Der Kahler Sandhase ist ein Ameisenlöwe. Um regionale Besonderheiten dieser Art zu verstehen, muss man vermutlich in den Kahler Sandgruben aufgewachsen sein. Der Sandhase ist irgendein Tier, das sich früher immer dort herumgetrieben hat. Angeblich, wie gesagt – ein Ameisenlöwe. Da aber niemand weiß, was ein Ameisenlöwe ist, oder wie er aussieht, tat man so, als wäre der Sandhase ein Hase und steckte ihn ins Kahler Wappen. Was das alles mit dem Kahler Halbmarathon zu tun hat? Ich weiß es noch nicht genau, aber ich bin sicher, es wird sich ein Zusammenhang finden.
Ich habe eine mäßige Nacht hinter mir, in der ich träumte, ich müsste nach Johannesburg fliegen, weil ich die Haltestelle „Frankfurter Flughafen“ verschlafen habe. Wer so etwas träumt, ist nicht in Bestform. Dabei ist sonst in Kahl alles prima: das Wetter, die verschwenderische Toilettensituation und das freundliche mintfarbene Vereinshaus, in dem ich mich umziehen darf.
Nachdem im vergangenen Jahr die Zeitmessung eher kreativ vor sich ging, ist man dieses Jahr seriös geworden: wir bekommen brettsteife Startnummern, auf deren Rückseite ein ominöses Kabel klebt, das der Veranstalter „Chip“ nennt. Wir dehnen fleißig und trippeln uns ein wenig warm, damit wir uns an dem Anstieg nach den ersten 20 Metern keine Zerrung holen. Das wäre schlecht für die verbleibenden 21 km.
Als es losgeht, gibt das Feld Gas, als gäbe es eine Bergwertung. Weil ich Sonntags morgens um 9 Uhr so schlecht denken kann, wenn ich gerade aus Johannesburg zurückgekommen bin, renne ich genauso los wie die anderen.
Schon während des ersten Kilometers zieht sich die Truppe auseinander, was ich zunächst genieße. Hier kann man frei laufen, ohne dass einem jemand in die Parade fährt. Die Strecke führt durch den Wald und der Boden ist voller Tannenzäpfle. Womit freilich nicht die Biermarke gemeint ist, sondern diese kleinen braunen Freunde der Bänderdehnung. Man muss immer ein wenig aufpassen, dass man nicht auf so ein keckes Ding drauftritt, wofür es sich dann mit unkontrolliertem Wegrollen revanchiert.
Vorteil der Waldvegetation ist dafür ein wunderbarer Duft. Als Kind kam ich in den Genuss dieses Duftes, wenn meine Mutter ein Latschenkieferbad nahm – aber das hier ist ungleich besser. Ich inhaliere ein bisschen vor mich hin, während meine Beine immer schwerer werden. Bei Kilometer sieben beginnt ein sehr sandiger Streckenabschnitt. Sand ist ein Energiefresser. Allerdings hat er sich seinen ganzen Hunger scheinbar für mich aufgehoben, denn der Abstand zu den vor mir laufenden wird dramatisch größer. Ameisenlöwe müsste man sein. Dann wäre man ein Sandhase und auf diesem Untergrund bestimmt besonders schnell. Ich bin jetzt allein auf weiter (sandiger) Flur. Bei Kilometer acht ist mir mau. Ich habe gerade etwas mehr als ein Drittel geschafft und fühle mich unglaublich müde. Gut, die ersten Kilometer waren ein wenig zu munter, aber jetzt bin ich wahrlich nicht mehr schnell unterwegs. Kein gutes Zeichen. Zum Glück lockt weitere Motivation: Überall blüht der Fingerhut und ich finde es sehr hübsch, dass ein Mittel zur Herzstärkung am Rand einer Laufstrecke wächst. Außerdem ist von Zeit zu Zeit frisches Holz geschlagen worden und dieser Geruch übertrifft sogar noch die Badezusatznote. Der Wald gibt alles. Wenigstens einer.
Ich schiebe mich weiter voran und bin froh, dass der Sand durch einen asphaltierten Abschnitt unterbrochen wird. Zivilisation hat manchmal auch so seine Reize. Bei Kilometer 10 stehe ich bei fast 54 Minuten und das stehen fühlt sich auch beinahe so an. Ach Du dickes Ei, bin ich langsam. Aber die asphaltierten Passagen tun gut und so kann ich mich ein bisschen erholen und wieder schneller werden. Wenn doch nur irgendjemand in der Nähe wäre. Ein Hase, ein Gegner, einer der mich jagt, irgendein anderer Mensch, dessen Laufrhythmus mich beflügelt. Aber ich sehe nur in weiter Ferne ein blaues T-Shirt, das eher schneller wird als langsamer. Völlig utopisch, das wippende Textil einzuholen. So kämpfe ich mich weiter allein durch die Zäpfle (da – habe ich sie nicht eben kichern hören?). An Endspurt ist nicht zu denken, ich laufe einfach nur so nach Hause. Bei 1:53:55 bin ich im Ziel, wo ein Mensch mit einer magischen Kelle die Drähte hinter meiner Startnummer entschärft. Für mich ist das eine Zeit, die man besser in den Kahler Sandgruben versenken sollte.
Aber Kahl wäre nicht Kahl, wenn es nicht ein ordentliches Kuchenbuffet gäbe, bei Bedarf auch gern eine Grillwurst oder frisch gezapftes Bier, das man sich auf sonnigen Bierbänken genehmigen kann. Das lässt die überzähligen Minuten schnell vergessen. Man kann ja auch nicht jeden Tag ein Sandhase sein.
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also ich find die zeit großartig... gratuliere!
Grüße von lila
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.
Ich bemerke, dass auch ich täglich Spuren hinterlasse. Zum Beispiel mit der Kaffeetasse.
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Hallöchen Frau Schmitt,
wie auch hier (wo reichlich Sand vorhanden ist), vergräbst Du Deine guten Zeiten immer. Ich jedenfalls benötige eine neue Tastatur (Bissspuren).
Hans
wie auch hier (wo reichlich Sand vorhanden ist), vergräbst Du Deine guten Zeiten immer. Ich jedenfalls benötige eine neue Tastatur (Bissspuren).
Hans
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komisch - es gibt Tage, da wiederholen sich die Dinge in merkwürdiger Folge. Heute ist wohl der Tag der jahrzehntelang verschollenen Kindheitserinnerungen und für eine davon (nicht die erste heute) bist du verantwortlich:
Du hattest vermutlich verdammt viel Glück, beim Lauf nicht in einen der Ameisenlöwen-Trichter gerutscht und aufgefressen worden zu sein *puh* und ich erst - sonst wär's aus gewesen mit FrauSchmitt und den super Laufberichten
Wer das nicht weiß, der kennt eins meiner absoluten Lieblings-Frühkindheitsbücher nicht: Ferdinand die Ameise (so schlicht hieß es bei uns damals noch) muss darin viele Abenteuer bestehen und ein Ameisenlöwe spielt dabei eine große - und gefährliche - Rolle. Was habe ich damals mitgezittert und gefiebert ... sicher zwanzigmal gelesen und ich glaube, damit sogar lesen gelernt (vor der Einschulung - so spannend war es und so unbedingt mußte ich mir die Geschichten selber zugänglich machen)frauschmitt2004 hat geschrieben:Da aber niemand weiß, was ein Ameisenlöwe ist, oder wie er aussieht
Du hattest vermutlich verdammt viel Glück, beim Lauf nicht in einen der Ameisenlöwen-Trichter gerutscht und aufgefressen worden zu sein *puh* und ich erst - sonst wär's aus gewesen mit FrauSchmitt und den super Laufberichten
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Hey, ich weiß ja gar nicht, was du hast... die Zeit ist doch super!!!
Und Ferdinand die Ameise kenne ich auch. Bin mit Lizzy einer Meinung...
Und Ferdinand die Ameise kenne ich auch. Bin mit Lizzy einer Meinung...
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Ach, ich mag Deine Berichte. Vielen Dank!frauschmitt2004 hat geschrieben: Nachdem im vergangenen Jahr die Zeitmessung eher kreativ vor sich ging, ist man dieses Jahr seriös geworden: wir bekommen brettsteife Startnummern, auf deren Rückseite ein ominöses Kabel klebt, das der Veranstalter „Chip“ nennt.
Grüße von Mitsch
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Hallo Frau Schmitt,
vielen Dank für den wunderschönen Bericht über einen wunderschönen Landschaftslauf. Und Gratulation zu der Zeit - auf Sand könnte ich keine 21 Kilometer in der Zeit laufen! Bei meinem Lauf gestern wünschte ich mir manchmal ich könnte jetzt in frischer Waldluft laufen statt in schwüler Stadtluft.
Ich liebe deine Berichte!
Ralph
vielen Dank für den wunderschönen Bericht über einen wunderschönen Landschaftslauf. Und Gratulation zu der Zeit - auf Sand könnte ich keine 21 Kilometer in der Zeit laufen! Bei meinem Lauf gestern wünschte ich mir manchmal ich könnte jetzt in frischer Waldluft laufen statt in schwüler Stadtluft.
Ich liebe deine Berichte!
Ralph
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Kommt drauf an. Der kahle Sandhase würde sich bestimmt über das Kopfsteinpflaster beschweren - alles eine Frage der Perspektive . Und daß Du im Sand langsamer warst, als die anderen, lag sicher daran, daß vor Dir nur Männer mit großen Plattfüßen gelaufen sind.frauschmitt2004 hat geschrieben:Ameisenlöwe müsste man sein. Dann wäre man ein Sandhase und auf diesem Untergrund bestimmt besonders schnell.
Tja, war wohl kein Treibsand .frauschmitt2004 hat geschrieben:Wenn doch nur irgendjemand in der Nähe wäre. Ein Hase, ein Gegner, einer der mich jagt, irgendein anderer Mensch, dessen Laufrhythmus mich beflügelt.
Und, gab's auch Sandwiches ? Also ich finde eine Zeit von 1:53 bei Widrigkeiten wie Sand, Kienäppeln und Alpträumen ganz passabel .frauschmitt2004 hat geschrieben:Aber Kahl wäre nicht Kahl, wenn es nicht ein ordentliches Kuchenbuffet gäbe
Renn-Schnecke
... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...
... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...
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Hallo Frau Schmitt,
vielen Dank für den tollen Laufbericht. Hat sehr viel Spaß gemacht ihn zu lesen.
Grüße
Bernie
vielen Dank für den tollen Laufbericht. Hat sehr viel Spaß gemacht ihn zu lesen.
Grüße
Bernie
Benutzerbild aufgenommen beim Rotterdam Marathon 2012
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Hallo Frau Schmitt!
Danke für den wieder einmal tollen Bericht. Aber sehr ungewöhnlich, die Beobachtungen von laufenden und nichtlaufenden Mitmenschen fehlten diesmal vollständig: Muß wirklich ein absoluter Naturlauf gewesen sein.
Danke für den wieder einmal tollen Bericht. Aber sehr ungewöhnlich, die Beobachtungen von laufenden und nichtlaufenden Mitmenschen fehlten diesmal vollständig: Muß wirklich ein absoluter Naturlauf gewesen sein.
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Ach ... ich weiß nicht. Entenfüße müssten doch im Sand auch schnell sein ...?Renn-Schnecke hat geschrieben: Und daß Du im Sand langsamer warst, als die anderen, lag sicher daran, daß vor Dir nur Männer mit großen Plattfüßen gelaufen sind.
Melrose hat geschrieben: Aber sehr ungewöhnlich, die Beobachtungen von laufenden und nichtlaufenden Mitmenschen fehlten diesmal vollständig: Muß wirklich ein absoluter Naturlauf gewesen sein.
Zum Glück ist ja jeder Lauf anders. Wobei mir ein bisschen mehr "Mitmensch" auf der Strecke gar nicht so unrecht gewesen wäre.
Lieben Dank an alle für die netten Kommentare!
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frauschmitt2004 hat geschrieben:Ach ... ich weiß nicht. Entenfüße müssten doch im Sand auch schnell sein ...?
Eh frauschmitt, ich finde die Zeit für diese Strecke, wenn sie wirklich so ist, wie von Dir beschrieben, überhaupt nicht schlecht. Und der Kuchen im Bild ist gemein, ich will auch einen!!!
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.
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frauschmitt2004 hat geschrieben:. So kämpfe ich mich weiter allein durch die Zäpfle (da – habe ich sie nicht eben kichern hören?). .
Ich hab mich auch schon durch Tannen-Zäpfle gekämpft. Die haben aber definitiv nicht gekichert Dafür ich dann nachher
Ich find die Zeit toll. Danke für den Bericht
Gruss Sigi
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frauschmitt2004 hat geschrieben:Ach ... ich weiß nicht. Entenfüße müssten doch im Sand auch schnell sein ...?
Renn-Schnecke
... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...
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