[Bericht] Flintbek - Von Zauseln, Jubeln und lügenhaften Bahndämmen

7. Flintbeklauf am 16.06.07, 16 Uhr

Beim Alsterlauf in Hamburg laufen Tausende. Am Start gibt es treibende Musik, ein T-Shirt ist im Preis inbegriffen, und viele der Läufer sehen seltsam aus: Dicke, Hochtechnisierte, schick Bekleidete - alles, was sich bei Läufen herumtreibt, die sich als Event gerieren. Wer das nicht will, läuft stattdessen in Flintbek.

Der Flintbeklauf ist das Gegenstück zu einem Event. Die Idee ist, daß man ohne viel Schnickschnack losläuft, ankommt, Kuchen frißt und wieder geht. Abgesehen von wenigen verstreuten Walkerinnen sind alle Läufer Zausel (nach der Definition von Frau Schmitt), und wenn sie keine Zausel sind, werden sie es bald oder könnten es sein, wenn sie männlich wären. Sie sind rücksichtsvoll und hilfsbereit und vor allem da, um zu laufen. Ob sie auch säuerlich riechen, kann ich nicht überprüfen, weil meine Nase seit meinem vierten Lebensjahr nicht ordentlich funktioniert.

Die Hauptstrecke des Flintbeklaufs ist die 10-Meilen-Strecke. Daneben gibt es noch 10 km und 5 km. Da ich wegen meines Bandscheibenvorfalls sehr kurz treten muß, habe ich mir nur die 10 km vornehmen können. Das ist eine Wendepunktstrecke von den Sportanlagen am Eiderkamp nach Süden am Bahndamm längs und dann einen landschaftlich schönen Feldweg rein, um ein ein Meter hohes Bäumchen herum und dann wieder zurück.

Gewarnt durch den letztwöchigen Firmenlauf weiß ich: meine Zeiten aus dem letzten Jahr über 10 km (40:19 min) kann ich vergessen. Dazu bin ich viel zu kurz wieder im Betrieb: erst seit drei Wochen laufe ich wieder. Unter 45 Minuten wäre schön, müßte aber auch locker zu schaffen sein. Die ersten beiden Kilometer, noch auf Asphalt, sahen gut aus. Aber dann kamen völlig überflüssige Anstiege. Wir laufen ja im Prinzip neben einem Bahndamm her, wieso muß es da immer auf und ab gehen? Und dann bog noch der Läufer, den ich zu meiner Lokomotive erklärt hatte, nach rechts ab, um sich den 10 Meilen hinzugeben. Mit einem Mal kam ich mir einsam vor. Denn obwohl der Sprecher vor dem Start von einem Melderekord von 240 Läufern gesprochen hat, waren gefühlt nur 50 auf der Strecke. 240 - das muß die Zahl aller sein, die irgendwie Startgeld bezahlt hatten, also auch die 5-km-Läufer und die Walkerinnen.

Immerhin war das Wetter gut. Der 16. Juni 2007 ist auch der erste Tag der Kieler Woche. Das ist ein schlechtes Omen, denn typischerweise beginnt dann in Kiel und der Umgebung eine Schlechtwetterperiode. So auch heute, aber gerade während der Zeit des Laufs, so ab 15:30 Uhr, wurde es kurzfristig fast schon sonnig. Aber Läufer sind mit nichts zufrieden, und ich schon gar nicht: es war nicht nur sonnig, es war heiß. Viel zu heiß.

Langsam lief ich an einen Läufer in einem roten T-Shirt heran. Ich selbst hatte ein schwarzes T-Shirt an. Extra für Wettkämpfe hatte ich mir bei http://www.spreadshirt.net ein knallrotes Funktionsshirt bedrucken lassen: Neongelb konnte man auf Vorder- und Rückseite "Thomas" lesen, darunter "Bitte jubeln" bzw. "Bitte weiterjubeln". Und als Service für alle, die ich überhole, auch noch auf der Rückseite meinen Geburtsjahrgang - damit die Opfer wissen, ob es sich noch lohnt zu kämpfen, oder ich ohnehin in einer anderen Altersklasse laufe. Das sollte eigentlich jeder Läufer machen, finde ich. Sonst ist man darauf angewiesen, anhand der Glatzengröße und dem Hautzustand abzuschätzen, ob der Vorläufer noch eingesammelt werden muß oder ob man in Ruhe auslaufen kann.

Aber Flintbek ist ein Zausellauf, und da trägt man traurigfarbene T-Shirts. Zugelassene Aufdrucke sind Logos von Sportgeschäften (vorzugsweise Zippels) und Namen von Läufen, an denen man teilgenommen hat (z. B. "Kiel-Lauf"). Deshalb hatte ich in der Umkleidekabine hektisch das schon übergestreifte rote T-Shirt wieder ausgezogen. Und deshalb näherte ich mich dem Rothemd im schwarzen Kiel-Lauf-2005-T-Shirt.

Aber ganz erreichen konnte ich ihn nicht. Er war zu gut. Am Ende trennten uns sicherlich 10 Sekunden, eine ganze Welt bei einem 10-km-Lauf, ein einziger Platz in Flintbek. Auf dem Rückweg machten mich die Steigungen wirklich fertig. Ich merkte in den Oberschenkeln, wie meine Muskeln überhaupt nicht damit einverstanden waren, was ich da gerade machte. Am Ende reichte es mit 44:23 min zu einer Zeit, die für die Umstände angemessen war - aber natürlich weit weg von meiner Bestzeit über diese Strecke.

Hinterher gab es keine Medaille, überhaupt nichts Schönes, Nutzloses - bis auf Kuchen, und den, wie es sich gehört: gut und reichlich. Die Duschen waren übrigens warm. Meine war brüllend heiß, bis ich entdeckte, daß man den Druckknopf, der das Wasser für einige Sekunden fließen ließ, auch drehen konnte.

Anschließend fuhr ich mit meinem "Bitte jubeln"-T-Shirt noch per Fahrrad zurück nach Kiel. Es jubelte aber keiner.

Das ist aber lustig, dass Du beim Lauf nicht "overdressed" sein wolltest.

Es gab nur Kuchen? "Herz, was willst Du mehr?"
Danke für den schönen Bericht.

frauschmitt2004 hat geschrieben: Es gab nur Kuchen? "Herz, was willst Du mehr?"

Wurst. Und ich habe unterschlagen, daß es auch tatsächlich Bratwurst gab. Allerdings ohne Brot. Das habe ich durch noch mehr Kuchen ersetzt.

Danke für den unterhaltsamen Bericht und ich drück Dir die Daumen für weitere Wettkämpfe - aber sowas von. Zeiten sind egal - Hauptsache laufen, oder?

Anja

Mir gefällt die gelaufene Zeit trotzdem, so Dein Bericht ist mal wieder sehr unterhaltsam, ein echter Naumann. Die Idee und der Absatz mit T-Shirt und dem dahintersteckenden Gedanken, genial

Hoffentlich wird es mit deiner Bandscheibe schnell wieder besser!

thomas,

ich glaube, wir ticken da ziemlich ähnlich. ich würde auch eher den kleinen volkslauf dem großen event vorziehen (nächste woche wieder). ausnahme: hh-marathon würd ich schon noch mal laufen.

ich freu mich, dass du wieder läufst und uns berichten kannst. danke.

bleib gesund.

voll flott auf 10 km - aber der Gipfel ist das Shirt, ist die Idee patentiert oder darf man klauen?

Frett

Feuerstein hat geschrieben:voll flott auf 10 km - aber der Gipfel ist das Shirt, ist die Idee patentiert oder darf man klauen?

Frett

Klau ruhig.

Hört sich ja so an als wenn du jetzt wieder ok bist .
Hab die ganze Zeit auf deiner HP mit gelitten

Heme45 hat geschrieben:Hört sich ja so an als wenn du jetzt wieder ok bist .
Hab die ganze Zeit auf deiner HP mit gelitten

Naja, ok ist anders, aber immerhin darf und kann ich wieder laufen. Damit ist schon ein Großteil des Ungemachs aus der Welt geräumt.

Sehr schöner Bericht, Thomas.
Ich bin den Lauf ebenfalls gelaufen und verstehe deine negativen Aspekte sehr gut. Auch wenn ich zuerst sehr froh war, dass es endlich aufgehört hatte zu regnen, war die heiße Luft nur schwer zu ertragen.
Ich war aufgrund von vielen Läufen in kurzer Zeit nur auf den 5 km unterwegs. Da gefiel es mir aber, dass der Lauf kein großes Event war und daher nicht sehr viele Läufer unterwegs waren. So hatte ich die "Spitze" die meiste Zeit im Blickfeld, konnte mich vom 6. zeitweilig auf den 3. Platz vorarbeiten, verlor dann aber letzten Endes das Duell um den 3. Platz deutlich. Er war, ebenso wie dein Gegner, zu schnell.

Und die Idee mit der Altersklasse auf dem T-Shirt, sehr nett. So hätte ich mir beim Eckernförder Stadtlauf beispielsweise, dem bisher einzigen Lauf, bei dem auf der Medaille die Platzierung stand, sicherlich nicht den 1. Platz um 5 Sekunden nehmen lassen ...

wie schön, dass HTS den Thread wieder hochgeschoben hat, sonst hätte ich einen unterhaltsamen Laufbericht verpasst!
Das mit dem Laufshirt ist eine tolle Idee, und stattdessen im Sommer in Schwarz zu laufen, recht gewagt. Gute Zeit für die blöden Umstände!

Viele schöne Läufe wünscht
Bifi

HTS hat geschrieben:Da gefiel es mir aber, dass der Lauf kein großes Event war und daher nicht sehr viele Läufer unterwegs waren.

Mir gefiel das auch sehr gut. Ich habe überhaupt nichts gegen "große" Läufe, aber eine Veranstaltung, die sich auf das Wesentliche konzentriert, kann sehr erlösend wirken. Wie Schwarzbrot, wenn man lange Zeit nur Brötchen gegessen hat.