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1000 Kilometer bis Berlin

1000 Kilometer bis Berlin

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Vorspann
In meiner persönlichen Lebensplanung war ein Marathonstart eigentlich vor dem 40. Geburtstag vorgesehen. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich diesen Punkt dort aufgenommen habe, ich glaube es war so um meinen 35. Geburtstag herum, denn da hatte ich schon gut 15 Jahre auf der faulen Haut gelegen und mich meistens nur mit langsamen Schritten bewegt und das gefiel mir schon damal nicht.
In meiner Jugend bestimmte der Sport meinen Alltag. Fussball, Tennis, Handball, Turnen, Fahrradfahren, Rollschuhlaufen etc. Ich war für alles zu haben. Mit Eintritt in die Bundeswehr war's damit vorbei. Von meinen damals 65kg bei 178cm Körpergröße hab ich mich verabschiedet und landete bei 79,5kg im Januar 2007. Mittlerweile war ich 40 Jahre alt geworden. Dazwischen lag die Studienzeit und die ersten 10 Berufsjahre.
Mein Ziel einen Marathon zu laufen hatte ich also bis zum 40. nicht geschafft. Aber aus den Augen hatte ich es nicht ganz verloren. Im Oktober 2007 hab ich dann mit meinem Elternjahr begonnen, um auch meinen Beitrag zur Betreuung meiner beiden Töchter zu leisten. Aus heutiger Sicht war dies eine meiner besten Entscheidungen überhaupt, denn ich konnte nicht nur ein ganzes Jahr mich meinen Kindern widmen, es blieb sogar noch Zeit mein Marathonziel anzugehen.
Nachdem ich mich bereits im Dezember für den Berlin-Marathon 2007 angemeldet hatte, nahm die Anlaufphase noch ein bisschen Zeit in Anspruch. Wie schön waren die Abende, an denen man unbeschwert ein paar Gläser Rotwein genießen konnte, ohne mit den Gedanken schon wieder bei dem nächsten Arbeitstag angekommen zu sein. So verstrich die Zeit bis Ende Januar mit dem oben genannten Ergebnis.
Auf einem Wochenendtrip mit ehemaligen Arbeitskollegen nach Riga (EasyJet macht's möglich) bin ich dann in die Wettfalle gestolpert. Bei einigen Bieren zu viel hab ich großspurig erklärt, den Marathon unter 4h zu laufen – ein Bekannter aus dem Kita-Umfeld, den ich von meinen Marathonplänen erzählt hatte, hatte mir zu verstehen gegeben, nur unterhalb von 4h würde ein Marathon „Spaß“ machen, da es ansonsten zu voll auf der Strecke wäre -. Da zwei von den Ex-Kollegen schon Marathonerfahrung hatten, boten sie mir sofort eine Wette an. Unter vier Stunden beim ersten Marathon war an sich schon unrealistisch, bei meiner sportlichen Karriere in den letzten 20 Jahren aber so gut wie unerreichbar.
Doch mein Ehrgeiz war damit gepackt...

Der Trainingsbeginn
Der Februar in Berlin ist nicht wirklich der schönste Monat, um mit einen solchen Projekt zu beginnen. Es war kalt und feucht und fast immer dunkel.
Meine ersten Ausläufe startete ich, nachdem die Kinder im Bett waren. Die Temperaturen lagen so um den Gefrierpunkt. Also packe ich mich dick ein, hole die alten und unbenutzten Joggingschuhe aus dem Schrank hervor, die ich mal für 50 Euro im Ausverkauf erstanden habe, und los geht's. 15min ganz lockeres Laufen, Distanz ca. gute 2km, das reichte fürs Erste. Damit war ein Anfang gemacht. In der Folge kostet es mich jedesmal Überwindung abends aus der wohltemperierten Wohnung auf die Straße zu gehen. Spaß macht das nicht wirklich, aber es muss sein.
3-4 mal pro Woche wird das Laufen nun meine Abende „bereichern“.
Neben dem Training habe ich auch angefangen meine Ernährung umzustellen. Das bedeutet zum einen Reduzierung des Rotweinkonsums und zum anderen ein knallhartes „Friss-die-Hälfte-Programm“.
In der zweiten Woche laufe ich schon 20-25 Minuten pro Lauf. In der vierten Woche das erste mal 40min. Mittlerweile habe ich Summe ungefähr eine Marathondistanz zurückgelegt. Die Vorstellung diese Distanz am Stück zu laufen schüchtert mich ganz schön ein. Dann bremst mich eine Erkältung erst einmal für eine Woche aus. Die Zeit nutze ich, um die gelaufenen Strecken mit googleearth nachzumessen, um in meinem Laufbauch eine möglichst genaue Historie zu pflegen. In Woche sechs laufe ich an einem Tag 47min, gemessene Strecke 7,8 km, dass ist ein Schnitt von 6min/km! Mein Ehrgeiz wächst von Lauf zu Lauf.

Der Trainingseifer
Um dem kalten Wetter in Berlin zu entkommen fahre ich im März zwei Wochen mit den Kindern nach Alicante. Hier sind die Temperaturen zum Laufen wunderbar. Der Untergrund am Strand ist auch nicht schlecht und schont meine Knie etwas. Das erste Mal laufe ich über eine Stunde und lege ca. 10km zurück. Ein wahnsinniges Glücksgefühl. Langsam merke ich, dass mich das Laufen süchtig macht. Mein Abschlusslauf am Strand dauert dann schon 88min, 14,6km lege ich zurück, die Knie schmerzen, ein Fußnagel hat sich bei der Aktion verabschiedet. Das war nun sicherlich zu viel des Guten. Mein Gewicht ist mittlerweile um knapp 5kg eingeschmolzen. Ich bringe noch gerade 75kg auf die Waage.
Zurück in Berlin hat sich der Winter endgültig verabschiedet. Endlich kann man mit kurzen Hosen und T-Shirt laufen. Das Wetter macht mich euphorisch. An einem Sonntag laufe ich morgens 11km und abends noch einmal 10km. Mein Körper scheint die Belastung zu verkraften. Doch dann kommt der erste Warnschuss. Bei einem Wochenendaufenthalt in meiner hessischen Heimat laufe ich das erste mal mit richtigen Höhenunterschieden. Nach dem Lauf meldet sich sofort meine rechte Wade zu Wort. Ich mess dem noch nicht allzu viel Bedeutung bei, doch nach der Rückkehr nach Berlin muss ich meinen ersten Lauf nach 5km abbrechen, da ich nicht mehr auftreten kann. Der Schmerz lag zwischen Achillessehne und Wadenmuskelansatz, ist aber nach ein paar Tagen Pause wieder vollständig verschwunden und nicht mehr aufgetreten.
Zu dieser Zeit lerne ich dieses Forum kennen und schätzen. Ich habe zwar noch nicht viel selbst beigesteuert, aber durch Herumstöbern eine Unzahl von nützlichen Hinweisen rund um das Laufen aufgeschnappt. Ich hab Dinge erfahren von Trainingsplänen, Pulsmessern, Ernährung vor und während des Marathons, Ausstattung usw. und habe viele schöne Laufberichte gelesen. Die Beiträge im Forum haben mir auch aufgezeigt, wie verrückt meine Marathonplanung ist. Mindestens 1,5 Jahre Vorbereitung sollte man einplanen, um vernünftig an das Ziel zu kommen, ich habe gerade einmal 8 Monate. Das ist zwar extrem unvernünftig, aber ich muss da durch. Viel zu vielen Freunden und Bekannten habe ich von meinem Vorhaben erzählt, um mich bewusst unter Druck zu setzen. Da kann ich den Marathon nicht um ein Jahr verschieben, auch wenn dies der vernünftigere Weg wäre.
In der Folge versuche ich die Hinweise, die ich aus dem Forum bekommen habe umzusetzen. Die Ersteigerung einer Polar b3 bei ebay hilft mir dabei einzuschätzen, in richtigen Drehzahlbereich zu laufen.
Bis zum Marathon sind es nun noch 20 Wochen. Ich weiß, dass ich mein Wochenpensum langsam steigern muss, um mein Ziel zu erreichen. Ab sofort versuche ich 40km pro Woche zu laufen und das geht gleich nach hinten los. Das rechte Knie spielt nicht mit. Irgendetwas am Außenband scheint nicht zu stimmen. Nach langen Recherchen im Internet komme ich zum Schluss, dass es dass ITBS oder eine andere Form der Überlastung sein muss. Ich merke, dass ich mich mit meinen Trainingsintensitäten an der Grenze befinde, was meine Knie zulassen.
Die notwendige Trainingspause nutze ich um eine Laufanalyse in einem Laufcenter zu machen. Natürlich stellte sich heraus, dass meine Schuhe völlig ungeeignet für mich waren. Zwei Nummern zu klein, mit Pronationsstütze usw. Und damit habe ich bisher fast 400km zurückgelegt, sehr ärgerlich. Ich verlasse den Laden mit einem guten Gefühl und einem neuen paar Laufschuhen. Eine Investition von 120 Euro, die sich gelohnt haben.
Das Training nehme ich langsam wieder auf, zunächst 5km, dann 7,5km, dann wieder 10km. Es funktioniert, die Schmerzen bleiben weg, es läuft sich wunderbar mit den „Neuen“. Die Laufsucht nimmt zu. Ich werde ärgerlich, wenn ich aus irgend einem Grund nicht zum Laufen komme.
Mittlerweile ist es Ende Mai und ich trete den Sommerurlaub mit der Familie nach Korsika an. Natürlich will ich dort auch ganz viel Laufen, aber es kommt wieder einmal anders. Diesmal stoppt mich keine Verletzung, diesmal sind es die nicht angeleinten Hunde, die mir haufenweise begegnen und mich nicht immer freundlich empfangen. Ich schaffe in den drei Wochen nur 6 Läufe, sehr unbefriedigend.
Wieder in Berlin forciere ich das Training, es sind nur noch 15 Wochen bis zum Marathon. Mittlerweile habe ich mein Gewicht auf 71kg reduziert, damit läuft es sich schon ganz vernünftig. Ich erhöhe die Laufstrecken einmal pro Woche auf 15km und dann auf 20km. Dabei laufe ich auch die langen Distanzen ohne Verpflegung, das heißt auch ohne Wasser. Das scheint überhaupt kein Problem zu sein. Ich verspüre keine Anzeichen von Dehydrierung.
Mein Wochenumfang erhöht sich auf 50km. Das geht zwei Wochen gut, dann ist Schluss. Nun ist es das linke Knie, das nicht mehr will, die Schmerzen spüre ich am Innenband. Ich kann kaum auftreten, geschweige denn, gehen. Nach einer Woche merke ich noch keine Besserung. Auch nach zwei Wochen stellt sich keine Besserung ein. Mittlerweile kühle ich ständig das Knie, versuche so wenig zu gehen wie möglich und das Bein zu entlasten.

Die letzten 10 Wochen – Training nach Trainingsplan
Es sind noch 10 Wochen bis zum Marathon. Statt mit dem 10-Wochen-Trainingsplan zu beginnen, den ich aus dem Buch von Herbert Steffny, Perfektes Marathon Training entnommen habe (das Buch lohnt sich meiner Meinung nach nicht, die Trainingspläne sind ok), sitze ich immer noch rum und kühle ständig mein Knie. So langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun. Das ganze Projekt steht auf der Kippe. Freunde raten mir einen Arzt aufzusuchen, aber was wird der mir empfehlen? Wahrscheinlich steckt der mich in die Röhre und empfiehlt mit mich zu schonen. Ich entscheide mich auf meinen Körper zu hören und abzuwarten.
Die dritte trainingsfreie Woche vergeht. Am Ende der Woche verschwinden die Schmerzen auf einmal. Ich bin sehr erleichtert. Nach 22 Tagen beginne ich wieder mit dem Training. Die ersten beiden Läufe gehen über 7km, das Knie scheint zu halten. Dann erhöhe ich wieder das Pensum.
Es sind jetzt noch 8 Wochen bis zum Marathon. Endlich beginne ich mit dem Trainingsplan.
Ich habe den Trainingsplan ausgewählt, der auf eine Zielzeit von 3:30h ausgerichtet ist. Natürlich werde ich nicht so verrückt sein, bei meinem ersten Marathon eine solche Zeit anzugreifen, aber um sicher unter vier Stunden zu bleiben scheint mir dieser Trainingsplan geeignet zu sein.
Gleichzeitig passe ich die Ernährung nochmals an. Der Kohlenhydratanteil wird erhöht. Die folgenden
Wochenenden werden nun durch das Laufen bestimmt. Läufe über 150-180min stehen auf dem Programm. Ich muss mich zwingen das Tempo auf den langen Läufen niedrig zu halten. Trotzdem lande ich bei den langen Läufen schon bei über 30km. Für mich ist aber die wichtigste Erkenntnis, dass der Körper, insbesondere die Knie mit machen.
5 Wochen vor dem Marathon mache ich dann den ersten ernsthaften Test auf 10km. Ich stoppe 47min und bin damit natürlich voll zufrieden. Noch vor einem halben Jahr hätte ich die Distanz niemals unter 1 Stunde laufen können. Das Wochenende darauf noch ein 30er und 3 Wochen vor em Tag der Tage der Halbmarathontest. Wieder konnte ich mich nicht dazu entscheiden unter Wettkampfbedingungen starten, so laufe ich nur gegen mich und die Uhr. Mit dem Ergebnis von 1:43h bin ich wiederum voll zufrieden. Natürlich rechne ich sofort aus, was dies für die Marathondistanz bedeuten könnte: Halbmarathonzeit x 2,2 +20min Reserve, da es mein erster Marathon ist --> 4:06h. Das wird also extrem knapp mit einer Zeit unter 4 Stunden. Trotzdem wächst mein Zutrauen, dass das Projekt gelingen kann.
Dann steht der letzte lange Lauf an. 2 Wochen sind es noch bis zum Marathon. Heute sollen 36km absolviert werden. Diesmal teile ich mir die Strecke so ein, dass ich 2 Verpflegungspausen einlegen kann. Der Lauf geht problemlos. Bei Kilometer 25 entscheide ich mich dazu, am Ende noch eine Extraschleife einzulegen, um auf 40km zu kommen. Ich will möglichst nah an die Marathondistanz heran. Dies war kein guter Plan, wie sich bei Kilometer 35 herausstellt. Ich bin auf einmal total kaputt und entscheide mich nach Hause zu laufen. Also doch „nur“ 36km als letzter Härtetest. Der Akku war komplett leer. Hat da der Mann mit dem Hammer bei mir angeklopft? Blitzartig ist der Respekt vor der Marathondistanz zurückgekommen. Noch an diesem Abend entscheide ich, dass dies der letzte lange Lauf war. Die 25km, die eigentlich 1 Woche vor dem Marathon anstehen lasse ich ausfallen. Ab jetzt ist Schonung angesagt. Mittlerweile hat sich mein Körpergewicht weiter auf 65kg rediziert.

Die Vorbereitung auf den Lauf
Sonntag, eine Woche vor dem Marathon, der Countdown läuft, das Training ist abgeschlossen, aber heut ist noch ein besonderer Tag, denn ich habe in meinem Laufkalender nachgerechnet, dass noch genau 10km bis zur 1000km Marke fehlen. Ich gehe natürlich mit einem super Gefühl auf meine Trainingsrunde und genieße diesen Lauf ganz besonders.
Die Woche über laufe ich dann wirklich nur noch kleine Trainingseinheiten, alles nur zur Entspannung, nur kein Risiko mehr eingehen, keine roten Ampeln überqueren, aufpassen bei den Bordsteinkanten, Vorsicht bei der Holzbrücke am Hauptbahnhof bei Nässe...
Ich will mich auf den letzten Trainingsmetern nicht verletzen. Ab jetzt auch äußerste Vorsicht, dass ich mir keine Krankheit einfange. Das Programm Schonung ist voll angelaufen.
Freitag geht’s dann zur Messe, Startnummer und Chip abholen, ich kaufe mir vor Ort meine ersten richtigen Laufklamotten, die Angebote sind einfach zu verlockend. Bei der Kulisse von so vielen Laufverrückter beginnt bei mir das Kribbeln.
Der Samstag steht ganz im Zeichen von trinken, trinken, trinken. Ich mache meine Zeitplanung, ein Armband für schnelles Tempo, ein Armband für langsames Tempo. Die Endzeit habe ich bei schnellem Tempo mit 3:42h berechnet, bei langsamen Tempo mit 3:54h. Natürlich will ich auch bei einem „eher langsamen“ Tempo die 4h-Marke knacken.
Dann wird der chip am Schuh befestigt, die Socken und Schuhe noch einmal kurz „warm“ gelaufen
Abends backen wir mit mehreren Familien Pizza. Ich verdrücke ein gesamtes Blech, dazu ein Glas Rotwein. Ich bespreche mit Claus denn Rennverlauf. Er will mich ab KM 34 bis ins Ziel ziehen. Meine Nervosität hält sich in Grenzen, um 23Uhr bin ich im Bett.


Der Marathon
Ich hab gut geschlafen, stehe um 6uhr auf und fange sofort an, Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Zunächst der obligatorische frisch gepresste Orangensaft, danach vor allem viel Wasser. Zum Frühstück gibt’s püriertes Müsli mit Banane. In Verbindung mit dem Orangensaft wirkt das bei mir immer, um die anstehend Morgensitzung zu forcieren. Ich bin ein bisschen nervös, aber fühle mich sehr gut.
Nun beginnt die Prozedur des Schuhanziehens. Immer wieder ziehe ich die Schuhe und Socken an und aus. Irgendwo zwickt es immer noch, doch irgendwann habe ich nichts mehr auszusetzen und verschnüre die Schuhe sorgfältig, damit mir nur kein Schnürsenkel während des Laufes aufgeht.
Auf dem Weg zum Start trinke ich nochmals 0,5 liter. Ich bin nun vollständig hydriert.
Um 8uhr stoppe ich dann die Flüssigkeitsaufnahme und muss nun ca. alle 10 Minuten Wasser lassen. Die Dixie-Klos kann man natürlich vergessen, der arme Tiergarten muss wieder herhalten, geht heute leider nicht anders.
Ich beschließe als letzter zu starten, um die ersten Meter freie Bahn zu haben. Die Nervosität steigt. Neben mir läuft sich ein Typ asiatischer Herkunft warm. Aber nicht so wie ich es kenne. Er läuft rückwärts. Hat er tatsächlich vor den ganzen Marathon rückwärts zu laufen? Ich bin sprachlos.
Es ist schon 9uhr durch, der Start ist erfolgt. Es dauert ziemlich lange, bis endlich 20 min später der letzte Block startet. Noch immer geht es nicht los, ich versuche mich irgendwie warm zu halten, ohne viel Energie zu verschwenden.
Um 9Uhr28min stehe ich dann an der Startlinie. Es geht los! Noch schnell die Stoppuhr angeschaltet und auf geht’s. Nach 500m überhole ich den Rückwärtsläufer, er hat sogar eine relativ Große Fahne bei sich. Die ersten Läufer springen links und rechts von der Strecke und verabschieden sich zum Wasserlassen in die Büsche. Zum Glück hab ich das vorher erledigt. Jetzt bin ich auf das Feld aufgelaufen. Von nun an geht es auf einen Zickzackkurs, immer wieder beschleunigen, bremsen, beschleunigen, bremsen. Mal links vorbei, mal rechts vorbei.
Bei KM 5 die erste Zwischenzeit, ich bin 2min schneller als meine optimistische Planung vorgibt. Sofort versuche ich das Tempo zu drosseln. Danach der erste Verpflegungspunkt. Ich habe mir vorgenommen an jedem Punkt zu trinken, egal ob ich Durst habe oder nicht. Das Trinken beim Laufen hab ich im Training natürlich nicht geübt. Jetzt kipp ich mir den halben Becher am Mund vorbei.
Bei KM 10 steigen die ersten aus, ich hingegen fühle mich pudelwohl. Bei KM 15 passiere ich meinen ersten Anfeuerungsposten, also kurzer Stop und Küsschen, schon geht’s weiter. Die KM purzeln nur so an mir vorbei. Manche Kilometerschilder bekomme ich in meiner Euphorie gar nicht mit. Doch dann bei KM 20 stimmt irgendetwas unter der linken Fußsohle nicht. Es zwickt unangenehm, da scheint sich eine Blase zu bilden. Sowas hab ich überhaupt noch nicht gehabt, nicht mal nach 36km, ärgerlich, die ganze Schuhanziehprozedur hat nichts gebracht. Aber egal es geht weiter.
Mittlerweile sehe ich viele, die das laufen eingestellt haben, bei KM 20 scheint eine psychologische Schwelle zu liegen. Am nächsten Verpflegungsstand lege ich einen kurzen Stopp ein, esse eine Banane und spül sie mit warmen Tee runter, das tut gut, Tee scheint im Augenblick das Richtige zu sein.
KM 21, am Streckenrand wird ein Schild hochgehalten „Haile holt den Weltrekord, 2:04:26h. Wir freuen uns im Feld, aber schnell sind die Gedanken beim eigenen Tempo, Halbmarothondistanz in 1:47h, kurze Hochrechnung, das sieht gut aus. Wenn ich durchhalte, sind die 4h kein problem. Ich reiße schon einmal das Armband mit den langsamen Zeiten vom Arm. Das werde ich nicht mehr brauchen, egal wie es ausgeht.
Dann passieren wir den Wilden Eber. Hier ist natürlich eine Riesenstimmung, das kenne ich bisher nur aus dem Fernsehen. Aber zu schnell bin ich an ihm vorbei, um die Stimmung dort richtig auskosten zu können. Schade!
Bei KM 30 steht dann ein weiterer Anfeuerungsposten, diesmal bin ich auf der falschen Seite und kann nur rüberwinken. 30km sind geschafft, ich fühle mich immer noch frisch. Am nächsten Verpflegungsstand greife ich aus Versehen zu Basica. Schmeckt nicht besonders gut das Zeug und ich bekomme leichte Magenprobleme davon. Das hätte ich mal besser nicht nehmen sollen. Ich hoffe nur, dass die Probleme nicht schlimmer werden.
Bei KM 34 steht und jubelt meine Familie. Ich halte natürlich an und umarme erst einmal Alle. Ab hier hab ich Unterstützung von Claus, er wird mich bis zum Ziel begleiten. Ich fühle mich immer noch gut. Die Strecke ist nach wie vor voll. Das hätte ich so nicht erwartet. Bisher war der Marathon ein einziger Zickzackkurs. Wahrscheinlich hat mich das aber vor einem schnelleren Tempo bewahrt, was mein Glück war wie sich noch herausstellen sollte.
Ab KM 36 bekomme ich Probleme im Beckenbereich, die Beine wollen auch nicht mehr so richtig und außerdem nimmt der Durst zu. Zum Glück hab ich jetzt Claus bei mir, so dass ich an den Versorgungsstationen immer doppelte Mengen zu mir nehmen kann.
KM 38 Leipziger Straße, jetzt ich bin total kaputt und frage mich warum ich jetzt noch endlos in Richtung Osten laufen muss. Claus zieht mich, aber ich kann kaum folgen. Ich spüre, dass meine Zeiten jetzt deutlich langsamer werden, aber ich laufe. Die ganze Sache ist jetzt nicht mehr vergnügungssteuerpflichtig. Ich laufe in einen Tunnel und frage mich, ob das der Hammermann ist, von dem ich im Forum so viel gelesen habe? Nun muss ich sehr kämpfen aber es ist nicht mehr weit. Ich werde auf jedenfall durchlaufen.
KM 40 endlich geht’s auf die Linden. Ich habe unglaublichen Durst und trinke 2 Becher, schütte mir noch einen über den Kopf. Mittlerweile werde ich öfter überholt. Das ist auf der ganzen Strecke nicht der Fall gewesen. Ich laufe wohl sehr langsam aber es muss bald vorbei sein. Nur schemenhaft bekomme ich links und rechts die Tribünen mit, von denen uns zugejubelt wird.
Dann durchlaufe ich das Brandenburger Tor, jetzt sind es nur noch ein paar Meter, dann das Ziel. Es ist vorbei, 3:37h zeigt meine Stoppuhr an. Das kann nicht wahr sein, damit hab ich wirklich nicht gerechnet.
Ich bin total glücklich aber auch völlig erschöpft und ich habe unendlich Durst. Obwohl ich an jedem Versorgungspukt getrunken habe, war dies offensichtlich zu wenig. Ich bin dehydriert.
Aber zunächst gibt es hier kein Wasser. Wir bekommen erst einmal die Medaillen umgehängt. Danach werden wir rechts um die Ecke geleitet und ich erblicke einen Versorgungspunkt, erreich ihn mit letzter Kraft und fange sofort an Unmengen zu trinken. Nach ein paar Minuten hab ich dann meinen ersten Durst gestillt und nehme einen Verpflegungsbeutel in Empfang, den ich auch sofort restlos leer esse. Nun fühl ich mich schon viel besser und gehe langsam zurück nach Hause.
Für den Rest des Tages ist Körperpflege angesetzt. Zunächst einmal ab in die Badewanne. Eineinhalb Stunden verbringe ich darin. Danach lass ich mich ein bisschen von meiner Familie feiern. Abends geht’s Flammkuchen essen und Federweißer trinken. Ich fühl mich bombastisch.
Morgen beginnt mein erster Arbeitstag, das Elternjahr ist vorbei. Ich bin sehr zufrieden, dass ich es auch dazu genutzt habe, mit dem Laufen anzufangen. 8 Monate Vorbereitung, 1000km bis zum Marathon 14kg dabei auf dem Weg verloren. Es kommt mir alles wie ein Traum vor.
Ich weiß, dass ich sehr viel Glück gehabt habe. Die Vorbereitungszeit war ja viel zu kurz bemessen und dadurch habe ich immer sehr knapp an der Belastungsgrenze trainiert. Auch komplett ohne Wettkamperfahrung bei meinem ersten Marathon anzutreten war sicherlich ein Risiko. Aber jetzt bin ich glücklich, dass ich es so gemacht habe. Am Ende hab ich immer auf meinen Körper gehört und mir entsprechende Auszeiten genommen wenn's gezwickt hat bzw. Anzeichen von Überlastung aufgetreten sind.

Was kommt nach dem Marathon?
Nach mittlerweile über 2 Wochen Distanz, einer überstandenen Magen-Darm-Grippe und einem ersten Lauf danach sind die Pläne für das nächste Jahr schon gereift. Nach dem Marathon ist natürlich vor dem Marathon. Hamburg 2008 ist schon gebucht, der Halbmarathon in Berlin ebenfalls. Ich laufe auf jeden Fall weiter. Bisher ist noch keine Wette gemacht, aber das nächste Ziel liegt ja quasi auf der Hand und ist auch gar nicht so weit entfernt.
Ich hoffe, dass ich Euch mit meinem Lauf(vorbereitungs)bericht nicht gelangweilt habe.

Liebe Grüße von einem mittlerweile Laufverrückten
Lars

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Puh... Klasse Bericht. Sehr spannend - nicht nur der Lauf, sondern insbesondere die Vorbereitung - habe die ganze Zeit beim Lesen gedacht, ob das mal gut geht. Das es ziemlich grenzwertig ist, was Du da gemacht hast, ist Dir ja klar. Aber Super Ergebnis! Glückwunsch!

Bin gespannt, wie es bei Dir weitergeht (aber nicht mehr so übertreiben, gell?)

P.S. Meinen ersten Marathon bin ich vier Monate vor meinem 41. gelaufen :zwinker5:
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Ein toller Bericht, keine Zeile zu wenig! Herzlichen Glückwunsch zu diesem Projekt und natürlich auch zu der erreichten Zeit!
Um was ging es denn bei der Wette? Hat sichs auch da gelohnt?

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Hat mich sehr an meine erste Vorbereitung erinnert: 8 Monate Zeit, ITBS, ähnliche Umfänge, Verkühlung, ähnliches Ergebnis (nur daß ich beim Lauf austreten mußte).

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:respekt: ein wunderschöner Bericht über den Beginn eines Läuferlebens und dann gleich noch als erster Wettkampf überhaupt der Berlin-Marathon :daumen: .
Herzlichen Glückwunsch zum Finish in sehr respektabler Zeit.
Für die nächsten größeren Laufevents wünsche ich dir viel Erfolg und bleib gesund. Die Wehwehchen kommen leider manchmal wieder und da auch du schon über 40 bist .... :teufel: . Ich glaube manchmal das ist die beste Lebens-Lauf-Zeit :D .
Tati
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was für ein spannender,interessanter bericht.
respekt für diese wahnsinnsleistung und toll das du auch noch richtig spass am laufen gefunden hast :daumen:

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Hallo,

das ist wirklich ein sehr schöner Bericht. Herzlichen Glückwunsch :daumen:

Eines würde mich dennoch interessieren? Was war der Wetteinsatz?

Grüße
eMeL
Schweiß fließt, wenn Muskeln weinen
_________________________________

2007-05-27 Benefiz-Lauf SZ 5,4 KM, 36:02 Min.

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Hallo Lars,

Glückwunsch, das ist nach so kurzer Zeit (1000km sind fast nichts) und bei einer eher nicht so guten Ausgangsposition ein tolles Ergebnis. Wenn Du jetzt dran bleibst, aber nichts überstürzt, kannst Du noch viel mehr erreichen.

Gruß,

Carsten

P.S.: Auf 65kg möchte ich auch gerne wieder...

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Aha, noch ein Elternzeit-Papa :daumen: . Meiner fand auch, daß es die beste Entscheidung war, die er jemals getroffen hat (neben der, bei der Entbindung dabei zu sein :) ). 8 Monate Vorbereitung sind doch eine gute Zeit. Ich habe mich 3 Monate vorbereitet, bin aber vorher schon ein Jahr lang 30 Kilometer pro Woche gelaufen. Für Deine weiteren Ziele wünsche ich Dir viel Erfolg und: Du brauchst keine Wetten mehr, glaub's mir :nick: .
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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tonto hat geschrieben:Ich hoffe, dass ich Euch mit meinem Lauf(vorbereitungs)bericht nicht gelangweilt habe.
Überhaupt nicht!
Aber ich gebe zu, dass er mir eigentlich viel zu lang war und ich ihn erst nach den Reaktionen der Vorschreiber gelesen habe. :zwinker5:
Meine Glückwünsche zur überstandenen Vorbereitung und dem guten Lauf!

Eine Frage ist noch offen: worum ging es bei der Wette? Was hast du gewonnen? :D
"If I had no sense of humor, I would long ago have committed suicide." (Gandhi)

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Wow!
Während der ersten Zeilen habe ich noch gedacht:" Wird ja langatmig" Doch wie bei einem guten Krimi wurde Dein Bericht immer spannender und spannender und später wollte ich nur noch eins wissen: "Schaffst Du es?"
Danke für die vielen Zeilen und das happy End, was anderes hättest Du nach dem spannenden Krimi aber auch nicht schreiben dürfen :wink:

Ciao
Bifi
Was man nicht im Kopf hat,
muss man in den Beinen haben :D

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Hallo Lars!

Wunderschöner Bericht!!! :daumen: Und eine tolle Leistung, die Du da vollbracht hast!!! :nick:

Motiviert dazu, es selbst eines Tages zu wagen!

Grüsse Kleo
März 2007: HM Frankfurt = 2:25:08
August 2007: 10,5km = 1:04:14
Oktober 2007: 10 km = 55:57,2
April 2008: HM Freiburg = 2:11:39

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Melrose hat geschrieben:
Bin gespannt, wie es bei Dir weitergeht (aber nicht mehr so übertreiben, gell?)
Ich bin auch gespannt wie es weiter geht, aber definitiv werde ich die nächsten Schritte vernünftiger planen.
WinfriedK hat geschrieben:
Aber ich gebe zu, dass er mir eigentlich viel zu lang war und ich ihn erst nach den Reaktionen der Vorschreiber gelesen habe.
Ich verspreche mich künftig kürzer zu fassen und so häufig wird es auch nicht einen solchen Anlass geben. War ja mein erster Marathon, da ist man auch noch beim Schreiben hinterher euphorisch.
CarstenS hat geschrieben: P.S.: Auf 65kg möchte ich auch gerne wieder...
...da bin ich mittlerweile auch schon nicht mehr :-(


@ alle, die nach dem Wetteinsatz gefragt haben.
Wie so häufig entstehen Wetten ja eher zufällig und hauen einen nicht vom Hocker. Da Ihr es aber wissen wollt, bitte schön:
Ich fahre einen 25 Jahre alten 200D. Ab Januar darf der nicht mehr in der Berliner Innenstadt fahren. Das ist aber ziemlich gemein und unfair, denn alte Autos von der Polizei, der BSR (Stadtreinigung) und anderen Institutionen dürfen weiterhin drinnen rumfahren, da die Stadt kein Geld hat sich neue Autos anzuschaffen. Ich hab aber auch kein Geld, um mir einen neuen 200D zu kaufen.

Darüber sprachen wir gerade damals in Riga, als ich dann meine Marathonpläne verkündete.
Die Wette bestand nun darin, dass wenn ich unter 4h bleibe, die Rigajungs meinen 200D orange lackieren müssen. Orange deshalb weil der Daimler dann inmitten der ganzen BSR-Kutschen (die sind nämlich alle orange) nicht mehr auffällt (oder auch gerade auffällt, wie man es nimmt) und ich unbehelligt weiter durch die Stadt fahren kann.
Wie Ihr seht ein ziemlich bescheuerter Wetteinsatz, der nur unter einer entsprechenden Menge Bier zustande kommen konnte. Aber ich werde auf der Einlösung der Wettschuld bestehen. Und dann kommt das gute alte Stück wahrscheinlich frisch lackiert in die Presse.

Grüße
Lars

P.S.: Was mein Wetteinsatz war hab ich vergessen. Ich war mir einfach zu sicher, dass ich die Wette gewinne ;-)
Gesperrt

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