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Von heiligen Orten, hohen Geysiren und haarigen Waden.

Von heiligen Orten, hohen Geysiren und haarigen Waden.

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Es gibt Orte, an die muss man im Leben immer wieder zurückkehren.
Das Elternhaus zum Beispiel, der Hotdog-Stand bei Ikea, oder das kleine Sportstadion in Egelsbach. Manche Dinge gibt es eben nur dort. In letzterem Fall gibt es sie sogar nur dann nur dort, wenn "der Koberstädter" stattfindet, die Marathonveranstaltung mit den schönsten Toilettenwagen des hessischen Volkslaufgeschehens.

Die Veranstalter des "Koberstädter Waldmarathons" bringen es zuwege, ganze Hundertschaften von hibbeligen Läufern lässig mit Startnummern, Laufchips, Pepsi und später mit Kuchen, Kuchen und Kuchen zu versorgen. Und gleichzeitig den Eindruck entstehen zu lassen, der Lauf im Wald bei Egelsbach wäre ein familiärer Dorflauf für wenige Eingeweihte.

Morgens um acht ist er das sogar. Dann starten die Marathonläufer – eine überschaubare Gruppe von Wissenden. Sie wissen um leere Parkplätze, freie Waldwege und die Schönheit einer hessischen Moderation. Später, gegen halb zehn kommt die Masse der Nichtwissenden, zu der ich heute gehöre. Die Parkplätze werden rar, die Waldwege bald überlaufen und das Hessisch weicht dem professionellen Timbre von "Vanman" Jochen Heringhaus. Und trotzdem: die Magie bleibt.

Hier freut man sich über alles: das sonnige Wetter, die bereitgestellten Erfrischungsgetränke der Marke "Schwip Schwap" und einen Bürgermeister, der klingt, als hätte er die letzte Nacht durchgefeiert. Als er den Startschuss gibt, ertönt "Chariots of Fire" von Vangelis. Auf Egelsbach ist Verlass. Auf der Strecke befinden sich neben knapp tausend entfesselten Egelsbach-Fans mein Trainingspartner, eine befreundete Halbmarathon-Debütantin und ich. Um uns herum wedeln Pacemaker-Luftballons. Man knäult sich. Zwei Stunden-Läufer genießen die Pace des 1:40-Tempomachers, der 1:50-Zugläufer steckt gänzlich im Verkehr fest. Auch das stimmt leider: die Starter hier sind nicht die Diszipliniertesten, wenn es um die Startaufstellung geht. Dafür machen die Helfer an der Strecke gleich zu Beginn eine kleine La-Ola für uns, das entschädigt für Vieles.

Nach fünf Kilometern habe ich mich einigermaßen freigekämpft und sehne ein Getränk herbei. Es ist heftig warm geworden. Obwohl wir beinahe nur durch den Wald laufen, bin ich bereits vollständig durchnässt. Ich denke ein bisschen an eine äthiopische Läuferin, die Dibaba heißt und bei der Leichtathletik-WM in Osaka 35 Grad trotzte. Das hilft irgendwie. Frau Dibaba läuft zwar geringfügig schöner und einen Ticken schneller als ich, aber heute sind wir alle Äthiopier. Außer vielleicht dem Wesen, das vor mir läuft, das ist ein Megalosaurus. Wegen seiner immensen Körpergröße sehe ich nicht, dass ein "Fotopoint" naht und eine freundliche Dame schweißnasse Zweifüßler fotografiert. Macht nix. Hauptsache, ich verpasse keinen Becher am Verpflegungsstand. Die Wärme drückt.

Damit es nicht langweilig wird, liefere ich mir ein kleines Duell mit einem Herrn in Schwarz. Bergauf ist er schneller, bergab ich. Ich bin gespannt, wer wen am Ende zersägt. An neuralgischen Punkten im Wald stehen kleine Fangruppen, die so rührend tröten, klingeln und klatschen, dass man sie nur in Anbetracht der eigenen Achselnässe nicht umarmt. Plötzlich sehe ich von Weitem eine Art Geysir und bin verwirrt. Seit wann gibt es hier im Wald einen riesigen Springbrunnen? Ich kombiniere langsam. Wie schlicht das Gemüt wird, wenn man bei 27 Grad läuft, zeigt sich auch an der Dame neben mir, die jetzt "Wasser! Wie geil ist das denn!" ausruft. Tatsächlich haben sich die Herren der Feuerwehr etwas einfallen lassen und ein paar Schläuche in den Wald gelegt, aus denen es in die Höhe sprudelt. Dankbar laufen wir ganz nah daran vorbei.

Im letzten Stück gibt es eine Asphalt-Passage und die auf dem Waldweg hin und her schubbernden Fußsohlen können ausruhen. Ich mag Asphalt und spüre noch etwas Kraft. Ganz klar: der Mann in Schwarz muss jetzt dran glauben. Zur Belohnung erwische ich sogar den zweiten Foto-Point. Am Eingang zum Stadion steht ein Helfer, der jeden einzelnen vor einer kleinen Bodenwelle warnt. Das 2000-beinige Läuferfeld wird persönlich betreut.

Nach einer ausreichenden Menge "Schwip Schwap" (Wie geil ist das denn?) kann ich meine Zeit genießen. Mit 1:52 arbeite ich mich gemächlich wieder an (gute) alte Zeiten heran. Auf dem gepflegten Stadionrasen ist gut liegen und so finden wir hier wieder zusammen. Die Debütantin hat sich mit 1:58 einen grandiosen Erstling geschenkt. Wir sind stolz auf sie, auf uns und auf Egelsbach. Zur Entspannung machen wir noch einen kleinen Barfuß-auf-dem-Rasen-Schlapp-Schlapp. Dann holen wir uns unser Präsent ab. Die T-Shirts sind alle (macht nichts – ich hab ja schon zwei) und so bekommen wir stattdessen eine kleine Bauchtasche (warum freut man sich eigentlich über Dinge, die man weder braucht, noch benutzt?).

Das obligatorische Anstehen an der überdimensionierten Kuchentheke wird mit Live-Musik untermalt – seit der Abwahl des legendären Country-Frühschoppens beim Volklauf in Kahl ist uns dergleichen nicht mehr passiert. Nichts trübt unseren Kuchengenuss - nicht einmal unser Sitznachbar, der seine haarigen Waden mit streng nach Eukalyptus riechendem Tiger-Balm einschmiert. So ist das eben mit Läufern. Egelsbach, wir kommen wieder.


(Bilder von Klohäuschen und Kuchen gibt es wie immer auf untenstehender Website)
Berichte, Geschichten und Streuselkuchen: www.laufen-mit-frauschmitt.de
Laufen mit Verantwortung:
laeufer-pro-umwelt.de
Zum Hören: der Schmittcast
Frauschmitt bei bei Facebook

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frauschmitt2004 hat geschrieben:Wie schlicht das Gemüt wird, wenn man bei 27 Grad läuft, zeigt sich auch an der Dame neben mir, die jetzt "Wasser! Wie geil ist das denn!" ausruft....
Die T-Shirts sind alle (macht nichts – ich hab ja schon zwei) und so bekommen wir stattdessen eine kleine Bauchtasche (warum freut man sich eigentlich über Dinge, die man weder braucht, noch benutzt?).
:hihi: :daumen: :beten2: Danke frauschmitt :hallo:
Tati
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Schön - beim Lesen ist es, als ob man dabei war.

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Hach is' dat immer schön zu lesen. :daumen: Und wie gut, dass eine Kollegin gerade heute Kuchen mitgebracht hat - so bin ich richtig in Stimmung jetzt...
Gruss
Claudia
Bild

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Einfach Klasse. Macht Spass deine Berichte zu lesen. :nick:

Aber wie sieht eigentlich der "Megalosaurus" aus??? :confused:

Habe ihn auf den Fotos vermisst!!!
Ciao Achim :winken:

Je älter ich werde,
desto besser bin ich mal gewesen! :zwinker5:

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Meine Woche ist gerettet - endlich wieder ein FrauSchmitt-Bericht! Klasse geschrieben und gelaufen!
Vielen Dank!
Gruß
Ralph

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frauschmitt2004 hat geschrieben: Das 2000-beinige Läuferfeld wird persönlich betreut.
Hey, inzwischen scheint das mit dem Kombinieren wieder zu klappen. :zwinker2:

Danke für den schönen Bericht.

Gregor

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Bei dem Titel dachte ich schon: Aber hallo, Frau Schmitt wird doch nicht etwa beim Reykjavik-Marathon dabeigewesen sein :geil: ? Voller Neugier springe ich ins Thema - und lande in der hessischen Provinz. Das fand ich dann ein bißchen gemein. Aber der Bericht entschädigt für alles :daumen: .
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Einfach schön, Danke!

Grüße,
3fach

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irgendwann lass ich die Lauferei ganz sein und lese nur noch deine Berichte
.
Viele Grüße
Markus

(PS.: das nächste Mal halte ich noch mehr Plätze frei)
__________________
2014 (so ist´s geplant)

6 Stunden in Rotenburg
Weiltal Marathon
Rennsteig SM (der macht süchtig :daumen:)
kl. Kobolt (den will ich noch einmal laufen)

was sonst - mal sehen


Bild
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Wieder ein toller Bericht. Irgendwann muß auch ich nach Egelsbach.
Run As Thou Wilt.

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Irgendwann muß auch ich nach Egelsbach

Genau, im nächsten Jahr ist der 30.

Schön wars im Koberstadt beim Koberstädter :zwinker5: genaus o schön wie Dein Bericht

:hallo: Frett

for Zwetschgenkuchen :sabber:
Wettkämpfe: Ultra-40x; Marathon-38x; HM-3x; 10 km-3x;

PB: U-116,1km/12Std, Biel 10:14, 65km/6Std; M-3:22; HM-1:35; 10 km-44:48

2010 Senftenberg HallenDoppelmara. 3:43/3:47, Rodgau 50 km 4:24, Marburg 50 km 4:24, Kandel-M 3:26, Eschollbrü. 50 km 4:12, Dt.Weinstr. 3:35, Rennsteig-SM 7:24, Bad Waldsee 3:27, 12-Std. Fellbach 112,9 km, 80km-Fidelitas 7:50, Ermstalmara. 3:46, Immenst-Gebirgsmara. 6:16, Allgäu-Ultratrail 9:02, ebm-Papst 3:39, Wörterseetrail 6:08

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Es gibt Laufberichte, die sind immer wieder ganz anders als andere Laufberichte.
Die frauschmitt`schen zum Beispiel. Manche megaamüsante Beschreibungen und Pointen gibt es einfach nur dort.
So ist das eben mit Laufberichten. Ich werde sie wieder lesen. :wink:

Ciao
Bifi
Was man nicht im Kopf hat,
muss man in den Beinen haben :D

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Renn-Schnecke hat geschrieben:Bei dem Titel dachte ich schon: Aber hallo, Frau Schmitt wird doch nicht etwa beim Reykjavik-Marathon dabeigewesen sein :geil: ? Voller Neugier springe ich ins Thema - und lande in der hessischen Provinz. Das fand ich dann ein bißchen gemein. Aber der Bericht entschädigt für alles :daumen: .
Kann mich hier nur anschließen, genauso wie meinen anderen Vorschreibern: ERSTKLASSIG!

VlG, Berni

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Vielen Dank, frauschmitt, für den schönen Bericht.
Und die schönen Fotos.

Wenn ich mal groß und stark und schnell bin, laufe ich
auch mal in der Koberstadt mit. Is' schon schön da. :)

:hallo:
das Eselchen
:D "Ein Esel ist, wer mit einem Esel streitet." :D

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Wow, frauschmitt,

hab diesen Laufbericht und mittlerweile "glaube" ich 2/3 deiner Laufberichte auf
deiner Seite verschlungen (ja ich bin Laufberichte süchtig, die lenken immer schön
vom Lernen ab).

Einfach nur klasse und bitte weiter so! *süchtel*

Lg Chris
Gesperrt

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