Soll ich in dem düsteren Zustand, ich dem ich mich gerade befinde, wirklich einen Bericht über den Berlin-Marathon schreiben, auf den ich mich schon seit Monaten so sehr gefreut habe? Oder sollte ich lieber warten, bis ich wieder etwas positiver drauf bin, da er sonst wirklich nur trübe rüberkommen könnte? Aber sollte er nicht auch einfach ehrlich sein, mein Bericht, und wer sagt denn, dass ein Marathon-Bericht immer nur von himmelhochjauchzender Stimmung zeugen muss?
Ich nehme die Fakten gleich mal vorweg - ich habe ihn geschafft, meinen dritten Marathon dieses Jahr und meinen dritten Marathon überhaupt, in meiner persönlich schlechtesten Zeit zwar, aber ich bin ihn durchgelaufen, und das war schwer.
Er war hart, der Berlin-Marathon, er war schwer, und er hat wehgetan, und ich habe endlich wieder die nötige Demut und Hochachtung vor diesen 42,2 Kilometern.
Ich denke jetzt mit Staunen an meine beiden ersten Marathons, vor allem an den zweiten in Würzburg, den ich nur vier Wochen nach meinem ersten mit einer solchen Leichtigkeit und völlig schmerz- und leidensfrei in sagenhaften 4:33 gelaufen bin - ich bin mir seit gestern sicher, dass das meine persönliche Marathon-Bestzeit war und ich das nie wieder werde erreichen können.
Berlin ist eine tolle Stadt - ich liebe Berlin. Ich liebe diese Stadt, weil ich jedesmal, wenn ich dort bin, meinen ältesten und besten Freund Markus treffe, weil ich die Berliner so herzlich und nett und hilfsbereit finde, und weil die allgemeine Atmosphäre in dieser Stadt mich einfach immer wieder überwältigt.
Am Abend vor dem Marathon bin ich bester Dinge, ich bin kein bisschen aufgeregt, warum auch, wir laufen doch nur Marathon!
In der Nacht schlafe ich gut, warum auch nicht, ich laufe doch nur Marathon.
Dann der Start. Charly steht mit mir ganz hinten im letzten Startblock, und es dauert 25 Minuten ab Startschuss, bis wir über die Linie laufen. Wir denken daran, dass Haile nun schon einige Kilometer zurückgelegt hat.
Es geht mir gut, warum auch nicht, ich laufe doch nur Marathon.
Diesen Gedanken halte ich aufrecht bis ca. Kilometer 25, und dann wird es schwer. Es läuft nicht mehr gut. Es fängt an, wehzutun. Ich fange an, mich zu fragen, was ich hier eigentlich mache und warum ich meinen Füßen diese Strapaze antue. Ich denke wieder einmal an Würzburg. Da habe ich genau bei Kilometer 25 nämlich meine Eltern getroffen, die mir die Colaflasche gereicht haben, und ich erinnere mich so genau daran, wie meine Mutter mich fragte, "wie weit ist es jetzt noch?", und ich ihr frohgemut antwortete, "ach, jetzt sind es nur noch 17 Kilometer!", und vor allem erinnere ich mich daran, dass ich das zu dem Zeitpunkt auch ganz genau so gemeint habe!! Unvorstellbar. Und jetzt? Ich habe die Schnauze voll. Ich mag nicht mehr. Aber aufgeben kommt nicht in Frage, also kämpfe ich weiter. Charly fragt mich regelmäßig, wie es mir geht, und ich antworte, "es muss ja", oder", "na ja, es geht schlecht, aber es geht schon", oder so in der Art.
Es ist kein Hammermann, der mich überfallen hat - es ist einfach ein ganz allgemeines Mich-Schlecht-Fühlen.
Bei jeder Verpflegungsstelle fällt mir mehr auf, wie wahnsinnig weh mir das Wieder-Anlaufen tut, wenn ich zum Trinken ein paar Schritte gegangen bin - eine völlig neue und sehr unschöne Erfahrung für mich.
Bei Kilometer 36 dann der absolute Tiefpunkt - Charly und ich sind wieder an einer Verpflegungsstelle, wir gehen ein paar Schritte, trinken, und ich denke daran, dass ich jetzt gleich wieder anlaufen muss, dass es wehtun wird, dass ich schlicht und einfach keine Lust und keine Kraft mehr habe, und ich breche in Tränen aus. Und diesmal sind das keine Glückstränen, die mir die Wimperntusche davonlaufen lassen, das ist mal ganz sicher. Ich bin verzweifelt. Ich zweifle an allem. Charly ist total erschrocken, nimmt mich in den Arm und sagt, "Häsle... nur noch sechs Kilometer.... komm, dann gehen wir halt jetzt eine Weile...." Und dafür bin ich ihm dankbar, denn genau das hat meine letzten Kampfgeister noch einmal motiviert, und ich sage trotzig, "Gehen? Nein. Ich will mit dir durchs Brandenburger Tor laufen, nicht gehen", und laufe wieder an. Es tut weh, aber nach ein paar Schritten wird es wieder besser. Und dann kämpfe ich mich durch die letzten 6 Kilometer. Bei Kilometer 38 denke ich an meinen ersten Marathon und dass ich an dieser Stelle schon mitten in meiner sagenhaften Endbeschleunigung drin war, dass ich die letzten Kilometer alle schneller als sechs Minuten gelaufen bin, einen davon sogar in 5:41 - unvorstellbar heute. Es ginge nicht, selbst wenn ich wollte.
Wir laufen dann irgendwann um eine Kurve und sehen es auf einmal vor uns, das Brandenburger Tor. Noch zwei Kilometer bis dahin. Glücklicherweise kommt das Brandenburger Tor relativ schnell näher, es wird immer größer, da ist es, das Ziel, die Zuschauer sitzen auf den Tribünen und feuern uns an, ein paar Meter vor dem Tor nimmt Charly meine Hand und wir laufen gemeinsam durch das Tor und dann noch die letzten 200 Meter bis ins Ziel, ich höre auf zu laufen, fange an zu gehen, denke nur, "Sch**e, mir tut alles weh", lasse mir die Medaille umhängen, und verspüre kein Glücksgefühl. So. Das war jetzt Berlin, auf den ich mich seit Monaten freue, und das soll es gewesen sein? Wohl schon.
Ich würde gerne noch etwas von der tollen Stimmung an der Strecke erzählen, von den Zuschauern, die teilweise wirklich super drauf waren, von den Bands, die eine irre Stimmung gemacht haben, aber irgendwie ist das alles in meiner Erinnerung untergegangen.
Und so erzähle ich euch nur noch, dass noch am selben Abend dann endlich das eingetreten ist, worauf ich ja schon seit vielen Wochen warte: wenige Stunden nach dem Marathon fing meine Achillessehne an zu schmerzen, aber so richtig. Das war keine Einbildung und keine Paranoia, sie tat weh. Richtig blöd weh. Ich werde jetzt eine Woche Laufpause machen, ja, freiwillig, und ich hoffe, dass das dann wieder gut ist. Eine langwierige Achillessehnengeschichte würde mir jetzt gerade noch fehlen.
Das war mein Berlin.....
Ach ja, meine persönliche Schlecht-Zeit: 4:44:55.
Mein Berlin-Marathon 2007
1 Hase
I am vegan because I feel that other sentient beings are not mine to use.