"Paradies" heißt nämlich die Haltestation der Fernreisezüge durch Jena, und just da wartete ich am Freitag, den 1.Juni 2007, auf den aus Hamburg anreisenden Martin, um gemeinsam mit ihm die Langstreckenwanderung "Jenaer Horizontale" hinter uns zu bringen.
Nach einer kurzen Begrüßung begaben wir uns zu der Pension, in der wir die Nacht nach dem Hunderter verbringen wollten. Die Pensionswirte waren sehr herzliche, freundliche und zuvorkommende Leute und wir durften dort schon vor der Wanderung unser Gepäck deponieren und uns dort auch noch ein paar Stunden später, nach einem kleinen Jenabummel, auf die lange Wanderung vorbereiten.
Das Wesentlichste von Jena war schnell entdeckt. Es gab dort einen kleinen Marktplatz, wo wir uns mit leckeren Bratwürsten mit Bratkartoffeln stärkten. Außerdem war da noch der Intershop-Turm, wo uns der Lift in den 29. Stock hoch transportierte, um uns bereits einen schönen Rundblick von der Aussichtsplattform auf einige markante Passagen der Horizontalen vorab zu ermöglichen. Jenseits des Turmes öffnete sich noch eine kurze Gasse mit netten Straßencafes und -restaurants. Soweit das Zentrum von Jena.
Schnell zurück in die Pension und nach den üblichen Vorbereitungen - nehme ich dies oder das oder lieber beides oder doch eher keins von beiden - machten wir uns dann auf den Weg zum Startgelände in der Oberaue, wo wir uns mit dem aus Nürnberg angereisten Roland treffen wollten. In der Nähe des vereinbarten Treffpunkts lief jemand in unverkennbarem, leichtfüßigen Ultralaufstil vorbei, den ich dann auch umgehend ansprach - und - tatsächlich, es war Roland.
Jetzt waren wir drei, die wir uns im Lauf-Forum für dieses Ereignis verabredet hatten, komplett und wir machten es uns auf der Wiese gemütlich, ließen uns von der keltisch-irischen Folkmusik auf den baldigen Start in der Abendsonne einstimmen. Auch die Vielzahl junger Studentinnen und Studenten, die sich der Herausforderung
stellten, waren voller ungebändigter Vorfreude und allerbester Laune.
Wir hatten einen fließenden Start zwischen 18 und 19 Uhr erwartet, aber der Veranstalter richtete erst gegen 18:30 Uhr ein paar aufmunternde Worte an die Wanderer und etwas später wurden wir dann zusammen im Pulk durch ein Seitentor des Sportgeländes auf unseren langen Weg geschickt. Wir steckten irgendwo in der Mitte drin und ließen uns einfach mit der Masse behäbig flach bergauf in das idyllische Pennickental treiben.
Es wurde viel gelacht und gescherzt, im vorderen Teil wurde ahrscheinlich bereits die Schlagzahl erhöht. Aus Erfahrung wussten wir ja, dass sich die Reihen sehr bald von selbst lichten würden und übten uns daher in Geduld und überholten nicht - 100 km sind lang, sehr, sehr lang!
Beim Fürstenbrunnen zweigten wir zu den Kernbergen ab. Was für ein herrlicher Steig sich da auftat! Im Gänsemarsch bewegte sich die Kolonne auf mannsbreitem Weg entlang des Hanges mit immer wieder phantastischen Aussichten auf Jena und Umgebung. Es wurde fotografiert, als ob diese Landschaft schon morgen nicht mehr existieren würde -
schöner kann man einen Weg durch die Abenddämmerung nicht gestalten! Es bildeten sich langsam Lücken und auch die Wege wurden etwas breiter, als es dann in den Wald ging und so konnten wir einige Grüppchen überholen und fanden langsam in unser zügiges Wandertempo.
Vorbei am Parkplatz Steinkreuz konnten wir dann auf dem folgenden
Straßenstück noch einige Grüppchen überholen und erreichten den schön gelegenen, imposanten Fuchsturm, von wo es dann bergab in Richtung erste Verpflegungsstelle ging. Dort lagen dann die ersten 21 km hinter uns.
Es gab einen großen Brotzeitbeutel, den ich in diesem Ausmaß eigentlich noch gar nicht benötigte, ein paar Häppchen oder Brote wären schon genug gewesen. Mit Cola, Wasser und Tee glich ich dann meinen Flüssigkeitshaushalt wieder aus. Auch meine zwei mitgeführten 0,5l PET-Flaschen für die Strecken zwischen den Verpflegungsstellen füllte ich wieder mit Wasser auf. Für mich war 1l Flüssigkeit für unterwegs optimal.
Stirnlampen wurden angelegt und auch die Oberbekleidung wurde für die hereinbrechende Nacht ausgerichtet. Der Spaß durch die Nacht konnte beginnen.
Anfangs glaubte ich ja, dass das fahle Mondlicht eigentlich ausreichen sollte, aber die schmalen, wurzeligen Wege durch die Wälder verlangten volle Aufmerksamkeit und ein Umknicken oder gar einen Sturz wollte ich nicht riskieren. Wir überholten auch nach 30 Kilometern noch schnelle Studentinnen. Ich konnte mir gar nicht erklären, wie die das machten. Wir walkten ja eigentlich schon sehr zügig dahin. Als uns dieselben Mädchen etwas später dahin trabend überholten, war mir alles klar.
Es wurde generell viel gelaufen bei dieser "Wanderung". Ich nehme an, dass vor dem Start etliche Wetten mit Zeitlimit abgeschlossen wurden und
außerdem ist für einen jungen Menschen ja bloßes Wandern wahrscheinlich einfach zu langweilig.
Ich kannte ja die ganzen Örtlichkeiten nicht, durch die uns dieser lange Weg führte, aber ich glaube, es war Kunitz, wo sich ein junger Mann zu uns gesellte und uns mitteilte, gewettet zu haben, das Ziel in weniger als
15:30 Stunden zu erreichen. Deshalb wollte er auch nur kurz bei uns bleiben und dann gleich wieder schneller werden. Ja - als es auf der anderen Seite dann wieder steil bergauf ging, war er auch schnell auf und davon. Aber immer wieder holten wir ihn ein, weil wir ja auch nicht gerade langsam unterwegs waren.
Bei der Papiermühle war wieder eine kurze Rast angesagt und nochmal gab es diesen Riesen-Verpflegungsbeutel. Ich aß nur ein paar Happen,
trank reichlich und füllte wieder die Behälter nach. Die Pausen an den Stationen dauerten selten länger als 10 Minuten.
Ab nun war der junge Mann fast ständig unser Begleiter, was sich als sehr hilfreich herausstellte, denn er kannte sich in der Gegend aus und ohne ihn hätten wir uns das eine oder andere Mal bestimmt verlaufen. Die weiß-rot-weißen Markierungen waren nicht immer so gut auszumachen. Auch andersfarbige Markierungen sehen nächtens ähnlich aus.
Der Weg führte auch öfters über feuchte Wiesenwege, was sehr schnell zu feuchten Schuhen und Socken führte und das wiederum zu Blasen (ich blieb Gott-Sei-Dank verschont davon). Bei der Aussicht am Ernst-Haeckel-Stein leistete Martin dann auch Erste Hilfe und versorgte die Blase des Mitwanderers mit einem Compeed-Pflaster. Der war daraufhin schon wieder viel besserer Dinge und wir zogen wieder weiter durch die Nacht.
Wir kamen an vielen herrliche Aussichten vorbei, die von dem rötlichen Vollmond überstrahlt wurden, wurzelige Pfade führten uns durch den Wald, Anstiege, kurze und lange Abstiege ließen uns deutlich die Oberschenkel- und Wadenmuskulatur spüren.
Unser Begleiter hatte schon lange seine abgeschlossene Wette verloren gegeben, aber wir überzeugten ihn davon, dass, wenn er uns weiterhin begleiten würde, ein Platz unter den ersten 100 Ankömmlingen gesichert sein würde.
An der Verpflegungsstelle direkt unter einer Autobahnbrücke bereiteten wir uns dann mental auf die letzten Anstiege vor, die uns noch erwarteten. 65 km hatten wir ja bis dahin schon zurück gelegt.
Die übliche Prozedur: kleine Happen, Getränkeaufnahme, Socken richten, Steine aus den Schuhen schütteln und schon gings wieder weiter.
Die Landschaft immer schön, die Strecke immer abwechslungsreich, so brachten wir auch diese, etwas längere Etappe noch gut hinter uns.
Unterwegs wurden wir des öfteren von zwei Wanderern überholt, die an uns vorbei joggten, um jedoch bald darauf wieder von uns eingeholt zu werden. Und bald begannen auch die ganz schmalen Pfade wieder, die die Hänge oberhalb von Jena säumen und die letzte Verpflegungsstelle wurde angepeilt. Die wurde jedoch nur über eine kleine Zusatzprüfung erreicht , denn es mussten noch ein paar zusätzliche Höhenmeter bewältigt werden, um bis dorthin auf die Hochfläche zu gelangen. Die Stelle war aber schön am Waldrand gelegen und diente wohl auch den 35km Wanderern als
Anlaufpunkt.
Nun waren es noch 12 km. Ich hatte noch relativ viel Energie und fühlte mich eigentlich ziemlich flott unterwegs auf dem Weg, der uns entlang des Hangs zum Fürstenbrunnen zurückführen sollte. Wir waren immer noch zu dritt unterwegs - niemals bestand Gefahr, dass unsere Mini-Gruppe auseinander reißen würde. Das motivierte zusätzlich. Der Fürstenbrunnen war so greifbar nah und doch so fern - aber irgendwann hatten wir es dann doch geschafft. Es ging hinab ins Tal!
Wir krochen beinahe. Viel war von Power nicht mehr zu spüren und wir fanden auch nicht die richtige Kreuzung über die Hauptstraße bei Wöllnitz. Aber der Straße entlang und die Flutlichtmasten im Visier gelangten wir dann doch in einer passablen Zeit zurück in Oberaue und ins Stadion. Auf meiner Urkunde stand 16:52:41 h, was mich aufgrund der vielen Höhenmeter (2339 HM) sehr zufrieden stimmte.
Ich möchte ja eigentlich noch sehr viele Veranstaltungen kennenlernen und nicht so sehr viele doppelt machen, aber ich bin mir sehr sicher, dass ich die Horizontale in Jena auch im Jahr 2008 wieder auf dem Programm haben werde!
Das war bisher mein schönster (und schwierigster) Hunderter!
Vielen Dank an die Organisatoren - es war alles Top!
Meine Bilder von der Tour könnt ihr hier anschauen
Zusatz: Wer es bis hierher durchgehalten hat, der schafft auch die Horizontale .
Begonnen hat alles im Paradies ...
1Schöne weißblaue Grüße ...
Kurt
Wenn Du ein Ziel nicht erreichst, solltest Du überprüfen, ob Wille und Vorstellung nicht gegeneinander arbeiten.
(Emil Coué)
http://www.laufsport-liga.de/web/profil.html?u=8597
Kurt
Wenn Du ein Ziel nicht erreichst, solltest Du überprüfen, ob Wille und Vorstellung nicht gegeneinander arbeiten.
(Emil Coué)
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