Der 'allerletzte' Berlin-Bericht.

Verhandlungsmarathon beim Berlin-Marathon

Mann, war das im Startbereich voll. Jedenfalls für so'n Landei wie mich war's gewöhnungsbedürftig. Und schön warm war's. Nach dem 1. Kilometer war ich durchgeschwitzt. Es blieb eng im Feld. Kletschige Männerkörper rieben sich wohlig aneinander. Bäh! Warum gibts hier so wenig Mädels. Ab Km 5 hab ich mich dann ausgiebig mit meinen Beinen unterhalten. Die meinten, sie hätten heute keinen Bock auf Laufen. Hab' dann versucht, sie zu überreden;
Ist doch schönes Wetter, extra die weite Anreise, das teure Hotel, die lange Vorbereitung usw. Hat nix gebracht.
Da hättest du uns im Trainingslager vor 3 Wochen nicht so quälen sollen. Außerdem hast du gestern Abend wieder 3 Bier gekippt.
Das waren zwar Argumente, aber schliesslich bin ich der Cheffe. Und als solcher hab ich Vollgas befohlen.
Durchgangszeit Halbmarathon 1:38. Geht doch.
Meine Beine haben übrigens nach meinem Autoritätsanfall nichts mehr gesagt. Ich glaube die haben vor lauter Respekt die Luft angehalten. Jedenfalls waren sie nach 23 Km blau. Äh, ich meine, mehr so innerlich. Sauerstoffnotmässig.
"War nicht so gemeint, Freunde. Seid nicht sauer. Wir machen jetzt langsam, ich füll oben jede Menge Wasser und Gelpampe nach, dann gehts euch wieder besser." ....Keine Antwort!Sind Beine weiblich? Na,jedenfalls sind sie nachtragend.
War aber ab Km 26 auch egal. Da hab ich mich dann nur noch mit meinen Zwerchfell unterhalten.Von da kam die Info, dass von unten aus der Magengegend ein plötzlicher Wasserdruckanstieg gemessen wurde. Vorsichtshalber wurden starke Stromstösse an die
Nervenbahnen und Schmerzrezeptoren der unteren rechten Rippen gesandt. Im Volksmund wird diese Niederträchtigkeit Seitenstechen genannt. Eine sofortige Laufunterbrechung wurde damit angemahnt. Im Falle einer Zuwiderhandlung ....blablablaaa! Das kennt man ja aus dem Berufsleben.
Also, wieder Verhandlungen. "Ok. Ganz langsam laufen, fast gehen. Nein, kein Wasser
mehr, ich schwöre". Ein Schlichter wurde noch angerufen. Bei Km 32 war man dann einig. Die Schmerzsignale wurden fast ganz abgeschaltet. Sieg! Das Archlochzwerchfell hatte abgeloost. Der Cheffe hatte wieder das Sagen. Die neue Direktive aus der Vorstandsetage hieß wieder: Gummi, Gas, Brause aufmachen und Handbremse lösen. 5 Minuten waren verbummelt und mussten wieder reingeholt werden.
Schönes Gefühl wieder alles im Griff zu haben. Wenn's auch nur für 2 Km war. In der Zeit
müssen die Beine, das Zwerchfell, der Magen, die Lungen und die Bronchien zusammen
einen Weg gefunden haben, einen üblen Brechreiz mit einhergehender atemnot auszulösen. Gemein! Aber clever.
Um die Gemüter zu beruhigen bin ich 300m (zum Schein) gewalkt. Währenddessen, wieder Verhandlungen mit der ganzen renitenten Organmeute.
Diesmal gabs zur Abwechslung eine schnelle Einigung: Man sitzt schließlich im gleichen Boot. Kombiniertes Walken/Joggen bis ins Ziel.
Ich hab kurz rekapituliert; Für den einen gescheiten Brechreiz brauchen die Herrschaften 10 Minuten Vorbereitungszeit. Das entspricht ca. 2 Km Wegstrecke. Plus 500m für den Überraschungseffekt.
Fazit: Bei Km 39,5 wurden von meiner Seite alle Verträge einseitig gekündigt. Wieder Vollgas bis ins Ziel. Hab ich den unwilligen Kadaver zum Schluss doch noch überlistet.
Diese Genugtuung musste ich im Ziel natürlich teuer bezahlen. Das war vielleicht ein Aufstand im Unterbauch. Wüste Schimpftriarden schwollen zu einem bedrohlichen Brubbeln und Brummeln an. Die Rettung erschien mir im Gegenlicht des strahlenden Sommertages in Form einer Siluette eines Bierpavillions.
Ich hab das verdammte Gekröse einfach betäubt.

Ein toller Bericht, ich hab mich köstlich amüsiert! Jaja, die lieben Kinderlein ... ;) Sind die sonst auch so? ... Aber du hast ja eine harte Hand bewiesen.

Verhandlungen mit der ganzen renitenten Organmeute

"Renitente Organmeute" ist doch auch ein netter Benutzertitel *g*

Liebe Grüße und Gratulation, dass du trotz aller Widrigkeiten gefinished hast, toll.

Tessa

Schön erzählt!
War das nun Verhandlungstraining für Köln, wirst du bestimmte Vertragsklauseln ändern?
Sind Glückwünsche angebracht?

Es war nun wirklich der ich weiß nicht wievielte Bericht aus Berlin und die allermeisten habe ich auch gelesen. Dein Bericht war sehr kurzweilig, hat mir sehr gefallen. Bei mir gibt es so etwas (also diese Diskussionen unterwegs) übrigens nicht. Es ist vereinbart, gek**tz wird notfalls im Ziel und damit hat es sich . Allerdings trinke ich am Abend vorher auch keine 3 Bier, da bin ich eigen.

Schön zu lesen und vor allem spannend. Bis zum Ende war es offen wer obsiegen wird. Dass es zum Schluß Cheffe Hirn war, beweist ein mal mehr, dass Sieger im Kopf gemacht werden.

Ciao
Michael

Einfach köstlich! Mal 'ne ganz andere Perspektive. Hat richtig Spaß gemacht zu lesen!

Grüße
Uschi

spin hat geschrieben: ....Keine Antwort!Sind Beine weiblich? Na,jedenfalls sind sie nachtragend.

Vermutlich kennen die das Spiel sowieso schon: der Herr macht, was er will und wenn er dann beim hundertsten Fehltritt erwischt wird, wo er doch hoch und heilig versprochen hatte: "SOWAS mache ich NIE WIEDER ..." dann kommt nur ein lahmes: "Hey, ich kann das alles erklären ..."

Das war mal ein sowas von luschtischer Bericht - sowas gibts ja viel zu selten!
(da fragt frau ja kaum noch, wie lange der Kampf der Organe genau gedauert hat ;-)

Für das lange Warten ist der Bericht aber richtig schön geworden.

Jörg

Hihi... superlustig Dein Bericht. Ich habe mich köstlich amüsiert, nicht uninteressant auch die Zeiten für Vorbereiten und Überraschungseffekt eines Brechreizes. Bitte mehr davon .. also von den Berichten

Gruß
Michi

Eine tolle Diskussionsrunde!

... Bericht - wirklich köstlich und amüsant - DANKE - .

Nach Deiner HM Zeit-Angabe hätte ich jedoch gerne am Ende noch die geschaffte M - Zeit erfahren .

Glückwunsch zum Finish an den Cheffe und gute Erholung an die renitente Organmeute .

Gruß A.

An Dir ist ja ein Kolumnist verloren gegangen. Sehr schön und vielen Dank für die hochwertige Unterhaltung!
Ich hoffe aber, Du schenkst Deinem "unwilligen Kadaver" in Zukunft auch manchmal etwas mehr Gehör, nicht dass eines Tages mal eine Revolution entsteht und Du entmachtet wirst. Schlussendlich werden die Herren Innereienoffiziere ja schon gewusst haben, was geht und was nicht.
Fürs nächste Mal mehr ganzheitlichen Einklang und Erfolg wünscht
Meike

Herzlichen Glückwunsch zum Sieg über die "Sp-In(n)-ereien" und danke für den einmaligen Bericht. Phantastisch

Zitat spin
Ich hab kurz rekapituliert; Für den einen gescheiten Brechreiz brauchen die Herrschaften 10 Minuten Vorbereitungszeit.

Zitat Meike
Schlussendlich werden die Herren Innereienoffiziere ja schon gewusst haben, was geht und was nicht.

Hab ich mir auch gedacht. Wenn das nicht mal zur Meuterei führt. Andererseits kann man es ja auch mit RalfF halten: dafür ist im Ziel schließlich genug Zeit.

Danke für die lustige Story

Liebe Grüße

El Corredor

Witzig!

Danke für eure netten Antworten. War ja fast Null Kritik dabei.
Nachtrag: Endzeit Netto 3:29,40.
Die Betäubung hat bis abends angehalten. Ohne Nebenwirkungen.
Bin jetzt im Training für den Röntgenlauf. 63km. Dann gibts den nächsten allerletzten Bericht.

Spin

spin hat geschrieben: Nachtrag: Endzeit Netto 3:29,40.

Was war geplant, sub 3? Sonst rechtfertigt nichts soviel Gejammer

spin hat geschrieben:Nachtrag: Endzeit Netto 3:29,40.

Tolle Zeit!

Hallo Spin,

suuuuuuuuuuuuuper Laufbericht, sozusagen von ganz unten, oder eher von ganz innen?
Hab mich zumindest köstlich amüsiert, weiter so.

Naja, wenn im Profil steht:

Spinns Profil hat geschrieben:Sonstige Infos über mich:
Lauft öfters ohne Pulsmesser Uhr, Mp3-Player oder sonstigem Schnickschnack.
Hört einfach auf euern Körper.
Wenn der schneller will dann lauft schneller.
Und umgekehrt.

kk66 hat geschrieben:War ja auch ein netter Bericht.
Was wuerdest du denn beim naechsten Mal ("Röntgenlauf")anders machen?
a) mehr oder weniger 190km-Wochen
b) mehr oder weniger Bier am Vorabend
c) nix

?

Darf ich 2 Antworten ankreuzen?
Wenn nicht, nehm ich den publikumsjoker.

Spin