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Die Ultra-50-Schlacht von Rodgau

Die Ultra-50-Schlacht von Rodgau

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Am Samstag den 26. Januar im Jahre 2008, wurde wie in jedem Jahr zu dieser Zeit, vor den Toren der Stadt Rodgau, jenseits der großen Handelsstraße B 45, im freien Gelände der Circus maximus eingerichtet. Im großen Rund einer 5 Kilometer langen Strecke sollten stahlharte Läufer bis zur Erschöpfung kämpfen. Um die Zahl der Opfer in Grenzen zu halten, wurde der Kampf auf 10 Runden begrenzt.

Ungefähr 900 Verwegene meinten, sich dem Kampf stellen zu können und haben sich in die Listen eintragen lassen. Von diesen sind dann tatsächlich 640 todesmutige Recken zum Wettkampf um die Trophäe ULTRA erschienen.
Halt - genau 641.

Am 24. Januar, kurz vor Meldeschluss, konnte ich nicht der Herausforderung widerstehen und reihte mich wagemutig in die Schlange der Todgeweihten ein.
Wagemutig war es in der Tat, da ich mich nicht mit einem entsprechenden 8- bis 12-wöchigem Wettkampftraining vorbereitet hatte. Ich wollte auch einmal testen, wie leistungsfähig und kampfstark ich mit meinem kontinuierlichen kleinen, aber leistungsorientierten 3-Tage-pro-Woche-Training (nach GREIF-Plänen) aus dem Stand heraus bin.
Die wesentliche Vorbereitung war, 2 Wochen vorher den Wochenumfang mit 4 Läufen auf 85 km zu erhöhen und dann die letzte Woche im Schonprogramm das Training herunterzufahren und die Energiespeicher bis zur Oberkante aufzufüllen.

So habe ich mich dann am Tag der Entscheidung morgens mit meiner lieben Frau, als meiner persönlichen Wettkampfbetreuerin, aufgemacht und bin zum Ort des Geschehens gezogen.
In den Katakomben, die sich am Rande des Ortes, weit ab von der Arena befanden, wurden die Formalitäten erledigt und die Kampfnummer wurde entgegengenommen. Dann mussten wir uns in einem kräftezehrenden Fußmarsch über einen Kilometer, und dabei auch noch über eine hohe Brücke, über die besagte B 45 bis zum Kampfgelände durchschlagen. Dort konnten wir dann unser Basislager einrichten.

Bezüglich des Wetters musste die erste strategische Entscheidung getroffen werden. Mit ca. 6 bis 7 °C war es zwar nicht warm, aber winterlich frostig war es auch nicht. Der Himmel war bewölkt, es bestand eine kleine Chance, dass irgendwann die Sonne herauskommt.
Die Masse der scheinbar doch nicht so stahlharten Läufer (nahezu 99 %), hat sich für den großen Kampfanzug entschieden. Jede Möglichkeit Körperteile einzupacken, auch mehrlagig, wurde genutzt.
Ich habe den kleinen luftigen Kampfanzug gewählt, kurze Hose und kurzärmeliges Shirt. Wie sich dann später herausstellte, war das genau richtig - mir war angenehm warm, ich habe aber nicht übermäßig geschwitzt.

Die nächste Entscheidung war der Schlachtplan, also Laufzeit und Laufgeschwindigkeit.
Alle 10 Runden zu schaffen ist natürlich Ehrensache (zu deutsch: Wunschdenken), und wenn das Ganze dann nicht länger als 5 Stunden dauern würde, wäre meine persönliche Schlacht gewonnen. 50 Kilometer in 5 Stunden sind 30 Minuten pro 5-km-Runde bzw. 6 Minuten pro Kilometer. Meine sonntäglichen 35-km-Einheiten laufe ich in 5:50 bis 5:55 min/km (und bin danach immer platt). Diese Geschwindigkeit würde also passen. Aber was mache ich von Kilometer 36 bis 50? Werden die Beine kampfesstärker sein und mich niederringen. Mein Bonus ist die Woche Schonprogramm vor dem Wettkampf. Ob das reicht? Zur Sicherheit muss ich das Tempo doch einen Tick schneller ansetzen. Mal sehen, was sich noch vernünftig anfühlt.

10:00 Uhr Startschuss / Der Kampf geht los

Runde 1 (Kilometer 1 bis 5)
Die Meisten rennen los, als wäre der Teufel hinter ihnen her. So kann man doch nicht in die Schlacht ziehen. Ein bisschen in Kampfesstimmung bin auch ich und laufe den ersten Kilometer mit 5:32 Minuten etwas zu schnell, aber auch, damit ich in meinem luftigen Kampfanzug schnell auf Betriebstemperatur bin. Dann drossele ich etwas, ziehe stoisch meine Bahn und beende locker, etwas schneller als ich eigentlich wollte, die erste 5-km-Runde. Es fühlte sich gut an, und mein Gegner die Beine, leisteten (noch) nicht den geringsten Widerstand.
Zeit: 28:32 min / Geschwindigkeit 5:42 min/km

Runde 2 (Kilometer 6 bis 10)
Keine besonderen Vorkommnisse. Es läuft wie geplant. Der Gegner ist noch in weiter Ferne.
Zeit: 28:48 min / Geschwindigkeit 5:46 min/km

Runde 3 (Kilometer 11 bis 15)
Die Beine leisten weiterhin keinen Widerstand. Noch hätten sie auch nicht den Hauch einer Chance.
Zeit: 28:53 min / Geschwindigkeit 5:47 min/km

Runde 4 (Kilometer 16 bis 20)
Es läuft sehr gut (zu gut?). Der Gegner ist in Wartestellung.
Zeit: 28:03 min / Geschwindigkeit 5:37 min/km

Runde 5 (Kilometer 21 bis 25)
Der Gegner ist immer noch eingeschüchtert und zeigt sich nicht.
Bisher hatte ich mir nach jeder Runde am Getränkestand einen halbvollen Becher warmen Tee gegriffen.
Da ich aber doch nicht so ins Schwitzen kam, wie die Meute um mich herum, musste das Zeug irgendwohin und ich bei Kilometer 23 hinter den Baum. Und schon war eine halbe Minute weg und ich kam aus dem Tritt.
Zeit: 28:42 min / Geschwindigkeit 5:44 min/km (war das der erste zaghafte gegnerische Versuch?)

Runde 6 (Kilometer 26 bis 30)
Tempo wieder angezogen, mal sehen, wie stark die Kampfkraft ist.
Mittlerweile scheint die Sonne, die Strecke ist schön, an einigen Stellen zwar etwas windig, aber ansonsten prima zu laufen. Um mich herum tobt das Kampfgetümmel - wohin das Auge auch blickt, überall Läufer, gleichmäßig verteilt auf dem ganzen Schlachtfeld (über die 5-km-Strecke).
Zeit: 28:16 min / Geschwindigkeit 5:39 min/km (der Gegner zeigt sich noch nicht, er ist aber zu erahnen)

Runde 7 (Kilometer 31 bis 35)
Es geht noch erstaunlich gut, da kommt der Gegner aber langsam aus der Deckung. Die Beine fangen an, sich zu wehren, die sind gewohnt, dass jetzt bald Schluss ist. Die wollen auf die Couch, da verstehen die keinen Spaß.
Zeit: 28:47 min / Geschwindigkeit 5:45 min/km

Runde 8 (Kilometer 36 bis 40)
Bis hierhin war Warmlaufen. Jetzt wird es ernst.
Die Beine lügen nicht, sie meinen sie haben jetzt fertisch und nehmen drohend Kampfhaltung an.
Jetzt beginnt der erbarmungslose Kampf gegen sie.
Zeit: 30:45 min / Geschwindigkeit 6:09 min/km (da haben wir schon die ersten Verluste)

Runde 9 (Kilometer 41 bis 45)
Ein kleiner Sieg zugunsten der Beine. Ich muss mir am Rundenbeginn eine kleine Pause gönnen und auch die Ausrüstung etwas ordnen und die mittlerweile lockergelatschten Kampfstiefel etwas fester binden.
Zeitverlust über 2 Minuten, hoffentlich reicht das bisher erkämpfte Zeitpolster.
Verbissen stürze ich mich wieder ins Getümmel. Verbissenheit alleine nutzt aber nichts, wenn der Beingegner sich mit aller Härte wehrt. Bei Kilometer 42,2 wird die Marathonmarke überschritten. Ab jetzt bewege ich mich in neuen Dimensionen. Was wird jetzt geschehen? Werde ich auf der Strecke bleiben?
Zeit: 33:24 min / Geschwindigkeit 6:41 min/km (die Verluste werden deutlich größer)

Runde 10 (Kilometer 46 bis 50)
Der Todeskampf beginnt. Am Anfang dieser letzten Runde liege ich sinnbildlich gestrauchelt am Boden, die Beine haben mich niedergerungen, sie wollen zum finalen Stoß ausholen und mich zur Aufgabe zwingen. Aber kampferprobt bei vier Marathons, weiß ich mich zu wehren. Jetzt werden alle Register mentaler Kampftechniken gezogen. Ich bäume mich nochmals auf, gewinne die Oberhand und schaffe den Kilometer 46 trotz des Ringens am Anfang noch mit 6:12 min/km. Bei Kilometer 47 sind die Beine wieder schlagkräftiger und zwingen mich mit 7:24 min/km in die Knie. Aber im Todeskampf werden ungeahnte Kräfte freigesetzt und treiben mich vorwärts. Kilometer 48 mit 5:52, Kilometer 49 mit 5:51 (na bitte, es geht doch). Den Sieg zum Greifen nah, der Gegner hat aufgegeben, ein letzter Kontrollblick auf die Instrumente, den Schlusskilometer mit 6:01 nochmals erkämpft und glorreicher Einlauf ins Ziel.
Zeit: 31:18 min / Geschwindigkeit 6:16 min/km

Gesamtzeit 4:55:57 Std. / Gesamtschnitt 5:55 min/km

Testkampf erfolgreich erledigt,
mit 448 weiteren Überlebenden das Schlachtfeld verlassen
und aufgestiegen in die nächste Liga.

Jetzt bin ich ein ULTRA
:hurra:
Marathoni war einmal
:hallo:

Und der Tag nach der Schlacht?
Keine wesentlichen Kampfspuren erkennbar.
Alles im grünen Bereich.
Wo sind die nächsten Ziele?
Gruß bernann

10 km 0:45:33 / HM 1:39:05 / M 3:48:14 / U50 4:56 / BGL 6:53

jaaaa, du kleiner kenianer!

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die nächsten ziele??
da klingen große namen und lassen uns vor ehrfurcht nach vorne schauen:
rennsteig
waldhessen
türingenultra
biel
troisdorf

oh, das wird ein interessantes jahr!
Bild

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Ach Du warst der Irre in kurzen Hosen :D . Ich dachte noch, man da hat aber Einer Hitze.
6-7 °C vielleicht am Thermometer, aber gefühlt allerhöchstes, wenn nicht sogar weniger -
besonders auf dem Gegenwindstück übers freie Feld

Gratulation zur gewonnenen Schlacht und nach Ultra kommt Mega. oder Hyper- oder wat sonst noch.

Frett
Wettkämpfe: Ultra-40x; Marathon-38x; HM-3x; 10 km-3x;

PB: U-116,1km/12Std, Biel 10:14, 65km/6Std; M-3:22; HM-1:35; 10 km-44:48

2010 Senftenberg HallenDoppelmara. 3:43/3:47, Rodgau 50 km 4:24, Marburg 50 km 4:24, Kandel-M 3:26, Eschollbrü. 50 km 4:12, Dt.Weinstr. 3:35, Rennsteig-SM 7:24, Bad Waldsee 3:27, 12-Std. Fellbach 112,9 km, 80km-Fidelitas 7:50, Ermstalmara. 3:46, Immenst-Gebirgsmara. 6:16, Allgäu-Ultratrail 9:02, ebm-Papst 3:39, Wörterseetrail 6:08

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der bernann und ich, wir waren die beiden verrückten in kurz!!!
sonst habe ich höchstens 1,2 halblange gesehen!
in der spitzengruppe sogar welche in lang, mit kurzer drüber :confused:

aber bernann und ich haben schon richtig gewählt gehabt! :daumen:
Bild

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in der spitzengruppe sogar welche in lang, mit kurzer drüber :confused:

ist doch logisch, die laufen so schnell da kühlt der Fahrtwind ungemein, da muß man sich schon warm anziehen.

Frett
Wettkämpfe: Ultra-40x; Marathon-38x; HM-3x; 10 km-3x;

PB: U-116,1km/12Std, Biel 10:14, 65km/6Std; M-3:22; HM-1:35; 10 km-44:48

2010 Senftenberg HallenDoppelmara. 3:43/3:47, Rodgau 50 km 4:24, Marburg 50 km 4:24, Kandel-M 3:26, Eschollbrü. 50 km 4:12, Dt.Weinstr. 3:35, Rennsteig-SM 7:24, Bad Waldsee 3:27, 12-Std. Fellbach 112,9 km, 80km-Fidelitas 7:50, Ermstalmara. 3:46, Immenst-Gebirgsmara. 6:16, Allgäu-Ultratrail 9:02, ebm-Papst 3:39, Wörterseetrail 6:08

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Haste Super gemacht

und schneller als 6er Schnitt :daumen:

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Toller Bericht über einen Kampf gegen sich selbst, äh...gegen das eigene Unterteil,.

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Feuerstein hat geschrieben:Ach Du warst der Irre in kurzen Hosen :D . Ich dachte noch, man da hat aber Einer Hitze.
6-7 °C vielleicht am Thermometer, aber gefühlt allerhöchstes, wenn nicht sogar weniger -
besonders auf dem Gegenwindstück übers freie Feld
Ja, ich war das - und der Joe DS.
Wir sind halt heiße Jungs.
:geil:

Und in Frankfurt beim Silvesterlauf war ich das auch.
:geil:

Also, mal eeehrlisch, wenn man einigermaße zügig läuft, wird der Körper doch warm.
Ich habe nicht im geringsten gefroren. Es ist mir unverständlich, wie man sich, so dick eingepackt und nassgeschwitzt, wie die Masse der Läufer, wohlfühlen kann.
Der größte Teil der Energie muss aufgewendet werden, um den Körper zu kühlen.
Diese Energie nutze ich lieber zum Laufen.
:nick:
Gruß bernann

10 km 0:45:33 / HM 1:39:05 / M 3:48:14 / U50 4:56 / BGL 6:53

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Hi bernann,

herzlichen Glückwunsch zur Leistung und vielen Dank für den ausführlichen und anschaulichen Bericht :daumen: :daumen: :daumen: :daumen: :daumen:

von einem im großen Kampfanzug und Mütze :winken:

Harald

PS: Leider habe ich an der Tennishütte keinen anderen Fori entdeckt. Werde mir aber bei den nächsten Wettkämpfen ein Schild mit laufen-aktuell und hurry umhängen. Mal sehen, was dann geschieht.

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bernann hat geschrieben:Im großen Rund einer 5 Kilometer langen Strecke sollten stahlharte Läufer bis zur Erschöpfung kämpfen. Um die Zahl der Opfer in Grenzen zu halten, wurde der Kampf auf 10 Runden begrenzt.
Jetzt bin ich ein ULTRA
:hurra:
Marathoni war einmal
:hallo:

Und der Tag nach der Schlacht?
Keine wesentlichen Kampfspuren erkennbar.
Alles im grünen Bereich.
Wo sind die nächsten Ziele?
Herzlichen Glückwunsch Ultraläufer! :daumen: Hast Du klasse gemacht!

Die nächsten Ziele? Vielleicht nur mal 5 Runden laufen? http://www.ultra-marburg.de/index.php?o ... Itemid=124
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Da hätte ich fast diesen tollen Bericht von Rodgau verpasst. Ganz toll geschrieben, vielen Dank für den Bericht!

Herzlichen Glückwunsch zum Aufstieg zum Ultraläufer!

Gruß
Ralph
Gesperrt

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