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Wien Staffel Marathon - ein Fegefeuer

Wien Staffel Marathon - ein Fegefeuer

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So sollte man es auf keinen Fall machen, so viel steht fest. Nicht, dass ich es nicht gewusst hatte: Als ich am Tag vor dem Staffellauf am Wien-Marathon auf das Konzert ging, war schon klar: Das wird spät. Als ich mal um 2.00 auf die Uhr sah und mich sagen hörte „eh noch früh, ich bin erst um 12.00 dran“, wusste ich, es war schon da zu spät. Als ich aber nach langem wieder auf die Uhr sah und es war 7.00, da wusste ich: FEHLER!!! GANZ! GROSSER! FEHLER! Der Anblick der vielen, vielen Läufer in der U-Bahn macht es nicht besser. Meine Fahne reicht meterweit, mein Husten zeugt von eineinhalb Packungen Zigaretten in den letzten zwölf Stunden, meine Füße haben Blasen vom Tanzen in Plateau-Sandalen. Ich torkle also barfuß herum, und wenn ich nur halb so fertig aussehe wie der Rest... nur keine Spiegel jetzt.

Das logistische Problem (hoffnungslose Verspätung, keine Zeit zum Nachhausefahren) lösen dann Freunde: Holen meine Tochter ab, bringen mir die Laufsachen und Startnummer mit. Ich verpasse sowohl Start als auch Zieleinlauf des Kidsrun. Bin schlechte Mutter. Freunde trösten und finden das nicht. Den zunehmenden Dunst im Schädel, den konnten sie nicht lösen. Den löste auch nicht die folgende quer-durch-die-Stadt-Fahrerei: Zum ersten Übergabepunkt (jubeln), quer durch die Stadt zurück zu meinem Übergabepunkt. Seitenstechen vom zehn-minütigen Spazierweg von der U-Bahn zum Prater. Rumwarten. Sanitätsdienst um Aspirin anhauen. Warten. Endlose Schlangen vor Dixie-Klos überstehen. Warten. Schwummriges Gefühl im Magen mit einem Red Bull bekämpfen (hat genützt). Warten. Die gesprungene Schallplatte verfluchen – oder wer auch immer hier Musik macht – der zum 100. Mal die gleiche Klassikscheibe laufen lässt. Warten. Ich stehe bei km 30.9, und dreieinhalb Stunden nach Start des Marathons warte ich IMMER noch. Gut, unser Team heißt Rennschnecken – aber dreieinhalb Stunden? Nein - drei fünfunddreißig? Neben mir eine Deutsche, die dasselbe Problem hat: Wo bleiben die nur? Warum haben wir bloß keine Handys mit? Und was ist wenn alle weg sind bis unsere Vorläuferinnen da sind, wie finden wir dann den Weg?

Aber da ist schon meine, ein schnelles Küsschen, ich trabe langsam los, es geht – kein Seitenstechen, und mein Magen wirkt auch nicht, als wollte er sich gleich umdrehen. Wir stehen bei 3 Stunden 40 ab Start des Marathons und es fehlen 11,295 Kilometer zum Ziel. Auf der Strecke ein paar federnde frische Staffelläufer, sehr wenige Genuss-Marathonis die einfach langsam laufen, und eine erschreckende Masse von Zombies, die sich Schritt für Schritt durch die Prater Hauptallee quälen. Auf der Gegenfahrbahn kann man dem Elend ins Gesicht sehen, und ich beschließe, nie im Leben einen Marathon zu laufen. Oder zumindest nicht, wenn ich weiß dass ich dafür mehr als vier Stunden brauche. Mein Magen rebelliert ein bisschen, mir ist ziemlich übel, bei der Wasserstation schütte ich mir einen Becher Wasser ins Gesicht – etwas besser.

Nach vier Kilometern geht es aus dem Prater raus, mehr als ein Drittel ist geschafft, und ich beschließe, mein Tempo zu laufen – wird schon gehen. Ich werde schneller, mein Kreislauf läuft, die Beine auch, aber die Lunge rasselt. Ich verfluche einzeln, jede für sich, die 30 Zigaretten die ich gestern geraucht habe. Das unterhält mich bis zum Donaukanal. Dort kommen nun zwei Übel auf einmal: Die Sonne aus den Wolken (und ich verkatert ohne Sonnenbrille!) und Radio Wien aus den Boxen. Dort spielen sie das „Marathon-Special“, das gerade im Radio läuft, in dem eine nicht näher genannte Promi-Tussi hinausposaunt sie würde nie – aber auch NIE! – laufen, was für ein doofer Sport! Wie könne man nur laufen! Der Moderator pflichtet eifrig bei, und ich denk mir: Danke auch, liebes Radio. Das war nett von euch, so richtig motivierend! Gut, dass gleich eine Samba-Band kommt, die lenkt mich ab. Dann aber die nächste Radio-Wien-Box: Dort wird „Gehen“ zur sinnlosesten Sportart der Welt erklärt (gleich nach Laufen, klar). Gut, dass die Strecke am Kanal geschafft ist, es geht ab über eine Brücke in den dritten Bezirk.

Kleiner Anstieg, meine Beine halten gut, ich lauf noch mal ein bisschen schneller. Der rasende Kopfschmerz in meiner linken Hirnhälfte wird langsam besser, die Übelkeit lässt ein bisschen nach. Das hier ist ein Fegefeuer, in dem ich jedes Glas büße, das ich gestern getrunken habe. Ich atme aktiv Restalkohol aus: Das Bier, der Weißwein, die Bowle, das zweite Bier, den Mojito, den Champagner, das dritte Bier, den Rotwein, den Weißwein... igitt. Bein Aufzählen wird mir wieder leicht übel, aber ich kann förmlich Rest-Alkoholschwaden sehen, die meinen Körper verlassen. Sehr reinigend. Ich schwitze, die Sonne brennt, ich schütte mir wieder einen Becher Wasser ins Gesicht. MeinT-Shirt wird zur Sauna (es ist schwarz und aus Baumwolle mit Spaßaufschrift – von wegen der Staffel.)

Ui, schon die Urania, das ging ja flotter als gedacht. Ich hab den Chip falsch befestig und schön langsam drückt er mir ein Loch in den Fuß, aber ich bin zu faul zum Stehenbleiben. Das Feld der 4:30-45-Läufer wittert das Ziel und mobilisiert letzte Reserven, oder geht einfach weiter. Nee, nee, nee, bin ich froh dass ich nur 11,3 km hab...

Ringstraße, jetzt ist es nicht mehr weit, ich zieh das Tempo auch noch mal an und bin beim Schwarzenbergplatz sicher, dass ich gleich einfach aufhören werde. Bei der Oper sollen meine Staffelkolleginnen warten, die sollen mich dann ziehen, so weit schaff ich’s noch. Es geht irgendwie fies aufwärts, so dass man es gar nicht sieht, aber spürt. Ich lauf noch mal ein bisschen schneller (zumindest fühlt es sich so an, in der Zeitwertung sieht man davon nichts) und zieh an der Oper vorbei – massenweise Publikum, naber ix Staffelkolleginnen. Also einfach selbst kämpfen, aber da ist der tote Punkt schon vorbei und es sind ja nicht mal mehr 1000 Meter, und die voller jubelnder Menschen, selbst jetzt noch – was für ein treues Publikum! Also anziehen, durchs Heldentor, noch wen überholen und noch wen, die schaff ich auch noch, Mist: da steht 4:40 – das heißt ich hab nur ganz knapp die Stunde verpasst! Noch mal anziehen auf den letzten Meter - und aus.

Danach steh ich etwas verloren im Zielraum um, der Atem ist nach einer Minute wieder da, die Medaillen baumeln in meiner Hand, und mein Kater ist verschwunden. Radikalkur, aber wirksam. Hm. Wo ist nun das erhebende Gefühl? Wo sind die anderen? Ich will in Armen liegen und gratulieren und gratuliert werden, aber hier kann man nur massiert werden oder Goodie-Packs abholen. Ich schnorr mir bei zwei rauchenden Voll-Marathonis eine Zigarette (so viel zu Vorsätzen. Aber wenn die das tun, diese Übermega-Sportskanonen...). Meine Uhr meldet eine Stunde eins, das wär ein Schnitt von 5:24, und das ist nach sechs Wochen laufen schließlich mehr als ok. Endorphine oder so kommen trotzdem nicht zu mir, eher ein nagender Grant dass ich am Anfang getrödelt habe und dass meine Kolleginnen immer noch nicht da sind. Ich schnorr mir noch eine Zigarette und bekomme ein Glas Sekt von den Bayern nebenan – und da plötzlich: Ich bin glücklich! Ich bin Teil von dem Wahnsinn da, den ich vor einem Jahr noch kopfschütteln belächelt habe! Wenn mir das wer vor sechs Wochen gesagt hätte – ich hätte ihm den Vogel gezeigt. Ich und eine Stunde laufen? Aber jetzt: Ja! Kann ich! Und da krieg ich Kilometer rein, in die Stunde!

So, das war’s – mein erster richtiger Lauf. Ich habe einiges schmerzvoll in der Praxis gelernt, das ich theoretisch vorher schon wusste: Zigaretten in großen Mengen in der Nacht davor tun weh. Alkohol sollte abgebaut sein bevor man losläuft. Und schlafen ist auch nicht schlecht. Nächstes Mal, ich schwöre, bin ich fit, ausgeruht und gesund. Für dieses Mal war’s eben ein Scheiß-drauf-Lauf – und als solcher auch sehr lustig. Und jetzt bestell ich mir eine groooooße Pizza, und dann geh ich endlich schlafen.
Grüße von lila :zwinker2:
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.

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Hey, das ist ja - abgesehen von den bösen, bösen Zigaretten im Zielbereich :motz: - ein richtig kurzweiliger und humorig geschriebener Bericht! Hat wirklich Spaß gemacht, den zu lesen.

Und Gratulation zur erbrachten Laufleistung nach so kurzer Zeit mit so viel Restalkohol und Nikotin in den Lungen! Haste gut gemacht, wirklich! :daumen:

So, und nun hören wir endlich mit der Sch...qualmerei auf :prof: und dann legste erst richtig los! :wink:

Grüße und Glückwunsch
Uschi

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Das ist ja lustig zu lesen :zwinker4: Sehr witzig und ganz schön flott. Flott sowieso, und dazu noch so kurz überhaupt erst beim Laufen dabei, wenn ich das richtig verstanden habe und dann nach SO einer Nacht. :zwinker2:
Mik

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Hallo Lilalila!

Ja, ja. Deshalb fehlt frau dann eben in der honorigen Runde beim Italiener, weil sie lieber tanzenderweise einen Draufmacht :hihi: .

Aber: Tolle Zeit, tolle Leistung und ein lustiger Bericht, der echt Spaß gemacht hat.

Liebe Grüße (und gute Erholung)

Wolfgang

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Hallo Wolfgang - hab mich schon unten im anderen Thread entschuldigt, ich hatte mir das Restaurant nicht gemerkt, und der Server hier war down... sonst wär ich gekommen! Das andere ging ja erst um 22.00 los, was Teil des Dramas war... Dir allerherzlichste Gratulation!!

Und Uchi und Mik - danke für die Glückwünsche :-) ich glaub ich rauch noch ein bisschen weiter. Wenn ich mal Ehrgeiz entwickel geb ichs ja vielleicht mal fürs Laufen auf.
Grüße von lila :zwinker2:
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.

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hallo lilalila!

super bericht *immernochgrins*, und v.a. für die voraussetzungen : tolle leistung!!!

aber so soll das scheinbar sein: da quält man sich herum, und im ziel weiß man zumindest, was man beim nächstenmal anders machen will*G*

:daumen:

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Rauchen, saufen,
Staffel laufen....

so einfach ist das....

Klasse Bericht - klasse Leistung mit den Voraussetzungen

Gruss Sigi

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Hallo Lilalila,
auch von mir einen herzlichen Glückwunsch zum schönen Bericht und zum Lauf. Du machst ja weiter tolle Fortschritte. Weiter so. Nur das mit dem Rauchen solltest du dir doch noch mal genau überlegen.... :teufel:
Stefan

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Netter Bericht und lustig zu lesen. Schade, dass es beim Italiener nicht geklappt hat.
Grüße von Zombie Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Danke an alle für die Glückwünsche, etwas unverdient ob der unvernunft, aber danke...

Nächstes Mal komm ich zum Fori-Nudel-Essen, dann setzt ihr mich in ein Taxi, und ich muss dann beim laufen nicht so leiden :-)
lila
Grüße von lila :zwinker2:
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.

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lilalila hat geschrieben:So sollte man es auf keinen Fall machen, so viel steht fest.
Wenn man auf jeden Fall verhindern will, den Start zu verschlafen, muss man es wahrscheinlich genau so machen!

Glückwunsch zum amüsanten Bericht und zur - unter Berücksichtigung aller äusseren Umstände - sehr respektablen Leistung,
endorphin

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Wahnsinn! Vor kurzem erst begonnen, dann die Nacht, der Alkohol, die Zigaretten - und dann der Lauf. Was mußt Du noch für Potential haben! Glückwunsch! :daumen:
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Hallo Lila,

netter Laufbericht... Schade, dass Du nicht beim Italiener dabei warst...

LG Bernhard
Benutzerbild aufgenommen beim Rotterdam Marathon 2012
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Danke, danke, danke...
und NIE WIEDER werd ich ein fori-treffen versäumen! nächstes mal bin ich ganz sicher dabei.
Grüße von lila :zwinker2:
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.

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:D

soso - eine echte sportskanone *s* aber scheinbar mit erfolgreicher vorbereitung. ob ich das vor meinem näxten hm auch probiere? :teufel:

gute zeit übrigens, gratuliere.
Gesperrt

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