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Tunnelröhre, Tabula rasa oder was? (eher an die erfahrenen WK-Läufer gerichtet)

Tunnelröhre, Tabula rasa oder was? (eher an die erfahrenen WK-Läufer gerichtet)

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Gestern bin ich 3-mal bei einer Sondereinheit 780m mit 70m Höhenunterschied hoch gesprintet.
Beim ersten Mal machte ich mir unterwegs Gedanken wie „halte ich das durch?“, „teile ich mir das richtig ein?“, „ab hier wird mein Atem schwer“, „müsste ich nicht in jede Faser meiner Muskeln hineinspüren?“, etc. pp.
Ich lag 1 Sekunde über meine Bestzeit.

Beim Rückweg ging mir durch den Kopf, dass ich mich durch all die Gedanken mich allzu sehr ablenke. Ich nahm mir vor „weniger zu denken“.
Beim zweiten Lauf unterbot ich meine Bestzeit um vier Sekunden, beim dritten um zwölf Sekunden.

Stellt Ihr Euch vor dem Wettkampf in einem speziellen mentalen Zustand ein?
Stellt Ihr Euch den Lauf vorher im Geist vor – wie die Hochspringer, Weitspringer… -.
Sagt Ihr Euch vor dem Lauf, egal welche persönlichen Befindlichkeiten mich in den letzten Tagen beschäftigt haben, sie sind jetzt absolut unwesentlich.
Befindet Ihr Euch vor dem Wettkampf wie in einer Tunnelröhre + seid Ihr dann im Wettkampf unerschütterlich auf Euren Ziel ausgerichtet?
Wie geht Ihr denn vor?

Vielen Dank für Eure Antworten im Voraus!!

:hallo: Caramba
Success is knowing that you did your best to become the best that you are capable of becoming (John Wooden)

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Wenn ich Gefahr laufe mein Ziel nicht zu erreichen, dann denke ich daran, wie ich mich in den Wochen davor teilweise dafür gequält habe und wie frustriert ich wäre wenn es nicht klappen würde - andererseits wie ich mich fühle, wenn ichs doch packe.

Das bringt mich dann meistens durch den Wettkampf. :)

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caramba hat geschrieben:Stellt Ihr Euch vor dem Wettkampf in einem speziellen mentalen Zustand ein?
Ja, ich versuche eine gewisse Spannung aufzubauen, stelle mir die verschiedenen Empfindungen und den Zieleinlauf vor.
caramba hat geschrieben:Stellt Ihr Euch den Lauf vorher im Geist vor
Ich teile mir den Lauf vorher mental in Abschnitte ein, die ich unterschiedlich anzugehen versuche.
caramba hat geschrieben:Sagt Ihr Euch vor dem Lauf, egal welche persönlichen Befindlichkeiten mich in den letzten Tagen beschäftigt haben, sie sind jetzt absolut unwesentlich.
Bei mir nicht notwendig, da mich solche Gedanken dann nicht mehr beschäftigen.
caramba hat geschrieben:Befindet Ihr Euch vor dem Wettkampf wie in einer Tunnelröhre + seid Ihr dann im Wettkampf unerschütterlich auf Euren Ziel ausgerichtet?
Nicht unerschütterlich. Es gibt einen Masterplan, aber natürlich auch Reaktionen auf Unvorhergesehenes (positives und negatives) die auf bereits gemachte Erfahrungen basieren.

Das alles gilt aber für mich nur noch für Läufe, auf die ich mich planmäßig vorbereite. Gelegenheits-WK entwickeln sich ganz einfach nach Lust, Laune und Tagesform.

Allerdings ist es mir mal passiert, dass ich, nachdem ich beim Halbmarathon jahrelang immer wieder trotz konzentrierter Vorbereitung zum Teil sehr knapp an einer bestimmten Zeitschwelle gescheitert war, mal ganz unbelastet, locker und ohne Erwartungen in einen Lauf gegangen bin. Kurz nach dem Start kam ich in einen Flow der bis zum Ziel anhielt und meine bisherige PB wurde um 3 Minuten (!) pulverisiert. Ich bin nie wieder an diese Zeit gekommen und weiß bis heute nicht, was genau da los war. :)

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caramba hat geschrieben: Stellt Ihr Euch vor dem Wettkampf in einem speziellen mentalen Zustand ein?
Stellt Ihr Euch den Lauf vorher im Geist vor – wie die Hochspringer, Weitspringer… -.
......
Befindet Ihr Euch vor dem Wettkampf wie in einer Tunnelröhre + seid Ihr dann im Wettkampf unerschütterlich auf Euren Ziel ausgerichtet?

:hallo: Caramba
Meine Ziele sind eher "Distanzenorientiert" als auf Zeit ausgelegt, aber dennoch richte ich mich mental auf das Erreichen meines Ziels aus.
Dabei spielt aber oft schon die Atmosphäre bei Ultra-Wettbewerben eine Rolle, denn hier geht es difinitiv lockerer und familiärer zu. Dies führt zur eigenen Lockerheit und zum "Runterkommen" der Nervosität. ;-)
Die Vorstellung des Laufes, kommt unmittelbar bei diesem Empfinden, der Tunnelblick erfolgt meist mitten auf der Strecke, wenn etwas besonders bevorsteht, neue Grenzen überschritten werden oder der Griff an die Leistungsreserve notwendig ist.

Daraus ist dann auch mein Leitspruch entstanden:
Jenseits des Marathon gewinnt die mentale Fitness an Bedeutung.

Grüße
Michael
2014: RBW; Bonn; JUNUT; TTdR; PTL -> "La mission GeMiNi"; SUT100;

www.kleiner-kobolt.de
www.wibolt.de NEU!!

Finish: 68x M., davon 28x Ultra-M.
Jenseits des Marathon gewinnt die mentale Fitness an Bedeutung.

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caramba hat geschrieben:Stellt Ihr Euch vor dem Wettkampf in einem speziellen mentalen Zustand ein?
Stellt Ihr Euch den Lauf vorher im Geist vor – wie die Hochspringer, Weitspringer… -.
Sagt Ihr Euch vor dem Lauf, egal welche persönlichen Befindlichkeiten mich in den letzten Tagen beschäftigt haben, sie sind jetzt absolut unwesentlich.
Befindet Ihr Euch vor dem Wettkampf wie in einer Tunnelröhre + seid Ihr dann im Wettkampf unerschütterlich auf Euren Ziel ausgerichtet?
Ich weiß nicht, was für Dich erfahrene WK-Läufer sind - in Bezug auf die Anzahl der absolvierten Wettkämpfe oder die Länge der Läufe? Bei einem 10-Kilometer-Wettkampf renne ich einfach drauflos, so schnell wie möglich, also nach dem Ishimori-Prinzip :P . Vor einem Marathon "sammle" ich mich im Startbereich noch kurz und atme tief durch - wenn ich die Zeit habe. Auf der Strecke denke ich an alles Mögliche, nur nicht daran, wieviele Kilometer noch vor mir liegen. Das lenkt super ab und man fängt nicht an, in seinen Körper reinzuhorchen und bei jedem kleinen Ziepen in Panik zu verfallen. Wenn es dann zwischendurch langweilig wird, stelle ich mir vor, ich hätte einen 6-er im Lotto und was ich dann alles machen würde. Oder ich rechne mein Tempo aus und freue mich, daß meine Polar mich nicht beschwindelt hat. Und auf den letzten 2 Kilometern freue ich mich dann schon auf mein Dreamteam, die Massage, ein Bier und was zu essen :nick: .
Renn-Schnecke

... von 2 auf 100 in 11 Jahren ...

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Renn-Schnecke hat geschrieben:Ich weiß nicht, was für Dich erfahrene WK-Läufer sind - in Bezug auf die Anzahl der absolvierten Wettkämpfe oder die Länge der Läufe? ...

Ich könnte mir vorstellen, dass erfahrene WK-Läufer bei ihren stetigen PB-Verbesserungen den Einfluss der mentalen Einstellung erkannt haben + sie „ihren eigenen Weg“ gefunden haben, den ganzen WK an ihrem Leistungsoptimum zu laufen.

Den „Hügel“ bin ich immer so schnell wie möglich hoch gesprintet + hab meine Bestzeit lange Zeit dabei kaum verbessert. Letztes WE habe ich mich um 12 Sekunden verbessert, weil ich mir „unterwegs weniger Gedanken gemacht habe“ + so mich mehr auf das Laufen konzentriert habe.

Diese Erfahrung + Prinzip möchte ich auf einen 10 km-Wettkampf übertragen. Nur ist die Zeit unterwegs dabei wesentlicher länger + ich hoffe mit einer passenden mentalen Einstellung mich mehr auf den WK zu konzentrieren mit weniger ausschweifenden Gedanken. Mich interessiert mehr wie sich verschiedene Läufer vor dem WK einstellen, als wie sie während des Laufs denken/reagieren.

Ich finde die Ausführungen von Vorläufer sehr hilfreich + würde mich freuen weitere „Methoden“ kennen zu lernen.

:hallo: caramba
Success is knowing that you did your best to become the best that you are capable of becoming (John Wooden)

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Mir hilft es kurz vor einem Lauf im Gedanken alles durchzuspielen, was passieren kann. Zum Beispiel gehe ich nochmal im Geiste durch zu welchem Zeitpunkt ich welche Kilometermarke passieren will. Ich überlege, was ich machen will, wenn ich langsamer oder schneller als geplant bin. Sofern ich die Strecke kenne: Wo gibt es beispielsweise Steigungen, schwierigen Untergrund usw., die ich bei meiner Kalkulation einbeziehen muß. Was bei kleineren, regionalen Läufen gut geht: Ich schaue, wer so an Läufern in meiner Leistungsklasse mitläuft, an denen ich mich im Rennen möglicherweise orientieren an. Beim Warmlaufen besichtige ich die ersten und die letzten Meter der Strecke. Dabei stelle ich mir Fragen wie: Wo könnte es im Startgetümmel eng werden, wie laufe ich ggf. die ersten Kurven? Wo kann ich am Ende - nicht zu früh und nicht zu spät - einen Zielsprint ansetzen usw.?

So bin ich dann, wenn es losgeht, gedanklich voll aufs Laufen eingestellt. Ich habe dann ein Gefühl der Sicherheit, auf die meisten Eventualitäten eingestellt gestellt zu sein. Ich weiß dann vorher genau, was ich machen muß und sobald der Startschuß kommt, brauche ich "nur noch" zu laufen, was die Beine hergeben. (Ob das wirklich so ist oder doch alles anders kommt, sei mal dahin gestellt. Wichtig ist mir auch eher das Selbstvertrauen, das sich bildet.)

Durch die starke mentale Beschäftigung mit Lauf im Vorhinein, habe ich auch keine abschweifenden Gedanken wegen persönlicher Befindlichkeiten der vergangenen Tage oder was auch immer. Ich weiß ja, daß das alles Vergangenheit ist und ich daran nichts ändern kann. Hier und jetzt ist das Rennen. Daher vermeide ich auch, groß mit irgendwelchen Bekannten zu tratschen, die man ja immer wieder auf Läufen trifft. Kurze Begrüßung und viel Glück, das reicht. Zu mehr habe ich auch keinen Nerv, ich will mich auf den Lauf konzentrieren. Zum Plausch bleibt hinterher noch genug Zeit. Und Familie zur "Unterstützung" mitbringen, was einige ja machen, würde mir zum Beispiel nie in den Sinn kommen. Wäre für mich in dem Moment bloß Ablenkung und laufen muß ich ohnehin immer noch selbst.

Wenn das Rennen losgeht, bin ich dann sehr fokussiert. Das hat dann wirklich etwas von Tunnelblick. Von Zuschauern und Landschaft usw. bekomme ich dann nicht mehr viel mit. Anfangs heißt es den Rhythmus finden, also auf Atmung und Bewegungsabläufe achten. Dann ggf. schauen, wo die Läufer sind, die ich mir vorher zur Orientierung herausgepickt habe. Und natürlich die Zwischenzeiten kontrollieren und ggf. entsprechend reagieren. Dabei spielt natürlich auch Intuition und Körpergefühl eine wichtige Rolle, weil nicht alles planbar ist. Und außerdem denke ich immer nur abschnittsweise, von Kilometer zu Kilometer.

Jedenfalls bin ich auch der Meinung, daß es für die Leistung wichtig ist, stets voll bei der Sache zu sein. Und ich merke auch, daß es umso schwieriger ist, die Konzentration durchgängig aufrecht zu erhalten, je länger die Strecke ist.
"What do you do, you just go out there and gambol about like a bunny?" - Sheldon Cooper

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Es scheint da einen echten zusammenhang zu geben. Ich glaube mal in der Spiridon gelesen zu haben, dass man Versuche gemacht hat, was die Maximalkraft angeht. Die Probanden mussten sich verschieden Scenarien vorstellen und dann ein Messgerät (bzw. den Sensor dessen) mit dem Bein wegdrücken. Je nach Scenario wurde eine Leitungssteigerung von bis zu 70% (!) gemessen.

Ich steuere sowas im Training gerne mit der Musik, die ich höre. Schnelle Einheiten - schnelle Musik, langsame Einheiten - nicht ganz so schnelle Musik.

Im Wettkampf habe ich oft mitbekommen, dass man sehr viele Plätze gutmachen kann, wenn eine "magische Marke" gerade verfehlt worden ist und man kurz vor dem Ziel ist. Also z.B. sind 3h gerade vorbei und man ist bei km 40 oder so. Dann fällt fast das gesamte Feld zurück, scheint demotiviert zu sein. Genauso kenne ich es, dass wenn ich meine gesteckten Zwischenzeiten unterbiete und trotzdem ein gutes Gefühl habe, dass ich dann noch mehr aus mir rausholen kann.
Ich bin auch ein "Publikums-Läufer". Wenn auf Straßenläufen viele Leute in einer Kurve oder jedenfalls an der Strecke stehen, muss ich mich bremsen.

Kurz vor dem Zieleinlauf hilf es mir auch, mir auszumalen, dass ich den Typen, der da vorne herumstrauchelt, noch überhole. Dann klappt das auch meistens. Erfolg im Kopf bedeutet meistens auch Erfolg in den Beinen. Woher auch immer die Energie dann noch kommt :)

Gruß,

Guido

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Bisher habe ich eigentlich kein spezielles mentales "Training" gemacht und gerade zu Beginn eines WKs (wenn noch alles schön leicht ist), schweifen meine Gedanken auch schon mal weit ab... Danach fokussier ich mich dann aber immer mehr auf den Lauf selbst und meinen Körper. Was mir speziell beim Marathon immer sehr geholfen hat, ist auf die letzten Kilometer (so ab KM 32) mir vorzustellen, wo ich gerade auf meiner Trainingsstrecke wäre. Also so nach dem Motto "Wenn das jetzt ein Trainingslauf wäre und ich nur noch 8 km vor mir hätte, wäre das doch ein Klacks". :zwinker5:

Ansonsten kann ich mich Guido anschließen: Die richtige Musik & Zuschauerunterstützung kann gerade am Ende hin sehr viel ausmachen. Ich stelle mir deshalb meist eine spezielle Playlist zusammen, die so ausgerichtet ist, dass erst eher lockere Songs kommen und gegen Ende hin dann die speziellen Motivationssongs. Kurz vorm Ziel noch mal "Eye of the Tiger" zu hören, ist einfacher super... :) Und sich von den Zuschauern tragen zu lassen, hilft IMO ähnlich viel (in der letzten RW war nen ganz guter Artikel dazu drin).

Viele Grüße, Andreas
Gesperrt

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