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Oberstaufen: Vom Marathon, der keiner war, aber beinhart

Oberstaufen: Vom Marathon, der keiner war, aber beinhart

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Nachdem ich mich in der Vergangenheit an dem einen oder anderen Bericht erfreut habe, stelle ich den folgenden Bericht nun selbst ein. Eigentlich habe ich ihn für unsere Vereinsseite geschrieben, aber da der Marathon in Oberstaufen eine wunderschöne Strecke hat, super organisiert ist und die Veranstalter es verdient hätten, fände er noch mehr Zuspruch, taucht er dann eben an 2 Stellen auf. Vielleicht finden nächstes Jahr noch mehr Läufer den Weg ins Allgäu. Lohnenswert ist es allemal.

Bernd

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Diesmal sah es gut aus. Ich war überzeugt, daß es schnell vorüber sein würde. Anders als vor 4 Wochen. Da hatte es mich nicht überrascht, naja in der Ausprägung schon, aber nicht die Tatsache an sich. Doch diesmal? War es nicht gut gewesen am Samstag, kaum spürbar? Und nun, 2 Tage später, genau das gleiche wie damals vor 4 Wochen nach dem Rheinsteig-Extremlauf im Siebengebirge: Oberschenkel wie Robocop, nur unbeweglicher, aber hart, stahlhart. Hoffentlich dauert es wenigstens nicht so lange wie letztes Mal, bis eine auf Laufen basierende Fortbewegung möglich ist. Das kommt halt davon, wenn der Flachländer sich auf ungewohntes Terrain wagt.

Aber nun der Reihe nach: gereizt hatte mich dieser Lauf das erste Mal, als ich den Premierenbericht von Werner Sonntag in einer Laufzeitschrift gelesen hatte. Später kamen die tollen Bilder und Beschreibungen im Internet hinzu. Zum 5-jährigen Jubiläum in diesem Jahr war ich schließlich reif und meldete mich an, auch wenn wegen An- und Abreise ein Urlaubstag und ein Wochenende dafür drauf gehen. Aber 1 oder 2 Mal im Jahr darf das schon sein.

Also Anreise mit der Bahn, Zimmer bezogen, abends Startunterlagen abgeholt, Essen fassen, kleiner Austausch mit anderen Angereisten: „Wetter soll ja okay sein morgen.“ „Hab’ ich auch gehört, Sonne, aber auch nicht zu warm.“ „Und vor allem kein Regen.“

Kurz vor 6 Aufstehen, im Frühstücksraum ist es eher noch dunkel, ich bin der Erste. Draußen zeigt sich ein grauschwarz verhangener Himmel. Naja, wird schon abziehen, ist ja sonnig-bewölkt angesagt. Nach dem Frühstück lauffertig machen. Was prasselt denn da so? Nix Sonne, nix läuferfreundliches Wetter, jetzt regnet sich der Himmel erstmal aus. Tut er das? Bei der Schwärze kann es jedenfalls lange dauern bis zum „Aus“. Durch den Regen laufe ich mich die 1 ½ km von meiner Pension zum Start an der Sportanlage Kalzhofen ein, die etwas dickere Regenjacke habe ich angezogen und eine ganz dünne, leichte Jacke für den Lauf mitgenommen. 2 Minuten, bevor es losgeht, hört der Regen auf. Schnell die Jacke ausgezogen und umgebunden. Man weiß ja nicht, wie es oben sein wird. Immerhin soll es von 800 auf etwa 1700 m hinaufgehen. Wie das Profil es schon zeigt und meine Schenkel schmerzhaft erfahren werden, leider nicht linear, sondern oft im Auf und Ab.

„Zehn, neun, acht,…“ Das Feld setzt sich in Bewegung. Die ersten 1 ½ km sind flach. Bloß nicht zu schnell angehen, die Kraft wird später gebraucht, dies ist Vorgeplänkel. Es dauert auch nicht lange, bis der erste Anstieg kommt, schnell trennt sich die Spreu vom Weizen, erste Abstände entstehen. Dann wird Höhe verloren. Abbremsen, Schenkel schonen. Nach den Waldwegen geht es auf Asphalt weiter, abwärts, bald aber wieder im Anstieg, und der wird nun heftig. Gehschritt, Kräfte sparen. Weiter geht es auf kiesbesetzten Feldwegen, alles ist feucht, das Wasser läuft mir entgegen, langsam dringt die Nässe durch die Schuhe. Die Steigungswinkel variieren, Taktikwechsel sind gefragt: nicht ganz so steil, dann ist Laufen angesagt, vergrößert sich der Winkel, wird auf Gehen umgeschaltet. Manche vor mir und hinter mir machen es ähnlich, andere behalten ihre langsame Laufbewegung bei, als seien sie aufgezogen.

So 4 – 5 km geht es praktisch nur bergauf, bis endlich das Imberghaus erreicht ist. Dort teilt sich der Weg: nach links für die 2/3-Marathonis, nach rechts für die Marathonläufer. Hier teilt sich sich aber auch die Stimmung, denn die Nachricht, daß auf Grund der schlechten Wetterverhältnisse (Es hat zwischendurch wieder zu regnen begonnen und arg neblig ist es auch geworden.) wird nicht der Weg über den Hochgrat genommen, sondern eine Ausweichstrecke. Entspannung einerseits, denn es geht zunächst einmal wieder bergab: nach dem heftigen Anstieg freut das meine Beine sehr. Enttäuschung andererseits, denn der Grat war der eigentliche Motivator für den Lauf: mein Lustzentrum mäkelt.

Jetzt geht es eine ganze Weile bergab, aber das ist auch nicht schön, denn steile Abstiege stauchen Schenkel. Wieviel Höhe ich verloren habe, weiß ich nicht. Irgendwann geht es jedenfalls wieder aufwärts im bekannten Wechsel von Trab- und Gehschritt, bis bei einer Hütte? Restaurant? der höchste Punkt erreicht ist. Als wäre der Streckenwart von der Sorge getrieben, einer der Läufer könnte der Laufstrecke das Attribut „eintönig“ zuweisen, folgt nun eine wahrhaft neue Herausforderung. Serpentinenartig geht es steil abwärts auf einem in die Wiese eingebauten Kiesweg, dem quer gelegte Pfosten eine Treppenstruktur verleihen. Das platscht so schön auf den ja schon arg malträtierten Quadrizeps (Wie lautet eigentlich der Plural?), und weil das alles auch noch rutschig ist, muß ich höllisch aufpassen, mich nicht flach zu legen. Diese Widrigkeiten halten 2 Wirbelwinde, die von oben an mir vorbeizischen, aber nicht ab. Ich gönne ihnen den Positionsgewinn.

Dieser höchst konzentrierte Bergablauf will nicht aufhören. Als ich schon meine, allmählich unterhalb des Meeresspiegels gelandet sein zu müssen, wird die Strecke flacher, nimmt dafür Cross-Charakter an. In eine Almwiese eingebettet, laufen wir nun auf einem ca. 30 cm breiten, voll vermatschten Trampelpfad. Wehe dem, dessen Gleichgewichtssinn oder Reflexe nicht voll intakt sind. Wie ich später erfahre, haben denn auch einige den Matsch aus unmittelbarer Nähe in Augenschein genommen. Unnötig zu erwähnen, daß ich aussehe wie Sau. Auf diesem Cross-Teil passiere ich das Schild „20 km“. Die Zeit von 40 Minuten für die letzten 5 km kommt mir lang vor, habe ich doch mit eher 30 gerechnet. Waren die Anstiege doch so langsam? Egal, die Hälfte ist gleich geschafft.

Und wieder wechselt die Landschaft. Zunächst über tumorartig aus der Erde ragende, massige Baumwurzeln, dann auf einem gepflegten Waldweg geht es weiter. Es ist ja so entspannend, auch mal wieder fast eben zu laufen. Habe ich vorher eine Menge überholt und bin selbst auch überholt worden, so sehe ich zur Zeit keinen mehr vor mir und keinen hinter mir. Bin ich noch richtig? Ich rufe Wanderern zu, ob ihnen Läufer entgegen gekommen seien. Ja, sind sie. Beruhigung! Das Letzte, was ich gebrauchen könnte, wäre, mich zu verlaufen. (Einschub: Die Strecke ist eigentlich hervorragend markiert. Aber was kommt einem nicht alles in den Sinn, wenn man keinen mehr sieht…)

Da, das Schild „30 km“! Habe ich das 25-er Schild übersehen? Nee, das kann nicht stimmen. In 23 Minuten kann ich keine 10 km gelaufen sein. Das Schild gehört wohl gar nicht dazu (War das eben nicht weiß und alle anderen gelb?), oder es ist die Strecke für die Walker. Von hinten schließt jemand zu mir auf. Ich: „Ey, das mit 30 km kann doch nicht stimmen, oder?“ „Weiß nicht, warum nicht?“ Und weg isser. Grübel. Merkwürdig, das sieht doch jetzt so aus wie auf dem Hinweg. (Von Weissach bis Steibis und zurück sind Hin- und Rückweg gleich.) Komisch, auf diesem steilen Bergaufstück (im Gehen!) habe ich das Schild 35 km gesehen. Und das sieht hier genauso aus. Es IST die Strecke. Zunächst erschrecke ich, als ich sehe, wie steil es jetzt bergab geht. Freudentanz für die Oberschenkel. Ich laufe wie ein Brett, nach hinten gelehnt, im Versuch, die Talfahrt zu bremsen, um die Belastung für die Beine, die ich immerhin noch weitere 7 km brauche, zu dämpfen. Es stimmt, ich bin eben am Schild 35 vorbei gelaufen. Irgendetwas stimmt dennoch nicht.

Ab jetzt sind alle km einzeln ausgeschildert, die steilsten An- und Abstiege liegen hinter mir, es wird moderater, auch wenn sich diese Charakterisierung nach knapp 3 Stunden doch relativiert. Erst geht’s eine Weile auf Waldwegen voran, bis schließlich Oberstaufen erreicht ist und die letzten 3 km durch den Ort verlaufen: nicht so attraktiv, dafür aber deutlich weniger anstrengend. KM 41 ist passiert, schon sehe ich das Sportgebäude vor mir, dort wartet das Ziel. Der Läufer, der mir vorhin bei der Frage „30 km okay oder nicht?“ nicht weiterhelfen konnte, hat arg an Tempo verloren und ich mache noch einen Platz gut, bevor ich zum Schlussspurt auf der Stadionbahn einlaufe. Vorbei, 3:25:22 Stunden Anstrengung liegen hinter mir, gerechnet hatte ich mit etwas über 4 Stunden. Beim Revue-passieren-lassen mit Mitstreitern lautet die Schlussfolgerung: Die Strecke war wohl etwa 3 bis 4 km zu kurz, bedingt durch die Ausweichstrecke. Ist egal, war auch so herausfordernd genug.

Im Ziel ruft jemand meinen Namen, und tatsächlich, Bernadette gratuliert, eine ehemalige Vereinskollegin. Sie wartet mit Sohn und Schwiegereltern auf ihren Mann Friedhelm, der 20 Minuten nach mir einläuft. Dieses Zusammentreffen wird etwas später eine Kette von Ereignissen auslösen. Zunächst erzählt Friedhelm, daß sie vom Urlaubsort in Österreich heute Morgen in 3 Stunden nach Oberstaufen gefahren seien. Wir hatten uns nämlich beim Rheinsteig-Lauf getroffen, wo ich von meinem geplanten Start und den tollen Streckenbildern im Internet auf der Marathon-Homepage erzählt hatte. Das hatte ihn ebenfalls fasziniert, und so hat er sich spontan für diesen Lauf entschieden.

Die angekündigte Ereigniskette: ich zum Auslaufen, gegen Ende Familie Schneider kurz vor Abfahrt getroffen, Bernadette: „Hast du schon ’n T-Shirt? Gibt’s für Läufer umsonst.“ T-Shirt abgeholt. Helferin: „Startnummer brauch’ ich dafür nicht, damit können Sie aber an der Verlosung teilnehmen.“ Ich gewinn’ zwar nie was, aber dennoch Startnummer in die Kiste geworfen. Später, Siegerehrung ist schon vorbei, Verlosung im Gange. Erneuter Versuch, meine Frau anzurufen, klappt diesmal. Während Präsente an die gezogenen Gewinner verteilt werden, gebe ich sachlich-nüchtern mit nordisch kühlem Understatement meinen Lagebericht, schildere, wie ich Felsvorsprünge erklommen, mich todesmutig in Schluchten hinabgestürzt habe, mich durch hüfthohen Schlamm gekämpft und eine Herde spanischer Kampfstiere (Was sollen diese milka-ähnlichen Paarhufer sonst gewesen sein?) von der Strecke vertrieben habe, als ich plötzlich, so mit halbem Ohr (naja, die andere Hälfte war auch noch dran) die Zahl „91“ höre. 91? „Du, muß jetzt Schluß machen! - Hallo, hier, hier! 91 ist hier!“ Und ein Gutschein für 2 Übernachtungen für 2 Personen in einem tollen Berghotel („Supertoll! Den müssen Sie unbedingt einlösen“, so meine Pensionswirtin später) ist in meinem Besitz.

Also wird’s im nächsten Jahr einen zweiten Anlauf geben, und dann sicherlich auf der Originalstrecke über den Grat. Bis dahin betätige ich mich als Schlichter zwischen Körper („Mann, noch anstrengender!“) und Kopf („Grahaaat, wir kommennnnn!“).

Trotz der fehlenden Kilometer habe ich übrigens beschlossen, den Lauf meiner offiziellen Marathonzählung hinzuzufügen, wo er die stolze Zahl „56“ erhält.

Bernd

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burny hat geschrieben:Trotz der fehlenden Kilometer habe ich übrigens beschlossen, den Lauf meiner offiziellen Marathonzählung hinzuzufügen, wo er die stolze Zahl „56“ erhält.
Definiere Marathon! :hallo:
"If I had no sense of humor, I would long ago have committed suicide." (Gandhi)

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WinfriedK hat geschrieben:Definiere Marathon! :hallo:
...klassische Distanz: 42,195 km
wenn's als Marathon ausgeschrieben ist und etwas mehr oder weniger ist , sehe ich das auch nicht so streng.

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burny hat geschrieben:...klassische Distanz: 42,195 km
wenn's als Marathon ausgeschrieben ist und etwas mehr oder weniger ist , sehe ich das auch nicht so streng.
Bei 35' unter der erwarteten Zeit wohl eher deutlich weniger.

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Hallo Bernd,
ich war auch dabei! Treffend beschrieben. Die schlammige Trailpassage fand ich besonders toll.
3:25 für einen "Flachländler" ist eine super Zeit. Respekt! Gratuliere auch zum gewonnenen Hotelgutschein!
Gruss Fri

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Klingt nach einem tollen Lauf. Gratulation zum Lauf und zum schönen Bericht - wenn ich auch nicht verstanden habe, warum es kein Marathon gewesen sein soll.

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Marienkäfer hat geschrieben:Weil er zu kurz war, Jörg. Oder vielleicht doch nur zu schnell??

..sicher etwas von beidem. Laut Veranstalter 2 km zu kurz, glaub ich aber nicht, wenn ich alle meine Zwischenzeiten anschaue (eher fehlen 3 - 4 km).
Und etwas schneller als gedacht kann auch gut sein. Flach kann ich recht gut meine Geschwindigkeit planen und halten, bei einem so profilierten Lauf ist das nur eine grobe Abschätzung, was etwa rauskommen könnte, keine Planzeit.

Danke auch für eure Kommentare! :winken:
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