6,1 nicht ganz so schnelle Kilometer. Ein paar Steigungen, viele Richtungswechsel und das alles hoffentlich im Bereich von 22 Minuten - das waren die hard facts vor meiner ersten Teilnahme beim Wandselauf in Hamburg Rahlstedt.
In Rahlstedt war die Hölle los. Der Veranstalter stellt jedes Jahr parallel zu den angebotenen Distanzen 6,1km und 15,2km auch einen Schülerlauf über 1,2km auf die Beine und dieses Jahr hatten sich - so schien es - sämtliche Hamburger Schulen gemeldet. Über 700 Schüler, erfuhr man später. Immerhin: Es war was los. Da blickt man auch mal über das Theater hinweg, was es brauchte, um sich durch die Horde Schüler bis zum Nachmeldestand durchzuschlagen.
Wie so häufig vorher, hatte ich mit den Kollegen vor dem Lauf mögliche Tempi durchgerechnet. 3:36/km um unter 22 zu bleiben und damit wenigstens ein Wörtchen um den Tagessieg mitreden zu können. 3:30/km wenn's *richtig* gut laufen würde - schwächelnde Mitbewerber und es könnte nach vorne schon fast reichen.
Durch den Start ein Zeichen setzen, das war der Plan. Das letzte schnelle Training am Donnerstag hatte mit drei schnellen 400m-Runden geendet und die Beine fühlten sich gut genug an, um wenigstens mal den ersten Kilometer selbst zu gestalten. Erfreulicherweise erkundigte sich unsere Fahrradbegleitung am Start nach all denen, die eine Zeit unter 22 Minuten anpeilten. Jetzt nicht keifen, dachte ich mir. Gemeinsam mit mir meldete sich ein Mannschaftskollege und ein weiterer Läufer.
Startschuss. Alles fühlt sich super an, also drücke ich aufs Tempo. Einer lässt nach 200m abreißen, drei weitere nehmen die Verfolgung auf.
KM1: Erster Kilometer in 3:15 - das Tempo geht gut und ich mache mich nicht völlig kaputt. Knapp nach dem ersten Kilometer *fliegt* allerdings jemand an mir vorbei. "Mist", denk ich - das war's mit vorne Mitlaufen. Kaum ist er vorbei, ist er schon 10-15 Meter vor mir. Was tun? Hat er nur gelauert, nen Kilometer gewartet und läuft das jetzt locker nach Hause? Ich hoffe, dass ich mich täusch, nehme das Herz in beide Hände, laufe zu ihm auf, gehe vorbei und bin wieder vorne. Jetzt bloß nicht überreizen. Ich reduziere das Tempo, erhasche einen Blick nach hinten und sehe, dass die anderen schon ein ganz Stück hinter uns zurückliegen. Wir laufen eine Steigung hoch und ich reduziere das Tempo weiter. Trotzdem macht mein Verfolger keine Anstalten mich zu überholen. Also probiere ich es: Ich verschärfe am Anstieg das Tempo für 50m und er andere kapituliert. Vorne laufen ist super: Selbst das Tempo gestalten stresst, bringt aber trotzdem vor allem eins: Spaß.
KM2: Die Verfolgergruppe hinter mir kommt näher, ist aber noch ein Stück zurück. Leider merke ich jetzt den ersten Kilometer und schnell wird klar, dass das hier - selbst wenn ich vorne mitreden kann - ganz bestimmt kein Start-Ziel-Sieg wird. Ich versuche das Tempo so weit wie möglich zu halten, schaffe es aber nicht ganz und werde etwas langsamer.
KM3: Die anderen sind jetzt dran. Noch mache ich das Tempo, nutze aber die Tatsache, dass auch die anderen nach der Aufholjagd eine kleine Pause gebrauchen können. Das Tempo wird allmählich wieder erträglich. Jetzt ist dafür der Weg anspruchsvoller: Waldweg, Schotter, viele Kurven. Richtig dankbar bin ich dem Fahrradfahrer, der vorneweg fährt. Rechtzeitig vor jeder Kurve gibt er laut die Richtung vor.
KM4: Mein Mannschaftskollege und der andere "unter-22er" gehen vorbei. Jedenfalls jetzt bin ich nicht zum Kontern in der Lage. Frust! Die beiden treiben sich gegenseitig an und erlaufen sich ein paar Meter Vorsprung. Langsam zweifel ich an meiner Taktik. Mein Atem geht schwer, von hinten nähert sich langsam der Kollege von km1 wieder. Was ist hier los? 2km vor Schluss Einbrechen ist ja wohl nicht drin! Immerhin sind die Beine noch nicht völlig weich, aber dafür arbeitet die Pumpe so hart wie selten. Konzentrieren, also. Lange Schritte, Tempo halbwegs halten und wenigstens nicht leichtsinnig das Treppchen riskieren.
KM5: Vorne zieht mein Mannschaftskollege etwas an und geht nach vorne. Und der Kollege kann hart sein, wenn er will. Der Abstand wird schon langsam bedrohlich groß, als das es noch reichen könnte. In mir keimt die Verzweifelung. 4km vorne gelaufen und jetzt versau ich's kurz vor Schluss, obwohl außer meiner Lunge nichts weh tut?
Jetzt oder nie. Den Mund weit aufgerisen schließe ich zu beiden auf und gehe direkt vorbei. Mein Mannschaftskollege ist stark auf kurzer Distanz, schlägt mich im Endspurt in 9 von 10 Fällen, also bleibt nur die Option, richtig aufs Tempo zu drücken. Wenn die anderen jetzt mitziehen, ist es gelaufen, denk ich mir. Also hab ich keine Wahl und verschärfe das Tempo. Mir kommt zu Gute, dass es leicht bergauf geht und mir Steigungen liegen. Und ich hab Glück: die beiden lassen abreißen. Also weiter. Mein Puls rast jetzt, bestimmt deutlich über 180 aber jetzt gibt's kein zurück mehr, bloß nicht einreißen lassen. Wenn jetzt nur der Trainer irgendwo hier wäre und mir sein (manchmal verhasstes) "los, nochmal drücken!" hinterherschreien würde. Der Abstand wächst. "Noch 500m", ruft auf einmal der Fahrradfahrer. "Es kann klappen", schießt es mir duch den Kopf. Meine Beine fühlen sich jetzt an wie Gummi, die Lunge brennt, ich werde langsamer, aber der Abstand schrumpft nicht. Es scheint, als hat der Zweite aufgegeben.
ZIEL: "Da vorne um die Kurve, dann kommt das Ziel", ruft der Fahrradfahrer. Und tatsächlich: zehn Sekunden später kommt das erlösende Transparent in Sichtweite. Einmal noch der Blick zurück - kurz die Faust geballt und es ist geschafft. Und wie schön das ist: Dem zweiten und dritten gratulieren, herzlich noch dazu, weil der Dritte im gleichen Team läuft, ein Foto für das lokale Käseblatt und der Siegerkuss von der Freundin.
FAZIT: Schöner Lauf. Familiärer Charakter, vergleichsweise viele Teilnehmer, streckenmäßig anspruchsvoll. Und das Ergebnis stimmte - die Vereinskollegin gewann über 15,2km und ich holte meinen ersten, kleinen Sieg.
Der erste Volkslaufsieg (25.05.08)
1Weder schnell, noch ausdauernd: 53,77 / 1:56,54 / 2:31,04 / 3:58,65