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Mein erstes Mal in Interlaken...... Junfrau beim Jungfrau-Marathon, sozusagen....

Mein erstes Mal in Interlaken...... Junfrau beim Jungfrau-Marathon, sozusagen....

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Donnerstag, 6:30 Uhr: Wie schon die ganzen letzten Tage regnet es mal wieder in München. Wir setzen uns trotzdem ins Auto, denn der Startplatz ist nun mal bezahlt und eine nette kleine Ferienwohnung in Interlaken wartet auf uns. Der Schweizer Wetterbericht ist ja optimistisch, aber es halten sich hartnäckig Gerüchte, er würde vom Tourismusministerium finanziert ;-)

In Zürich versuchen wir erstmal mit 2 Mountainbikes auf dem Dach in eine Tiefgarage zu brettern. Zum Glück bremst uns die an zwei Ketten baumelnde Höhenkontrolle mit lautem Scheppern, 10m weiter hätte der Beton bestimmt abrupter gebremst.... jetzt müssen wir erstmal den Parkwächter beruhigen und uns selber auch.

Kurz hinter Zürich kommt tatsächlich die Sonne raus und nach fünf Stunden Fahrt beziehen wir bei strahlendem Wetter unser kleines Apartment in Interlaken. Der Blick in Richtung Mönch und Jungfrau ist nicht so schlecht....

Wir springen erstmal auf die Bikes erkunden Interlaken, vervollständigen den Kühlschrank und geniessen einen Eisbecher.

Nach einer ruhigen Nacht satteln wir Freitag früh unsere Mountainbikes und starte zu einer kleinen Streckenbesichtigung.
Bis Lauterbrunnen folgen wir der Marathon-Strecke, stehen staunend unter dem 300m hohen Staubbach-Fall, und nach einer kleinen Abkürzung stürzen wir uns in die Wand von Wengen. Zumindest die ersten 200 Höhenmeter, ich will mich nicht schon jetzt verausgaben. Schön steil hier..... das kann ja heiter werden morgen.

Der restliche Tag vergeht mit Startnummer holen, Kinder-Marathon bejubeln und kochen wie im Flug und so langsam werde ich wie immer nervös.

Samstag, 6:00 Uhr, mein Handy-Wecker reisst mich aus dem Schlaf. Die nächste halbe Stunde verläuft völlig ferngesteuert, duschen, anziehen, Honigbrot frühstücken..... normalerweise helfen diese Rituale gegen Nervosität..... aber was ist hier schon normal?

Das Wetter ist traumhaft, die restlichen Wolken der Nacht werden gerade von der aufgehenden Sonne weggeschleckt. Nervös mache ich mich auf den Weg zum Start. Micha will noch vor den Läufern mit dem Mountainbike bis Zweilütschinen fahren bevor sie dann nach Grindelwald abbiegt. Also fährt sie schon mal los.

Manche Läufer haben ganze Fan-Clubs im Schlepp, mir ist es ganz recht, dass ich mich in dem Trubel alleine vorbereiten kann. Nervös bin ich immer noch. Im Kurhaus liegt dieser tolle Duft aus Latschenkiefer-Öl, gut eingelaufenen Socken und Angstschweiß in der Luft....

9:00 Uhr: Startschuss....... es geht schnell los, obwohl ich mich im Startblock bei 5:00 Std aufgestellt habe, wir laufen die ersten 4 km in 20:18 min. Die ersten Kilometer sind topfeben, erst bei KM 10 beginnen dann kleinere Anstiege. Ich fühle mich gut und mache weiter Tempo.

Die nächsten Kilometer verfliegen nur so, bis Lauterbrunnen kenne ich die Strecke ja noch von gestern. Temperaturen um die 14 Grad und am Ende des Tales sieht man die Gletscher in der Sonne blitzen.... was kann da schon schiefgehen? Naja, ein Blick auf das Höhenprofil hilft gegen aufkommenden Größenwahn....

Schon in Lauterbrunnen brüllen uns die Zuschauer durch den Ort, wie wird das erst in Wengen? Halbmarathon-Zeit 1:50 Std!

Noch eine 4km Schleife durch das Tal, über uns fliegen Gleitschirme bis auf wenige Meter an den Staubbachfall heran. Ich teste mal so ein Power-Gel, dass es neben vielen anderen Sachen bei den Verpflegungsstellen gibt. Mjam, Geschmacksrichtung "Tapetenkleister", mein Körper und ich einigen uns darauf, dass Bananen für die Anstiege reichen müssen. Wand von Wengen, ich komme.....

Viele gehen hier ab dem ersten Schritt, es gilt Steigungen bis zu 25% zu überwinden. Ich laufe so viel wie möglich, ohne meinen Puls zu sehr hochzujagen. Tippelschrittchen, aber es hilft mir den Rhytmus zu halten. Gerade in den Kehren kann man mit ein paar schnellen Schritten ganz innen immer wieder fünf bis zehn Plätze gut machen, ohne sich durchdrängeln zu müssen. Plötzlich taucht vor mir der 4:30 Std-Pacemaker auf. Ehrensache, dass ich den schnupfe.... aber ich komme dann doch nicht so richtig weg von ihm und seinen Jüngern.

Bis Wengen versuche ich nun noch mehr Tempo zu machen, aber die Steigungen nehmen einfach kein Ende. Irgendwann wird es flacher und vor allem lauter. Erste Kuhglocken-Geschwader mischen sich unter die Zuschauer. Absperrgitter führen uns in einen Korridor und der Lärm ist ohrenbetäubend. Ich war noch nie auf einem Alpenpass bei der Tour de France, aber so etwa stelle ich mir das vor, der absolute Wahnsinn.

Zwischen Wengen und der Wengeralp bezahle ich den Preis für die letzten Kilometer. Mein Magen krampft und signalisiert eindeutig einen Import-Stopp. Ich wechsle viel zwischen laufen und gehen und überhole zwar immer noch Leute, werde jetzt aber auch zusehends überholt.

Verpflegung ist wichtig, bei jeder Station würge ich wenigstens ein Stück Banane rein. Vor mir läuft einer mit 8 Flaschen und 8 Power-Gels am Gürtel, vermutlich Trainingsgewichte? Die Frage, ob er mir mit seiner Hausbar schnell eine Pina Colada mixen könnte verkneife ich mir (leider).

Nun folgt der klassische Heldentod, der 4:30 Std-Luftballon zieht gerade wieder locker an mir vorbei. Ein schwacher Trost: Auch seine Begleiter hat er längst komplett verloren...... einsam stürmt der Luftballon-Mann Richtung Moräne, komische Renneinteilung hat der Bursche.

Wengeralp kommt ins Blickfeld, es geht steil bergab, rüber zum letzten Anstieg. Ich reihe mich in die Schlange ein, der Bergpfad beginnt.

Noch eine Weile geht es steil hoch bis sich der Blick auf die eigentliche Moräne öffnet. Nicht denken, einfach weiter.... von dem später ausführlich diskutierten Stau ist noch nicht viel zu sehen, im Gegenteil, die Gruppe vor mir macht übel Tempo. Ist denen entgangen, wie steil es hier ist????

So langsam muss ich echt kämpfen, Tunnelblick, für die atemberaubende Landschaft habe ich kein Auge mehr. Immer wieder erwischt es um mich herum Läufer..... die überall präsenten Sanitäter kommen gar nicht nach damit die Krämpfe zu behandeln und auch so mancher Mageninhalt zeigt erhöhten Freiheitsdrang. So gesehen geht es mir eigentlich noch gut, also hör auf zu jammern und stapfe, Du Weichei. Endlich, nach einer Ewigkeit, höre ich Dudelsack-Musik.....

Das ist keine Halluzination sondern der trditionelle Dudelsack-Spieler am Ende der Moräne. So muss sich Reinhold Messner gefühlt haben, als er den Yeti getroffen hat, "es gibt ihn wirklich"...

Nochmal steil runter, ein letzter Gegenanstieg, hier gibt es nochmal Wasser und Schokolade und v.a. helfende Hände über die kleine Felsstufe hinab. Dort unten steht der Zielbogen, ein einziges Laufen, Stolpern, Fliegen Richung Ziel beginnt.

Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten nehme ich wieder die Landschaft wahr, die Menschen, das Ziel..... ein Wahnsinn.

Micha ist mit dem Mountainbike über Grindelwald hochgefahren und wartet schon. Trinken, Rucksack, wieder Trinken, T-Shirt holen, noch mehr trinken, eine heiße Dusche.... eine SMS teilt mir meine Zeit mit. Ich kann es immer noch nicht glauben, ich bin wirklich im Ziel.

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rauschenbär hat geschrieben: eine SMS teilt mir meine Zeit mit.
Jeder, der's da hoch schafft, ist ein Sieger, Gratulation! :daumen:

Aber wenn du die SMS nicht gelöscht hast, kannst du ja nochmal die Zeit ergänzen, die sie dir verkündet hat...

Bernd

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super gemacht, toller Bericht und tolle Fotos

Danke und Gruss

Sigi

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Es ist schön, auch mal andere Sichtweisen zu lesen. Vielen Dank für Deinen schönen Bericht und Glückwunsch zum erfolgreichen Finish :daumen:
☼ ☼ ☼
Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.

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rauschenbär hat geschrieben: Nun folgt der klassische Heldentod, der 4:30 Std-Luftballon zieht gerade wieder locker an mir vorbei. Ein schwacher Trost: Auch seine Begleiter hat er längst komplett verloren...... einsam stürmt der Luftballon-Mann Richtung Moräne, komische Renneinteilung hat der Bursche.

Das haben dort wohl alle Pacemaker gemeinsam. Am Berg laufen die alle ziemlich flott und verlieren ihre Jünger.
Bei so einer Strecke mit flachen und extrem steilen Passagen hat halt jeder wo anders seine Stärken.
rauschenbär hat geschrieben:
Das ist keine Halluzination sondern der trditionelle Dudelsack-Spieler am Ende der Moräne. So muss sich Reinhold Messner gefühlt haben, als er den Yeti getroffen hat, "es gibt ihn wirklich"...

:hihi: :hihi: :hihi: Ja es gibt ihn wirklich und es läuft mir immer eiskalt den Buckel runter!

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Hallo,

danke für Eure lieben Antworten.
@Bernd: Die SMS habe ich zwar schon gelöscht, die Zeit hat sich aber tief in die Synapsen eingebrannt...... 4:34:26 Std.

Matthias

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rauschenbär hat geschrieben: die Zeit hat sich aber tief in die Synapsen eingebrannt...... 4:34:26 Std.

...wär ja auch merkwürdig, wenn nicht... :D

Da bist du ja trotzdem noch mit einer tollen Zeit reingekommen, Respekt!

Bernd

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Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Bezwingung der Jungfrau - und noch dazu in dieser Zeit! Ich bin sprachlos.
Gruß
Ralph
Gesperrt

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