Amelia hat geschrieben: Ich urteile nicht über das Schicksal des Kindes oder die Entscheidung der Eltern. Aus Sicht der Eltern war die Entscheidung sicher einfach: Ihnen wurde die OP kostenlos angeboten. Dass sie zugestimmt haben ist absolut nachvollziehbar und für das Kind sicherlich positiv.
Meine Frage zielt auf die andere Seite: Darf die Medizin alles tun, was sie für möglich hält?
Erstens, man kann ethische Entscheidungen an denen mehrere Akteure beteiligt sind aber nicht isoliert von einer Seite (Mediziner, Eltern, arme indische Menschen) aus betrachten, denn es handelt sich bei medizinethischen Bewertungen um eine Abwägung verschiedener Werte, Normen, Interessen und Güter. Deshalb sind Ethikkommisionen ja auch mit verschiedensten Leuten besetzt.
Zweitens, deine Wortwahl "die Medizin" suggeriert, es gebe hier einen einzelnen Akteuer, der die ethische Verantwortung trüge. Das ist nicht der Fall.
Desweiteren halte ich es für einen Irrtum technologische Entwicklung ließe sich steuern. Also dass wir bestimmte OP Verfahren verbieten könnten. In der Regel funktioniert dies nicht, wie man v.a. an der Reproduktionsmedizin sieht. Wissenschaftlicher Fortschritt ist ein kontextspezifisches Konstrukt mit einer ihm innewohnenden indexikalischen Logik. Fortschritt wird also stets durch spezifische Situationen und Interessensstrukturen transformiert werden. Ethik, als Antwort auf die Frage was man moralisch tun darf, ist davon nur ein kleiner Teil.
Das spannende an Medizinethik (und Technikphilosophie allgemein) ist, man hat es mit einem nicht endenden, zyklischen, sich gegenseitig beeinflussenden Prozess zu tun in dem sich Kultur und Gesellschaft sowie Technik und deren Fortschritt gegenseitig determiniert.
Jede Antwort auf die Frage, was soll / darf Medizin ist deshalb allenfalls temporär und stark kulturell begrenzt.
In Indien (und sicher auch in Deutschland) darf sie jedenfalls einem behinderten Kind die überflüssigen und nicht funktionalen Gliedmaßen entfernen.
Da du ja die Menschenleben gegen die OP Kosten aufrechnest - meiner Erfahrung vom indo-pak Subkontinent nach gäbe es bessere Wege um Geld für die arme Bevölkerung umzuverteilen, als aus dem Gesundheitswesen. Indien hat z.B. seinen Verteidigungshaushalt innerhalb der letzten Jahre verdoppelt, auf ca. 14 Milliarden Euro...