Eigentlich bin ich ja gegen dieses Frauen-Zeugs. Warum ein eigener Lauf für Frauen? Ist da irgendwas, das uns hindert, gemeinsam mit Männern zu laufen (oder zumindest hinter ihnen her)? Aber gut, ich wollte – zwei Monate nach meinem Laufstart – mal einen zehn-Kilometer-Lauf machen, und die Strecke durch den Wiener Prater ist perfekt: Eben, schattig, und ich kenne mich aus.
Nach der missglückten Vorbereitung auf den Staffellauf beim Wien-Marathon (siehe hier) wollte ich es diesmal richtig machen. Der Plan war: Trainieren, schlafen, frühstücken, früh dort sein, in Ruhe laufen. Mein Ziel: sub55 Minuten. Aber was sind schon Pläne...
Erst mal das mit dem Trainieren. Lief in letzter Zeit nicht so gut (siehe hier), ich tippe auf Heuschnupfen. Dann das Schlafen: Nicht, dass ich zu spät ins Bett gegangen wäre, im Gegenteil, heldenhaft verweigerte ich den Samstag Abend und war um 20.00 zu Hause. Nur hatte ich die zwei Nächte davor praktisch nicht geschlafen, also pennte ich um 21.00 angezogen auf dem Sofa weg. Mitten in der Nacht, um 2:30, war Schluss mit Schlafen.
Beim „rechtzeitig dort sein“ kam höhere Gewalt dazwischen. Erstmal in Form eines beruflichen Termins, bei dem ich um 7:00 sein musste. Aber gut, wäre alles gegangen: Abschminken, heimhetzen, umziehen, ohne Früstück los – doch dann ein U-Bahn-Unfall. Warten, noch mehr warten, aufgeben, Taxifahren. Ich bin viiiel zu spät dran.
Fünf Minuten vor dem Start komme ich am Praterstern bei meinen zwei geduldig stretchenden Laufkolleginnen an. Wir nehmen an, der Start ist „gleich da vorn“, und beschließen, uns mal einzulaufen. Nach fünf Minuten lockeren Joggens ist der Start immer noch nicht in Sicht, dafür müssen wir die 5km-Nordic-Walking-Strecke kreuzen. (Das ist so gefährlich, wie es sich anhört). Auch danach noch kein Start: Das blöde Ding ist zwei Kilometer weiter weg als wir dachten! Wir laufen schneller, ich bin jetzt schon müde, schnell noch auf ein Dixi, Wasser ist jetzt natürlich nicht mehr aufzutreiben, auch sonst ist es verdächtig ruhig. Als wir Menschen sehen, die Startblock-Schilder wegtragen, verschärfen wir das Tempo nochmals und rufen „Matten liegenlassen!“ 10 Minuten nach dem Start sprinten wir einsam über die Zeitnehmungsmatte. Ich bin völlig außer Atem.
Erstmal bremsen wir und fallen in einen superlangsam-Jog, um auszuruhen. Ich mach eine Weile mit, bis ich mich erinnere, dass das ja ein Wettkampf ist. Also los. Völlig allein laufe ich die erste, kurze Wendestrecke zum Praterstadion: Niemand vor mir, niemand kommt mehr entgegen. Ich habe null Gefühl für meine Geschwindigkeit, und beschließe statt die üblichen drei-Schritte-ein-drei-aus eben wettkampfmäßige zwei-Schritte-ein-drei-aus zu atmen und so schnell zu laufen, wie das locker geht. Beim ersten Kilometer werde ich dann ja sehen. Doch der zieht sich: Nach 6.00 ziehe ich das Tempo an, bei 6:30 denke ich: Es muss wohl an den Regelkrämpfen liegen, dass mir dieses Schneckentempo so schnell vorkommt. Bei 7:30 realisiere ich, dass ich das Schild wohl übersehen habe – langsam laufe ich aufs Feld auf und beginne ich zu überholen, und zwar ordentlich.
Hier hinten im Lauf ist es richtig gemütlich: Eine Frau jongliert – ja, beim Laufen, die ganze Zeit! –, die zwei vor mir unterhalten sich über die Life-Ball-Verbrechen ihres Friseurs, eine Mutter läuft mit ihrer höchstens sechsjährigen Tochter. Alles sehr entspannt. Ich überlege kurz einfach zu bremsen und einen chilligen Sonntagslauf zu machen. Aber das geht jetzt nicht.
Als die zwei Kilometer in Sicht kommen, weiß ich: Ich bin viel zu schnell. Ich passiere sie bei 10.05 – und einen 5er Schnitt halte ich normalerweise nicht mal 1000m weit durch. Also bremsen? Jetzt wo ich den Rhythmus so schön habe? Nö. Langsamer werde ich schon von selbst, denke ich – und laufe weiter. Ab diesem Moment weiß ich: das wird eine Quälerei. Rund ums Lusthaus, die Hauptallee zurück, wo ich meine zwei Kolleginnen wieder treffe. Die zwei plaudern entspannt, während ich meinen Kopf schon glühen fühle und der Überhol-Slalom langsam nervt. Im Ziel gut aussehen geht nicht mehr – also lieber weiter "schnell".
Die 3km passiere ich bei 15:15, die 4km bei 20:25. So schnell kann ich eigentlich gar nicht laufen. Wir sind inzwischen von der Hauptalle runter auf eine einsame Straße abgebogen, ich nehme meine Umgebung kaum mehr wahr. Bei viereinhalb beginnt die Kraft, nachzulassen. Ich denke ernsthaft darüber nach, stehen zu bleiben und mich in die Wiese da drüben zu legen. Bei 5km stehe ich bei 25:43 und ärger mich, dass ich 10km gewählt habe – sonst wär ich jetzt mit einer wunderschönen Zeit schon im Ziel!
Es gibt Wasser, ich gehe erstmal ein paar Schritte, dann noch ein paar, und trinke in Ruhe zwei Becher. Zeitverlieren ist jetzt egal, ich bin zwei Minuten über Plan – lieber lege ich mir eine Strategie für den Rest zurecht. Ich stell mir Schilder aus dem Forum hier vor: Bei km7 kommt das „Quäl dich, du Sau“-Transparent, bei km8 , bei km9 , und dann hab ich’s geschafft. Also weiter. Gar nicht leicht nach der angenehmen Gehpause.
„Quäl dich, du Sau“ muss ich mir schon bei km6 (31:08) vorsagen. Hier laufen wir auf einer Straße durch den Wald, zwei Sambabands heizen ein, aber ich kann schon nicht mal mehr winken. Ein Heuschnupfen-Anfall bringt mich gerade zum Wahnsinn, zur roten Gesichtsfarbe kommen Augen wie ein bekifftes Kaninchen. Außerdem wird’s hier enger: Was ich am Start an Gedrängel gespart habe, hole ich hier voll nach. Noch mal Wasser, noch mal ein ganzes Stück gehen. Bei km7 (36:30) sweiß ich: Ich werd das schaffen, selbst wenn ich ab jetzt gemütlichst jogge. Bei km8 (42:11) beginne ich, „zwei ein – zwei aus“ zu atmen und hoffe, dass der Sauerstoff so auch reicht. Das Riesenrad kommt in Sicht, verfrüht zieh ich im Kopf das -Schild. Dabei wäre viel angebrachter gewesen.
Weil es geht hier nicht einfach gerade über die Haupallee zum Ziel – sondern wir müssen am Riesenrad vorbei und eine Runde durch den Vergnügungspark „Wurstelprater“ ziehen. Ich beginne nun, richtig sauer auf mich und die Welt zu werden. Weiter überholend grummle ich vor mich hin: Ich hasse diese Tussi, die mit ihrem fetten Hintern meinen Weg versperrt . (Ok, immer noch dünner als meiner, aber darum geht’s jetzt nicht). Ich hasse diese glotzenden Menschen, die ihre Bierbäuche durch den Prater tragen. . Ich hasse meinen Bauch, der gerade wieder einmal mit Regelkrämpfen beginnt. Ich hasse mich dafür, dass ich mir das hier antu, ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. Und ich hasse diese Geräusche - was bitte ist das???
Vor und hinter mir geht es zu wie in einem Softporno: Die Mädels rundum lassen uns an ihrer Erschöpfung durch lautes rhythmisches Stöhnen teilhaben. Muss irgendein Lauftreff-Trick sein, sowas hab ich außerhalb von Tennis-Übertragungen und Erotik-Werbungen noch nie gehört. Für manche Techniken ist ein Frauenlauf vielleicht doch das richtige. Ich probier auch mal kurz, laut zu stöhnen, komm mir dabei aber vor wie eine Mischung aus Anna Kurnikova (ohne die Beine) und Dolly Buster (ohne den Busen). Also wechsel lieber wieder in den Grummelmodus.
Langsam wird mir übel, mein Magen übt Seitenstechen, das 9km-Schild kommt unendlich langsam ins Bild, aber ganz hinten kann ich – das Ziel sehen! Jaaa! Das schaff ich noch. Also los – ich häng mich an eine wie aus dem Nichts aufgetauchte Schnell-Läuferin an und laufe. Immer diesen weißen Bogen im Auge. So weit geht’s noch. Keuch. Als er näher kommt, erste Zweifel: Warum laufen die danach alle weiter? Wo ist die Zeitnehmungsmatte? Noch mal alle Kräfte mobilisieren, durch den Bogen – und nein: NEIN! Es ist nicht das Ziel! Noch eine Kurve! In dem Tempo kann ich einfach nicht mehr, ich werde langsamer. Da kommt NOCH ein Bogen – kein Ziel. Der nächste auch nicht. Ich bin langsam richtig sauer und schreie ins Leere „wo ist denn bitte dieses verdammte Ziel?“ Aber die paar Meter gehen noch, und irgendwann bin ich dann durch. NIE NIE NIE wieder lauf ich einen Zehner, schwör ich mir in diesem Moment. Nein, NIE WIEDER lauf ich überhaupt irgendwas. So was von anstrengend. Ich muss aufs Klo, ich hab Durst, ich... na ja, weh tut nichts. Mal nach der Zeit sehen.
Hm, 52:20. Es ist mein erster Zehner, also hab ich keinen Vergleich – aber ich hätte nicht gedacht dass ich das kann. Ich schleppe mich zu einer Bank, hol mir Wasser, schnorr mir eine Zigarette (ich weiß, böse böse!), bekomme eine Rose und die Medaille. 10 Minuten später laufen meine zwei Freundinnen ein, mit um acht Minuten verbesserter PB. Ich rauch erstmal noch eine und frage mich, ob ich nicht – wenn ich bei den Verpflegungsständen nicht so getrödelt... ob dann bei einem nächsten 10er... hypothetisch nur, weil ich ja NIE NIE NIE wieder... andererseits...
So läuft das wohl mit dem infizieren, was?
Auf der Medaille steht übrigens in schönstem Denglisch mein persönliches Unwort der Woche: „FINISHERIN!“ Das kommt eben davon, wenn man bei einem Frauenlauf mitläuft.
FAZIT:
Bin als viertletzte losgelaufen
Und als 357. angekommen
Hab somit 2.279 Läuferinnen überholt (weil: 2640 "Finisherinnen")
und, da mein erster Lauf, eine erste Persönliche Bestzeit: 52.22
Und so im Nachhinein betrachtet... werd ich das wieder mal machen.
NIE WIEDER 10k– oder doch? Warum ich am Wiener Frauenlauf 2.279 Läuferinnen überholte
1Grüße von lila
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.