Wie ich überhaupt dazu gekommen bin und was "de Bossche 100" ist:
Irgendwann im Sommer letzten Jahres stolperte ich über die Webseite www.bossche.nl und war fasziniert von den Bildern der vergangenen Jahre und auch von den Berichten der Teilnehmer, soweit ich sie einigermaßen interpretieren konnte – ich kann leider kein Wort holländisch. Schnell erkannte ich, dass „Bossche 100“ für landschaftlich schön ausgewählte Strecken auf unbefestigten Wegen steht. Außerdem kann man anhand der Ausfallquoten (nur 3 von 108 in 2007) den ausgezeichneten Trainingszustand der Teilnehmer ablesen.
Die Dutch Centurions schreiben:“Am 26. Januar werden 110 Wanderer den schwierigsten 100 bzw. 110 km Marsch in den Niederlanden versuchen. Von Den Bosch aus werden sie unter extremen Bedingungen durch Wälder, Sümpfe und über Sanddünen wandern, um ihre Belohnung zu erhalten – eine “Bossche Bol”.
Bei dieser 100/110km – Veranstaltung gibt es eine Geschwindigkeitsvorgabe von 6-8km/h, d.h. wer die Untergrenze nicht erfüllen kann, muss unterwegs die Tour beenden. Wer zu schnell dran ist, muss warten, bis er an den Posten seine Verpflegung erhält. Die Veranstaltung ist liebevoll organisiert und es macht Freude, zu erleben, mit wie viel Begeisterung die Helfer sich um die Teilnehmer kümmern.
Man kann ein Gepäckstück mit Wechselkleidung abgeben (sehr ratsam), das dann jeweils an den Rastplätzen in Cafes vom Lkw abgeladen wird und vom Teilnehmer bei Verlassen des Rasthauses wieder zum Aufladen abgegeben wird. So hat man insgesamt dreimal die Möglichkeit, sich umzukleiden bzw. sich mit eigenen Utensilien zu versorgen. Die ersten beiden Cafe-Rastplätze werden gemeinschaftlich verlassen. Damit die Pause dort nicht zu lange wird, hat man die Gelegenheit, dort jeweils eine Extra-Runde über ca. 3 km zurückzulegen und kommt dann insgesamt auf 110 km zurückgelegte Strecke. Die Wegbeschreibung dieser Extrarunden wird in den Cafes auf einem Handzettel mit Anweisungen in holländischer Sprache ausgehändigt. Es ist durchaus sinnvoll, sich einer Person oder Gruppe anzuschließen, die mit dieser Anweisung zurecht kommt – ich hatte keine Chance, den 100% richtigen Weg zu finden.
So war es dann:
Der Wetterbericht verhieß nichts Gutes und die Regenwahrscheinlichkeit in der Gegend von ‚s-Hertogenbosch bewegte sich für Freitag, den 26. Januar 2007 um die 90% und für Samstag um die 50%. Temperaturen um den Gefrierpunkt waren für die Nacht angesagt und 5-7°C waren tagsüber zu erwarten.
Ich fuhr mit der Lokalbahn eine Station von meinem Quartier zum Zentral-Bahnhof, von wo aus Teilnehmer um ca. 20:00 Uhr abgeholt werden sollten, die mit dem Zug angereist waren. Am Treffpunkt beim Hinterausgang standen bereits eine äußerst nette und lustige Engländerin mit ihrem Mann und ein Holländer, die ich sofort als Teilnehmer an den Bossche 100 ausmachen konnte. Der Holländer bot sich schnell als „Führer“ für die drei Zusatzrunden bei den Cafe-Rasten an. Ich nahm dieses Angebot dankend an.
Der Abholdienst brachte uns zum Vereinsgebäude des Fußballvereins CHC Orka, wo wir unsere Startunterlagen ausgehändigt bekamen. Wer noch nicht umgekleidet war, zog sich noch um und schließlich wurde der Lkw mit den Gepäckstücken beladen. Der Startzeitpunkt rückte schnell näher. Die Veranstalterin gab, auf der Ladefläche des Lastwagens stehend, noch schnell letzte Instruktion bekannt und schickte die Meute auf die lange Strecke – los ging’s!
Vorne ging die Post ab, als ob eben mal nur schnelle 5 Kilometer zu wandern wären. Ich war schon durchaus etwas beeindruckt! Ich versuchte, meinen holländischen Mitstreiter nicht aus den Augen zu verlieren, denn die ganze Wandergruppe begab sich im Eiltempo zügigen Schrittes an der Zitadelle vorbei entlang eines Kanals zum Rand des Städtchens 's-Hertogenbosch, wo es dann endgültig ab ins Gelände ging.
Ein gedrungener Wanderer stolperte und fiel knapp vor mir längs hin. Er rappelte sich schnell wieder auf und nahm zügig wieder Tritt auf. Fünf Minuten später, auf dem seifigen, schlammigen Deich stürzte derselbe Wandere wieder flach auf den Boden, nur nun direkt in den Schlamm – Mitleid kam auf, und die Hoffnung, selbst von einem Sturz verschont zu bleiben. Bereits hier hatte ich meinen holländischen „Mitstreiter“ aus dein Augen verloren. Ich wusste nicht mal, ob er vor oder hinter mir war.
Die Wegbeschreibung sollte nun für die nächsten 20 Kilometer in etwa so aussehen: Schlammiger Weg auf Deichkronen, der sich nur durch die Wahl des vielleicht größeren Übels, nämlich feuchtes, vom Regen vollgesogenes Gras, umgehen ließ. Also eigentlich gab es nur die Parole: Augen zu und durch!
Irgendwie musste ich da auch mal die Augen wirklich zu gehabt haben, denn plötzlich erhielt ich einen schmerzhaften Schlag an der Innenseite meines Knies. Ich hatte wohl einen Pfosten übersehen oder was immer das war. Einen Zentimeter daneben und er hätte mir wahrscheinlich die Kniescheibe ausgehebelt. Glück im Unglück dachte ich und weiter gings im Sauseschritt. Meistens blieb die Stirnlampe aus. Der halbe Mond leuchtete meistens durch die Bewölkung und spendete genügend Licht, um zumindest Pfützen erkennen zu können. Hin und wieder blitzte eine Lampe auf, wenn es darum ging, den richtigen Weg zu finden.
Nun hatte ich auch zu der Engländerin, die ich am Bahnhof kennen gelernt hatte, aufgeschlossen. Ich fragte sie, ob sie denn die 110 km gehen würde, worauf sie aber meinte, 100 km würden ihr heute genügen.
Ca. alle 8 km gab es dann auch kleine, mobile Verpflegungsstationen, an denen warme Getränke und leckere Häppchen angeboten wurden. Die Helfer waren durchwegs bestens gelaunt und es herrschte dort immer eine ausgelassene Stimmung. Der Tee und Kaffee waren heiß und so war dann auch gleich für warme Hände nach der kurzen Rast gesorgt. Das Tempo wurde sofort wieder aufgenommen und so wurde auch bald die erste Caferast in Haaren erreicht.
Dort wurde man dann von einem Helfer des Orga-Teams gefragt, ob man eine Extra-Runde gehen wolle. Ich bejahte und erhielt ein Blatt mit Uhrzeit des Abmarsches und der Wegbeschreibung.
Ich wagte mich alleine in die Dunkelheit und versuchte mein Glück. Immer wieder musste ich stehen bleiben und schauen, ob mein Weg tatsächlich der richtige war. Irgendwann wurde ich mir dann unsicher und blieb einfach stehen, sah aber schon Stirnlampenlicht in naher Entfernung auf mich zukommen. Ich hängte mich einfach an diese Wanderer an und kam so auch glücklich und schnell wieder zum Cafe zurück. Unterwegs wurde die Wegbeschreibung noch an einer Kontrollstelle abgestempelt.
Trotz dieser Extrarunde hatte ich noch reichlich Zeit, um im Cafe noch etwas zu trinken und auszuruhen – für meinen Geschmack immer noch zuviel Zeit. Aber die Stimmung hier war großartig und so wurde es auch schnell 4 Uhr morgens, dem Zeitpumkt des gemeinsamen Weitermarschierens.
Ich sortierte mich nun etwas weiter vorne ein und fand dann auch zwei sportliche Wanderer, deren Tempo in etwa meinem entsprach. Ich blieb von da an eigentlich fast bis ins Ziel direkt bei den beiden Holländern. Die Wege verliefen nun nicht mehr über Deichkronen, der Schlamm war aber dennoch immer noch zuverlässiger Bestandteil der Wegestruktur.
Es dämmerte langsam. Und es war auch schon an der Zeit, die zweite Cafe-Rast in Loon op Zand anzulaufen. Die Extra-Runde hier war kein Problem, weil ich sie gemeinsam mit den beiden Holländern abspulte, von denen auch einer gut Deutsch sprach. In der Caferast wechselt ich dann meine Socken und Schuhe und auch Oberkörperbekleidung. Die Schuhe waren zu Beginn der Tour rot, diese Farbe ließ sich nun nur noch erraten. Inklusive unser bisher zurückgelegten Zusatzrunden hatten wir bis hierher ca. 67 km auf dem Buckel!
Um 9:30 Uhr war wieder gemeinschaftlicher Start. Das Tempo hatte sich seit dem Start am Vorabend nicht verringert.
Nun ging es in die Wälder! Hier hatte der Orkan der vergangenen Tage seine Spuren hinterlassen. Mal musste man über umgefallene Bäume steigen, das andere Mal unten durch kriechen. Auch schlammige Wege waren hier noch ausreichend im Angebot. Aber irgendwie störte der Schlamm nie – er gehörte einfach dazu. Wenn es mal ein paar hundert Meter über Asphalt ging, hoffte man insgeheim, dass diese Strecke bald wieder zu Ende sein möge.
Bald kam, was zu jedem "Bossche 100" dazugehört – die Dünen! Der deutschsprachige Holländer erzählte mir bereits vorher davon. Und natürlich hatte ich ja auch schon die verschiedenen Bilder von diesem Naturschutzgebiet auf www.bossche.nl gesehen. Toll, wie es sich ergeben hat, dass sich solch eine große Düne hier inmitten des umgebenden Grünlands aufbauen konnte. Sie ist wunderbar mit Google-Earth zu betrachten.
Anfangs waren es nur etwas vermehrt Sandwege durch Kiefernwälder und kleinere Hügel, dann ging es wieder kurz raus aus der Düne, um dann direkt durch das Zentrum zu wandern. Es war einfach toll, nach 80 zurück gelgten Kilometern nun bergauf und bergab durch schweren, nassen Sand zu stapfen und sich trotzdem noch so sehr über die Einzigartigkeit dieser Landschaft erfreuen zu können. Es ging rauf und runter, rechts und links und wir Wanderer waren immer alleine, bis auf zwei Reiter, die mit ihren Pferden die Dünen durchquerten. Wir waren immer noch gleichbleibend schnell unterwegs und mussten leider auch wieder irgendwann die Dünen verlassen und gelangten zur dritten Caferast.
Bei der Extrarunde habe ich mich dann trotz holländischer Begleitung verlaufen. Wir hatten eine Wegabzweigung verpasst. Gottseidank stießen wir auf den Mann mit dem Kontroll-Stempel, der uns dann wieder auf den richtigen Weg brachte. Nun lagen schon über 90 Kilometer hinter uns und langsam witterten wir Stallgeruch.
Die dritte Caferast wurde nicht mehr gemeinschaftlich verlassen sondern individuell. Wir machten uns bald wieder auf den Weg und folgten den weiterhin landschaftlich sehr schönen und reizvollen Pfaden über die verbleibenden zwei Wagenrasten nach 's-Hertogenbosch. Kurz vor dem Städtchen ging es entlang einer Strecke mit herrlichem Blick auf das Sumpfgebiet, von dem der Ort teilweise umgeben ist. Die Stadt galt im Mittelalter deswegen auch als uneinnehmbar. Über eine lange ehemalige Eisenbahnbrücke, die nun Fußgängern gewidmet ist, wanderte man dann direkt über den Sumpf zurück zur Stadt und um 15:45 Uhr war die Heimat – das Stadion – wieder erreicht.
Im Organisationsbüro erhielt ich dann meine Urkunde über die zurückgelegten 110 Kilometer und eine „Bossche Bol“, eine köstliche Spezialität von Den Bosch. Nach dem Duschen traf auch schon die Engländerin ein, die mir dann noch recht herzlich gratulierte. Ihr Mann hatte unterwegs bei den Verpflegungsständen mitgeholfen.
Resumée:
Der Bossche 100 ist eine traumhafte, unvergleichliche Veranstaltung, die offensichtlich durchwegs von sportlich sehr engagierten Wanderern frequentiert wird und, so wie es aussieht, in Holland schon lange kein Geheimtipp mehr ist. Die Anmeldung war am 1. November eröffnet und bereits eine gute Woche später war das Limit von 110 Teilnehmern erreicht. Ich hatte als Teilnehmer „100“ großes Glück, dass ich noch dabei war.
Beim 21e Bossche 100 möchte ich wieder dabei sein !!!
Ich habe während der Veranstaltung Fotos gemacht, die man sich hier anschauen kann.
Weitere Fotos, Berichte (in holländisch) gibt es auf www.bossche.nlzu finden.
20e Bossche 100/110 - ein holländischer Traum ...
1Schöne weißblaue Grüße ...
Kurt
Wenn Du ein Ziel nicht erreichst, solltest Du überprüfen, ob Wille und Vorstellung nicht gegeneinander arbeiten.
(Emil Coué)
http://www.laufsport-liga.de/web/profil.html?u=8597
Kurt
Wenn Du ein Ziel nicht erreichst, solltest Du überprüfen, ob Wille und Vorstellung nicht gegeneinander arbeiten.
(Emil Coué)
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