Gebraten, gebacken und gegrillt
Stuttgarter Zeitung-Lauf 2008
Auf zwei Dinge kann man sich beim Stuttgarter Zeitungslauf relativ sicher einstellen: Erstens wird es tropisch heiß sein und zweitens erfolgt der Start garantiert nicht pünktlich. Gerade für die Vorhersage des ersten Punkts habe ich manchen Rüffel bekommen, aber das war vor drei Wochen, als die grauen Wolken tief hingen und der nahende Sommeranfang bestenfalls im Kalender zu erahnen war. Doch bereits am Samstag Mittag, als der SWR3-Wetterbericht für den Sonntag „29 bis 33 Grad“ verkündet, weiß ich, dass ich wohl Recht behalten werde - auch wenn ich liebend gern drauf verzichtet hätte.
Start oder doch noch nicht?
Als ich mich um zehn vor neun an den Anfang des gelben Startblocks begebe, habe ich schon eine kleine Odyssee hinter mir, die mit dem grausamen Fiepen des Weckers um kurz nach 5 Uhr ihren Anfang nahm. Zugfahrt um halb sieben, Eintreffen an der Helfer-Info Punkt 8 Uhr. Dort bekomme ich meine Startnummer, ferner wie alle Pacemaker mein leuchtend gelbes Shirt und den großen orangefarbigen Ballon mit der 1:55. Der wird diesmal besonders fest am Startnummernband verzurrt, damit er sich nicht wieder wie im Vorjahr unterwegs davonmacht.
Dann heißt es warten. "Der Start ist noch nicht freigegeben" verkünden die Lautsprecher im Startbereich. Ein Raunen geht durch die Menge. Mein sechster Start in Stuttgart, die sechste Verzögerung. „Es geht um eure Sicherheit“, wird uns nahegebracht, und „es tut uns leid, aber die Sicherheit geht nun mal vor.“ Abgesehen davon, dass ich diesem Totschlagargument ziemlich reserviert gegenüberstehe (oder müssen noch Terroristen gejagt werden?), vergisst der Sprecher ja wohl, dass es auch um unsere Gesundheit geht. Denn die Steherei in der zunehmenden Hitze zerrt nicht nur an den Nerven, sondern auch am Flüssigkeitspegel. Ich setze mich deshalb kurzerhand auf die Straße; das schont die Beine und beschert mir etwas Schatten durch die Umstehenden.
Ich stehe erst auf, als es heißt: „In einer Minute ist der Start.“ Und setze mich wenig später wieder, weil zunächst der Start der Handbiker erfolgt, der Halbmarathon soll „aus Gründen der Sicherheit“ erst eine weitere Viertelstunde später gestartet werden. In der Zwischenzeit „beglückt“ uns der Sprecher mit den neuesten Zahlen und Teilnehmerrekorden. Es nervt!
Mit einer guten halben Stunde Verspätung geht es dann endlich los. Als der Gelbe Startblock als dritter separat gestartet wird, ist es inzwischen 9:40 Uhr. Ich bin wahrlich kein Hitzeläufer, deshalb ahne ich, dass mir da heute ein ganz heißer Tanz bevorstehen wird. Zumal sich etliche Mitläufer natürlich auf mich verlassen werden, wenn es um das Erreichen ihres Zeitziels geht. Nun gut, ich will versuchen, so schonend wie möglich zu laufen, in ihrem, aber auch in meinem Interesse.
Im Backofen bei mittlere Hitze
Bereits nach einem Kilometer sehne ich den schattenspendenden Tunnel herbei, durch den wir gleich laufen. Doch zu früh gefreut: In der Röhre herrscht eine stickige, schwüle Hitze. Draußen war wenigstens noch ein Lüftchen zu spüren, dieser Backofen hat nicht mal Umluft. Meine Güte, was bin ich froh, endlich wieder draußen in der Sonne laufen zu dürfen!
Die nächsten Km laufe ich verhalten und versuche, einen gleichmäßigen Rhythmus zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach, was aber weniger am Streckenprofil liegt als an der Fülle der Läufer, die immer wieder zum Slalom zwingen, zum Beschleunigen, Bremsen, Überholen, rollen lassen, auflaufen... Und es wird allmählich heißer. Ich komme gar nicht dazu, die neue Strecke wirklich zu registrieren, zu sehr muss ich mich auf meine Vorderläufer und auf die Zeit konzentrieren. Bahnhof, Königstraße, Börse, Schlossplatz ... all das nehme ich nur am Rande wahr, zumal es teilweise recht enge Straßen und Wege sind, die wir da belaufen. Ärger beginnt sich breit zu machen: Die Idee, die City mit einzubeziehen, mag ja ganz schön sein, aber wenn die Streckenkapazität nicht zu den Teilnehmerrekorden passt, dann ist irgendwo falsch geplant worden...
Der Braten wird gegossen
Von der ersten Erfrischungsstelle bei Km 5 an nutze ich jeder nur erreichbaren Tropfen des kühlen Nass’. Die Helfer sind emsig dabei, die Tische sind randvoll mit Bechern, fast immer ist auch ein Strahl aus einem Schlauch erreichbar... gut so! Kübel- bzw. becherweise kippe ich mir das Wasser über Kopf, Shirt, Arme, Beine - und getrunken wird natürlich auch. Tropfend wie der sprichwörtliche begossene Pudel mache ich ich wieder auf den Weg. Es soll ja für einen Braten in der Röhre ganz gut sein, wenn er ab und zu übergossen wird...
Das Anlaufen gelingt recht gut, nur hält die Kühlung nie lange vor. Spätestens eine Viertelstunde später bin ich wieder trocken. Vor allem die „Glühbirne“ macht mir zu schaffen. Dennoch versuche ich vorsichtig, die verlorene Zeit auf den nächsten zwei Km wieder aufzuholen. Denn die ersten kritischen Stimmen werden hörbar: „Bist Du noch in der Zeit?“ „Klar - 20 Sekunden drüber, aber das renkt sich noch locker wieder ein!“ Ich will es jedenfalls so einrichten.
Bei Km 10 habe ich Mühe, im Slalom zu einem der hinteren Tische vorzudringen, denn bereits hier gehen und stehen viele Läufer ermattet auf der Straße. Nachdem ich mich ausreichend befeuchtet habe, passiert es: Ein heftiger Strahl aus einem Wasserschlauch trifft mich und spült mir die Brille vom Gesicht. Ui - auch das noch! Das Malheur wird nicht gerade besser dadurch, dass zu meinem Füßen hunderte von durchsichtigen Plastikbechern in großen Wasserlachen liegen; da eine randlose Brille zu finden ist wie die Stecknadel ... DA!! Blitzschnell wie ein Falke auf Mäusejagd schnappe ich sie mir, setze sie im laufen wieder auf und versuche den Durchblick und einen kühlen Kopf zu bewahren. Gar nicht so einfach bei den Temparaturen.
Unterhaltsames unterwegs
Die Zuschauer sind gerade mal auf der ersten Streckenhälfte anzutreffen, gerade im Innenstadtbereich, aber auch da ist nicht gerade die Euphorie oder der Überschwang ausgebrochen. Etwas freundlicher Beifall, ein paar Deutschland-Fähnchen, ein paar Schilder „Papa lauf!“ und einzelnen Namen, aber das ist es dann auch. Der beißende Zigarrettenrauch, der mir von jenseits des Zauns entgegenweht, macht meine Laune auch nicht besser.
Immerhin: Es gibt ein paar Trommelgruppen und etwas Blasmusik unterwegs. Täuscht mich meine Wahrnehmung oder war auf der zweiten Streckenhälfte von alledem wirklich nichts vorhanden? Ich erinnere mich an öde, einsame Straßen, die ich nur mit dem Gedanken durcheile, die Differenz zwischen meiner Laufzeit und den Zwischenzeiten auf meinem Unterarm möglichst gering zu halten.
Etwas Ablenkung verschaffen mir die Straßenmalereien, die wie bei der Tour de France für Ansporn und Durchhalte willen sorgen sollen. Nicht alles kann ich lesen, dazu ist das Läuferfeld immer noch zu dicht, und ein gleichmäßiges Lauftempo kriege ich nur dann hin, wenn ich ganz am Rand in der vollen Sonne laufe.
Im Backofen wird die Temperatur erhöht
Natürlich versuche ich, jeden schattenspendenden Fleck auszunutzen, damit das „laufende Grillgut“ nicht schon vor dem Daimler-Stadion verbrennt, aber das tun die anderen verständlicherweise auch. Denn irgend jemand hat spürbar am Regler gedreht und die „Oberhitze“ erhöht, jedenfalls kommt es mir so vor, als sei die Temperatur deutlich angestiegen. Die Beine versehen immer noch recht ordentlich ihren Dienst, aber die Birne ist langsam weich gekocht. Und immer wieder der Widerstreit der Empfindungen: Einerseits möchte ich den Lauf möglichst gleichmäßig und locker zu Ende bringen (dann müsste ich wie ein Uhrwerk laufen), andererseits kann ich an keinem Wasserschlauch und an keinem Tisch mit Flüssigkeit vorbeilaufen, ohne mich zu erfrischen. Und das bedeutet wieder Slalom, unruhiges Lauftempo, Wasser in den Schuhen, Zeitverlust. Bei Km 13 hatte ich noch genau im Plan gelegen, bei Km 18 war ich eine Minute drüber. Aber eine 1:55er-Zeit wäre das immer noch.
Die Unterhaltung um mich her ist längst verstummt, jeder meiner Mitstreiter will nur noch ins Ziel, will diese Schinderei zu Ende bringen. Ich sehe hochrote Köpfe und verbissene Mienen, entschlossene Kämfer in verschwitzen Hemden. Aber ich sehe jetzt auch etliche Läufer am Straßenrand stehen und liegen, die von Sanis betreut werden. Von fern ertönt immer mal wieder ein Martinshorn. Wenn das nur für alle gut ausgeht!
Genug ist genug
Inzwischen kenne ich die Strecke wieder, das Stadion ist nicht mehr weit. Der „Stallgeruch“ zieht - und es gibt auch wieder etwas mehr Schatten. Also lasse ich es rollen. Nach der letzten Dusche bei Km 19 nehme ich die Beine in die Hand. Kein Spurt, aber ein letzter Schub vorwärts. Neben mir sprinten einige doch noch los, als gelte es, ein größeres Preisgeld zu sichern. Ich lasse sie ziehen und laufe mein eigenes Tempo - immerhin sind die letzten beiden Km auch bei mir noch einmal relativ flott, auch wenn mein Kreislauf sich inzwischen ziemlich eckig anfühlt.
Der Stadioneinlauf, der rote Bogen des 21. Kilometers, dann noch knapp 100 m bis ins Ziel. Genug! Ich habe fertig! Und meine programmierte Backzeit habe ich auch eingehalten: 1:54:26 h. Puh!! Sogar mein Ballon ist mir diesmal treu geblieben.
Einige Läufer um mich herum bedanken sich für’s Tempomachen, wir gratulieren uns gegenseitig.Ich schaue mich noch ein wenig um, wie es den Läufern so geht, aber zumindest in unmittelbarer Nähe macht keiner schlapp.
Ich lasse mir die Medaille umhängen und warte noch auf einige Mitstreiter aus dem Startblock sowie auf andere Foris. Nach und nach treffe ich dann robman, Mitsch, Dodger und Neckarrunner. Wir freuen uns, dass wir es hinter uns haben und lassen uns irgendwo im Schatten des Stadionrund nieder.
Anderthalb Stunden, eine kalte Dusche und einige Getränke später, sind die Lebensgeister wieder soweit zurückgekehrt, dass ich die letzten Formalitäten an der Helferinfo erledigen und mir in der Schleyer-Halle meine Soforturkunde holen kann. Und dann werden die Gutscheine für ein Bier und eine große Portion Maultaschen eingelöst. Wobei das Schlangestehen in der prallen Sonne mich dann noch einmal arg herausfordert. Aber als ich dann im Schatten am Tisch sitze, den ersten kühlen Schluck getrunken habe und der Sommerwind mir durch die Haare weht, weiß ich, dass sich auch das gelohnt hat.
Gebraten, gebacken und gegrillt - Stuttgarter Zeitungslauf 2008
1Nicht die Erkenntnis gehört zum Wesen der Dinge, sondern der Irrtum. (F. Nietzsche)