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Ein Irrer in Egmont: Ein Läuferspiel in 4 Aufzügen

Ein Irrer in Egmont: Ein Läuferspiel in 4 Aufzügen

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Eigentlich wollte ich zu diesem Laufereignis gar nicht groß was schreiben, handelt es sich doch „nur“ um einen schnöden Halbmarathon, wiewohl herausgehoben durch 12.500-fache Teilnehmerzahl. Bestimmte, noch näher zu erläuternde Vorkommnisse gaben jedoch Anlass, zu Nutz und Frommen künftiger (Lauf-)Geschlechter Tafel und Griffel zur Hand zu nehmen und ein warnendes Beispiel zu setzen.

Der Lauf sei hierzu gegliedert in 4 Teilabschnitte:
  1. Durchs Dorf
  2. Am Strand
  3. Unbefestigt durch die Dünen
  4. Befestigt durch die Dünen
Ergänzt wird er durch 2 Überleitungen zwischen Akt 1 und 2 sowie 2 und 3. Damit wird dann auch fast die Anzahl des Goethe’schen Originals erreicht (Egmont: Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen, gemäß abgewandelter alter Straßenfußballerweisheit: 3 Ecken, 1 Elfer).

Prolog

Da der Lauf schnell ausgebucht ist, was ich ein Jahr zuvor schmerzlich erfahren musste, meldete ich mich schon früh im September 2007 an. Doch so einfach war das gar nicht. Da gab’s einen „Wedstrijdloop“, einen „Recreatieloop“, zusätzlich 2 „Businessloops“ und noch einige weitere für den „Kwartmarathon“. Erläuterungen hierzu: Fehlanzeige!

Den Wedstrijtloop interpretierte ich als sowas wie „Lauf der Asse“ und meldete mich daher an zum „Recreatieloop“, der bei der Startaufstellung später als „Prestatieloop“ auftauchte. Hier hatte ich jedoch geirrt.

Wenige Tage vor dem Lauf grübelte ich über eine realistische Zeitschätzung nach. Nach 2 Wochen Urlaub, mit wenig Training und der sechsten Todsünde, der Völlerei, anheim gefallen, schien mir 1:24 h nicht abwegig. Die zwischen Windstärke 4 und 6 bft schwankenden Wettervorhersagen ließen es jedoch geraten erscheinen, da noch was drauf zu packen, und nach Hin- und Her-Überlegerei lautete meine Marschroute schließlich: durchs Dorf 4 min/km, am Strand bei Gegenwind 4:15 und den Rest dann wieder 4 min/km, ergab etwa 1:26 h plus.


Aufzug 1: Eingekeilt durchs Dorf

Die ersten 3 km recht windgeschützt durch den Ort schienen mir die ideale Einlaufstrecke zu sein. Nicht bedacht hatte ich dabei, dass der Start gestaffelt erfolgte und vor dem Recreatieloop etliche Hundert Wedstrijtloopers, („Business“ und „usual“) starten würden. Und der überwiegende Teil war langsamer als ich, und je näher, umso mehr.

Der Beginn des Laufes bestand daher aus Slalomlaufen und Wirbelsäulengymnastik. Letzteres, da ich jedwede Lücke vor mir zum Durchschlüpfen nutzte und dabei – der Schulterbereich ist nun mal, von Hochschwangeren und dauerhaft der Völlerei verfallenen Mitmenschen abgesehen, die breiteste Stelle des menschlichen Körpers – jeweils meine Körperbreite durch 90°-Drehung reduzierte. Manchmal machten die Voranlaufenden kurz vorm Durchschlüpfen (unbeabsichtigt) zu, so dass sich ein unfreiwilliger Rempler ergab oder aber ich mich zurück fallen lassen und einen neuen Durchschlupf erspähen musste.


Zwischenspiel 1

Als Einstimmung auf die Strandpassage gab’s eine kleine Cross-Einlage, da der Übergang von vielleicht 50 – 100 m aus tiefem, weichem Sand bestand. Das dröhnt, denn „Sand schlägt Schlamm“, wie der erfahrene Crossist weiß.


Aufzug 2: Am Strand im Banne der Naturgewalten

Das gefürchtete Strandstück begann: Endlos weit konnte ich vor mir den Läufer-Lindwurm sehen. Das gleiche wäre auch nach hinten zu sehen gewesen, aber ich brauchte meine Augen und ganze Aufmerksamkeit nach vorne hin, da Slalom und Gymnastik andauerten.

Eigentlich wäre genügend Platz gewesen, aber der Lindwurm stellte nicht nur Hindernis, sondern auch Windschutz dar. Manchmal schienen Läufer aneinander geklebt, so dass keine Lücke erkennbar war und ich nach links oder rechts ausscherte. Doch da traf mich der scharfe Gegenwind mit Wucht, und ich sah zu, dass ich schnell wieder in den Schutz zurückkehrte.

Die einzige Struktur, die dieses Strandstück unterteilte, waren die km-Schilder, ansonsten hieß es immer nur geradeaus laufen mit geringen Schlenkern, die sich durch die Berührung des Meeres mit dem Sand ergaben. Die Kilometer schienen mir allerdings eher ungleichmäßig, lag ich doch teilweise knapp unter 4 min/km.


Zwischenspiel 2

Ich war froh, als ich in ziemlicher Entfernung vor mir die Läuferschlange nach links zu den Dünen abbiegen sah. Aber hier war, wie beim ersten Übergang, erneut Cross angesagt, weichester Sand, tief, und außerdem bergan. Diese Passage schien mir länger als die erste, eher über 100 Meter lang, und als dann endlich fester Boden erreicht war, war der Weg so verjüngt und die Läufermenge so zahlreich, dass kein Durchkommen möglich war.


Aufzug 3: Durch die Dünen: allmählich schlapp durch Auf und Ab

Das änderte sich endlich, als der höchste Punkt erreicht war. Nun konnte man sehen, wie das „band of runners“ sich durch die Dünen schlängelte. Das konterkarierte denn auch meine Freude, dass der schwerste Teil hinter mir läge. Die nächsten Kilometer zeichneten sich aus durch ein häufiges Auf und Ab und schmale Dünenpfade, die maximal 3 Läufern nebeneinander Platz boten.

Ich befand mich nun im mittleren Feld des Wettkampflaufes, und es war weiterhin Überholen angesagt. Das wiederum klingt leichter, als die Ausführung tatsächlich war, und war oftmals nur durch Ausweichen zur Seite vom Weg herunter möglich. Glücklicherweise liefen in meiner Nähe 2 Holländer, die in etwa meine Geschwindigkeit hatten, und ihr laut und vernehmlich gerufenes „Links“ veranlasste zumindest einen Teil der Läufer, ein wenig Platz zu schaffen. Im Schlepptau der 2 half das auch mir, etwas Kraft zu sparen. Die konnte ich auch gebrauchen, denn die vertikalen Streckenänderungen verbrauchten einiges an Energie.


Aufzug 4: Schöner Weg, Kraft weg

Endlich, ich glaube, 13 oder 14 km Laufstrecke lagen hinter mir, ging der Dünenpfad in einen deutlich breiteren und befestigten Weg über, und ab jetzt hörte auch das Rauf und Runter so gut wie auf. Die Läuferschar dünnte ebenfalls aus. Es war genügend Platz zum Vorbeilaufen. Endlich die Gelegenheit, es rollen zu lassen und noch mal mächtig Druck zu machen!

Indes, die vorherigen Abschnitte hatten dem in den letzten Wochen wenig geforderten Körper die Kraft herausgezogen, und so war ich froh, das Tempo einigermaßen aufrechterhalten zu können. Gegenüber meiner bisherigen Zeiteinschätzung war ich am Strand ein Polster heraus gelaufen, hatte zwischenzeitlich sogar eine 1:24 h im Bereich des Möglichen gesehen. Dafür lag ich nun eher über meiner Prognose mit meistens knapp, vereinzelt auch deutlicher über 4 min/km.

War ich vorher schon an einigen „Viermärkern“ vorbei gelaufen, passierte ich nun eine Reihe von Wettkämpfern aus der näheren Umgebung: Neusser „Elch and Friends“ waren ebenso unterwegs wie „bunert“-Leute oder der Organisator der Nettetaler Winterlaufserie. Die Wettkampfläufer waren übrigens erkennbar durch eine zweite, auf dem Rücken befestigte Startnummer.

Über das Passieren der km-Schilder war ich nicht unglücklich, rückten sie doch das Ende der Anstrengung in greifbare Nähe. Das Tempo konnte ich bis zum Ende recht gut durchhalten und auf der Schlussgeraden sogar mit einem leichten Endspurt krönen.

Medaille, Getränk und Plastikumhang gegen die einsetzende Kälte waren der verdiente Lohn.


Epilog

Nun war ich also im Ziel. Locker lief ich aus, wartete geduldig, bis ich beim Duschen an die Reihe kam, bestieg den Pendelbus nach Alkmaar (Egmont ist am Lauftag komplett für den Autoverkehr gesperrt) und fuhr nach Hause.

Was hätte ich auch sonst machen sollen? Eine Altersklasseneinteilung gibt es nur beim Wedstrijtloop, und als Laufauswahl-Irrer war ich da nicht dabei. Also, geneigter Leser: willst du in die AK-Wertung kommen: jetzt weißt du’s, melde für den Wedstrijtloop!

Zu Hause angekommen, gab’s früh die Ergebnisse im Internet. Im Recreatieloop belege ich mit einer Zeit von 1:25:32 h Platz 20 der Männer. Das ist nicht so schlecht, und der Split mit 42:43 min zeigt sogar 2 fast identische Hälften. Hätte ich mich „richtig“ gemeldet, hätte das AK-Platz 5 ergeben und ohne den Anfangsslalom wohl gar zum dritten Platz gereicht. Aber „hätte“, „wäre“, „wenn“ gehen nun mal nicht in die Wertung ein, und das ist, da sei der Wowereit davor, auch gut so.

Die irrige "Loop"-Auswahl hat zwar nicht zu einem „Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ geführt, wie’s im Egmont (nun wieder Goethe) gesungen wird, aber Wettkampf bedeutet für mich doch immer auch sportliches Messen im Wettbewerb, und so werde ich Egmont aan Zee wohl einen zweiten Besuch abstatten müssen. Ob’s bereits im nächsten Jahr so weit ist oder ein Jahr später beim AK-Wechsel, lasse ich noch offen. Bis September oder Oktober habe ich ja noch Zeit. Danach wird’s dann erfahrungsgemäß bald eng werden…


Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Boah!

sehr anschaulicher Bericht, auch wenn ich weit, weit von Deinen Zeiten entfernt bin.

Respekt für DIE Leistung!


Walter
You can only fail if you give up too soon

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Ich weiß mal wieder nicht, für was ich mehr Respekt haben soll: die Form, die Du Dir trotz der sechsten Todsünde über die Feiertage im Januar erhalten hast oder den erstklassig geschriebenen Bericht (Danke dafür!).
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Hallo,

super Bericht. Ja so hab ich es auch empfunden, nur vieeeeel weiter hinten. Es ist schon eine tolle Leistung in Edmond einen gleichmäßigen Split zu laufen, wenn man die Strecke kennt.

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Vielen Dank für den wunderschönen Bericht! Gratulation zu dem Ergebnis bei diesen Umständen.
Holländisch ist schon eine seltsame Sprache. Die Folgen hast du ja anschaulich beschrieben.
Gruß
Ralph

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Danke euch allen für euer Feedback! :hallo: Das hört man doch immer wieder gerne.
Thestral hat geschrieben: Holländisch ist schon eine seltsame Sprache.


Als Norddeutscher, der mit Holsteiner Platt aufgewachsen ist, kann ich mich in die holländische Sprache sogar hineinhören und oft den Sinn so leidlich verstehen. Allerdings ist die Ausschreibung von ihrem Informationsgehalt unterentwickelt. :frown:

Wer übrigens ein bißchen Flair von der Veranstaltung schnuppern möchte, kann das über die Kurzvideos hiertun. (Nicht durch den kleinen Vorspann irritieren lassen.) Leider waren am Strand keine Kameras aufgestellt. Aber man sieht zumindest die Masse an Läufern (bei km3, Hälfte, 18, 20, Ziel).

Bernd
Das Remake
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