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[Bericht] Wandertage und Gerd Müller

[Bericht] Wandertage und Gerd Müller

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Meine Armbanduhr piept flüsterleise um 5:22 Uhr. Das tut sie anstelle des Weckers, denn dieser brüllt zu laut, und ich will meine Frau nicht wecken. 5:22 Uhr ist eine Zeit, da stehen am Sonntag nur Läufer auf (und Schichtarbeiter). So auch ich, denn ich möchte zur Gemeinde Timmendorfer Strand, da gibt es den 4. Sparkasse-Ostseelauf Timmendorfer Strand. Man kann dort einen Halbmarathon, 10 km oder eine Seemeile (1,852 km) laufen, die Superkurzstrecke ist natürlich nur für Kinder. Obwohl Timmendorfer Strand (TS) relativ abgelegen ist, startet der 10-km-Lauf bereits um 9 Uhr, statt um 10, wie es sich gehört. Wahnsinn.

In Schleswig-Holstein gibt es Orte, die man von Kiel aus erreichen kann, und solche, die man von Lübeck aus erreichen kann. Orte, die man von Lübeck aus erreichen kann (außer Hamburg, aber das liegt noch nicht in Schleswig-Holstein), kann man von Kiel ganz schlecht erreichen und umgekehrt. Das liegt daran, daß die Bahn das Liniennetz so gestrickt hat, daß man von Kiel zuerst nach Lübeck fahren muß (100 km nach Südosten), um dann von Lübeck wieder nach Norden zu fahren, wenn man in die lübsche Gerechtsamkeit eindringen will. TS ist so eine Gemeinde im Vorhof Lübecks. Also fahre ich nicht dahin, sondern nach Pönitz. Dahin braucht der Zug nur 50 Minuten (statt fast 2 Stunden nach TS). Dann sind noch 10 km zu überwinden, und dafür nehme ich mein Fahrrad mit. Das klappt auch wunderbar: Kaffee rein, 4 Toastbrote mit Honig verklappt, mit dem Fahrrad zum Bahnhof, mit dem Zug nach Pönitz, mit dem Rad über Scharbeutz nach TS und eiligst umziehen, denn ich habe nicht mehr viel Zeit. Vor allem, weil die Umkleidekabinen und Duschen mindestens einen Kilometer vom Startort entfernt sind. Das geht nur mit Läufern.

Natürlich wird vorm Start moderiert, und der Bürgermeister hält eine Rede, aber diesmal ist sowohl die Moderation erträglich als auch die Rede - die ist sogar stellenweise witzig. Den (parteilosen) Bürgermeister sollte sich TS dringend erhalten. Ich weiß nicht, wie er so als Verwaltungschef agiert, aber immerhin langweilt er nicht.

Ich laufe entspannt los. Mit kurzen Sachen, das ist etwas wagemutig. Das Wetter ist trocken, gelegentlich sieht man die Sonne schimmern, aber es ist auch recht kalt. Handschuhe sind mein einziges Zugeständnis an die Kälte. Ich bin ein ganz Harter. Vor allem aber weiß ich: wenn ich 10 km im Wettkampf laufe, ist jedes überflüssige Kleidungsstück superlästig, und die Temperatur wird nach kurzer Zeit mein geringstes Problem sein.

Es geht zunächst ca. 2,5 km in Richtung Norden. Immer am Strand lang, bis wir Scharbeutz erreichen. Ein Zeitziel habe ich nicht. Ich habe ein Gefühl wie beim Wandertag früher in der Schule. Ich mochte Wandertage im Gegensatz zu meinen Schulkameraden - das war vermutlich das in mir verborgene Ausdauergen. Das Wandern selbst bedrückte mich nicht, und ich bekam Geld mit von zuhause für ein Getränk bei einem Kiosk oder sogar in einer Gartenwirtschaft. Das war für mich etwas ganz Besonderes. Auch heute ist die Stimmung so ähnlich. Warum eigentlich? Genau weiß ich es nicht, aber vielleicht liegt es daran, daß mich das Laufen selbst heute auch nicht bedrückt, und ich weiß, daß ich hinterher ein alkoholfreies Erdinger kredenzt bekomme. Es gibt ja viele Versuche, Läufer mit irgendwelchen Produkten einzufangen. Beim alkoholfreien Weizenbier haben sie mich gekriegt. Ich mag es, besonders nach dem Laufen.

Ich laufe wie ein altmodisches Uhrwerk. Von Scharbeutz geht es auf der gleichen Strecke wieder zurück und an dem Ziel vorbei weiter Richtung Süden. Bis auf ein ganz kurzes Ende knapp vor dem Wendepunkt bei km 7,5 verläuft die Strecke immer in Sichtweite der Ostsee. Bei Kilometer 7 und 8 habe ich eine etwas schlechtere Phase, danach trabe ich wieder in nicht allzu schnellem, aber doch zügigem Tempo weiter. Mal kurz vor mir, mal kurz hinter mir läuft eine weibliche Läuferin, die allerdings nur an der Stimmhöhe ihres Räusperns als weiblich zu erkennen ist (von vorne habe ich sie mir natürlich nicht angesehen, dann hätte ich ja den Kopf drehen müssen). Sie hat ungefähr die Anmutung von Gerd Müller, nur mit blonden Haaren. Mein Ziel ist damit klar: vor ihr ins Ziel kommen. Das schaffe ich auch, und zwar ohne mich vollständig zu verausgaben. Zu einem Endspurt habe ich jedenfalls keine Lust. Danach nehme ich mir einen lecker Becher vom Alkoholfreien und schlendere gen Dusche. Was ja immerhin einen Kilometer Schlendern bedeutet. Das tun offensichtlich nicht viele: 12 Duschen und ein einziger Duschling: das bin ich. Herrlich warm, und kein Gedränge. Wunderbar.

Schließlich noch die Rückfahrt. Die Sonne ist inzwischen prominent am Himmel, auch wenn es noch kalt ist. Das Radfahren nach Pönitz macht Spaß, mir geht es gut, und mittags kurz vor eins bin ich wieder zuhause. Es hat auch seine Vorteile, wenn ein Lauf früh beginnt.

Mein Fazit: Der Lauf war gut organisiert, auch wenn es wirklich schwierig für Nichtautofahrer ist, daß die Umkleidekabinen weit vom Start entfernt liegen. Die Strecke hat ein bißchen das Kiel-Marathon-Problem: Immer hin und her. Bei einem Halbmarathon muß das lästig sein. Aber davon abgesehen ist sie durchaus reizvoll, wenn man - wie ich - Meer mag. Wenn man in der Nähe wohnt, ist die Veranstaltung zumindest als 10-km-Lauf eine gute Wahl.

Für den, den es interessiert, meine Kilometerzeiten:

km 1: 4:09 min
km 2: 4:02 min (8:11 min)
km 3: 4:04 min (12:16 min)
km 4: 4:06 min (16:22 min)
km 5: 4:05 min (20:28 min)
km 6: 4:06 min (24:34 min)
km 7: 4:10 min (28:45 min)
km 8: 4:14 min (32:59 min)
km 9: 4:06 min (37:06 min)
km 10: 4:06 min (41:12 min)
Run As Thou Wilt.

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Thomas Naumann hat geschrieben:Ich mochte Wandertage im Gegensatz zu meinen Schulkameraden
Ich konnte die nicht ausstehen! Stattdessen würde ich trotz mancher Widrigkeiten diesen Lauf mit dem langen Namen ganz gern laufen.

Schöner Bericht!

Bernd
Das Remake
Infos zum Laufen und Vereinsgedöns gibt's auf www.sgnh.de

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Thomas Naumann hat geschrieben:und ich will meine Frau nicht wecken

Das Wandern selbst bedrückte mich nicht, und ich bekam Geld mit von zuhause für ein Getränk bei einem Kiosk oder sogar in einer Gartenwirtschaft.

und ich weiß, daß ich hinterher ein alkoholfreies Erdinger kredenzt bekomme.
D.h., Du hast Geld von Deiner Frau bekommen, weil Du sie nicht geweckt hast, damit Du Dir ein Erdinger nach dem Lauf in einer gartenwirtschaft kaufen konntest. habe ich doch richtig verstanden. Nur eins habe ich nicht verstanden, wenn man wie ein Uhrwerk laufen kann, wozu brauchst Du dann noch einen Wecker?
:hihi:

Sehr schöner Bericht!
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Melrose hat geschrieben:Nur eins habe ich nicht verstanden, wenn man wie ein Uhrwerk laufen kann, wozu brauchst Du dann noch einen Wecker?
Ich laufe eben nur wie ein Uhrwerk, nicht wie eine Klingel...
Run As Thou Wilt.

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Hallo Thomas!

Schöner Laufbericht.
Für einen "entspannten" Lauf sind die 41.12 allerdings nicht ohne :daumen: .

Gratulation daher zum rasanten Start in die Laufsaison.

Liebe Grüße

Wolfgang

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Schöner Bericht, in dem man auch gleich viel über die Verkehrssituation in SH lernen konnte und ein Lauf in TS klingt für mich nicht nur wie Wandertag sondern wie Urlaub.

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog
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