Ich bin nervös. Dabei will ich doch nur einen Marathon laufen. Was ist es, was mich so angespannt sein läßt? Es ist doch nicht mein erster. Doch halt: mein erster, bei dem ich Niemanden an meiner Seite habe, dem ich in die Ohren heulen kann, wie nervös ich bin. Das wird es wohl sein. Ich bin ganz allein in der großen, fremden Stadt. Ok, meine Tochter ist mit in der Stadt, aber sie ist generationsbedingt auf anderen Schauplätzen unterwegs, als ich am Vortag und am nächsten Morgen. So kann ich also Niemandem meine schlechte Tempohärte, mein Geschnaufe beim Üben den Marathontempos und meine mieserabelen Blutwerte mitteilen...
Und außerdem hab ich mir was vorgenommen. Was ganz Besonderes: Ich will Bestzeit. Nee, das ist eigentlich ja nix Besonderes, aber ich will Bestzeit mit Genuss. Ich weiß, daß das eigentlich kaum möglich ist. Aber ich weiß auch, daß es geht. Ich weiß nur nicht, ob ich den Kampf mit meinem Ehrgeiz gewinnen kann. Dabei hatte ich mir doch einmal etwas geschworen:
schnatterinchen vom 23.06.2006 hat geschrieben: Ich habe im Übrigen überhaupt keine Lust, utopischen Bestzeiten, die lt. Daniels vielleicht möglich sind, nachzujagen. Marathon soll Genuss bleiben. Dies hatte ich mir in Berlin bei Km 30 geschworen, als ein Mädel ärztlich versorgt werden musste und recht übel aussah! Also Genuss ist oberste Priorität - wenn eine Bestzeit daraus wird: um so schöner!
Und nun hab ich Schiss – Schiss, vor meiner eigenen Courage. Schiss vor dem Tempo, Schiss, damit umzugehen, daß es vielleicht bei einer Bestzeitenstrecke keine Bestzeit wird....
Und bei all den schlechten Gedanken, mit dem Kleiderbeutel auf dem Rücken, treffe ich plötzlich vor dem Eingang zur Messehalle: Holgii.
Holgii hats gut. Er kann sich entspannen, hat letzte Woche in Bremen eine phantastische Bestzeit hingelegt und will nun genießen. Das will ich auch. Aber ich will auch Bestzeit. Und ich hab Schiss. Holger schaut sich meine Marschtabelle an und beschließt, bei mir zu bleiben. Ich freu mich darüber und kann erstmal all das Ungesagte herausplappern, ehe wir zum Startblock gehen. Er muß meine Nervosität ertragen, mein Gejammer, meine kalten Hände... das macht er richtig gut. Ich bin froh, daß Holger an meiner Seite ist. Und ich hab Schiss.
Der Startschuß fällt, schnell finden wir unser Tempo. Korrigieren immer mal wieder etwas nach Oben oder Unten, es passt alles gut, wir sind voll im Limit und Holger bietet sich an, nicht nur Hase, sondern auch Wasserträger zu sein. An der ersten Wasserstelle schert er also nach rechts aus... und ich... ja, was macht man, wenn man einen Wasserträger hat?! Weiterlaufen, logisch, sonst brauch man doch keinen Wasserträger... ungefähr einen Kilometer weiter kommt er dann mit einem Becher an... ja, er hat mich gesucht und nicht damit gerechnet, daß ich weiterlaufe... wir hätten vielleicht vorher darüber reden sollen. Im Becher war noch ein winziger Schluck.
Nach etwa 7 km bermerke ich ein „Unwohlsein“ meiner Füße. Ich laufe ja zum ersten mal mit langen Strümpfen (is im Alter eben so). Leider habe ich das Gefühl, meine Füße ab Fußballen über großen Zeh werden taub. Ich verdränge das ein wenig. Bei km 9 gibt’s wieder Wasser. Diesmal warte ich auf Holger, umsonst. Suchend laufe ich langsam weiter, bis ich ihn weit vorn entdecke... Oh je, das bedeutet einen Zwischensprint aber der Inhalt des Bechers ist ein klein wenig größer, als zuvor. Ok, das war nicht optimal, ich habe jetzt fast 10 km hinter mir und viel zu wenig getrunken. Nicht dramatisch, aber wir beschließen, es künftig jeder für sich zu versuchen. Mit dem Trinken natürlich. Sonst sind wir ein Top-Team. Das Tempo macht Spaß – noch. Doch langsam verspüre ich unter meinem linken Fußballen einen steckenden Schmerz, als würde sich eine rießige Nadel hineinbohren. Hinzu kommen tausend kleine Nadelstiche, meine Füße verabschieden sich in einen Mittagsschlaf. Ich versuche es zu ignorieren, aber das gelingt mir immer nur kurz.
Einen Aufschrei kann ich bei km 12 nicht vermeiden, als mir von hinten Jemand auf die Schulter klopft. Ohne mich umzudrehen, wusste ich: es kann eigentlich nur einer sein: Haarmänneken – wer sonst. Wie bei jedem Marathon eben. Ich freu mich rießig, ihn zu sehen, wir begrüßen uns herzlich, bevor wir jeder wieder unsere eigenen Ziele verfolgen.
Die Kilometer 16 bis 25 wollte ich etwas zügiger laufen, was mir auch gefühlsmäßig trotz der Unpässlichkeiten gelingt. Das ich dann jedoch den Km 17 mit fast 30sec. zu langsam laufe, demotiviert mich sehr, mehr Kohlen kann ich nicht auflegen. Ich sage es Holger, er tröstet mich damit, daß wohl das Schild falsch stand. Das vermutete ich, jedoch kann ich mich von nunan nicht mehr wirklich motivieren. Meine Füße merke ich fast überhaupt nicht mehr, alles taub. Scheiß Kompressionsstrümpfe. Ich beginne sie zu verfluchen und überlege, lieber ohne zu laufen. Das trau mich mich aber dann auch nicht. Nach 25 Kilometern sind wir mit 02:03:41 immer noch voll in meinem Zeitfenster, aber der Spaßfaktor geht gegen Null. Ich mag nicht mehr dem Tempo nachjagen, ich möchte das hier alles genießen, ich möchte nicht wieder leiden, wie in Hamburg. Dafür ist mir ein Marathon zu lang. Ich beschließe, die Aktion Bestzeitenversuch hiermit zu beenden und Spaß zu haben. Ich bin eben noch nicht soweit, daß ich an diesem Tempo Freude habe. Und das ist eben so. Und überhaupt nicht schlimm.
Um es mit Reinhard Mey zu sagen:
Um leichter zu schweben,
Hab‘ ich aufgegeben,
Was in meine Taschen nicht paßt:
Den Zwang stets zu siegen,
Den Neid, die Intrigen,
Den Ehrgeiz und all den Ballast.
Die Ehren und Würden,
So lästige Bürden,
Tausch‘ ich für ein Stück Himmel ein,
...
Mit fast hundert Prozent tauben Füßen laufe ich nun weiter, sauge die Stimmung in mich hinein, laß mich treiben, laß mich tragen, erlebe mit Holger die sogenannte Mainzer Landstraße, ein Inbegriff von Stimmungstief und lebloser Straße, finde das aber längst nicht so dramatisch, da ich nicht mehr leide... genieße dann das Flair, die schmalen Zuschauergassen, bei denen man kaum zu zweit nebeneinander durchlaufen kann, habe Spaß, richtig Spaß, kann ab km 33 wieder über Kostüme lachen, was auch den Holger freut... und genieße diesen Marathon in vollen Zügen. Hin und wieder erwische ich mich anfangs dabei, noch auf meine Marschtabelle zu schielen, der Übermut wird dann jedoch schnell durch meine tauben Füße gedämpft, die schalte ich nun endgültig ab, und laufe, und laufe, und laufe fast von allein durch das wunderbare Publikum in Köln.Hab‘ ich aufgegeben,
Was in meine Taschen nicht paßt:
Den Zwang stets zu siegen,
Den Neid, die Intrigen,
Den Ehrgeiz und all den Ballast.
Die Ehren und Würden,
So lästige Bürden,
Tausch‘ ich für ein Stück Himmel ein,
...
Bei km 35 sehe ich dann mandy, ich freu mich wie blöde, sie läuft wie immer ein Stück mit mir zu dem Rest der Groupie-Truppe, Greenhörnchen, Bonsai und (was mich am allermeisten freut: meine Tochter), ich umarm sie alle, bin total happy, fliege weiter und merke gar nicht, daß es Holger nun gar nicht mehr so gut geht.
Meinen mitllerweile restlos tauben Füße versuche ich zu ignorieren, das fällt bei dem Jubel an der Strecke sogar leicht, trotzdem verfluche ich die Strümpfe! Sogar Red Bull bei km 38 riskiere ich, hab doch eh nix zu verlieren. Und ich muß sagen: es ist Klasse. Nur die ersten hundert Meter danach kleben die Schuhe etwas an den von diesem Zuckerwasser getränkten Asphalt. Ich mache meine Witze darüber, Holger scheint das aber nicht zu interessieren. Wen wundert es, hat er doch erst vor 7 Tagen einen Traum-Marathon absolviert. Nun ist er es, der meint, ich solle mein Tempo laufen, da es mir bereits seit 5 Km wieder phantastisch geht. Aber diese Frage stellte sich mir nicht: wir bringen das Ding zusammen zu Ende, er war bei mir, als es mir nicht gut ging, nun werd ich ihn nicht hängen lassen. Warum auch, ich hatte mich schließlich für Spaß entschieden und den werde ich nur haben, wenn wir zusammen durch`s Ziel laufen.
Bei Km40 grüßt der Dom mit seiner Spitze über die schmale Häusergasse und ich erinnere mich an den Jungfrau-Marathon. Da stand an dieser Steller der Dudelsackspieler und läutete das Ende der Strapazen ein. Ich erzähle es Holger, aber zwei Ecken weiter kommt es noch besser: Wie aus heiterem Himmel steht er da vor uns im Sonnenschein: Der ganze große Kölner Dom in seiner vollen Pracht, die Stimmung der Zuschauer und diese Erscheinung lassen mich einen Gänsehaut am ganzen Körper bekommen. Das ist so wahnsinnig schön. Nachdem ich auf der Deutzer Brücke, zwei Kilometer vor dem Ziel noch einmal meinen „Fanblock“ treffe, bekomme ich den nötigen Kick für den Rest der Strecke.
Links neben mir höre ich plötzlich ein erschöpftes, schweres Schnaufen, nein, das war nicht Holger, der lief ja rechts von mir (und war ganz still), aber ein anderer Läufer kämpfte sich im wahrsten Sinne des Wortes ins Ziel. Ich sagte ihm, er soll jetzt nicht sterben, packte ihn bei der Hand und versuchte, ihn mit Gesprächen wie „wie hießt Du und wo kommst Du her...“ von seiner Tortur abzulenken. Das ist mir auch gelungen, seinen Namen hab ich vergessen, aber er kam aus dem Allgäu. Ich sagte ihm, das hab ich mir schon immer mal gewünscht, mit zwei Männern an der Hand ins Marathonziel zu laufen.
Durch Standing Overtions flogen wir so zu Dritt dem Ziel entgegen, phantastische, einmalig, grandios – beende ich meinen 11. Marathon beim 11. Köln-Marathon in einer spaßigen Zeit von 03:40:43.
Nein, das ist natürlich so nicht richtig, es muß heißen: Beenden wir.... denn es war eine Teamleistung, dieser Köln-Marathon. Holger, es war mir ein Vergnügen, ich danke Dir, denn ich weiß, daß Du es eigentlich viel gemütlicher angehen wolltest. Aber ich finde, wir haben das beide richtig gut gemacht.
Ich bin sehr froh, viel glücklicher als in Hamburg, wo ich zwar 8 min schneller war, aber sehr frustriert, weil es so hart war. Und wenn ich recherchiere, daß ich vor einem Jahr in Frankfurt zwar 50 sec schneller war, mich aber wesentlich mehr quälen musste, dann beweißt mir das, daß ich doch nicht so ganz auf der Stelle getreten bin, in diesem einen Jahr.
Ich bin ebenfalls froh, daß ich mir selber treu geblieben bin, schließlich hatte ich mir doch geschworen:
Schnatterinchen vom 23.06.2006 hat geschrieben: Marathon soll Genuss bleiben
Wunderschön auch, noch ein paar liebe Foris zum ersten Mal zu treffen, neben Bonsai auch Melrose, haidée69, Jo, den „Jungen Wilden“ Sperling, Feanor, Notis und HaDi – alles tolle Leute, sowie die bereits bekannten Amanda, Greenhörnchen und natürlich meinen oLi, was mich wieder einmal sehr gefreut hat.
Und somit bleibt mir eigentlich nur am Schluß zu sagen: Danke Köln, danke für den Spaß und vor allem für die Erkenntnis das man nicht immer eine Bestzeit laufen muß, um zufrieden zu sein.
Die Zeit des Gauklers ist vorbei,
Verklungen Sang, Schnurrpfeiferei,
Verstummt die Laute, die der Musikant noch in den Händen hält,
Der Tisch verwaist, die Gläser leer,
Das Fest ist aus. Es bleibt nichts mehr,
Als abzugeh‘n, man sagt: Der Narr ist traurig, wenn der Vorhang fällt.
Und das Fest, das wir endlos wähnen,
Hat doch wie alles seinen Schluß.
Nun, keine Worte und keine Tränen,
Alles kommt, wie‘s kommen muß.
(R. Mey)
Verklungen Sang, Schnurrpfeiferei,
Verstummt die Laute, die der Musikant noch in den Händen hält,
Der Tisch verwaist, die Gläser leer,
Das Fest ist aus. Es bleibt nichts mehr,
Als abzugeh‘n, man sagt: Der Narr ist traurig, wenn der Vorhang fällt.
Und das Fest, das wir endlos wähnen,
Hat doch wie alles seinen Schluß.
Nun, keine Worte und keine Tränen,
Alles kommt, wie‘s kommen muß.
(R. Mey)