Solche Extreme kommen vor, wenn sich zwei Läufer mit stark unterschiedlichem Leistungsniveau gemeinsam auf die Strecke begeben. Aber mal von Anfang an. Am Freitag hatten wir noch darüber gesprochen, wie man einen Bericht denn interessant gestaltet, damit er auch wirklich lesenswert ist. Aber auch dabei spielt wohl Erfahrung eine gewisse Rolle.
Mein Traum war eigentlich eine Zielzeit von 3:30 h und das eher realistische Ziel eine sub 3:40 h. Udo wollte nur einen „Trainingslauf“ machen, als Vorbereitung für sein Biel-Abenteuer, und bot sich an, mich bei meinem im Verhältnis harmlosen Unterfangen zu unterstützen. Die Gelegenheit von einem so erfahrenen Läufer begleitet zu werden konnte ich natürlich nicht ungenutzt lassen.
Als wir in Düsseldorf eintrafen war es mit 14 Grad noch relativ kühl und bedeckt. Gute Vorraussetzungen. Fast pünktlich um 09:00 Uhr kamen wir auch an der Brücke an und zum Glück erkannte Hadi Udo auf Anhieb. Hadi erklärte dann noch sein Tagesziel, bei dem ich schon das Gefühl hatte, dass er von einem anderen Planeten sprach. Sub 3 h! Nachdem wir 10 Minuten gewartet hatten und keiner mehr zu uns stieß sind wir in Richtung Start getrottet. A bisserl enttäuscht warn mer scho. So viele Foriteilnehmer beim Lauf und keiner kommt.
Hadi trennte sich dann von uns um sich mit seinem blauen Punkt weiter vorne zu positionieren. Eine Boxeneinteilung wie im letzten Jahr fehlte leider und so standen die Läufer dicht gedrängt und bunt gemischt. Da dachte ich, wir hätten uns schon weit genug nach vorne gedrängelt, als Udo mich auf den Ballon des 4h Pacers vor uns aufmerksam machte. Wir sind dann aber dort verblieben, da Drängeln und Quetschen am Anfang auch nicht viel bringt. Die Strecke ist schließlich auch so, dass man relativ gut überholen kann. Das Gedöns um den Start durch Joachim Löw haben wir gar nicht mitbekommen. Aber es wurde wieder brav gezählt und mit den üblichen Stockungen, dank eines völlig überflüssigen engen Startkanals ging es dann auch los. Mittlerweile schien auch die Sonne und in einer frühlingshaften Atmosphäre ging es am Rhein lang.
In der Erinnerung bleiben bei so einem langen Lauf immer nur Momentaufnahmen. Dieses Mal begann es gleich bei km 1. Ein Läufer vor uns trennte sich dezent und Bissweise von seinem Frühstück. Gewicht sparen um jeden Preis? Meine Taktik sah vor, bis zur HM Marke mit 5:20er Pace zu laufen und dann zu beschleunigen wenn es geht. Da ist Udo ein richtiger Helfer, man stellt bei ihm 5:20 ein und die läuft man dann auch. Es war faszinierend. Die 5:20 waren so knapp das, was meine Pulsbereich noch verträgt und so kamen mir etwas Bedenken, als wir so langsam aber sicher auch noch Zeit gut machten.
Ich meine es war so bei km 15 als Udo sagte, im wäre kalt. Das konnte ich nun wirklich nur äußerst schwer nachvollziehen, weil ich schon heftig unter Dampf stand. Mein Puls schwankte so um die 80%! Leider hatte Udo keine Pulsuhr an. War ja auch nur ein Trainingslauf aber ich hätte eine Kiste Bier gegeben um seinen Pulswert an dieser Stelle zu erfahren. Wenigstens hat er nicht mit den Zähnen geklappert, es hätte mich total frustriert.
Die Streckenbeschreibung spare ich mir mal. Halt mal mehr oder weniger Zuschauer, mal Trommler, mal Cheerleader oder auch eine Stereoanlage gefolgt von ruhigeren Abschnitten. Also immer Abwechselung.
Bei km 22/23 hatten wir 5 Minuten gut. Es galt also „nur“ so weiter zu laufen. Allerdings fiel meine Pulsuhr ständig aus, so dass ich nicht wusste, ob oder wie oft ich denn meinen Grenzbereich schon überschritten hatte. Etwas mulmig wurde mir dabei schon. Aber so lange es geht lässt man halt laufen. Die Ausfälle kämen durch die Oberleitung meinte Udo. Wie dann die weitere Erfahrung zeigte, lag er damit goldrichtig. Jedesmal fiel pünktlich die Uhr aus, wenn ein Fahrdraht in Sicht kam. Als wir auf die Kö zusteuerten, sehen wir auf der Gegenrichtung den Läufer mit der Nr. 10, ein Holländer wie ich später der Ergebnisliste entnahm. Wie kann man nur so laufen? Wir haben noch 17 km vor uns.
Noch geht es und auf dem Weg zur Oberkasserler Brücke meldet sich die Pulsuhr wieder. Mit knappen 90%! Und reduziere direkt das Tempo um nicht im Anstieg, der zwar eigentlich sehr schwach ist, aber dennoch nicht zu unterschätzen, die Grenze zu überschreiten. Prompt fällt der alte Wecker wieder aus. Dank Straßenbahn. Es war einfach zum Mäusemelken. Oben angekommen bin ich sicher die magische Grenze locker überschritten zu haben und ein schlechtes Gewissen überfällt mich. Auf der Brücke dieses Jahr deutlich weniger Zuschauer. Aber weiter geht’s. Wie war dieser schöne Spruch: isnichmehrweit. Theorie und Praxis.
Am Verpflegungsstand bei km 33 griff ich zur Cola, da ich merkte, dass meine Kräfte nachließen. Die ganze Zeit trank Udo nur Wasser. Auch eine Frage des Trainings. Aber wenigstens schwitzte er jetzt auch. Oben auf der Rampe zur Theodor-Heuss-Brücke sprach jemand Udo an. „Sie sehen noch so gut aus. Werden Sie es unter 3:40h schaffen?“ Udo bejahte. Ich fragte, ob ich schon so schlecht aussehe, dass ich gar nicht erst gefragt wurde. Eigentlich nicht, aber an meinem Atem würde er schon hören, dass ich am Limit laufe, meinte Udo. Kein Wunder, meine Beine waren auch schon gründlich schwer und die folgende Strecke am Rhein lang war wieder schön sonnig. Das Gel, dass mein Verpflegungstrupp mir unter der OK Brücke anbot schlug ich aus. Mein Magen fühlte sich nicht gut an und ich wusste, dass ich jetzt wirklich kämpfen müsste. Mein Puls war schon längst im Nirwana verschwunden. Eigentlich nur noch fünf Kilometer. Normalerweise eine Strecke, für die man nicht einmal Laufschuhe anzieht, aber jetzt kam sie mir wie ein Berg vor, der ständig steiler wird. Am nächsten Verpflegungsstand gehe ich ein paar Schritte und suche nach der Cola. Aber, nix da. Soll es erst wieder auf der anderen Seite geben. Zum Glück steht meine Frau mit einer Flasche verdünnter Cola an der Brückenrampe. Ab hier läuft auch mein Sohn mit. Aber ich muss schon wieder ein paar Schritte gehen. Da ist auch mit Willen nichts mehr zu machen, mein Körper bremst automatisch. Geduldig wartet Udo und will unbedingt bei mir bleiben. Das hatte ich geahnt und bin ihm dankbar, dass er nicht antreibt. Er hat halt genug Erfahrung um zu sehen ob jemand an seinem physischen Limit angekommen ist oder nur nicht in der Lage ist seine psychischen Grenzen zu verschieben. Kilian fragt auch treu ob ich nicht mehr kann. Es ist das dritte Mal, dass er mitläuft und hat das bisher noch nicht erlebt. Trotzdem geht es weiter. Nur noch drei km. Das motiviert und ich ziehe nochmals an. Die Freude währt aber nur kurz. Nach der zweiten Kö Runde muss ich wieder ein paar Schritte gehen. Nochmals aufraffen für das Finale. Ein Endspurt geht immer, hatte ich vorige Woche noch im Forum gelesen und setze bei den letzten 100m an. Es geht tatsächlich. Da wird Kilian von einem Ordner abgefangen, aber ich laufe erst einmal durch, gleichzeitig mit Udo. 3:41:33 werden gemessen. Für Udo ein Trainingslauf, er wirkt nicht mal richtig angestrengt. GA2? Für mich eine neue PB, aber mit Bauchschmerzen, da doch sehr hart erkauft und das eigentliche Ziel verfehlt.
Aber zunächst mal muss ich meinen Kilian suchen und schlängle mich im Zielkanal an Fotografen und Läufern vorbei um mir den Ordner zu greifen. Im letzten Jahr dürfte er anstandslos mit mir ins Ziel laufen. Anstatt ihn einfach dort warten zu lassen hat der Ordner ihn außen rum geschickt. Da frage ich mich doch, was mache Leute im Kopf haben, einen Zehnjährigen durch die Menschenmenge an eine Stelle zu schicken, die er nicht kennt. Zum Glück hatten wir als Treffpunkt ein Eiscafe vereinbart, wo ich ihn später mit Mama getroffen habe. Für Udo und mich war die Suche aber erst einmal zwecklos und ich war auch ziemlich am Ende. Wir haben uns also direkt zum Erdingerstand durch geschlagen und zwei Becher gegönnt und die Sonne mit Rheinblick genossen. Das hat meinen Vorsatz bestärkt nur noch bei Läufen zu starten, bei denen man danach nicht frieren muss sondern an der Sonne trocknen kann. Ein weiteres Phänomen stellt sich ein, nach dem zweiten Erdinger fühle ich mich wieder gut. Regeneration Schluck für Schluck.
Nach dem Abholen der Kleidersäcke haben wir uns dann verabschiedet, da Udo noch ein Finishershirt holen und ich doch mal meiner Familie suchen wollte. Im Gang vor den Duschen ziehe ich mich um und entdecke eine dicke rote Blase am rechten großen Zeh. Erstaunlich, dass ich sie überhaupt nicht bemerkt hatte.
An dieser Stelle nochmals mein offizieller Dank an Udo, es war trotz einiger Tiefen meinerseits ein tolles Erlebnis. Ich kann nur sagen: Gerne wieder. Vielleicht Paris 2008? Dann bin ich auf jeden Fall fitter und da es quasi ein Heimspiel ist übernehme ich auch gerne die Orga.
Bei der Auswertung kommen diverse Aspekte zusammen. Zwischen km 10 und 20 waren wir wohl zu schnell. Für mich natürlich. Also der Abschnitt, in dem meine Pulsuhr versagte. Die Konsequenz ist, dass ich für solche Umstände eine andere Uhr brauche. Ohne Pulskontrolle ist ein M für mich derzeit einfach riskant. Dazu natürlich die Frage, ob ein – zwei Gels den Einbruch hätten verhindern können. Dinge, die man nur ausprobieren kann.
Auf jeden Fall werde ich jetzt mein FSW Training deutlich ernster betreiben und auch das Tempo- und Intervalltraining intensivieren.
Nach dem Lauf ist vor dem Lauf und die 3:30h werden fallen.
Glückwunsch an Hadi für seinen super Erfolg. Solche Zeiten werden aber für mich ein Traum bleiben.
Peter
PS: Das Positive überwiegt. Obwohl Kilian total enttäuscht war, dass er nicht mit uns über die Ziellinie laufen konnte, bleibt eine gute Erinnerung. Er hat Joachim Löw nach dessen Staffellauf getroffen und Mama hat es auch noch gefilmt. Und das, wo mir Personenkult doch so zuwider ist.
Düsseldorf Marathon - dem einen sein Testlauf und dem anderen seine Leistungsgrenze
1PB 2006: M 3:30:33, HM 1:43:03, 10 KM 44:03
09.05.2010 Maratona del Custoza 04:01:38
06.06.2010 Schlössermarahton Potsdam 04:10:28
26.09.2010 Berlin Marathon
Kein existentieller Trübsinn, der nicht von einer veritablen Katastrophe im Handumdrehen geheilt würde. Michael Klonovsky
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