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Marathon des Alpages Anzere - Leukerbad

Marathon des Alpages Anzere - Leukerbad

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Fast unbemerkt von der Läuferwelt fand am 30.08.2008 der Alpenmarathon im französischsprachigen Schweizer Wallis statt. Im Rahmen einer vom Laufladen Erfurt organisierten Laufreise begab ich mich auf den ersten Bergmarathon meines Lebens - mit ca 1600 Höhenmetern aufsteigend und 1700m absteigend. Entsprechend groß war die Nervosität und Angst, ob ich das schaffen kann oder ob dies doch vielleicht eine Nummer zu groß für mich ist?
Hier ist mein persönlicher Bericht:

Der Tag der Wahrheit

Eine kurze und trotzdem nicht enden wollende Nacht liegt hinter mir. Wir bisher vor jedem Marathon habe ich nicht all zu viel geschlafen. Zu viele Dinge schwirren mir durch den Kopf – vor allem immer wieder die bange Frage: Werde ich es schaffen?
Ich weiß, dass ich einen starken Willen habe – aber ob der ausreicht? Es handelt sich schließlich nicht um irgendeinen flachen Marathon, sondern um einen Bergmarathon. Unser Trainer Boris hat uns aufgefordert, dass jeder sein ganz persönliches Ziel für den Marathon schriftlich fixiert.
Auf meinem kleinen Zettel habe ich geschrieben:
„Mein Ziel für den Alpenmarathon ist: zusammen mit Frank ohne Krämpfe, mit einem Lächeln auf den Lippen aufrecht laufend das Ziel zu erreichen.“
Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Einfach ankommen – und zwar innerhalb der Zielzeit von maximal 8Stunden und 30 Minuten.

3.30 Uhr – Zeit zum Aufstehen

Beide Wecker klingelten fast zeitgleich – obwohl ich heute keinen gebraucht hätte. Ich war wach und putzmunter. Meine Laufsachen hatte ich bereits am Vortag zurechtgelegt. Da es frühmorgens immer noch recht kühl war, entschloss ich mich, über das kurze Shirt erst mal noch ein langes anzuziehen. Noch ein kurzer Check – es war alles da: Laufsensor, Pulsgurt , Uhr und diverse Riegel. Die Flaschen für den Getränkegürtel waren gefüllt und die Salztabletten waren auch dabei. Ich habe lange überlegt, ob ich die Salztabletten überhaupt nehme, da ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich die erhoffte Wirkung haben und ich vorher mehrfach von deren Einnahme gewarnt wurde. Andererseits stand da auf meinem persönlichen Zielzettel u.a. „ohne Krämpfe“ anzukommen. Aber unser Trainer und Sportwissenschaftler Boris hat meine Bedenken zerstreut und ich war fest entschlossen, die Tabletten bei Bedarf zu nehmen.

4.00 – Frühstück

Das Frühstück um diese Uhrzeit ist wohl reine Vernunftsache. Hunger hatte ich überhaupt nicht. Trotzdem habe ich etwas Weissbrot mit Honig gegessen und auch eine Tasse Kaffee und Saft getrunken.

4.30 – Abfahrt

Fast pünktlich saßen wir im Auto: Frank, Jürgen, Sabine, Martina, Conny, Coach Rainer und ich. Wir zählten uns zu den „Touristen“, die bereits um 6.30 Uhr starten würden. Der Start der Eliteläufer war erst 08.30 Uhr. Die „Elite“ unserer Gruppe – Oliver, Martina und Nanett – konnten sich also nochmal im Bett rumdrehen und (fast) richtig ausschlafen.
Wir hatten einen relativ langen Anfahrtsweg. Aber Samstag früh waren die Straßen wie leergefegt und wir kamen gut voran. Außerdem hatte Frank einen ordentlichen Zeitpuffer eingeplant, es sollte also nichts schiefgehen. Trotzdem gab es da eine Schrecksekunde. Kurz vor der Ankunft zeigte sowohl der Wegweiser nach rechts als auch der nach links die Richtung Anzere an. Frank entschied sich für links. Irgendwie führte dieser Weg auch nach Anzere – aber wahrscheinlich war dies nicht gerade der kürzeste und direkte Weg. Die Serpentinen zogen sich ewig hin und in mir stieg eine leichte Panik auf – allerdings völlig unbegründet. Zirka 25min vor dem Start waren wir in Anzere. Es war noch Zeit genug zur Abholung der Startunterlagen, Anheften der Startnummer und einem letzten Gang zur Toilette. Es war keine Zeit mehr, sich aufzuregen und nervös zu machen. Es hat mir sehr geholfen, nicht allein zu sein. Und ich wusste: Frank wird mich nicht allein lassen, auch und vor allem dann, wenn es bei mir nicht so gut laufen würde. Jetzt gab es kein zurück mehr.

6.30 Start
Pünktlich gingen wir auf die Strecke: Jürgen, Sabine, Frank und ich. Wir verabschiedeten uns von Rainer, Martina und Conny, die weiter zum Start des Halbmarathons fuhren.
Auch Jürgen und Sabine verloren wir bald aus dem Auge. Ich lief wie geplant zusammen mit Frank. Bereits kurz nach dem Start ging es gleich steil bergan. Langsam bekam ich eine leise Ahnung davon, was auf mich zukommen würde. In mir machte sich ein ungutes Gefühl breit, da ich bereits nach kurzer Zeit ein Stück gehen musste. Das lag nicht daran, dass meine Muskeln noch nicht warm waren. Es war einfach zu steil. Jedenfalls für mich. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass es noch viel steilere Anstiege geben würde.
Langsam lief ich mich ein und es begann ein Streckenabschnitt, der relativ wenige Höhenmeter aufwies. Wir genossen gemeinsam die wunderschöne Sicht auf die Schweizer Alpen. Frank zeigte mir den Mont Blanc, der angestrahlt von der aufgehenden Morgensonne wie ein glühender Kegel aussah. Bereits weit unter uns lag Anzere, dass von oben gesehen eine traumhafte Idylle vermittelte. Wir liefen entlang eines Wasserleitungssystems bis wir an einen Stausee mit einer malerischen Kulisse kamen. Dort erreichten wir auch den ersten Verpflegungsstand. Obwohl es ausreichend zu essen und zu trinken gab, hatte ich meinen Getränkegürtel dabei – gefüllt mit Basica Sport und meinen Salztabletten. An der leckeren Ovomaltine Schokolade lief ich vorbei und griff lieber zu den gewohnten Riegeln, einer Boullion und einer Salztablette.
Frisch gestärkt ging es weiter . Wie es in den Bergen so ist, geht es nach einem Anstieg auch wie hinunter. Auf unserer Strecke sogar ziemlich steil, auf engen Pfaden, über Wurzeln und Steine. Wir mussten höllisch aufpassen, dass wir nicht stürzen und konnten einige Passagen nur gehen. Da stellte sich mir schon die Frage, wie das die schnellen Läufer ohne Sturz laufend bewältigen.
Die Strecke war erstklassig abgesichert, die Wege waren deutlich markiert und an gefährlichen Stellen waren zusätzliche Sicherungen angebracht und von Sicherheitskräften überwacht.

Morgens Halb Zehn in Crans Montana
Nach etwas mehr als 3 Stunden erreichten wir den Halbmarathonpunkt in Crans Montana, wo uns Rainer erwartete und „versorgte“. Ich zog mein langes Shirt aus und wechselte den Getränkegürtel, den ich mir extra neu gekauft hatte. Trotz einer kleine „Versorgungspanne“  konnte es zügig weitergehen. Jetzt lag das schwierigste Stück vor uns.
Vor uns lagen 10km, in denen ca. 900 Höhenmeter bewältigt werden mussten. Theoretisch war mir schon klar, dass dies nicht ganz ohne ist – aber in der Praxis war alles noch viel schlimmer. Es ging nicht einfach nur bergauf, sondern es ging steil bergauf. Ans Laufen konnte ich hier nicht mehr denken. Wir gingen im zügigen Walkingschritt. Nach jeder Kurve hoffte ich, dass es nicht mehr so steil weitergeht, aber den Gefallen hat mir der Weg nicht getan. Mein Puls lag so ziemlich am Anschlag und es kam der Punkt, an dem ich mich schon gefragt habe, wieso ich mir so etwas antue. Aber ich kämpfte mich durch - so gut es ging. Frank motivierte mich, mein Tempo wenigstens zu halten und gleichmäßig zu laufen. So nach ca. 25km – wir hatten noch nicht einmal die Hälfte der Höhenmeter hinter uns, begann meine Wade zu zucken und die Oberschenkel dichtzumachen. Ich hatte in dieser Situation einfach Angst, die blanke Angst, dass jetzt die Krämpfe kommen und alles aus ist.
Wenn man beim Rennsteiglauf nach 30km Krämpfe bekommt, kann man zur Not bis ins Ziel walken und man kommt noch in der Zielzeit an. Das würde hier aber nicht funktionieren. Ich schluckte eine Salztablette und hoffte, dass sie wirkt und mir hilft. Ich war froh, dass ich meinen Gürtel dabei hatte und trinken konnte, auch wenn ich das Gefühl hatte, einen Wackerstein mit mir rum zu schleppen.
Ich hätte den Gürtel doch vorher mal ausprobieren sollen. Diese Erkenntnis kam allerdings für dieses Mal zu spät. Ich nahm meine Getränkeflasche von nun an in die Hand.
Frank gab mir gute Tipps und machte mir Mut, hat mir allerdings auch gesagt, dass ich – wenn es nicht anders geht – eine Entscheidung treffen muss. Aber genau das wollte ich nicht, ich wollte ankommen, und zwar lächelnd, ohne Krämpfe und aufrecht laufen. Aber es war noch ein weiter Weg.
An der nächsten Verpflegungsstelle fragte mich ein netter französisch sprechender junger Mann , ob er mich massieren soll. Ich nahm das Angebot dankend an. Ich wusste: lieber diese 5min Zeit verlieren, als später Krämpfe bekommen und vielleicht einen halbe Stunde oder mehr zu verlieren.
Gleich 2 Masseure nahmen sich zeitgleich meiner Waden und Oberschenkel an und schon nach kurzer Zeit fühlte ich mich wieder fit. Den Wein, der uns zur Verkostung angeboten wurde, lehnten wir vorsichtshalber ab…
Nachdem Franks Knie „physiotherapeutisch“ auch wieder „runderneuert“ war, ging es weiter – immer noch bergauf. Aber es lief! Die Muskeln waren locker und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass es einen Krampf geben könnte. Ich konnte wieder zügig bergan walken und das eine oder andere Stück auch laufen. Kurz vorm Gipfel fing der Oberschenkel wieder an, dichtzumachen. Ich nahm noch eine Salztablette und kämpfte mich weiter durch bis zum höchsten Punkt der Strecke. Dort verteilten Zuschauer Wasser an alle, die außerhalb der offiziellen Verpflegungsstellen Durst hatten.
Auch davon lebt solch ein Lauf.
Nun ging es fast nur noch bergab. Wir liefen gleichmäßig und ich hatte das Gefühl, dass es von Schritt zu Schritt besser bei mir lief. Es ging über Almen, die Kühe waren unser Zuschauer. Immer wieder schweifte unser Blick zur märchenhaften Alpenkulisse und wir träumten von einem Häuschen in den Schweizer Alpen.
An der nächsten Verpflegungsstelle überholte uns Oliver von unserer „Elitetruppe“. Er sah sehr gut aus und hatte die 2 Stunden Startvorsprung bereits herausgelaufen.
Ich ließ mich noch mal massieren – allerdings nur vorbeugend. Ich wollte einfach kein Risiko eingehen und mein Ziel erreichen. Auch Frank ließ die Masseure nochmal nach seinem Knie schauen, bevor wir uns wieder auf den Weg machten. Ich hatte das Gefühl, dass es jetzt wie von allein lief. Die noch zu laufende Kilometerzahl wurde immer weniger… Kurz vor der letzten Verpflegungsstelle erwartete uns noch eine Überraschung: Unser "Herbergsvater" Hans war 6km hoch in die Berge gelaufen, um uns alle an einer günstigen Stelle zu fotografieren. Er wünschte uns noch viel Glück für den Rest der Strecke und schon waren wir außer Sichtweite. Ein fröhlicher Jodler von hinten kündigte an, dass unsere 2. Eliteläuferin Martina uns gleich überholen würde. Auch sie sah noch sehr gut aus und war innerhalb kurzer Zeit wieder aus unserem Blickfeld verschwunden.
Kurz danach trafen wir an der letzten Verpflegungsstelle am km 39 ein. Jetzt war es Zeit für mein Powergel, dass mir für die letzen km noch mal einen Kraftschub verleihen sollte. Wahrscheinlich war das nicht unbedingt nötig, aber wenn man fest dran glaubt, hilft auch dies…
Locker ging es weiter. Kurz vorm Ziel gab es wieder ein paar kleinere Anstiege, die normalerweise kein Problem darstellen, aber an dieser Stelle nochmal richtig schwerfielen.
Das Ziel
Plötzlich war er da: der Sportplatz von Leukerbad, unserem Ziel. Noch etwa 100m auf der Tartanbahn laufen. Das Ziel war in Sichtweite. Ich genoss jeden Meter. Wir haben es geschafft! Wir waren beide überglücklich, wir lagen uns in den Armen, unsere Endorphine sprangen im Dreieck.
Es ist so ein unbeschreibliches Gefühl, einen solchen Kraftakt geschafft zu haben. Ich habe meinen Alpenmarathon gefinisht. Ich bin tatsächlich einen richtigen Bergmarathon gelaufen, den man mit keinem flachen Marathon vergleichen kann. Ich wusste nicht, wie schwer es wirklich wird. Jetzt weiß ich erst: Es war verdammt schwer, viel schwerer als ich mir vorgestellt habe. Aber im Ziel ist man einfach nur noch glücklich.
Wir freuten uns gemeinsam über die Leistung der anderen Läufer unserer Truppe und gratulierten uns gegenseitig. Jeder hatte sein Bestes gegeben. Jeder war ein Sieger.
Dann suchte ich mir eine ruhige Ecke, in der ich für 5min einfach für mich allein sein konnte. Ich war so überwältigt von meinen Gefühlen und Emotionen, die ich einfach zu diesem Zeitpunkt noch mit keinem teilen wollte. Das sind genau die Momente, in denen ich weiß: Ich werde es wieder tun. Und ich hoffe, dass ich es noch sehr lange kann.

Der Abend

… verlief genauso, wie man es sich vorstellt, wenn ein Haufen endorphingeladener Läufer feiert. Wir waren alle glücklich, ausgelassen und haben unseren Lauf gefeiert, bis wir mehr oder weniger totmüde in die Betten gefallen sind.

Nachtrag
Trotz der Anstrengung war ich am nächsten Tag in der Lage, die Treppe hoch und runter zulaufen. Aber: Tag 2 danach war heftig. Es ist schwierig, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen. An der Zehe ist eine große Blase. Weitere Blessuren gibt es nicht.
Das ist alles nicht so schlimm. Der Schmerz geht, aber der Stolz wird bleiben.

Nachtrag 2

Es war ein toller Lauf, super und nahezu perfekt organisiert. Die Strecke war erstklassig markiert und abgesichert. Der Veranstalter hat einen Lauf organisiert, von dem ich noch sehr lange zehren werde. Die Kulisse war traumhaft und auch das Wetter. Der Zieleinlauf auf dem Sportplatz war toll, der anschließende Besuch der Therme war im Startpreis inbegriffen war super für die Regeneration.
Es ist sehr schade, dass dieser wunderschöne Lauf nur von ca. 300-400 Läufern in Angriff genommen wurde. Dieser Lauf hat mehr verdient und ich würde mich sehr freuen, wenn er in den nächsten Jahren stärkeren Zulauf bekommen würde.
Wer Lust hat, sich die Bilder anzuschauen - diese findet ihrhier.
Weil ich das Laufen liebe
http://www.runningpetra.com
Mein Ernährungsblog

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Hallo Petra,

danke für den schönen Bericht und den guten Tip. Ob ich soviel Mut aufbringe mich vom platten Land ins Hochgebirge zu wagen muss sich aber erst noch zeigen.

Viele Grüße

Peter
PB 2006: M 3:30:33, HM 1:43:03, 10 KM 44:03


09.05.2010 Maratona del Custoza 04:01:38
06.06.2010 Schlössermarahton Potsdam 04:10:28
26.09.2010 Berlin Marathon

Kein existentieller Trübsinn, der nicht von einer veritablen Katastrophe im Handumdrehen geheilt würde. Michael Klonovsky

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Hallo Peter,
der Mut lohnt sich! Versuch es einfach mal! Es ist nicht nur anstrengend und hart, sondern auch wunderschön! Natürlich kann man in den Bergen keine Rekorde und persönliche Marathonbestzeiten laufen, aber darauf kommt es doch nicht (immer) an.
Viele Grüße
Petra
Weil ich das Laufen liebe
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