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Wien 2007 – laufen, schauen, staunen

Wien 2007 – laufen, schauen, staunen

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Um ehrlich zu sein – eigentlich war mir Wien fremd. Die gediegene, fast aristokratische Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts, Walzerseeligkeit und Wiener Schmäh entsprechen nicht unbedingt meinem Lebensgefühl. Doch es gibt gute Gründe, die mich in den letzten Jahren immer wieder nach Wien getrieben haben und mich der Stadt näher brachten. Letztes Jahr lief ich kurz entschlossen beim LCC – Herbstmarathon eine für mich sagenhafte Bestzeit beim Halbmarathon und hatte dort Wolfgang und seine Frau Gudrun kennen gelernt, auch das verbindet.
Dieses Frühjahr sollte es nun der Vienna-City-Marathon werden. Ich war gut vorbereitet und hatte die Hoffnung nach einer PB von 4:12 unter 4 h zu kommen.

Am Vortag trafen wir Wolfgang und Gudrun schon auf der Kaiserschmarrnparty, die stilecht im Festsaal des beeindruckenden Wiener Rathauses stattfand. Auf dem kleinen Foritreffen, das Wolfgang bei einem Italiener in der Nähe des Stephansdoms organisiert hatte, lernte ich Bernie 78 kennen. Die Laufgeschichten machten Lust auf den folgenden Tag.

Bernie hatte für den Lauftag etwas von 20° gehört, doch früh um 8:00 Uhr traf man die Läufer schon in kurzen Hosen in der U-Bahn. Es schien warm zu werden. Der Start lag jenseits der Donau zu Füßen der gigantischen Hochhäuser der Uno-City, dem Teil Wiens, den ich bisher nur aus der Ferne kannte. Hier zeigte sich schon die Top-Organisation, die den ganzen Lauf auszeichnen sollte. Wir wurden beschallt mit klassischer Musik, der österreichischen Nationalhymne und dem Donauwalzer, der Himmel war blau, es passte einfach alles zusammen.

Nach dem Startschuss überquert man sofort die Reichsbrücke (es gibt Namen, die gehen wohl nur noch in Österreich). Vor sich sah man den Stephansdom über die Dächer der Innenstadt schauen. Sah man rechts die Donau hinauf, konnte man den Kahlenberg im Wienerwald entdecken, wo 1683 der polnische König, die türkischen Belagerer Wiens besiegte, womit der Niedergang der Türkenherrschaft in Europa eingeläutet war.

Dann ging es am Riesenrad vorbei in den Prater, der nicht nur Rummel sondern zuerst ein riesiger Landschaftspark mit Alleen und gerade blühenden Kastanien ist. Die 4,5 km lange Hauptallee wird zuerst nur bis zu Hälfte gelaufen, dann biegt der Lauf ab und führt etwa bei Kilometer 5 an den von einem Grünstreifen gesäumten Donaukanal. Ich lief mit einem Freund zusammen einen ziemlich exakten Schnitt von 5:30 min/km und die Strecke flog vorbei. Bald kamen wir auf den Ring, der von historistischen Gebäuden des 19.Jahrhunderts gesäumt, als eine der Hauptattraktionen Wiens gilt. Hier stand nicht nur das Kilometerschild 11 sondern auch 40, was zur leisen Frage führte, wie es uns dann gehen wird. An der Staatsoper verließen wir den Ring, rechter Hand tauchte das Ausstellungshaus der Wiener Secession auf, eines der beeindruckensten Jugendstilgebäude mit seiner Krautkopf (Krauthappel) genannten goldfarbenen Blätterwerkkuppel. Nach diesem Hingucker begann ein eher ödes Stück des Laufes ca. 5 km die Linke Wienzeile entlang Richtung Schönbrunn. Nachdem wir bisher vor allem beschattete Alleen als Laufstrecke hatten, knallte uns die Sonne an dieser Ausfallstraße brennend aufs Haupt. Wir sahen einzelne Läufer am Rand liegen und befürchteten eine Hitzeschlacht. Doch wir konnten auf diesen schweren Kilometern, die auch leicht bergan gingen, das Tempo gut halten. Schloss Schönbrunn sahen wir leider nur einen kurzen Moment, dann knickte die Laufstrecke ab Richtung Stadt zurück. Hier war auch der Wechsel der Marathonstaffel. Der folgende Staffelabschnitt war nur 5 km lang, so dass plötzlich eher etwas unförmigere und langsame Läufer den Weg versperrten und Überholmanöver notwendig machten.

Der Lauf führte durch die Mariahilfer Straße, eine der Haupteinkaufstraßen Wiens, zurück zum Ring, wo die Halbmarathonis ihr Ziel erreicht hatten. Für uns ging es den Ring weiter, wo unser persönliches Betreuerteam uns jubelnd und fotografierend für die zweite Hälfte motivierte. Inzwischen waren Wolken aufgezogen und es hatte sich merklich abgekühlt, der nächste Becher Wasser, den ich über den Kopf goss war schon eher unangenehm. Bei Kilometer 24 erreichten wir wieder den Donaukanal, dem wir nun 5 km folgten. Ich ließ nun meinen Lauffreund, der eigentlich den Marathon eine halbe Stunde schneller als ich laufen kann, zurück. Nach seinen langen verletzungsbedingten Pausen, wollte er etwas Tempo raus nehmen.

Ab Kilometer 27 begann eine ca. 12 Kilometer lange Pendelstrecke. Für mich war es eine willkommene Abwechslung, konnte ich doch erst die vorderen Läufer beobachten und dann nach Bekannten Ausschau halten. So entdeckte ich im Prater auch Elcorredor Wolfgang. Nur Bernie hielt sich versteckt. Am Ernst-Happel-Stadion vorbei, wo 2008 das Finale der Fußball WM- ach nein EM- stattfinden wird, ging es die Praterhauptallee von dem Punkt aus weiter, wo wir bei km 5 abgebogen waren. Nach der Umrundung des Lusthauses am Ende der Allee war ich bei km 33 nun auf dem Rückweg. Langsam wurde das Laufen schwerer und es begannen Kopfrechnungen der Art: Wenn ich den nächsten Kilometer noch in 5:30 laufe, kann ich die restlichen Kilometer in der Zeit x laufen und bleibe noch unter 4 h. Wieder am Donaukanal berichtete Radio Wien aus den großen Lautsprechern über den Marathon – interessant zu hören. Bald war auch wieder der Ring erreicht und der 2 Stunden vorher gesehene Kilometer 40 tauchte wieder auf. Offenbachs Cancan belebte die müden Muskeln, rechts tauchte die Staatsoper auf und dann bog auch die Laufstrecke nach links ab zum Heldenplatz – was könnte ein passender Name für das Ziel sein?
Die Uhr war für mich bei 3:52:55 stehen geblieben – ich war glücklich.


1. HM 1:55:53
2. HM 1:57:03

5 km 27:55
10 km 27:21
15 km 26:51
20 km 28:05
25 km 26:30
30 km 26:47
35 km 27:15
40 km 29:21
Neue Laufabenteuer im Blog

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Tolle Zeit! Wahnsinn, wie ihr das alle schafft...

Und schön, dass es dir in Wien gefallen hat - so beschrieben sieht man die eigene Stadt mit ganz anderen Augen. Ein schöner Bericht, klingt so... mühelos!

lg lila
Grüße von lila :zwinker2:
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.

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19joerg61 hat geschrieben: Ich war gut vorbereitet und hatte die Hoffnung nach einer PB von 4:12 unter 4 h zu kommen........
..... ab zum Heldenplatz – was könnte ein passender Name für das Ziel sein?
Die Uhr war für mich bei 3:52:55 stehen geblieben – ich war glücklich.
Wow,

da hast Du aber ordentlich was draufgepackt! :daumen:

Herzlichen Glückwunsch!

Grüße,

Roland

[
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19joerg61 hat geschrieben:... Am Ernst-Happel-Stadion vorbei, wo 2008 das Finale der Fußball WM stattfinden wird, ...
lieber jörg,

vielen dank für deinen bericht, der ja gleichzeitig auch eine kleine sightseeing-tour ist. und herzlichen glückwunsch zur bestzeit, es scheint, als wäre das letzte wochenende überall gut für bestzeiten gewesen.

aber eine kleine korrektur habe ich: es ist das finale der fußball-em. wm. in österreich. das fehlte ja wohl gerade noch. :zwinker5:

beste grüße
this time, the bell

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Durch Deinen Bericht habe ich mehr von Wien kennengelernt, als die beiden Male, die ich in Wien gewesen bin (einmal mehrstündiger Aufenthalt auf einer Zugfahrt nach Budapest, und ein zweitägiger Kongress, auf dem ich nur das Hotel und den Flughafen näher betrachten konnte) - Danke für die ausführliche Stadtschilderung. Und Danke für den Laufbericht - Du bist eine Klassezeit gelaufen, und das anscheinend mühelos. Da geht sicherlich noch was. Herzlichen Glückwunsch dazu! :daumen:
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
Bild
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Interessanter Bericht. Besonders für mich als Wiener. :zwinker5: (Ich lauf zB sicher 3 mal die Woche über die Reichsbrücke – aber über den Namen hab ich mir noch nie solche Gedanken gemacht. Obwohl das sicher angebracht wäre)

Für mich war es der dritte – und vorläufig letzte – VCM. Erstens kenn ich die Sehenswürdigkeiten, zweitens ist der VCM kein Marathon für schnelle Zeiten – und was die Organisation anbelangt gibt es da schon auch einige Kritikpunkte.


Umso mehr auch eine tolle Zeit. Ich fand nämlich, dass es schon ziemlich heiß und vor allem windig war – und die einfachste Strecke ist Wien sicher nicht.

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Hallo Jörg!

Auch von mir noch einmal Gratulation zur tollen Zeit und danke für deine Story.
Jetzt ist erst mal aktive Erholung angesagt, damit wir am 19. Mai den Rennsteig bezwingen.

Liebe Grüße

Wolfgang

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Glückwunsch, Zeit und Mühelosigkeit hast du ja optimal in Einklang gebracht. So stelle ich mir Marathonlaufen vor (wenn ich dann auch irgendwann mal soweit bin). Besonders beeindruckt hat mich deine Fähigkeit, noch auf den letzten Kilometern richtig zu rechnen. Spätestens nach zwei Stunden ist es damit bei mir vorbei.

Gruß, J.R.
Es läuft ...

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Vielen Dank für den schönen Bericht - und Glückwunsch zur Superzeit! :hallo:

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Hallo Jörg,

super Bericht und nochmal Gratulation zur neuen persönlichen Bestzeit.

Hat mich sehr gefreut, Dich und Deine Familie kennengelernt zu haben und hoffentlich sehen wir uns bald wieder und laufen mal wieder wo gemeinsam. Der gemeinsame Abend beim Italiener hat uns auch viel Spaß gemacht.

Ganz liebe Grüße, auch an Tochter und Frau

von Veronika und Bernhard
Benutzerbild aufgenommen beim Rotterdam Marathon 2012
Bild

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Hallo Jörg,

danke für die schöne Stadtführung! :daumen:

Und herzlichen Glückwunsch zur kanz klaren, eindeutigen, supertollen 4 Stunden Unterbietung! Besonders eindrucksvoll, dass alles ohne größere Probleme geklappt hat. Daran muss ich noch arbeiten:-)

Liebe Grüße
Manu
Kylie

try running in my shoeshttp://kyliecat.wordpress.com/

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Hi Jörg,
Dir ist es wenigstens gelungen, eine Super-PB mit einem absoluten Laufgenuss zu kombinieren :daumen: :daumen: :daumen:

Ganz, ganz herzlichen Glückwunsch, ich freu mich, daß Du die 4 Stunden-Marke nun endlich geknackt hast. Und das auch noch mit einer scheinbaren Leichtigkeit. Perfekt! Und danke für den wirklich schönen Stadtführungs-Bericht!

Bis demnächst auf dem Rennsteig :hallo:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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19joerg61 hat geschrieben:Nach dem Startschuss überquert man sofort die Reichsbrücke (es gibt Namen, die gehen wohl nur noch in Österreich).
Wieso? Die DDR hatte 40 Jahre lang eine Deutsche Reichsbahn :prof: .

Gratulation zur PB! Und Dein Bericht ist wirklich klasse, ich finde Laufberichte gut, die Landschaft, Umgebung und Strecke beschreiben. Da kann ich mehr mit anfangen, als mit Pace und verlorenen/gewonnenen Sekündchen :nick: . Erhol Dich gut bis zum Rennsteig!
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Danke für die Blumen.
Zur scheinbaren Leichtigkeit - es war mein vierter Marathon und wirklich der, der mir am leichtesten (oder am wenigsten schwer) fiel.
Nordmann hat geschrieben:aber eine kleine korrektur habe ich: es ist das finale der fußball-em. wm. in österreich. das fehlte ja wohl gerade noch.
Das war die Euphorie, wobei ich schon gut fand, dass ich als Nichtfußballinteressierter sowas überhaupt weiß
Melrose hat geschrieben:Durch Deinen Bericht habe ich mehr von Wien kennengelernt, als die beiden Male, die ich in Wien gewesen bin
Auch ich habe vorher nie so viel und so bewußt gesehen. In Berlin habe ich mich hinterher geärgert, dass ich mich nicht genug mit dem touristischen Aspekt der Strecke beschäftigt hatte.
elcorredor hat geschrieben:Jetzt ist erst mal aktive Erholung angesagt, damit wir am 19. Mai den Rennsteig bezwingen.
Da freu ich mich jetzt auch schon richtig drauf, auch weil der 4 h Druck weg ist und ich einfach auf Genuß laufen will.
Renn-Schnecke hat geschrieben:Wieso? Die DDR hatte 40 Jahre lang eine Deutsche Reichsbahn
Wahrscheinlich weil man nicht mal die Farbe für einen neuen Namen hatte. In Wikipedia wir allerdings ein anderer Grundgenannt.
Renn-Schnecke hat geschrieben: ich finde Laufberichte gut, die Landschaft, Umgebung und Strecke beschreiben. Da kann ich mehr mit anfangen, als mit Pace und verlorenen/gewonnenen Sekündchen
Ist auch meine Devise, lieber ein paar Sekunden verlieren als einen schönen Blick verpassen (Ist auch eine schöne Ausrede, wenn man langsam ist)
Neue Laufabenteuer im Blog

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19joerg61 hat geschrieben:Ist auch meine Devise, lieber ein paar Sekunden verlieren als einen schönen Blick verpassen (Ist auch eine schöne Ausrede, wenn man langsam ist)
Ich finde, daß eine schöne Strecke sehr gut ablenkt, d.h. die Gedanken kreisen nicht ständig um Sekunden, PB und Zipperlein. Man läuft und guckt einfach, sozusagen "Extreme Sightseeing" :zwinker2: . Haste denn noch ein paar Bilderchen?
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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19joerg61 hat geschrieben: Nach dem Startschuss überquert man sofort die Reichsbrücke (es gibt Namen, die gehen wohl nur noch in Österreich).

Ursprünglich Kronprinz-Rudolf-Brücke 1919 Namensänderung in "Reichsbrücke"

Würde sagen eine "unverdächtige" Jahrszahl :zwinker5: für die Namensgebung.

Übrigens auch für mich als Wiener eine tolle Beschreibung deiner Eindrücke während des Laufes, Glückwunsch!

LG
Ernst
Gesperrt

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