ich verstehe es nicht. Nachher bin ich immer schlauer. Warum immer erst nachher? Warum hab ich mit 36 Jahren noch immer nicht gelernt, wenigstens ab und zu, wirklich nur manchmal wenigstens, meine große dumme Klappe zu halten? Ob das vielleicht daran liegt, daß sie mich sonst einigermaßen zuverlässig gut und menschenwürdig ernährt? Keine Ahnung. In welch hoffnungslose Lagen hab ich mich damit schon manövriert? Diverse Klassenkonferenzen, von Kränen mußte ich springen, heiraten und jetzt das. ICH. Laufen. Und dann noch so schrecklich weit? Wer (außer mir und meinem Rehlein) hätte das vor einem Jahr gedacht? 40 Kilo schwerer, ohne wirkliche Not – in Form vorgehaltener Waffen o.ä. – lasse mich vom Laufvirus anstecken. Is halt nicht mehr zu ändern. Machen wir das Beste daraus. Aber immer der Reihe nach. Was geschah überhaupt?
W-Fragen? Wer, wo, wann, was, warum, Verletzte?
Wer: ich Wahnsinniger
Wo: in einem bis dahin gänzlich unerforschten Grenzgebirge an der deutsch-französischen Grenze im Saargebiet
Wann: Sonntag, 22.7. 6:17
Was: 21,14 KM
Warum: weil ich irre bin
Verletzte: keine, unerklärlich, ist aber so.
Nun, den krönenden Abschluß einer guten Trainingswoche sollte mein erster wirklich langer Lauf werden. Und weil letztens 16 KM öfter mal so wunderbar funktioniert haben, hab ich mir so gedacht, naja, eigentlich will ich ja nicht darüber reden, ich bin nämlich so schüchtern und zurückhaltend mußt du wissen, daß es ja doch irgendwie langsam an der Zeit für den näxten BigPoint wäre. Mir schien dafür die halbe Marathondistanz standesgemäß und angemessen. Also, 21 Kilometer. Hätte eigentlich alles so schön werden können, wenn da nicht plötzlich, unerwartet und von der Öffentlichkeit unbemerkt sich nicht direkt angrenzend an mein gewohntes Geläuf ein großer dunkler Wald auftut. Eigentlich hab ich ja vor dem großen dunklen Wald etwas Angst, aber der Weg, der hineinführte war gut und lief mit einem unmerklichen Gefälle auf einen verträumten Fischweiher zu. Sehr malerisch, die Sonne kommt hinter den Bäumen raus, leichter Nebel steigt auf, schlaftrunkene Hasen und gierige Füchse verstecken sich im Unterholz. Es läuft prima. Puls knapp über 140, Tempo um 6:00-6:05. So hätte es jetzt nur noch zwei Stunden weitergehen müssen und die Welt wäre wunderschön gewesen an diesem Morgen. Ich war intensiv damit beschäftigt mich zu freuen, als ich mir mit einem jähen Schreck der Hinterhältigkeit meiner Situation bewußt wurde. Böse Falle. Sehr böse Falle. Ich bin die letzte dreiviertel Stunde einen Steilhang runter. Anders sind weder Tempo noch Puls zu erklären. Die angstvolle Befürchtung wurde zur jähen Gewißheit. Der Grenzfluß. Der war eigentlich schon immer da. Auf der anderen Seite ist Frankreich. Nicht daß das wirklich schlimm wäre, schießwütige Grenzsoldaten gips zum Glück seit guten 60 Jahren da nichmehr, aber es waren erst 9 Kilometer, folglich fehlen noch 12. Und das Wasserdepot ist am ganz anderen Ende. Und dort war auch das Päckchen mit dem Dope. Dem Druiden-Sperma, auch Power-Gel genannt. Kapitulation wäre eine Lösung gewesen, nicht ehrenhaft, aber sehr komfortabel. Dumm nur, daß ich kein Telefon zur Hand hatte und Geld lag im Auto. Ich hab überlegt, was täte Mc Gyver oder Wickie jetzt, keine Chance, aus dieser aussichtslosen Lage konnte ich mich nur durch Qual und Schmerzen befreien. Ich wollte es ja so haben, also dem Schweinie einen Tritt gegeben und los geht´s mit dem Bergaufstieg. Endlose 8 Kilometer, von 180 auf 380 Meter, aber damit nicht genug, kaum hast du dich 50 Meter heldenhaft mit der Schwerkraft auseinander gesetzt und sogar gewonnen, geht´s hinter der näxten Kurve wieder 30 Meter runter. Beliebig oft hintereinander. Das ist wohl der Fluch der großen Klappe. Schnauze, den näxten Schweinie umgetreten und weiter den Berg hoch. Irgendwann war tatsächlich der Gipfel nahe der Baumgrenze erreicht, links geht´s zum Parkplatz, knappe 2 Kilometer mit angenehmen Gefälle. Kein Denken daran. Nach rechts, anderthalb Kilometer durch den Wald zum Wasserdepot, die Tanks geflutet, Gel runtergewügt (ob´s nötich war kann ich dir nicht sagen, aber irgendwie liefs dann auf den letzten Kilometern wieder besser, was aber auch daran gelegen haben könnte, daß endlich mal halbwegs flach war. Langsam begann ich etwas zu frösteln, aber welch ein Glück, der Waldrand naht am Horizont und dahinter gibt´s die wärmende Sonne. Ich hab unterwegs verzweifelt nach dem Runner´s High gesucht, hinter jedem zweiten Baum, mit hoch hatte das schon was zum Tun, es ging nämlich endlos den Berg hoch. Ob das wohl damit gemeint ist? Naja, aus dem Wald raus, in die Sonne, herrlich warm, noch zwei Kilometer und dann darf ich endlich in Frieden sterben. Naja, ein kleines High gab´s dann doch noch, 50 Meter vor dem Parkplatz als die magische 21 im Display zu sehen war. Eigentlich hatte ich ja vor mich in den Kofferraum zu legen und entweder nie wieder aufzuwachen oder irgendwann aus einem bösen Traum aufzuschrecken. Ich bin dann aber doch ziemlich stolz heim, habe mir bei Rehlein meine Huldigungen abgeholt und nach der Dusche den Garmin ausgelesen. 778 Meter Aufstieg insgesamt. Gefühlt und geschätzt hab ich auf eher 8000, aber dann hätte ich vermutlich Schnee sehen müssen. 2400 Kalorien, Puls 148, max 157. 2h22min22sek. Der Mühen Lohn? Nun, ich will ja eigentlich nicht darüber reden, weil ich ja doch etwas schüchtern bin, aber es gab seit langer Zeit mal wieder einen anständigen Sonntagsbrunch. So mit Allem. Weißbrot, Cornflakes, Kuchen, panierte Kalbsschnitzel. All das verbotene Zeuch. Und drei Weißbier gabs auch noch. Hat sich doch gelohnt, oder?
Erwinelch
Ganz glaubwürdig ist es jetzt schon nicht mehr.
Eher Carbo-Reloading oder? 
Drei Stunden. Neidischsei.... Glückwunsch. Qualität komm von Quälen, wer hat das noch gleich gesagt? Und heute morgen war im MoMa einer, der gesagt hat, Kunst kommt von können nicht von wollen. Glückwunsch zu den drei Stunden. Muskelkater: Gestern abend hat alles wehgetan. Aber zum Glück großflächig und nicht an einer bestimmten Stelle ganz schrecklich stechend..
