Berlin 2006 - aus Versehen durchgelaufen!

Am letzten Sonntag lief ich meinen ersten Marathon in Berlin in gut 4 Stunden - so weit nicht ungewöhnliches - aber doch viel mehr, als ich nach der Vorbereitung erwarten konnte:

Ich fing im letzten Januar, neun Monate vor dem Marathon, erst mit dem Laufen an. Ich mache zwar hin und wieder Sport, bin aber vorher nicht regelmäßig gelaufen. Ich bin 26 und wiege bei 176 gerade mal gut 60 kg. Gelaufen bin ich um mit dem Rauchen aufzuhören, zum Marathon animieren ließ ich mich von einer Freundin.

Mitte März schaffte ich mit Ach und Krach etwa 18 km, im April nach der Steigerung auf 20 km kam erstmal eine mehrwöchige Pause nach einem Sturz mit dem Fahrrad. Danach steigerte ich langsam die Distanz. Mit dem Tempo hatte ich nie Probleme, nur Kniebeschwerden und große Sorgen, nicht mehr auf die richtig langen Distanzen zu kommen. Ende Juni, die 12-wöchige Vorbereitung sollte gerade beginnen, der lange Lauf geht inzwischen über 27 (qualvolle) Kilometer, knicke ich beim Fußballspielen - ich weiß, selbst schuld - um und denke nur "shit, wenn ich jetzt drei Wochen ausfalle, kann ich den Marathon vergessen".

Die Laufpause mit gelegentlichen Einheiten auf dem Heimtrainer zieht sich dann inklusive einer Erkältung doch noch ganze 5 Wochen hin und ich kann erst Anfang August, 7 Wochen vor dem Marathon, wieder mt dem Laufen anfangen.

Mit Gewalt und einigen Beschwerden, erhöhe ich sehr schnell die Distanz und schaffe nur noch einen wirklich langen Lauf über etwa 33 km plus ein paar Läufe über gut 25 km. Der Halbmarathon fiel aus und auch den "30 km Trainigslauf" mußte ich kurzfristig aabsagen. Nach allem, was man hier im Forum lesen konnte, schien der Hammermann unabwendbar! So hatte mir also vorgenommen um die 35 km zu laufen und dann zu gehen und vielleicht ab Potsdamer Platz zu Ende zu laufen.

Dann kam aber alles ganz anders! Ich war mächtig aufgeregt, aber fühlte mich gut und der Marathon lief viel besser als erwartet: Ich lief durch, wurde am Schluß immer schneller und mußte mich nie wirklich quälen.

Nachdem der Start endlich auch in Block H erfolgte, lief ich locker los und das einzig ärgerliche waren unzählige Wahlplakate der Republikaner an der Strecke... In Mitte und Alt-Moabit war für die frühe Uhrzeit noch eine ganze Menge los, die Stimmung rund um den Alex fand ich etwas mau. Dann kam Kreuzberg mit toller Atmosphäre, vielen Leuten an der Strecke und jeder Menge Musik (besonders erwähnenswert Vivaldi vom Balkon am Kottbusser Damm)!!

Durch die Yorckbrücken, Richtung Schöneberg wird es dann richtig warm, aber auch das ist kein Problem, solange man viel und regelmäßig trinkt! Viel schlimmer dagegen, bereits zur Hälfte der Strecke erste Schmerzen in den Knien und die Beine sind schmerzhaft wundgescheuert. Doch das sollten auf der gesamten Strecke die einzige Probleme und Sorgen bleiben. Durch Steglitz nach Zehlendorf und am Wilden Eber kocht die Stimmung richtg hoch! Ich hatte mich gefragt, warum die Strecke raus aus der Inenstadt nach Zehlendorf führt... jetzt weiß ich es!!

Danach ist wieder etwas weniger los und so stöpsle ich erstmals meinen iPod ein und laufe ich mit "Sultans of Swing" (Dire Straits) den Hohenzollerdamm hinauf. Am Fehrbelliner Platz geht es mit Mark Knopflers wunderbarer Gitarre und vollgedröhnt mit Endorphinen durch ein enges Zuschauerspalier! Ich strotze vor Kraft und erhöhe ab Kilometer 30 erstmals das Tempo, bleibe jedoch vorsichtig. Ab dem Kudamm ist es damit dann aber endgültig vorbei, es beginnt ein schneller Slalomlauf ins Ziel. Am Wittenbergplatz, Potsdamer Platz und natürlich auf der Zielgerade unter den Linden ist nochmal richtig Stimmung. Bis ins Ziel werde ich immer schneller und sprinte durchs Brandenburger Tor. Wahrscheinlich haben viele den irren Läufer, der sie ständig umkurvte, verflucht, sorry, aber die ganze Energie mußte einfach raus. Ich war konsequent auf einem 6er Kurs plus drei Minuten. Durch meinen Endspurt kamen 4:10 h in Reichweite.

Am Ende wurden es 4:08:51. Ich lief die zweite Hälfte 10 Minuten schneller als die Erste (knapp unter zwei Stunden), die letzten 7 Kilometer trotz eines Hindernisslaufs in einem 5er Schnitt und ich glaube auf den letzten 10 Kilometern nicht mehr überholt worden zu sein.

Danach war ich natürlich platt. Aber ich frage mich bis jetzt, wie konnte ich ohne ausreichend lange Läufe und nach kurzer, mieser Vorbereitung durchlaufen und vor allem am Ende noch so Gas geben? Lag das am Adrenalin, angeregt durch Belastung, Zuschauer und Musik, an den kiloweisen Nudeln am Vortag oder woher nimmt der Körper die Kraft?!?

Alles in Allem ein tolles Erlebnis ohne Qualen und ein Ergebnis, das viel besser ist als erwartet-! Ich komme wieder, das ist sicher.

Danke Siggi!

Nicht falsch verstehen, ich bin superglücklich wie's gelaufen ist!! Hab's mir vorher nur viel schwerer vorgestellt. Bedeutet das, daß ich um schneller durchzukommen, beim nächsten Mal mehr lange Laufe machen müßte?

Puls hab ich nicht gemessen, war auf den letzten Kilometern aufgrund der Geschwindigkeit recht hoch, aber vorher moderat.

Cheers,
Henning

Das klingt nach einem gelungengen Lauf. Glückwunsch dazu!

mandy

..... das Du (v. a. für die Kürze Deiner Laufkarriere) wirklich klasse Zeiten auch auf den Unterdistanzen läufst, wäre beim Marathon in meinen Augen deutlich mehr drin gewesen. ABER so hast Du viel Spaß gehabt (musstest Dich nicht übermässig quälen), bist entspannt, mit dem Wissen das da noch viel geht ins Ziel gelaufen und hast Deinen ersten Marathon genießen können. Von daher Hut ab und Respekt vor der klasse Leistung

Marathonlaufen muss in meinen Augen Spaß machen und sollte nicht in einer einzigen Quälerei ausarten.

Mit laufenden Grüßen Wiesel

Morgen Henning!

Sei beglückwunscht zu deinem Finish!

henhan hat geschrieben: Danach war ich natürlich platt. Aber ich frage mich bis jetzt, wie konnte ich ohne ausreichend lange Läufe und nach kurzer, mieser Vorbereitung durchlaufen und vor allem am Ende noch so Gas geben? Lag das am Adrenalin, angeregt durch Belastung, Zuschauer und Musik, an den kiloweisen Nudeln am Vortag oder woher nimmt der Körper die Kraft?!?

Wie die anderen auch schon schrieben, bist du bei deinem Potential eigentlich "nur" einen langen Trainingslauf gelaufen. Mit dem Adrenalin im Wettkampf sind danach dann 10 schnelle Kilometer immer drin!

Da geht noch was!!!

Hallo Henning,
Glückwunsch zu Deinem tollen Marathon-Debut! Toll dass es trotz aller Widrigkeiten so gut für Dich gelaufen ist
Manchmal steckts einfach drin in den Knochen, auch ich bin in Berlin mein Debut gelaufen und konnte mich aufgrund einer Verletzung nicht optimal vorbereiten, wobei ich im Juli schon einige 30er gelaufen bin.
Jedenfalls hatte ich im August 2 Wochen Laufpause, dann ganz langsam Steigerung bis auf 2:30 und doch hätten mich meine Beine durchgetragen bis zum Ziel, wenn der Magen nicht gewesen wäre.
Freu Dich einfach, dass es so toll gelaufen ist!
Liebe Grüße Binchen

hi,

erst mal glückwunsch zum ersten marathon

ohne deine leistung schmälern zu wollen:

henhan hat geschrieben:...
Ich bin 26 und wiege bei 176 gerade mal gut 60 kg.

das sind sowas von ideale vorraussetzungen, da wäre es schon peinlich, wenn man mit entsprechendem training nicht auch ne vernünftige zeit (so grob um 3:30h) laufen könnte (wie dir ja die anderen user schon bestätigt haben)

ich bin letztes jahr mit 84kg @178 3:54:39 (1. hälfte 1:55:xx, 2. hälfte 1:58:xx) in Frankfurt gelaufen, und hab es auch überlebt; 11 wochen lauftraining aufbauend auf Grundlagenausdauer von regelmäßigem radsport (4000-5000km/jahr) + lauferfahrung aus der jugend (damals über 10kg leichter) haben ausgereicht, die längsten läufe waren zweimal 20 und einmal 25 km. sollte ja nach dem ein oder anderen trainingsguru unmöglich sein

grüße,
greg

PS: hab ich schon mal erwähnt, dass ich für abschaffung der altersklassen und einführung von gewichtsklassen bei volkslaufveranstaltungen bin