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Mit Mutter Vorsicht und Bruder Leichtfuß Runden drehen (Maarauelauf, 11,1km)

Mit Mutter Vorsicht und Bruder Leichtfuß Runden drehen (Maarauelauf, 11,1km)

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Hallo Laufgemeinde,

hier kommt mein 2. Laufbericht! (wird wohl länger :wink: )

Mit Mutter Vorsicht und Bruder Leichtfuß Runden drehen

Die beiden, die mich im Training für den Lauf und bei der Planung der Renntaktik schon tatkräftig berieten, Mutter Vorsicht (die aus der Porzellankiste) und Bruder Leichtfuß (der Spring-ins-feld) werden mich auch beim Wettkampf begleiten. Alle Versuche, die beiden zum zu Hause bleiben zu überreden, sind gescheitert.

Der Streit geht schon beim Aufstehen los: Bruder Leichtfuß will noch weiterschlafen ("Wir haben doch noch viel Zeit"), für Mutter Vorsicht ist es schon zu spät.
Ich selber bin schon aufgeregt, also raus aus den Federn.
Beim Frühstück möchte Bruder Leichtfuß so richtig zuschlagen, Mutter Vorsicht rät zu einer kleinen Portion wettkampferprobtem Müsli. Auch diesmal setzt sich Mutter Vorsicht durch, allerdings bekommt Bruder Leichtfuß seinen Kaffee.

Gut hydriert und nach einer Verdauungssitzung (Mutter Vorsicht sei dank!) setzen wir uns ins Auto und starten nach Mainz Kostheim. Obwohl ich da früher mal gewohnt habe, besteht Mutter Vorsicht auf einem Blick in die Karte. Ihr sind wir eh schon zu spät dran ("Wir kriegen bestimmt keinen Parkplatz mehr") Als wir ankommen, sind viele Parkplätze frei, was Bruder Leichtfuß zu hämischen Bemerkungen (die werden hier nicht zitiert) animiert.

Startnummer abholen ist völlig unkompliziert. Da wir ja "viel zu früh" (Bruder Leichtfuß mit nöligem Unterton) an sind, gibt es keine Schlangen. Die Suche nach den Toiletten gestaltet sich zunächst schwierig. Der aufgestellte Toilettenwagen ist ausschließlich für Frauen reserviert. Da kann auch Mutter Vorsicht nicht weiterhelfen. Bei den Umkleiden auch kein Klo. Bruder Leichtfuß sieht´s gelassen. Schließlich gibt es ja auch Gebüsch. Aber da doch noch ein kleines Schild entdeckt. In einem Nebengebäude finden wir Erleichterung.

Mutter Vorsicht scheucht uns zum Einlaufen. Bruder Leichtfuß findet das noch zu früh. Er findet Einlaufen überhaupt überflüssig.
Beim leichten Traben auf der Laufstrecke diskutieren wir noch mal die geplante Strategie. Fest steht: Die 5min/km Grenze muss heute fallen. Dafür haben wir uns im Training schließlich gequält. Mutter Vorsicht mahnt zur Vorsicht (ha, ha was sonst): "Mit 5:05 min/km anlaufen und dann, wenn´s noch geht, auf der zweiten Hälfte steigern." Bruder Leichtfuß ist dafür, gleich mit 4:50min/km anzulaufen und dann "kämpfen oder untergehen". Ich höre auf Körpersignale: Nichts zwickt, nichts ziept. Wir fühlen uns gut. Traben, gehen, kurzes Lauf ABC. Trotzdem wird die endgültige Entscheidung verschoben. Ich tendiere allerdings stark zu Bruder Leichtfuß´ Vorschlag. Dehnen vor dem Wettkampf mögen wir alle nicht, da gibt´s keine Diskussion.
Viele andere Läuferinnen und Läufer begegnen uns. Die Strecke ist da, wo nicht geteert ist, eine einzige Seenlandschaft. Mutter Vorsicht unkt schon, dass damit wohl die neue Bestzeit gefährdet ist, Bruder Leichtfuß freut sich auf die Schlammschlacht. ("Da sieht nachher auch jeder, dass wir gelaufen sind").

Wir traben so dahin und plötzlich sind wir irgendwo auf der Maaraue, wo ich noch nie war. Mutter Vorsicht gerät in Panik, sieht das Rennen schon ohne uns losgehen und sagt einen ihrer liebsten Sprüche: "Ich hab´s ja gleich gesagt". Bruder Leichtfuß findet einen Orientierungslauf vor dem eigentlichen Lauf sehr spannend. Und: eine Stelle auf der Maaraue, an der ich noch nicht war, gibt es nicht. War schließlich mal mein Hauspark. Wir finden auch schnell den Rückweg.

Als nächstes ist die Kleiderfrage zu klären: Mutter Vorsicht friert immer leicht, sie ist für lang. Die lange Hose haben wir aber gar nicht mitgenommen. "Dann wenigstens obenrum lang, und Laufjacke drüber." Bruder Leichtfuß hält das für Quatsch und will alles kurz. Da wir eine neue Bestzeit aufstellen wollen und dafür so schnell laufen müssen wie noch nie vorher, beende ich die kurz und knapp die Diskussion und entscheide: Kurz und kurz.

Noch ein bißchen im Stadion traben. Dann Schuhe schnüren (mache ich wegen Mutter Vorsicht immer zweimal und mit Doppelknoten, obwohl mir im Training noch nie ein Schuh aufgegangen ist), Trainingshose, Jacke aus, Startnummer befestigen. Der Himmel ist noch bedeckt. Es ist erst 9:45 Uhr und noch ein bißchen frisch.

Als wir uns zum Start begeben, frieren wir leicht. Mutter Vorsicht lässt ihren Lieblingsspruch los: "Ich hab´s ja gleich gesagt". Wir reihen uns eingedenk der Erfahrungen aus dem letzten Wettkampf etwas weiter vorne ein, nicht ganz vorne, wie Bruder Leichtfuß vorgeschlagen hatte. Mein Nachbar möchte auch so 5 min/km laufen, also passt das wohl.
Die Zeit bis zum Startschuss vergeht langsam. Die ganzen Nicht-alleine-Läufer plaudern angeregt. Aber ich bin ja auch nicht alleine. Mutter Vorsicht hat im linken Ohr Platz genommen, Bruder Leichtfuß im rechten. Obwohl ich seit 4 Jahren auf dem rechten Ohr taub bin, kann ich ihn gut hören. Er ist gut drauf und skandiert: "Gleich geht´s lo-hos!" Mutter Vorsicht ist merkwürdig still und murmelt nur ihren zweiten Lieblingsspruch vo sich hin: "Oh Gottogottogottogott." Es kommen noch ein paar Durchsagen, die keiner verstehen kann. Und dann: 10,9,8,7,6,5,4,3,2,1, Klatsch. (So eine Startklatsche, die ich aus Schulzeiten noch gut kenne, ist aber laut genug).

Über die Startlinie, den FR gestartet, erst mal Tempo finden. Einmal kurz schlängeln müssen, dann habe ich mich schon freigelaufen. Die Runde geht links rum, also immer schön links laufen, da ist´s kürzer. Dann läuft man nicht weiter als man muss. Ein Blick auf die Uhr zeigt eine Pace von unter 5min/km an. Der Körperkontrollscheck meldet keine besonderen Vorkommnisse, das Tempo fühlt sich gut an.

Nach meiner Uhr ist der erste Kilometer nach 4:46 min passiert. "Viel zu schnell, das Tempo können wir unmöglich halten" sagt Mutter Vorsicht. Bruder Leichtfuß jubelt: "Super Tempo!" Von dem Kilometerschild fehlt allerdings jede Spur. Das Schild taucht erst nach einer Kurve auf: 5:18 min vergangen! Was ist das? Spinnt mein GPS? Oder steht das Schild falsch? Mutter Vorsicht murmelt wieder: "Oh Gottogottogottogott" und Bruder Leichtfuß, der die neue Bestzeit unbedingt will, wird leicht panisch und möchte das Tempo anziehen.
Da habe ich im Training inzwischen ein so gutes Tempogefühl entwickelt und jetzt das. Ich beschließe meinem FR und meinem Tempogefühl zu vertrauen und das Tempo nicht anzuziehen. Ich fühle mich sowieso eher zu schnell als zu langsam. Der leichte Anfall von Panik scheint mir auf´s Schienbein geschlagen zu sein. Jedenfalls zwickt die Muskulatur und schmerzt. Sowas hatte ich noch nie! Mutter Vorsicht verfällt wieder in ihr "Oh Gottogottogottogott" und Bruder Leichtfuß raunzt: "Zähne zusammenbeißen und durch" Ich versuche so leicht zu laufen wie´s geht und den Fuß beim nach vorne schwingen eher hängen zu lassen. Die Seenlandschaft ist auch nicht mehr so schlimm wie beim Einlaufen und lenkt ein bißchen von den Schmerzen ab. Mutter Vorsicht macht hier ihren Job mit Idealweg durch die Pfützen (oder besser drumherum) suchen ausgezeichnet. Nach einem ganzen Kilometer Qual (4:50 min) beruhigt sich der Schienbeinmuskel langsam wieder und wir können das Tempo wieder anziehen.

Der dritte Kilometer wird mit 4:42 der schnellste des Rennens. Die Kilometerschilder stimmen immer noch nicht mit meinem FR überein, aber die Differenz wird geringer. Die erste Runde neigt sich dem Ende zu. Runden sind irgendwie doof. Wir wissen, hier kommen wir noch zweimal vorbei. Ein zäher Gedanke, zumal das Tempo doch zu schnell scheint. Nach Plan wäre die erste Runde nach 18 min 20 sec zu passieren, wir kommen unter 18 min durch. Mutter Vorsicht will das Tempo reduzieren auf über 5 min/km, weil wir ja "viel zu schnell" sind. Bruder Leichtfuß findet das Tempo "gerade richtig". Ich nehme trotzdem ein bißchen raus: km 4 in 4:49 min.
Langsam wird´s zäh. War wohl doch zu schnell. Ich merke, dass ich das Tempo nicht mehr halten kann und noch sind über 6 km zu laufen. Der fünfte Kilometer in 4:54 min. Mutter Vorsicht: "Ich hab´s ja gleich gesagt." Bruder Leichtfuß ist auch merklich kleinlauter geworden, weil jetzt wohl der Spaß aufhört und die Quälerei anfängt. Aber einfach so geschlagen geben? Nö, da muss der Chef sich einmischen: Klappe halten und durch.

Bruder Leichtfuß mag zwar Bestzeiten, mag sich aber nicht quälen. Das bißchen Schienbeinzwicken hat seine Leidensfähigkeit schon erschöpft. Uns überholen drei Läufer, die nur minimal schneller sind. Da erwacht Bruder Leichtsfuß´ Jagdinstinkt wieder. "Dranbleiben!" befiehlt er. Ich laufe am Anschlag, Mutter Vorsicht jammert: "Oh Gottogottogottogott" und wir alle beißen. Wir bleiben dran. Dank dieser Unterstützung gehen km 6 und 7 in 4:53 min durch. Wir überholen viele, die schon gehen. Nein, das sind die Walker, die jetzt auch unterwegs sind. Wir drei sind mmer noch schneller als ursprünglich geplant unterwegs. Das Laufen bekommt was stumpfsinniges. Mutter Vorsicht und Bruder Leichtfuß sind verstummt und so trotte ich, die drei "Pacemaker" im Blick vor mich hin. Zwei der drei verschärfen das Tempo und ziehen langsam davon. Oder der dritte und auch ich werden langsamer. Keine Ahnung. Auf jeden Fall kann ich diesen beiden nicht folgen. Ich versuche weiter auf lockeren Laufstil zu achten und klemme mich an den Vordermann. Ganz dicht auflaufen mag ich nicht. So drei Meter Abstand sind gut.

Als wir gerade eine andere Gruppe überholen, kommt mir in ziemlichen Tempo ein Moutainbiker entgegen, den bemerkt Mutter Vorsicht erst im letzten Augenblick: "VORSICHT!!!" und ich kann nur um Haaresbreite ausweichen. Ein heftiger Adrenalinstoß, der mir vielleicht die letzte Kraft gibt, durchschießt mich. Mutter Vorsicht rät von weiteren Überholmanövern ab, wenn´s unübersichtlich ist und Bruder Leichtfuß beschimpft den Moutainbiker mit unflätigen Ausdrücken. Gut, dass nur ich das hören kann. Unmerklich hat mein inzwischen einziger und "privater" Pacemaker das Tempo angezogen. Km 8 in 4:44 min. Offensichtlich habe ich mich etwas erholt, dem Adrenalin des Mountainbikers sei Dank. Es fühlt sich zwar immer noch genauso anstrengend an, aber das Tempo ist etwas höher geworden.

Bei km 9 liege ich 1:20 vor der geplanten Zeit. Zu meinem Pacemaker laufe ich jetzt auf. Bruder Leichtfuß wittert auch wieder Morgenluft, nur Mutter Vorsicht mahnt zur - na was wohl - Vorsicht. "Jetzt nicht überziehen". Ich bedanke mich bei meinem "privaten Pacemaker" für´s Ziehen und biete mich für die letzten beiden Kilometer als Zugpferd an.

So 50 m vor uns läuft eine Dreiergruppe. Die will Bruder Leichtfuß noch holen. Mutter Vorsicht wird ignoriert. Jetzt beginnt der Quälerei letzter Teil. Leichtfüßig laufe ich nicht mehr, doch ich merke, dass ich das Tempo, auch wenn´s zunehmend schwerer wird, halten kann. In den ersten Runden kam mir dieser Streckenabschnitt nicht so lang vor. Etwa 800 m vor dem Ziel habe ich die Dreiergruppe eigeholt. Mein Pacemaker hat leider etwas abreißen lassen müssen. Vor mir ist in Reichweite kein Läufer mehr zu sehen. Einige Walker überhole ich noch, ehe ich unter Anfeuerungsrufen der hier konzentrierten Zuschauer nach einem scharften Linksknick ins Stadion Richtung Ziel einbiege.

Bruder Leichtfuß fordert jetzt noch einen Endspurt. Mutter Vorsicht schweigt. Obwohl mir die Kopfhaut kribbelt, (bei mir ein Zeichen für totale Erschöpfung) kann ich tatsächlich auf den letzten Metern einen gefühlten Spurt hinlegen. Den Blick auf die Uhr habe ich auf den letzten Kilometern vernachlässigt. Mit geballter Faust durchs Ziel gerast. Mutter Vorsicht ist erleichtert, dass alles vorbei ist, Bruder Leichtfuß freut sich tierisch über den Endspurt und die vielen Überholten, und ich? Bin völlig von den Socken!!! Fix und fertig, falle fast um, ringe nach Luft und ... bin glücklich!!! (kann man kaum verstehen, oder?) Ich habe alles aus mir rausgeholt, dank der Unterstützung von Mutter Vorsicht und Bruder Leichtfuß und bin nach
53:0x im Ziel!!!! :hurra:

Der Rest ist schnell erzählt:
Erholen, dem Pacemaker gratulieren (kam kurz hinter mir rein) Trinken, trinken, trinken, Duschen (lange und heiß) und nach einigen kleinen Schwätzchen steige ich mit glücklichem Grinsen im Gesicht (das sich zum Dauergrinsen für den ganzen Tag entwickeln sollte) ins Auto.
Die beiden nehme ich zum nächsten Lauf wieder mit.

Grüße von Töffes, von Mutter Vorsicht und von Bruder Leichtfuß :wink:

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Sehr netter Bericht!

Schöne Grüße an alle Drei :daumen:

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Glückwunsch, aber übertreibs nicht so. Da könnte man wirklich schon denken, dass du eine dreigespaltene Persönlichkeit hast :nick: :hihi:

MFG Fitti :hallo:

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Glückwunsch zur Lauf und zum Bericht! Habt ihr euch anschließend ein Bier geteilt?

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runnersgirl hat geschrieben:Habt ihr euch anschließend ein Bier geteilt?
Nö! Das war nur für den Chef!!! :teufel:

Gruß, Töffes

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Hallo!
Danke für den netten Bericht und herzlichen Glückwunsch zu der klasse Leistung.
Ist immer wieder spannend, oder? Das quält man sich, und im Rennen verwünscht man sich pausenlos selbst und fragt sich, warum man so was freiwillig tut. Dann bricht man im ZiEL fast zusammen - und freut sich wie ein kleines Kind aufs nächste Mal... :daumen:

Also: Danke nochmal für den Bericht und grüß mir die anderen zwei,
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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Glückwunsch zur im Team erzielten Bestzeit!
Klasse geschrieben. Habe heute morgen im Zug gerade Matt Ruff: "Ich und die anderen" durchgelesen - ziemlich guter Roman über zwei multiple Persönlichkeiten - paßt gut zu Deinem Bericht.
Gruß Thomas
PBs: 5km: 19:03 - 5,6km: 21:25 - 10km: 41:25 - HM: 1:26:39 - M: 3:11:15 - 50km: 4:09:09
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Hallo Melrose,
Melrose hat geschrieben: zwei multiple Persönlichkeiten
sind wir Läufer nicht alle ein bißchen multiple? Wer beantwortet einem denn im Rennen die Frage nach dem WARUM? Wer sagt denn so nette Sachen wie: "Quäl dich, du S.."? Das ist man doch nicht selber, oder? :zwinker5:

Töffes (jetzt wieder alleine unterwegs)

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töffes hat geschrieben: "Oh Gottogottogottogott."

:hihi: Die kenn ich! :hihi:

Sehr schöner Bericht, töffes!

Danke sagt
3fach
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Some say there's no magic formula. I say there is. It's just that the magic is different for everyone. Keith Dowling
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