Marathon Du Vignoble d'Alsace am 22. Juni 2008
(Fotos wie immer im B l o g und bei Marathon4you - darunter auch viele mit mir darauf und vollständigere und bessere Streckeneindrücke, da mein persönlicher Starfotograf nur einen letzten Abschnitt abgefahren ist und aufgenommen hat. Selber habe ich diesmal nicht geknippst).
Hase war Schuld! ... und ein bisschen auch der Laufbericht vom Vorjahr bei Marathon4you.
Aber was nützt es noch, mühsam nach Schuldigen Ausschau zu halten, wenn es zu spät ist und man am Start eines Höllenlaufes steht. Nichts! Na also. Mitgefangen, mitgelaufen, mitgehangen ... oder so ...
Kerstin und Charly hatten ohnehin schon am Vorabend des Marathon bei der Spätzleparty in Molsheim meine persönliche Sympathie-Generalabsolution erhalten. Vor allem waren die beiden so vernünftig gewesen, auf Halbmarathon umzubuchen. Angesichts der Wettervorhersage, die pünktlich zum Marathon den mit Abstand bisher heißesten Tag des Jahres ankündigte - und das in einer WeinAnbauGegend, in der auch Bananenstauden und Palmen - wenn auch beides ohne Früchte - frei und unüberdacht gedeihen, waren zwar auch mir Zweifel gekommen. Wie so oft bei mir siegte jedoch die Unvernunft, die da proklamierte:
"Im Urlaub und nach so weiter Anfahrt muss sich die Qual auch lohnen - unter Marathonstrecke läuft da nix!"
So fand ich mich morgens um 8:30 Uhr am Marathonstart in Dorlisheim ein und gesellte mich zu den laufenden Fußballtoren, Weinflaschen, Gladiatoren und einer bunten Mischung unterschiedlichster Frauengestalten mit Männerbeinen.
Französische Männer scheinen einen starken Hang zu Travestie-Kostümen zu haben, mindestens die Hälfte aller männlichen Kostümträger verkörperten Frauengestalten - oft mit umgeschnallten Brüsten aller möglichen und unmöglichen Ausmaße, umgeschnallten Plastikärschen und schrillbunten Flattergewändern.
Aber auch ein laufender Jesus mit auf den Buckel gebundenem Kreuz war unterwegs. Es dauerte jedoch nicht allzu lange, bis jede/r Einzelne der Läuferschar sein eigenes Läuferkreuz zu tragen hatte. Und auch das nach unten laufende BrustwarzenBlut, das das vormals schneeweiße Gewand des ätherischen Engels mit Flügelchen und Heiligenschein dramatisch rot färbte, veranschaulichte lediglich das ganz normale Leiden des Tages.
Doch ich will nicht allzusehr durcheinander- und vorgreifen. Ein bisschen der Reihe nach also:
Schon beim Start herrschten angeblich 25°C im Schatten - später stieg dieser Wert auf bis zu 34°C an. Doch ich fand vor Ort und finde auch im Nachhinein, dass diese Zahlen keinerlei Aussagewert hatten. Denn: wo zum Teufel wäre auf dieser Strecke SCHATTEN gewesen?! Mindestens 95% der Strecke war gnadenlos sonnig. Zudem flirrte der Asphalt, in den Weinbergen und zwischen Maisfeldern staute sich die Luft und presste heißen trockenen Staub in die Lungen, hitzte den Körper nicht nur von außen auf, sondern auch von innen. Das Gefühl, irgendwann nicht mehr atmen zu können, war ständig zugegen ...
Bei Kilometer 5 tauchte der erste Versorgungsstand auf, der auch Wein anbot. Ein prüfender Griff an die Fingersensoren der Pulsmessuhr behauptete etwas von 170 Schlägen pro Minute Bisher war ich von einem Hfmax von 180 ausgegangen und fragte mich, ob es wohl möglich sein könnte, einen Marathon mit 95% Hfmax zu laufen ...
Realistischerweise ging ich davon aus, dass ich den Lauf irgendwann würde abbrechen müssen und griff zum Trost und um mich wenigstens ein bisschen schadlos zu halten, beim Wein beherzt zu. Der bitter-saure Nachgeschmack hatte sogar einen erfrischenden Effekt und mit einer Nachspül-Wasserflasche lief ich weiter. Den ebenfalls gebotenen Flammkuchen samt Sauerkraut verschmähte ich allerdings - was zuviel ist, ist zuviel ...
Schön ist es an der elsässischen Weinstraße. Die Dörfer lauschig, mit Stadttoren, Stadtmauern, Kopfsteinpflaster - die Getreidefelder und Obstwiesen weit und staubig, die Weinberge hügelig und schier endlos sonnigheiß. Wenn ich die völlig überbelichteten zusammengekniffenen Augen kurz öffnete, sah ich weite Idylle, leidende Läufer vor und hinter mir und Sonne, Sonne, Sonne ..... Es war landschaftlich ein himmlischer Traum aber es war auch heiß wie die Hölle! Ein nicht enden wollender Saunagang. Nur dass ich heute nichtmal sitzen durfte, sondern laufen mußte.
Gibt es eigentlich Menschen, die ein Laufband in die Sauna stellen und dort für Wüstenläufe üben? Über 5 Stunden am Stück? So fühlte ich mich heute. Völlig irre, bei meiner doch recht großen Verdunstungsfläche und meinem hohen Flüssigkeitsverbrauch kaum wieder auffüllbarer Verlust an Wassermengen.
Auf der ersten Streckenhälfte gab es fast keinen Schatten, viele Steigungen auf steinigen Graswegen. Es war rundherum fast totenstill - selbst die Vögel hatten angesichts der flirrenden Hitze jeglichen Gesang eingestellt.
Es fanden sich Mitstreiter, die für marathon4you fotografierten und berichten wollten. Zwei davon waren in der Vorwoche Biel mitgelaufen (achja - ich hab' ja die Bielberichte verpasst, werden evtl. nachgeholt. Aber im Urlaub ist frau eben etwas aus der Läuferwelt raus) und einer davon wollte mich aufheitern:
"Wenn du das hier - egal in welcher Zeit - finishen kannst, dann kannste auch Biel in Zielzeit finishen ..."
Harhar ... ich war mir nicht so sicher, ob ich das wirklich wissen und hören wollte - aber die nette Gesellschaft, die häufigen und immer länger werdenden Pausen an den Versorgungsständen - wenn vorhanden, dann immer mit regionalem Wein aus Glasgläsern, das alles führte dazu, dass ich tatsächlich wohlbehalten nach 2:35 h am Halbmarathon-Punkt ankam. Die HM-Läufer (unter ihnen Kerstin und Charly) waren hier vor über einer 1/2 Stunde gestartet und ich überlegte - die bisherigen Begleiter vorlaufen lassend - ob ich aufhören sollte.
Mein Herz- Kreislaufsystem war zwar stabil. Auch muskulär hatte ich nicht das Gefühl, Probleme zu bekommen, immerhin war ich langsam genug unterwegs. Aber der Puls schoß nach jeder Pause immer schneller wieder in die Höhe. Immer länger mußten die Pausen dauern, bis er sich wieder bereit zeigte, die nächste Teiletappe in Angriff zu nehmen. Mir war ziemlich bewusst, dass ich für meine körperlichen Verhältnisse recht dicht am Abgrund lustwandelte - ein kleiner Tanz auf dem Vulkan bei passenden Temperaturen ... und doch startete ich weiter durch.
Es nützte nicht viel, Gehpausen einzulegen. Bei einigen Bergauf-Passagen tat ich es zwar aber im Grunde war es kein allzu großer Unterschied, der Hitze auf der Strecke gehend oder langsam joggend ausgesetzt zu sein. Die bessere Taktik schien mir - und auch vielen anderen - immer einige Kilometer langsamst zu joggen und dann am nächsten Versorgungspunkt etwas länger zu pausieren. Bis der Körper wieder Laufbereitschaft oder zumindest -ergebenheit signalisierte.
Irgendwann schloss ich mich einer Truppe von 5 in gleiche orangene Frauengewänder gehüllten Männern aus der Normandie an. Die fünf waren mir von Anfang an aufgefallen, sie liefen mal zusammen, mal jeder alleine, dann wieder in geteilten Kleingruppen ... aber immer wurde an den Weinständen aufeinander gewartet und sich zugeprostet. Ich weiß nicht mehr wie es kam - aber irgendwann gehörte ich einfach dazu. Sie sprachen kein Wort Deutsch und ich spreche fast kein Französisch. Es war völlig gleichgültig - wir haben uns gut verstanden, viel miteinander gelacht, uns zugeprostet, Trinksprüche ausgebracht, gealbert und gegenseitig aufgebaut.
Auch diese Männer waren oft überhaupt nicht mehr lustig, wenn sie ein Teilstück hinter sich gebracht hatten. Einige lehnten sich erschöpft an Steinwände - wenn vorhanden und sahen aus wie der wandelnde Tod. Es gelang uns jedoch immer wieder, den gemeinsamen "Positiv-An-Knopf" zu aktivieren. Und ich denke, das ist ein wichtiger Trick in solchen Momenten. Den "Positiv-Knopf" wiederzufinden. Sei es mit kleinen dummen Witzen, gegenseitigen Aufmunterungen ... irgendwie ... sobald alle wieder lachen, kann es weitergehen.
Immer wieder: "a votre santé!" und angestoßen wurde ... einmal fragte mich einer, wie man das auf Deutsch sagt. Ich hob das Glas und intonierte besonders hart und oberdeutsch: "PROST" - der Knopf war gefunden. Alle lachten und riefen gemeinsam "PROST"! lachten weiter und liefen weiter ....
Es gab zum Glück reichlich "Dusch-Abkühlstellen" unterwegs. Einige privat organisiert, viele von der Feuerwehr aufgebaut. Man konnte sich von Kopf bis Fuß eiskalt abduschen lassen, was ich auch jedesmal begeistert in Anspruch nahm. Doch schon nach kürzester Zeit war das Wasser am Körper wieder warm und Hitzedampf hüllte mich ein. Manchmal kribbelte die Kopfhaut wie ausgekühlt und mit Gänsehaut überzogen. Gelegentlich fühlte ich mich zwar ausgedörrt, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, keine Flüssigkeit mehr in den Magen zu bekommen und verzichtete.
Die zweite Hälfte war etwas weniger bergig als die erste. Auch zog hier und da kühlender oder zumindest erfrischender Wind um einige Eckchen. Bei Kilometer 30 erschien mein bester Motivator und Fotograf: Volker auf dem Fahrrad, mit dem er mir durch die Weinberge entgegengefahren war. Nach einer freudigen gegenseitigen Begrüßung meinte er, mich besorgt warnen zu müssen: "Du, es kommen da noch einige sehr sonnige, heiße und staubige Kilometer, die vermutlich schwer zu laufen sind."
Meine Reaktion war ein bisschen hochnäsig und sarkastisch, glaube ich. Ich meckerlachte kurz auf, zeigte über die Schulter hinter mich und sagte: "Du bist witzisch - was meinste denn, wo ich da gerade herkomme ...?" ....
Es war gut, dass er da war. Aber als er mitbekam, dass ich mich in lockerer aber doch schon fest gefügter Notgemeinschaft befand, hielt er sich wunderbar zurück und sprengte uns nicht. Fuhr mal vor, mal hinterher. Meist schweigend aber auch mit kurzen Infos und Fragen - er ist auch, so stellte ich fest, der beste Fahrradbegleiter bei Kampfmarathons. Unschlagbar!
Bei Kilometer 37 landete ein Hubschrauber, ein vorher im Saniauto behandelter Läufer wurde abgeholt und als bei Kilometer 38 aufgeregte Menschen verkündeten, der Marathon wäre abgebrochen, machte das Gerücht die Runde, dass es - neben vielen Verletzten - auch einen Toten gegeben hätte. Inzwischen glaube ich zwar immer mehr, dass es sich um ein Gerücht handelte - zumindest, was den Toten angeht - aber in dem Moment mußten wir davon ausgehen, dass es stimmt.
Die Aufregung war groß. Zuerst verstand ich gar nicht, worum es geht - schließlich spreche ich kein Französisch. Doch nach und nach wurde klar: Schluss! Aus! Ende! Wir sollten abbrechen und in Busse umsteigen und zurückfahren.
Ja, SIND die denn des Wahnsinns Klar: ich fand es alles andere als einen schönen Gedanken, dass es offensichtlich viele Verletzte gegeben hatte. Aber ich sah trotzdem nicht ein, dass ich selber aufhören sollte. 38 Kilometer und 5 Stunden durch die Hölle und dann in Busse steigen? NIEMALS! Es wurde durcheinander geredet und gestikuliert. Die Franzosen waren der gleichen Meinung, ein beide Sprachen sprechender Pirat, mit dem ich mich unterwegs auch mehrmals unterhalten hatte, übersetzte, es stießen auch einige Deutsche dazu .... alle wollten weiterlaufen.
Wir wurden aufgefordert, die Startnummern abzunehmen. Einige taten es, andere - auch ich - weigerten sich auch hier. "Das ist MEINE Startnummer"! Ich hab' die bezahlt, ich kann die anziehen, wann, wielange und wo ich will! Die können mich doch mal kreuzweise ... können die mich mal alle .... und nach der Versicherung, nun auf eigenes Risiko weiterzulaufen, trabten wir Unbelehrbaren wieder an.
Neben und vor uns wurde die Strecke gnadenlos abgebaut, die Bänder entfernt - zum Glück kannten einige und auch Volker den genauen Streckenverlauf. Die Ortschaften sind recht verwinkelt und es wäre blöd gewesen, kurz vor dem Ziel ziellos herumirren zu müssen .... Auch die Versorgungsstände wurden abgebaut. Aber einige etwas logischer denkende Helfer und auch Anwohner reichten wenigstens noch Wasser. Denn auch nach uns kamen noch reichlich Läufer - man mindert die Wahrscheinlichkeit weiterer Zusammengeklappter nicht unbedingt, wenn man ihnen auf den letzten Kilometern das Wasser entzieht ....
Mir fiel ein, dass es womöglich keine Medaillen mehr gab, wenn ich das Ziel erreiche. Ich spürte in mir aufkeimende Hysterie, die Stimme klappte mir über: "wenn die mir keine Medaille geben, dann reiß ich die Kisten von denen alle wieder auf und hol' mir die selber" Ich wurde zur Ruhe gebracht: "Lauf einfach weiter - wir bringen das jetzt zu Ende - einfach weiterlaufen ..."
Okay! Gut fand ich nicht, dass es bei Kilometer 41 auch den versprochenen Cremant nicht mehr für uns gab (das ist die örtliche Champagner-Variante und kulinarischer Weinhöhepunkt an der Strecke auf den ich mich sehr gefreut hatte). Aber ich konnte es verstehen, dass von Seiten der Orga Alkoholverbot ausgerufen worden war. Dass sie versuchen mußten, das Risiko etwas abzumildern ... nagut ... aber die Läufer innerhalb der Zielzeit und kurz vor Ziel zum Aufgeben zwingen zu wollen ... das fand ich übertrieben.
Wenn man in einer Hitzeregion einen Lauf durch sonnige Weinberge Ende Juni ausruft ... ich denke, dann sollte man sich als Organisator auch des Risikos bewusst sein, dass es Unfälle gibt . Und dass auch die von jedem abgelieferten aktuellen ärztlichen Atteste nichts daran ändern können ... auch das sollte ihnen bewusst sein ...
Aber es waren widersprüchliche Informationen. Während beim Lauf die Strecke vor unserer Nase abgebaut wurde, lief die Zeitnahme im Ziel dennoch weiter. Der Moderator kündigte alle an, ein tapferes Restpublikum applaudierte, junge Mädels überreichten die verdiente Medaille, es gab das verprochene T-Shirt genauso wie die Weinflasche und im Rückblick kann ich sagen: "Nie mehr bei Hitze im Sommer Marathon laufen - aber irgendwie nen gewissen Reiz hat auch sowas ... "
Statistik:
meine Zeit: 5:58 h, 50ste Frau von 59, Platz 348 von 382 gesamt
(keine Ahnung, wieviele abgebrochen haben oder doch in Busse gestiegen sind)
Sieger Männer: Sylvain Schoenberger in 2:50:27
Siegerin Frauen: Beatrice Lukas in 3:47:56
wie schon erwähnt: Bilder zum Lauf im B L O G
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