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Frohe Kunde: Die Natur lebt!

Frohe Kunde: Die Natur lebt!

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Eigentlich sollte ich ja am Windhagen Laufbericht weiter schreiben. Aber was ich gestern und heute erlebte, muss erst mal raus ...

Gestern, Dienstag: Die ersten Laufschritte nutzt mein Körper zum Drohen: "Wehe du machst heute Tempo!" Die Westerwaldhügel rund um Windhagen stecken mir nach 48 Stunden noch mächtig in den Knochen. Eigentlich ist mir mehr nach Liegestuhl denn Laufen. Aber doch nicht bei DEM Wetter! 20°C, Sonne satt, blauer Himmel, gute Luft - genug Gründe, um sich ein wenig zu "quälen". Nach dem Einlaufen geht's dann ganz gut, wenngleich sich die Müdigkeit nicht verziehen will. Egal. Laufen ist Lust! Sogar der kühle Ostwind stört mich heute nicht und das will bei einem "Windhasser" meiner Größenordnung schon was heißen. Ich belohne mich, reihe die schönsten Abschnitte meiner Lieblingsstrecken aneinander und füge auch ein paar selten belaufene Routen hinzu. Diese Freiheit verdanke ich dem inzwischen nicht mehr ganz neuen GPS-Klotz am Handgelenk und meiner guten Ortskenntnis. GPS zählt die vollbrachten Kilometer und ich errechne überschlägig, wann die Zeit zum Umkehren reif und welcher Weg dafür opportun ist.

Ein Abstecher zur so genannten "Schießplatzheide" geht noch. Früher war hier militärisches Sperrgebiet, aber seit sicher 30 Jahren ist die Natur sich selbst überlassen. Heidegebiet in der Auenlandschaft des Flusses Lech. Seltene Pflanzen wachsen hier und wunderschöne Blumen erfreuen über viele Monate. Mal sehen, was der Frühling schon blühen lässt. Ich biege im Wald in einen Nebenweg ab und nach ein paar Schritten schrecke ich unwillkürlich zurück. Eine "Riesenschlange" liegt da in der Sonne!!! Ich kann mich nicht erinnern je ein so großes Exemplar von Ringelnatter gesehen zu haben. Ich will hier nicht mit Meterangaben prahlen, denn zum Messen hab ich nichts dabei und sie hätte sich für mich auch sicher nicht ausgestreckt. Jedenfalls hätte ich mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht einreden lassen, dass Ringelnattern ein solches Maß erreichen können. Groß heißt leider auch alt und alt bedeutet schlau, da viele Gefahren überlebt. Mein "Getrampel" hat sie alarmiert, bevor ich sie sehen konnte und so bleiben mir leider nur drei, vier Sekunden bis sie im hohen Gras und Dickicht des Waldes verschwindet.

Wunderbar! Ich mag Schlangen, jedenfalls die bei uns lebenden. Mir gelten sie nicht nur als schöne Tiere, sondern auch als Symbol. So lange man die seltenen und scheuen Reptilien noch zu Gesicht bekommt, ist in der Natur einiges intakt. Auf eigentümliche Weise glücklich und versonnen setze ich meinen Weg fort. Mir gehen frühere Schlangen-Rendezvous - übrigens immer beim Joggen - durch den Kopf. Etwa die winzige "Baby-Ringelnatter", nicht mal bleistiftdick, die sich erst nach etwas Neckerei mit einem Grashalm davon stahl. Das liegt schon Jahre zurück, als der Begriff "Marathon" für mich noch ein Fremdwort war. Oder der Augenblick als mir das Herz bis zum Hals schlug, weil unsere Hündin, vor mir her trabend, einen kurzen Satz über einen eigentümlich geformten "Stock" vollführte. Was wäre gewesen, wenn die Kreuzotter sich bedroht gefühlt und blitzschnell zugebissen hätte?

Dann erreiche ich die Schießplatzheide und finde im Trockenrasen hübsche, gelbe Schlüsselblumen in voller Blüte vor. Ein feiner Tag! - Es ist Zeit den Heimweg anzutreten, drum kehre ich durch die Senke mit den glasklaren Quellteichen zum Hauptweg zurück. Ich wende mich Richtung Lech, der von hier noch etwa 500 Meter entfernt fließt. Sehen werde ich ihn heute nicht, in meinem Kopf zeichne ich eine andere, hübsche Route. Aber warum nicht einfach da vorne schon rechts abbiegen? Kann mich nicht erinnern die Variante je benutzt zu haben. Zwei Meter bevor ich den Hauptweg wieder verlassen möchte – das gibt’s doch nicht! – schon wieder eine Schlange! Viel kleiner und zum Glück auch dümmer als die alte vorhin. Ein Meter vor ihr bleibe ich ruhig, sozusagen Aug’ in Aug’, stehen. Als ich dann eine kleine Bewegung vollführe wittert sie Gefahr und verschlängelt sich ins Gras. Mir geht das Herz auf, bin so bewegt, dass ich vermeintlich die Starttaste meines Forerunners drücke, obwohl ich die Uhr gar nicht stoppte. Erst etwa zwei Kilometer weiter bemerke ich den Fauxpas, was mir aber reichlich egal ist. Zumal ich das fehlende Wegstück ja in Google Earth nachmessen kann. Nie zuvor wurde ich mit zwei Schlangen an einem Tag beschenkt. Das ist einfach nur großartig!

Die letzten Kilometer wetze ich auf dem Zahnfleisch. Immerhin summieren sich letztlich knapp 20 Kilometer. Dennoch stehe ich dann überaus zufrieden und versöhnt mit jedwedem Ungemach unter der Dusche …

Heute, Mittwoch: Geht "dramaturgisch" diese Woche nicht anders: Den langen Lauf unter der Woche kann ich nur heute erledigen. Morgen hab ich die Zeit nicht und am Freitag wär’s zu spät, denn Sonntag will ich ja wieder Marathon laufen. Also umziehen, Trinkgürtel umschnallen und diesmal mit dem Auto ein paar Kilometer in die andere Richtung, nach Westen. Während mein Wohnort in unmittelbarer Nähe vom flachsten aller Flachländer umgeben ist, was sich Nicht-Bayern 70 Km Luftlinie vor den Alpen überhaupt nicht vorstellen können, finde ich knapp 10 Kilometer Richtung Westen sehr hügelige Trainingspfade. Die so genannten "Stauden" bilden ein riesiges, im Grunde zusammenhängendes Waldgebiet, das jedoch von vielen von Landwirtschaft geprägten Tälern durchzogen ist. Die Erhebungen sind nicht immens, so um die 50 bis 70 Höhenmeter Differenz. Mein Ziel heute: Kreuz und quer da durch und möglichst viele Buckel überqueren. Übernächstes Wochenende steht der Supermarathon am Rennsteig auf dem Programm und die Trainingswirkung vom Sonntag im Westerwald, soll erhalten bzw. ausgebaut werden. Ungefähr 30 Kilometer stelle ich mir vor. Zwei Kilometer flach zum Einlaufen, dann rauf. Natürlich fühle ich mich müde. Keine Frage. Nach dem Einlaufen geht’s, aber die Lahmheit wird die nächsten drei Stunden nicht weichen. Doch davon wollte ich eigentlich nicht erzählen. Auch nicht von Sonne, blauem Himmel, herrlichen Mischwäldern, fantastisch gelbem Löwenzahn in saftig grünen Wiesen, grandiosen Baumgestalten und wundervoll geschwungenen Tälern. Auf einem der Kieswege, ich kann’s kaum fassen, erwische ich doch schon wieder so ein hübsches, wechselwarmes Reptil beim Sonnenbad! Unfassbar. Einen Tag später schon wieder eine Ringelnatter. Nettes Exemplar, kleiner als der Gigant von gestern, aber größer als die Unerfahrene zweite. Diese ist auch schon ganz schön gewieft, gönnt mir Sekunden ihren Anblick und verzieht sich dann in die Schonung.

Nach 32, 2 Kilometern falle ich klatschnass, durstig und ausgepumpt in meinen Fahrersessel. Aber vor allem bin ich eines: Ein zufriedener und glücklicher Läufer.

Grüße an alle :winken:

Udo
"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger. :hallo:
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe

PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h

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Schön beschrieben - und die Natur bei einem Lauf zu genießen, gehört ohnehin zu den schönsten Dingen abseits des Alltags! :)

der schellsky

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Sehr schön geschrieben!
Bei uns habe ich in, inzwischen doch schon einigen Jahren des Laufens, noch kein solches Kriechtier gesichtet.

Aber einem Feuersalamander bin ich kürzlich begegnet.


Walter
You can only fail if you give up too soon

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Hallo , Du bist ja unglaublich.
Erst gestern Dein wunderbarer Bericht aus Madrid und heute diese Naturbeschreibung.
Einfach Klasse.
Schlange habe ich beim Laufen noch keine gesehen, dafür am letzten Sonnabend 8:00 Uhr
früh im Wald eine ganze Truppe wandernder Rentner :confused: .
Was wollen die so früh schon im Wald, dachte ich mir. Die waren auf Vogelstimmenwanderung mit dem Förster und ich mit meinem getrammpel im Wald :klatsch:

Wann kommt denn nun der nächste Bericht. Eigendlich könntest Du doch jeden Tag einen schreiben. Das wäre schön.

Liebe Grüße
Lilly
1. Wettkampf : 17.05.2008 Viertelmarathon beim Spendenmarathon Chemnitz 01:07:48 h
Neue PB HM: 02:10h beim 25.Glauchauer Herbstlauf:D
http://verstricktundzugesponnen.blogspot.com
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Hallo Udo,

ich finde es toll, wie Du trotz Deiner vielen Laufkilometer die vielen Details am Rande aufnimmst und auch noch beschreiben kannst. Wir haben was davon.

Da ich gestern mal Dein Programm für dieses Jahr gesehen habe frage ich mich wie Dein Körper das mittlerweile verkraftet? Gibt es einen Substanzverlust oder verbessert sich die Kondition? Hast Du eigentlich eine medizinische Begleitung?

Jaja viele Fragen, interessiert mich aber mal.

Liebe Grüße Uwe

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Hallo Udo,

solche Erlebnisse sind doch der eigentliche Grund, warum man läuft. Jenseits von Wettkämpfen und Zeiten jagen. Für mich jedenfalls. Draußen sein. Natur pur genießen. Wie kann man das besser als auf den eigenen Füßen.

Viele weitere schöne Erlebnisse beim Laufen wünsche ich dir und uns allen. Und ich wünsche mir weitere Berichte.

Danke sagt Töffes.

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mensch udo, ich bewundere dich wirklich!!!!! :daumen:

wenn ich laufe, dann hat das zur zeit (nach meiner babypause) eher noch mit mentalen durchhalteparolen zu tun :peinlich:
geschweige denn, dass ich noch nach seltenen reptilien ausschau halten könnte. ich bin froh, wenn ich den rückweg ohne gehpausen schaffe. sieht sicher oft komisch aus, wie ich meiner hündin hinterher renne...; aber gestern habe ich sie geschafft - wahrscheinlich lag es am wetter und nicht an mir :zwinker4:

lg laufmami
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Hi Udo,

dieser Bericht hat mir auch ganz besonders gefallen. Ich freue mich in diesen Wochen auch sehr über die erwachte Natur. Wenn ich dann mal etwas höher komme, dann sehe ich die Jahreszeit wie im Zeitraffer. Was unten schon fast verblüht ist lässt sich oben noch Zeit. Schön dies alles miterleben zu können.

Pia

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Super Bericht Udo! Leider ist unberührte Natur von mir aus immer mit Auto fahren verbunden. Aber ausser Zeiten, Strecken, Kampf usw. ist die Natur auch ein wichtige Motivation fürs Laufen.
Gruss
Andreas






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Wow! Und da sage mir einer, es gäbe in Deutschland keine Schlangen. Ich bin gerade erst vor kurzem nach einigen Jahren Südafrika wieder nach Deutschland zurückgezogen und dachte, hier muß ich mir überhaupt keine Sorgen mehr machen, auf Schlangen zu treten!
In Südafrika hatte ich 3 Lauferlebnisse mit Schlangen und ich war auch jedesmal völlig fasziniert. Bei der Baumschlange war es ganz gut, daß ich nicht draufgetreten bin, die lag mitten im Ort quer über den Gehweg! Eine absolute Seltenheit.
Aber ich freue mich genauso an den Feldhasen, den Käuzen und heute einfach nur den übergrünen, satten Wiesen mit den vielen bunten Butterblumen, den Gänseblümchen und den Mücken, die in der Sonne tanzen! Bin hier in ein kleines Paradies gezogen, stelle ich immer häufiger fest...

Grüße an alle Naturerlebnisläufer,
Maline
PB 10km 21.2.07 48:23
PB HM 15.4.06 1:52:15
PB M 10.11.07 4:05:25

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Hallo Udo,

schöner Bericht! - Und, liegt es an unserer Gegend hier, dass wir so Schlangen frequentiert sind? Ich wohne nahe der Wertach und die Singold fließt direkt an der Haustür vorbei. Im letzten Sommer hatten wir hier ein Kreuzotter-Pärchen, an jedem Sonnen-Tag hatten sie ein Stammplätzchen auf dem Steinhang entlang der Singold-Befestigung (es ist hier sehr ruhig, die Befestigung nicht begehbar und die nächste Straße zweihundert Meter weiter). Das Schauspiel ging ein paar Wochen und ich war fasziniert und sogar direkt stolz, dass sich die Schlangen einen Platz vor unserem Haus ausgesucht hatten!
Neben dem Haus fließt ein kleiner Singoldausläufer, direkt in die Wiese, in der auch die Kinder spielen... die Schlangen auch, und beunruhigte Mütter haben dann die Polizei gerufen, die hat den Zoo alarmiert... und weg sind sie jetzt, unsere Schlangen. Ich hoffe, sie sind an einem schönen Platz ausgesetzt worden.
Ein paar hundert Meter weiter, im Garten meiner Freundin, wohnt jetzt im zweiten Jahr eine Ringelnatter. Tatsächlich fand ich es dann zuerst auch nicht besonders witzig, als ich dort im Liegestuhl lag und das Natterchen an mir vorbeihuschte, zumal wir sie beim ersten Mal und nach dem ersten Schreck auch nicht sofort als harmlose Ringelnatter identifizieren konnten...

Also, ich finde es auch schön, dass es wieder Schlangen gibt, aber ganz ehrlich, beim Laufen ist es mir dann lieber, wenn sie im Gebüsch bleiben, denn so im ersten Schreckens-Moment bin ich dann doch kurz vor dem Herzstillstand...

Liebe Grüße aus der Nachbargegend, Simone :hallo:
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