Ja, die Thematik ist interessant und ich freue mich, dass sich doch viele die Zeit nehmen dazu was zu schreiben.
Nochmal kurz zu Gefahren im Dschungel und Strassenverkehr:
Ich habe bewusst solche "Milchmädchenrechnungen" wie die von "loops" vermieden. Die Aussagekraft deines Vergleiches tendiert gegen Null. Auch die Bemerkung von "subjektiv", Strassenverkehr sei kein gutes Beispiel, weil dort "enorme Menge an Personen und die enorme Zeit" zu berücksichtigen sei, kann ich nicht zustimmen. Natürlich darf man keine absoluten Schadenszahlen vergleichen, oder - so wie "loops" es getan hat - auf unterschiedliche Bezugsgrössen rechnen und dann vergleichen. Das ist sinnlos. Sinn macht dagegen, es auf die Zeitdauer zu beziehen, der man sich in der fraglichen Tätigkeit einer Gefahrt aussetzt (der Unfallforscher spricht von Expositionsbereiningung). Dann kann man solche Zahlen durchaus vergleichen.
Über solche Zahlen verfüge ich leider nicht. Genau darum halte ich mich in der Bewertung sehr zurück. Mir ist aber bekannt - auch das schrieb ich schon - dass zwischen subjektiver Gefahreneinschätzung und objektiver Gefährdung oft Welten liegen. Ein Beispiel wäre der Bergsport, wo dies vor wenigen Jahren ausführlich vom Sicherheitskreis des Deutschen Alpenvereins untersucht wurde. So passieren beim Bergwandern expositionsbereinigt (!) mehr Unfälle als beim Klettern oder auch beim Skitourenfahren. Wenig überraschend sieht die subjektive Einschätzung genau umgekehrt aus. Insbesondere Skitourenfahren wird als hoch riskant gesehen. Vermutlich spielt hier die Berichterstattung über Lawinenunfälle eine grosse Rolle.
Den Strassenverkehr habe ich nur als Beispiel herangezogen, weil unsere Teilnahme daran ganz objektiv eine Gefährdung darstellt, und wir tun es trotzdem. Wir sind es gewohnt, haben unsere Vermeidungsstrategien und denken so, wir hätten die Sache im Griff. Dies erlaubt es uns, uns ohne Angst darin zu bewegen, obwohl wir jederzeit einen tödlichen Unfall erleiden können.
Jetzt zu Marna. Du fragst "Aber warum sich überhaupt temporäre Probleme einhandeln?"
Ich antworte mal mit Walter Scheel: "Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts."
Enttäuscht bin ich, wie oberflächlich Marna sich diesem Thema nähert. Masochismus gepaart mit Machoismus, das ist nun gedanklich sehr einfach gestrickt. Wobei mir bei Marna unterschwellig der Vorwurf vorhanden zu sein scheint, dass sei insbesondere eine männliche "Krankheit". Auch "ZebraLady" stellt fest, dass Frauen bei einem solchen "Risiko-Event" eher die Ausnahme sind. Dabei stellt sich aber die Frage, ob das nicht gesellschaftlich bedingt ist und im Zuge der Individualisierung der Gesellschaft sich genau das ändern wird. Es sei denn, die anwesenden Frauen wollten Herrn Altkirch vom österreichischen Alpenverein zustimmen:
"Dem Weibe sind bestimmte Grenzen gezogen, die es vergeblich zu überschreiten suchen wird. Der Mutterberuf, seine Gefolgschaft und Störungen bilden die Scheidewand zwischen den Erfolgen des Mannes und denen des Weibes, sowohl in jeder Kunstbetätigung, als auch im Sport."
Dieses Zitat stammt aus dem Jahre 1905.
Warum sich Menschen freiwillig in solche Gefahrensituationen begeben, dem Thema haben sich ja schon viele Psychologen, Psychoanalytiker, Anthropologen, Evolutionsbiologen oder Soziologen genähert. Die Antworten mögen nicht immer zu 100 Prozent befriedigen, sind es aber dennoch wert, mal bedacht zu werden. Ich empfehle da besonders Csikszentmihalyi (Tipp: "Flow im Sport") oder Cube (Tipp: "Fordern statt verwöhnen").
Cube zieht triebtheoretische Mechanismen als Erklärung heran: "Warum ist Klettern so lustvoll? Weil man beim jedem Schritt Unsicherheit in Sicherheit verwandelt. Das lustvolle beim Klettern, [...] also beim Abenteuer, besteht in der (lustvollen) Befriedigung des Sicherheitstriebes." Die erfolgreiche Bewältigung unsicherer sportlicher Risikosituationen wird damit zu einer lustbringenden Bedürfnisbefriedigung, die ein gesteigertes Gefühl der Sicherheit mit sich bringt.
Der Psychologe und Fallschirmspringer Semmler (Tipp: "Lust an der Angst", laut Amazon vergriffen) schreibt:
"Die Ausübung von Risikosportarten stellt insofern eine der wenigen Möglichkeiten dar, sich selbst als emotional und angstvoll zu erfahren: Sich in seiner Angst zu erleben, bedeutet, sich sehr nahe zu sein, sich zu ‚spüren’. Während wir normalerweise in jedem Augenblick damit beschäftigt sind, uns mit den Augen anderer zu sehen, um herauszufinden, welche Erwartungen an uns gerichtet sind, wie wir uns wann zu verhalten haben und welche Rolle gerade erwünscht ist oder erfolgreich sein könnte, ist der Zustand der Angst im Leben vieler Menschen einer der wenigen Momente der völligen Authentizität. Wenn wir massive Angst haben, ist unser äußeres Verhalten identisch mit dem inneren. Angst spielt man nicht, Angst hat man – oder um es noch präziser zu sagen: Angst ist man."
Ist es wirklich die Bewunderung der Mitmenschen, die jemand in den Dschungel treibt? Wenn ich die Reaktionen lese, schlägt ihnen eher mehr Kritik als Bewunderung entgegen. Das hat ja auch schon Hans Magnus Enzensberger festgestellt:
"Die Gründe, von denen die Leute glauben, daß sie uns zum Bergsport anreizen, sind ja erwiesenermaßen unrichtig: Wegen der Aussicht würde ich nicht auf die Trettach gehen, die kann ich auch anderswo schöner haben; wegen des guten Einflusses auf die Gesundheit auch nicht, denn der ist bei solchen Anstrengungen zum mindesten zweifelhaft; wegen des Ansehens bei den Menschen würde ich nicht Geld, Gesundheit und Lebens aufs Spiel setze, um ein Unternehmen auszuführen, das doch von den meisten als Beweis von Geistesstörung aufgefasst wird."
Mir fällt immer auf, welch starke Kritik Sportler auf sich ziehen, wenn sie riskante Unternehmungen durchführen. Da wird das Geld moniert, das man besser für soziale Zwecke einsetzen könnte. Da wird pure Eitelkeit als Triebfeder diagnostiziert. Es wird festgestellt, dass man das ja selbst "nicht braucht" usw. Da stellt sich dann die Frage, ob der Risikosportler nicht ein Angriff auf das eigene Selbstbild darstellt:
"Der Risikovermeider als idealtypischer Menschentypus weicht risikoreichen Situation demgegenüber aus. Seiner Angst des Verlassen-werdens entgegnet er mit Anhänglichkeit und Nähe. Er klammert sich an Objekte und Menschen, von denen er sich Schutz und Geborgenheit verspricht, um so die traumatische Trennung von Mutter und Kind zu überwinden. Risikosport entspricht somit nicht der Handlungslogik des Risikovermeiders. So gesehen,
verfügt der Risikosuchende über ein größeres Maß an Ich-Stärke und Handlungsfähigkeit als der Risikomeidende."
So, jetzt bin ich einiges los geworden, und weil ich so in Zitierlaune bin, zum Abschluss noch was vom Bertrand Russel (Mathematiker
):
"Das größte Risiko auf Erden laufen die Menschen, die nie das kleinste Risiko eingehen wollen."
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