Was hatte ich da bloß versprochen : „Natürlich fahr ich Euch zum Flughafen nach Berlin, kein Problem.“ Der Berliner Halbmarathon ist ja erst eine Woche später. Mach ich doch gern. Das war im Februar.
Weder ahnte ich, um welche Zeit meine Freunde einchecken mussten, noch dachte ich an die Zeitumstellung. So kam es dann richtig dicke: 5:00 Uhr einchecken, das hieß 3:00 Uhr losfahren und da es ja wegen der Zeitumstellung um 2:00 Uhr bereits 3:00 Uhr ist… hieß das um 1:30 Uhr raus aus den Federn. Oh je, da muß ich dann wohl durch.
Mitten in der Nacht also aus friedlichen Träumen gerissen, erlebte ich den Zeitsprung live und in schwarz-weiß bei wundervollem Sternenhimmel. Heute war alles unterwegs. Rehe, Hasen, sogar ein junger Rehbock. Irgendwie so wirklich unwirklich, diese Nacht. Pünktlich und problemlos kamen wir am Flughafen an, „Schönen Urlaub“ „Danke für´s Fahren“ und ich war bereits auf dem Rückweg, als mich 20 km vor dem heimischen Hoftor plötzlich am Straßenrand etwas mit großen Augen anschaute. Ich hielt an und beobachtete ihn fasziniert: Da stand er vor mir, leibhaftig, stolz, groß und verwundert: ein Hirsch. Noch nie hatte ich so ein Tier in freier Wildbahn gesehen. Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden… es war beeindruckend. Als er irgendwann im Wald verschwand, fuhr ich langsam wieder an und irgend etwas war geschehen …
Zu Hause angekommen schnell wieder ins Bettchen, zwei Stunden würde ich noch schlafen können, bevor ich raus müsste zum zweiten Lauf im Rahmen der Stadtmeisterschaft. Der Lauf war mir wichtig, ein Zehner, sollte er doch nach den vielen langsamen Winterkilometern der Standortbestimmung dienen.
Als der Wecker klingelt, bin ich irgendwie durch den Wind. Was war Traum, was war Wirklichkeit. Hab ich geschlafen? War ich in Berlin? Habe ich einen Hirsch getroffen? Welch eine Nacht, die da hinter mir lag …
Wenngleich die Bedingungen nicht optimal sind, werde ich heute doch aus vollem Training herauslaufen. Das Intervalltraining am Mittwoch war eher ernüchternd, zu sehr hatte ich wohl noch den 32er vom Samstag und den 6er vom Sonntag in den Beinen. Freitag morgen dann 18 km durch den Schnee zur Arbeit und gestern ein 28er. Was soll`s, keine Zeit zum zuviel Tapern im Marathontraining. Die Zerrung, die mich seit letztem Wochenende plagt, habe ich Dank des Rates von Frau Dr. Schnitte ganz gut in den Griff bekommen.
So stehe ich also heute morgen bei 13°C, herrlichem Sonnenschein und Vogelgezwitscher zwar müde, aber gut gelaunt am Start. Ich habe noch eine Rechnung offen, mit einer gewissen 45er Zeit, an der ich mir im Vorjahr die Zähne ausgebissen hab. Genau bei diesem Lauf vor einem Jahr hab ich sie mit 45:58 das erste Mal gesehen und war überglücklich. Da wusste ich noch nicht, dass ich sie das ganze Jahr nicht mehr los werde. Zuletzt hat sie sich mit 45:01 im Oktober in den Winterschlaf verabschiedet. Heute muß sie einfach fallen, ich mag sie nicht mehr sehen.
Ein Gefühl zwischen Selbstzweifeln, Hoffnung und Bissigkeit mach sich breit und mir ist schlecht. Ein gutes Zeichen.
Als der Startschuß fällt, sind alle Zweifel verschwunden. Schnell finde ich meine Pace, die ich zwar angestrengt aber doch konstant halten kann. Die 5 km habe ich nach 22:01 im Sack, nun muß ich nur das Tempo halten. Wird nicht leicht, aber es ist ja auch kein Spaßlauf. Auf den letzten Kilometern überhole ich noch einige „Einbrecher“, irgendwie verleiht das immer Flügel. Die Ziellinie überquere ich dann überglücklich bei 44:08 . Das sind 53 sec schneller, als meine PB aus Oktober, die 45 ist geknackt, danke, lieber Hirsch!
Mit fettem Grinsen fahre ich nach Hause, etwas durcheinander immer noch, war ich heut Nacht auf Zeitreise, stand da wirklich ein Hirsch, bin ich eine 44:08 gelaufen… So richtig glauben kann ich`s immer noch nicht, aber das Grinsen im Gesicht, das ist echt, es ist sogar immer noch da.
Na ja, ich glaube, liebes Zweitausendundsieben: ich wäre dann so weit!!!
Anm. d. Red.: lt. Garmin war der letzte Kilometer nur 960m lang, eine Differenz, die ich bereits auf den ersten Kilometern bemerkte. Deshalb ist es möglich, dass meine tatsächliche PB bei 44:20 liegt, aber selbst das wäre fantastisch. Ich wollt`s nur nicht unerwähnt lassen. Ist ja wichtig für die nächsten Ziele.
Einen schönen Frühling 2007!
Im Zeitsprung zwischen Traum und Wirklichkeit oder Der Hirsch am Straßenrand
1☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.