen glueckwunsch erstmal zur bestzeit! und das bei dem heftigen endanstieg ... beachtlich.

besonders schoen ist es, wenn man zum laufbericht die passenden bilder vor augen hat. ich bin zwar nur die 10km gelaufen, aber in punkto hitze, happige anstiege und rasante ab"laeufe" gings mir genauso wie dir. vielleicht traue ich mich naechstes jahr mal an den hm - dieses jahr hatte ich noch zu viel respekt vor der strecke.

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SchweizerTrinchen hat geschrieben:Jörg- gejagt vom alter ego,
Ja, fand ich auch witzig: der gejagte Jäger :D

... und ich fand ebenfalls auch, dass wenigstens hätte dabeistehen können, ob's nun der Zehner oder der HM war. Damit zufrieden gewesen, wäre mir dann die lästige Sucherei nach Antworten erspart geblieben :P

Ansonsten stimmt drittens: schöner Bericht!

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Athabaske hat geschrieben:...und die Wochenkilometer sanken zeitweise auf Pinguinsche Dimensionen.
:auslach: Pfffffffffffh.......

Aber davon mal abgesehen: Toll gekämpft, toll beschrieben, ist so ein bischen ala Frauschmitt geworden, schöne Dienstagmorgen-Lektüre :daumen: . Habe jetzt mitgekämpft, mitgeschnauft und mitgelitten. Mir schien, ich kenne die Strecke :nick: . Herzlichen Glückwunsch zur Bestzeit!!!
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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Hallo!

Guter und unterhaltsamer Laufbericht.

Besonders die neue Taktik zur Bestzeit kommt gut :daumen:

Gruß
DanielW
5,0 KM: 22:09 min (BTC Bahnlauf 2004)
7,5 KM: 36:04 min (Bertlich 2004)
10 KM: 45:35 min (BTC Waldlauf 2005)
15 KM: 1:15:33 h (Bertlich 2005)
HM: 1:44:51 h (Ruhrmarathon 2005)
Marathon: 3:57:06 h (Berlin 2005)

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Persönlichkeitsspaltung mal anders :D . Schöner Bericht, danke!

Grüße,
Kiwi

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Ein schöner Bericht zu einem schönen Lauf mit offenbar befriedigendem Ergebnis :daumen: :daumen:
Athabaske hat geschrieben:... Meinem Keuchen! Ich hatte mich selbst gejagt!
Das kenne ich von Läufen im Dunkeln. Da höre ich öfters Schritte hinter mir bis ich merke, dass es mein Gedabbel ist! :P Männer sind eben auch nur Waschweiber.
Athabaske hat geschrieben:...der Gedanke huschte mir durch den Kopf, ob es langfristig ein guter Gedanke ist, wenn einen die Töchter in diesem Zustand sehen? ...
Bis Du zu einem Ergebnis gekommen? Warum sollte das nicht gut sein?

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Hallo Jörg,

danke das man in deinem Bericht noch einmal "mitlaufen" durfte und herzlichen Glückwunsch zu deiner Bestzeit.
Wenn deine Unterlippe den Schotter streift, müssen wir uns das ungefähr so :mundauf: vorstellen??? :zwinker2:

Nochmals Glückwunsch
:hallo:
Micha
Diskutiere nicht mit Idioten, sie ziehen Dich auf ihr Niveau und schlagen Dich dort mit Erfahrung!

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Endlich bin ich auch dazu gekommen deinen Bericht zu lesen, toll geschrieben, toll gelaufen. Gratulation zur PB :daumen:
Athabaske hat geschrieben:Klar, dass ich mich da in mitten von eher freizeitjoggenden Walkingverweigerinnen und eisgrauen Herren sah.
:hihi:
http://thovo.ch/_blog/

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Herrlicher Bericht!! :daumen: :daumen:

Immer locker aus der Hüfte - so geht das also.
Aber daß du dich von deinem schnaufenden Verfolger hast einholen lassen... :zwinker2:
Sag nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst (Matthias Claudius)

http://artificial-nonsense.blogspot.com/
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