Moin!
Der perfekte Marathon (ahwatt-gilt imho für alle Laufwettbewerbe) ist vermutlich der, wo man nachher nicht rätselt, wo ist diese Sekunde oder jene Minute geblieben. Bei mir waren es bisher immer eher Viertelstunden. Viertelstunden im Gebüsch, Motto: sch... auf die Zeit, oder Viertelstunden im Campingstuhl
Alle bisherigen Marathonversuche waren naive Interpretationen dieser Pulstabellen: lange Läufe läuft man mit unter 75% HF Max. Ich kann das nicht. Entweder gerate ich wettkampfbedingt in Panik, Puls 180! dann habe ich für den Rest des Laufs immer Angst, dass es von der Power nicht reicht, oder ich komme nicht auf Touren, dann reicht es vom Zeitlimit nicht.
Plan P (wie Panik ): wenn schon kein Training drin war, dann sei doch diesmal so schlau und sprich dich vorm Start ab, häng dich an jmd anders dran.
Da stehen mehrere Nervöslinge herum, weisse Hemden sind ihre einzige Gemeinsamkeit. Der Startschuss ertönt, und während der Block zu
"Supergeile Zick" abfeiert, erläutert mir eine Läuferin, ihr Freund sei gestorben, und sein letzter Wille sei es gewesen, dass jmd aus dem Freundeskreis seine Nummer bei dem Köln-Marathon trage, den er hatte laufen wollen. "Und jetzt laufen wir alle für ihn".
Schitte, ich kann doch nicht schon herumheulen, bevor ich loslaufe.
Mir fällt was anderes ein. "Aber ihr seid alle schon vorher bei Laufveranstaltungen gwesen, oder?" Sie verneint. Drei von ihnen seien Halbmarathonis, die wollen den Rest ziehen. Sie selbst sei noch nie weiter als 12 km (in 1:45! Da komm ich mir plötzlich schnell und professionell vor.)Ich verabschiede mich höflich und Glückwünschend. Sie umarmen sich alle und wünschen einander viel Erfolg, nicht ahnend, dass es noch zwanzig Minuten dauernd wird bis sie die Startlinie passieren.
Gut. Letzte Pinkelpause vorm Start, da erkenne ich im Block zwei Hemden wieder. Vom 100MarathonClub United Kingdom stehen da Ann und Wally aus Bolton. "Bolton as, like, them Bolton Wanderers?"-"Yeah, that's who we are!"
Beide waren beim Lilienthaler Sommer Marathon am Start. Ann möchte "rasen", sub 4 hat sie sich vorgenommen (4:39 ist es geworden, ist ja auch erst ihr 106.), Wally ist bescheidener, seine Knieschmerzen seien zu heftig, wenn er schnell laufe.
"Was heisst denn jtzt schnell?" Seven Minutes per mile! Normal im Marathon seien 5einhalb Meilen in der Stunde, das hört sich doch viel freundlicher an als "fast 9 km/h".
Da es sein 283. Marathon ist, vertraue ich ihm und seinem Tempogefühl mal ganz. Am Barbarossaplatz (km4) mache ich einen Zwischensprint, um meiner Mutter ein Gebäck zu geben, das ich nicht zu brauchen meine, es hatte mir schlicht die Hose ausgezogen. Kurz darauf überholen Mattin, Bogart und RunningTörtel, und ich mache den Fehler, der mich bei allen anderen immer nervt: ich laber. Wally stellt Fragen, was ist dies für ein Gebäude, was bedeutet dieser T-Shirt-Aufdruck, und ich Depp gebe Antworten.
"What's this noise?!?" Ich dreh mich um, und muss lachen, "5 fags dressed as chicks, and they are babyjogging a big drum", die überholen und das Volk am Strassenrand singt "Ja wenn et Trömmelche jeht, dann stommer ald parat", ich singe mit, und Wally muss lachen. Auch wenn er ungehalten ist, dass wegen des späten Starts kein Flieger mehr geht, weshalb er als Selbständiger einen Arbeitstag verliert, Köln wird er in besonderer Erinnerung behalten.
Das geht gut bis km 15, an der Universitätsstrasse muss ich kurz schiffen, ich seh ihn noch, und da wir die ganze Zeit im 6:50-6:55-Schnitt getrabt sind, was ja wirklich nicht schnell ist, habe ich glatt die Illusion, zu ihm aufzuschliessen. Indes, es gelingt nicht, resp. der Puls schiesst über die 180er Marke. Muss es halt ohne Hasen weiter gehen.
Am Rudolfplatz knutsche ich meine Frau, soviel Zeit muss sein, wenn sie schon mal da ist, und hätte gern den Snack. Meine Mutter steht unbeteiligt weiter hinten herum, muss ich mir Sorgen machen. Entweder sie hat mich nicht erkannt. Oder noch nicht mit mir gerechnet. Oder nicht mehr. Egal, dankeschön, weiter geht's.
Wahnsinn, das Zeug wirkt wie ein Rohrreiniger. Sofort die Suche nach einem Gebüsch. Links und rechts des Weges der Park, vom Fernsehturm über uns muss das Ganze lustig ausschauen. Ein Mikrofonhalter sagt an, dass die Userin Sporty Spice unterwegs ist.
Schockiert, wie cool ist das denn. Sagt keinem was und joggt einfach so ihren Marathon hier. Hoffentlich bricht sie nicht ein.
Mensch, kümmer dich mal um dich selbst! Heike hat sogar sowas wie trainiert! Also, munter weiter, immer mit der Furcht vor dem Mann mit dem Hammer im Hinterkopf, überhole ich Menschen in Gehpausen, teilweise sogar zweimal, weil ich sicherheitshalber (Zeit ist ja h mal wieder daneben) noch aufn Dixie gehe, wobei ich noch eine Minute verliere, als sich eine Zuschauerin vordrängelt, mit den Worten "Du bist doch Sportler, kack aus den Rippen!" übrigens. Revolutionäres Konzept, sollte aber lieber jemand anders verfeinern, ich bleibe der alten Methode treu.
Alles in allem aber bis km 34,5 ein nahezu unspektakulärer longjog, wenn ich schon noch einge Fehler machte, wollte ich wenigstens ordentlich trinken und kam etwas mühsam vorwärts, weil die Schuhe vom Tee klebten. Kurz vorm Neumarkt wieder die ganze Familienpackung, links meine Mutter mit Gottweisswem am telefonieren, "der sieht gut aus, der ist in ner dreiviertelstunde im Ziel", rechts meine Schwiegermama, bass erstaunt, dass man sich solange auf den Beinen halten kann, als Arbeitnehmer hätt sie mir zu einem Überstundenzuschlag geraten. Und spontan behauptet meine Gemahlin, das Tempo könne sie mithalten, gut, schalten wir runter, um möglichst lange was davon zu haben. Es reicht aus, um etliche zu überholen. Genug, wie stumpf muss sich das anfühlen, von Zivilistinnen in Jeans stehengelassenzu werden.
Die letzten Kilometer werden dominiert von der Furcht vor Krämpfen, die dann doch nicht kamen, und einem Duell mit einem Mädel namens Christine, sie hat sich im Ziel bei mir bedankt, nachdem sie mich am sanften Anstieg Deutzer Brücke (DerletzteKilometer) stehenliess.
Bis auf 10 Meter konnte ich mich noch heranrobben, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir den Finisherclip anschauen möchte. Zwei Pulsausreisser Richtung 180, ansonsten ein longjog mit Support der Familie - mit dem Unterschied, dass ich noch nie zuvor ein Kölsch ausgegeben bekam, aber
meine Mutter ist der Ansicht, pb ist pb, und darum hätt ich mir dat Bierchen verdient. Von Marathons, die keine mehr sind, wenn man länger als jmd anderes Masstab benötigt hat, weiss sie nichts...
"Sieben" ist auch der Name eines langen Horrorfilms
1Liebe Grüsse von Gregor (Bremen)
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