Der Plan
Ich war angetreten um den Nachweis zu erbringen, dass nur eine ordentliche, akribische und gewissenhafte Vorbereitung zum Erfolg führen kann. Da aber gerade das im Hinblick auf einen Marathonlauf von vielen immer wieder bezweifelt wird ("Das mach ich doch mal eben nebenbei", "Da ist doch nix bei", "Auf der linken Arschbacke", "Das kann doch jeder" usw), hatte ich beschlossen einen etwas heimtückischen Weg des Nachweises über die Umkehrung dieser Behauptung zu gehen und anhand des Vorgehens gleichzeitig deren Richtigkeit zu beweisen.
Die Strategie
Damit mir aber im Vorfeld niemand auf die Schliche kommt, musste eine ordentliche Strategie her. Das bedeutete Zustände herzustellen die ein ordentliches Training nicht zulassen ohne Verdacht zu erregen. Schon im Herbst des vergangenen Jahres habe ich also damit begonnen. Die Idee war es, nur unzulänglich zu trainieren und trotzdem in Hamburg zu starten.
Die Umsetzung der Strategie
Zuerst habe ich daher meinen Start beim Berlinmarathon genutzt eine erste ernste Knieverletzung herbeizuführen und habe diese hinterher hier im Forum auch erfolgreich verkaufen können. Verstärkt habe ich das dann noch durch den Start beim Schlaubetalmarathon, der noch langsamer war als der in Berlin. Wie "schwer" die Knieprobleme tatsächlich waren, konnte ja jeder beobachten, der mich beim Sportlerball hat tanzen sehen. Ein dicker Fehler von mir, doch zum Glück hat niemand meine Glaubwürdigkeit bezweifelt.
Aber so ein kaputtes Knie reicht ja nicht um den Rückgang des Trainingsumfangs zu begründen. Nein da musste schon noch etwas mehr her und so wurde ich dann auch bald fündig, zumal mir die Jahreszeit in die Karten spielte. Ich nahm mir also im November eine schwere Erkältung, die absolut nicht abklingen wollte und mich fast drei Wochen (hehe) nicht auf die Piste ließ. Wer wollte mir das verdenken? Aber auch Erkältungen sind irgendwann zu Ende. Doch nun kam die Weihnachtszeit. Eigentlich ideal für lange Läufe. Jetzt musste etwas her, was diese auch verhindern konnte.
Ein Blick in die Presse und einschlägige Veröffentlichungen ließ mich alsbaldig fündig werden: Magen-Darm-Infektion hieß das Zauberwort. Ach tat das gut. Ich hatte meine Begründung und konnte in aller Ruhe das Weihnachtsfest verbringen. Leider verbreitete sich aber auch die Nachricht, das die Wirkung dieses Viruses nicht lange anhielt, so dass ich nur kurze Zeit davon profitieren konnte.
Nun kam mir zugute, was ich schon in Eisenhüttenstadt geschickt vorbereitet und auch schon Mitte Dezember in die Wege geleitet hatte: Zahnschmerzen. Das habe ich nun wirklich lange und umfangreich ausgekostet. Der erste Zahn musste, wie schon erwähnt, Mitte Dezember gezogen werden. Dramatisiert habe ich das alles dann zu Silvester und Neujahr, mit dem Einsatz des Notzahnarztes und zwei weiteren gezogenen Zähnen. In Wirklichkeit habe ich mir ein paar ruhige Tage gemacht, was dann auch prompt – planungsgemäß – mein Gewicht noch weiter in die Höhe schnellen ließ. Aber auch die besten Zahnschmerzen lassen irgendwann nach und so konnte ich diese Geschichte nicht endlos fortspinnen.
Etwas neues, völlig anderes musste her und dann las ich von einer im allgemeinen sehr langwierigen Geschichte und davon, dass schon Läufer ihre Karriere deswegen beendet hatten: dem Ischiasnerv. Ich machte also mal wieder einen etwas längeren Lauf und schon waren sie da: die Ischiasprobleme. Ich konnte also verbreiten, dass ich weder gehen, geschweige denn richtig laufen könne. Also: Laufpause. Hamburg rückte immer näher und der Plan ging jetzt schon voll auf.
Als dann genügend Zeit ins Land gegangen war um die Ischiasprobleme doch auszukurieren kam schlussendlich mein langfristig geplanter Terminkalender zum Einsatz. Geschickt hatte ich in der Jahresplanung meine Wochenendlehrgänge so gelegt, dass für lange Läufe einfach keine Zeit bleiben konnte. Jeder musste einsehen, dass Geld verdienen vor Laufen geht. Um aber keinen Verdacht zu erwecken und den Plan nicht aufzudecken und um vorzugaukeln ich würde mich doch noch auf den Wettkampf ordentlich vorbereiten, habe ich den Trainingsumfang in den zwei letzten Wochen vor dem Marathon deutlich erhöht. Es funktionierte alles. Ich habe jenen die es interessierte und denen es klar sein musste, dass ich unmöglich den Marathon in Hamburg laufen könne, noch soviel Sand in die Augen gestreut, dass meine Angabe der Zielzeit (sub 4 – ein wenig musste ich ja dem was ich vorher im Forum geschrieben hatte Rechnung tragen) kritisch hinterfragt und als Tiefstapelei bezeichnet wurde. Sehr gut, alles war gerichtet und der 27. April konnte kommen.
Der Lauf
Alles, aber auch wirklich alles passte genau.
- Das Wetter - ich hatte die Entwicklung in den Tagen zuvor hoffnungsvoll verfolgt, denn ich hasse es bei Hitze zu laufen und so kamen mir die Temperaturen bei meinem Vorhaben natürlich entgegen. Ich habe mich daher so halb, es sollte ja nicht auffallen, angepasst. Also trug ich zwar ein dünnmaschiges aber dunkles Hemd was die Wirkung der Sonnenstrahlen verstärken sollte.
- Der Kopf – ich war von vornherein davon überzeugt keinen schnellen und vor allem genussvollen Lauf abliefern zu können, hatte ich doch alles dagegen unternommen.
Der erste Kilometer war noch sehr verhalten. Ich musste ja auch erst Mal reinkommen und so war das Tempo von 5:47 nicht sehr verheißungsvoll. Die Geschwindigkeit würde ja möglichweise bis zum Ende halten können und was wäre dann aus meinem schön Plan geworden?
Die Kilometer zwei bis vierzehn sahen mich denn auch bei einem etwas höheren Tempo (5:36), dass noch eine sub 4 Zeit suggerierte.
Ab Kilometer fünfzehn sah mein Plan vor, das Tempo noch weiter anzuziehen um die Ermüdung durch hohe Belastung schneller voranzutreiben. Doch das war gar nicht mehr nötig. Schon jetzt griffen alle Vorbereitungsmaßnahmen und an eine Tempoverschärfung war gar nicht mehr zudenken. Mit 5:54 lief ich bis zum Halbmarathon (2:00:30) und weiter bis
Kilometer 23: der erste greifbare Erfolg meiner Bemühungen. Ein erster Krampf auf der Rückseite des linken Oberschenkels. Kurzer Stopp, rausdehnen und weiterlaufen. Einen Kilometer lang tut sich jetzt gar nichts. Frust kommt auf, sollten etwa alle Bemühungen für die Katz gewesen sein und ic h doch unter 4 Stunden bleiben können? Doch dann geht es richtig los
Kilometer 24 bis 42 Krämpfe in beiden Waden, teils abwechselnd teils gleichzeitig. So richtig was zum wohlfühlen und schon glaubte ich wieder an meine Mission: ich hatte ja etwas nachzuweisen. Auf dem Teilstück 30-35 kam die Überlegung auf, zum Beweis meiner These das Rennen aufzugeben um als totaler Triumphator da zu stehen. Zuschauer, die natürlich keine Ahnung von dem hatten was ich vorhatte, spornten mich allerdings, bei völliger Missdeutung der Lage, an durchzuhalten. Gelegenheit dazu hatten sie reichlich, denn meine Fortbewegung sah jetzt so aus, dass ich 500 m lief, dehnte, 500 m lief, dehnte usw. So kam ich da auf einen Schnitt von 8:37. Ganz großartig! Ich fühlte mich immer besser, kam ich doch meinem Ziel, dem totalen Zusammenruch jeglicher Koordinations- oder zumindest Fortbewegungsfähigkeit immer näher. Näher kam allerdings auch immer mehr das Ziel da ich ab Kilometer 35 tranceartig in einen Laufrhythmus (7:35) gefallen war, der Krämpfe nur noch androhte aber nicht mehr wahr werden ließ - ich hatte mich nicht mehr im Griff. Und nun drohte tatsächlich auch die Möglichkeit das Ziel laufend zu erreichen. Denn auch die frenetisch anfeuernden ZUschauer vermochten mich nicht dazu bewegen schneller zu laufen, was mich gewiss meiner Planerfüllung ein gutes Stück neher gebracht hätte. Doch da, ein Hoffnungsschimmer
500 m vor dem Ziel: der linke hintere Oberschenkel, der sich seit km 23 nicht mehr gerührt hatte, war wieder da und machte dicht. Allerdings, angesichts der Nähe des Ziels und der erwartungsfrohen Blicke der Zuschauer dehnte ich noch ein letztes Mal mit dem Erfolg, dass nun auch die linke Wade zu machte. Es muss jetzt ein freudiges Funkeln in meinen Augen gewesen sein. Aber dann ein energischer Ruck und beide Krämpfe waren weg und so bin ich dann die letzten Meter auch noch bis ins Ziel gelaufen.
Die Zeit: 4:37:35 – ich habe im Ziel die Arme hoch gerissen, denn mein Plan war aufgegangen, der Nachweis erbracht. Dieser Lauf war ein voller Erfolg.
Meine These wurde bewiesen: Erfolg ist immer von der Vorbereitung abhängig.
Meine Vorbereitung im Hinblick auf meine Zielsetzung war perfekt und hätte nur in wenigen Kleinigkeiten besser sein können. Umgekehrt gilt das natürlich auch für den Misserfolg, aber der steht hier ja nicht zur Debatte.
Fazit: Nachdem der Beweis nun erfolgreich erbracht wurde, werde ich beim nächsten Marathon wieder den umgekehrten Weg wählen - oder nicht starten.
Ciao
Michael
PS
Dieser Bericht ist der Versuch auch den größten Scheißlauf positiv umzudeuten.