Mit schöner Regelmäßigkeit alle Jahre wieder, also fast so wie Weihnachten, treibe ich mich seit nunmehr sieben Jahren Ende November in der kreisfreien Stadt Nämberch, Nicht-Franken besser bekannt als Nürnberg, herum.
Meine Anwesenheit hat aber nichts mit dem Weihnachtsfest und auch nichts mit dem Weihnachtsmarkt zu tun, der am Wochenende startet, sondern mit der SPS/IPC/Drives. Für Laien: Dies ist keineswegs ein Fahrtechnik-Kurs der Sozialistischen Partei Surinam in Kooperation mit dem Internationalen Proletariat-Club, sondern eine Messe für Industrielle Automation und Elektronik. Über 1.000 Firmen stellen auf dem Messegelände aus; ich habe mit meinen KollegInnen also zwei Tage lang mehr als genug zu tun.
Heuer haben wir Gott sei Dank ein Hotel in der Stadt erwischt, in direkter Nachbarschaft zum Plärrer. Ein Platz, der einstmals außerhalb der Stadt lag und dessen Name sich aus dem Mittelhochdeutschen "Plerre" ableitet, was so viel wie "Freier Platz" bedeutet. Seinerzeit durften Händler und Bauern die keine Konzession für den Markt innerhalb der Stadtmauern hatten, hier ihre Waren anbieten.
Heute sind keine Händler mehr zu sehen, als ich in winterlicher Laufbekleidung aus dem angenehm beheizten IBIS Hotel auf die Straße trete und über den Frauentorgraben auf die an die alte Stadtmauer angrenzende Straßenseite wechsle.
Ich habe vor, eine gute Stunde zu laufen - und zwar in Richtung Hauptbahnhof und dann auf die Wöhrder Wiese. Mal sehen, wie es sich dort läuft. Schließlich werde ich im März dort einen 6-Stunden Lauf zu absolvieren .
Im Hotel hat man mir erklärt, dass es die Möglichkeit gebe, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadtmauer zu laufen. Allerdings befindet sich laut Auskunft des Portiers im ersten Abschnitt an der Innenseite das Rotlichtviertel von Nürnberg. War also seinerzeit außerhalb der Gemäuer der Freie Platz, so hat sich nun an der Innenseite der Platz der Freier eingenistet. Ich verzichte gerne auf eine derartige Kulisse und wähle den Weg am Frauntorgraben entlang, vorbei an der Oper und dann in Richtung Hauptbahnhof.
Der Fuß- und Radweg verläuft ein gutes Stück weit etwas abgesenkt. Der rege Autoverkehr ist damit zwar zu hören, aber doch gedämpft und ich habe Zeit und Ruhe, die Stadtmauer und die schönen Gebäude zu betrachten.
Beim Bahnhof tauche ich wieder auf Straßenniveau auf. Das Gebäude, in dem heute täglich 450 Züge halten, wurde 1844 eröffnet und beherbergt aufgrund mehrerer Um- und Ausbauten eine Mischung aus Neogotik, Neobarock, Neorenaissance und Jugendstil. Antrieb für den Bau war unter anderem auch die erste Eisenbahnstrecke, die 1835 zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet wurde.
Das Kunsthistorische Museum am Rosa Luxemburg Platz zu meiner Linken reißt mich aus den Eisenbahner-Gedanken und ich halte nach der Tafel Ausschau, die den Weg auf die Wöhrder Wiese weist. Ich nehme ein kurze Treppe abwärts und befinde mich im angenhemne Grün des Parkgeländes.
Im lockeren Dahintraben stelle ich mir vor, wie ich am 15. März kommeden Jahres hier nach sechs Stunden laufen wohl aussehen werde? Ich hoffe gut, denn der Run soll mir einen ersten wichtigen Aufschluss über meinen Trainingszustand vor dem Rennsteig SM geben.
Es ist zwar kalt, um die 0 Grad, aber es weht nur leichter Wind. Welch ein Luxus gegenüber meinen letzten Läufen in Wien, wo über eine Woche lang der Wind teils mächtig blies.
Schön langsam falle ich nach dem anstrengenden ersten Messetag in eine angenehme Schwerelosigkeit. Füße und Beine fühlen sich nicht so an, als wäre ich den ganzen Tag schon auf den bBeinen gewesen . Ich betrachte die hell erleuchteten Fenster eines Fitnesscenters, in dem gerade ein paar sportive Franken und Fränkinnen auf Steppern, Laufbändern und Hometrainern schwitzen.
Ein Stück weiter vor kommt am Rand der Wöhrder Wiese ein Mercure Hotel ins Blickfeld, in dem ich vor ein paar Jahren auch schon mal genächtig habe. Ein paar Gesprächsfetzen aus meinen Terminen kreuzen meine Gehirnwindungen und verflüchtigen sich rasch beim Gedanken an meine Gudrun, die zu Hause in Wien gerade an einem wahren Turm aus Medizinbüchern sitzt und für ihre abschließende Facharztprüfung am 1. Dezember büffelt.
Wie gerne hätte ich sie jetzt hier bei mir, denke ich und habe im selben Moment das berührende Gefühl, dass sie ohnehin immer da ist, wo ich auch bin.
Ist das jetzt sentimental? Mensch, du bist "nur" in Nürnberg, du bist morgen Abend wieder zu Hause ... ganz egal, die abendliche Stimmung, der gelbliche Schimmer der Laternen am Weg, sogar das Blinken meiner Speedbox finde ich bei solchen Gedanken schön.
Ich überlege kurz, ob ich auf der Wiese ein paar Runden drehen soll, beschließe aber, stattdessen weiter zu laufen. Auf dem Stadtplan habe ich die Brücke gesehen unter der ich jetzt durchlaufe und an deren anderen Seite der Wöhrder See anschließt. Wie ich nachher lese, wurde der See erst 1981 durch einen Stau der Pegnitz, angelegt.
Als ich umkehre, sind gerade mal 32 Minuten vergangen und ich trabe ein Stück lang zurück, um dann über die Ludwig Erhard Brücke auf die andere Seite des See zu wechseln.
Google Earth hat mir verraten, dass es auch da drüben schöne Wege gibt und ich genieße die Abwechslung, auch wenn man im Dunkeln ohenhin nicht so viel erkennen kann .
Ein "Leuchtturm" hat sich schon auf der Strecke Richtung Ost immer wieder ins Blickfeld gedrängt. Ein Hochhaus in einer Art Rundbau, auf das ich, je nach Windung des Weges immer wieder zulaufe, dass ich dann aber rechter Hand hinter mir lasse und welches sich auf dem Rückweg links des See wieder ins Bild drängt. Ein imposantes Gebäude (das "Business Center" Nürnberg, wie ich später herausfinde), das mit seinen hell erleuchteten Fenstern durchaus Eindruck macht.
Trotzdem gefallen mir alte Häuser besser - und davon gibt es in Nürnberg mehr als genug. Einige von ihnen werde ich nachher noch sehen, da ich mit meinen KollegInnen noch in die "Hütt'n" gehe. Das Lokal am Fuß der Burg ist zu unserem abendlichen Stammplatz anlässlich der Messe geworden. Ein uriges Gasthaus mit hervorragender Küche und eine großen Auswahl an ausgezeichneten Biersorten. „Dou gäids ja zou wäi am Blärrer" würden die Franken angesichts des Betriebes in der Stube sagen. Beim Gedanken ans Essen beschleunige ich leicht, denn mein Magen meldet Bedarf an. Ich kanns ihm nicht verübeln, aber ich habe noch ausreichend Zeit.
Immer wieder kommen mir Läufer entgegen. Auch eine Horde bewaffneter Spaziergänger, heutzutage Nordic Walker genannt, okkupiert im flotten Marsch und schnatternd einmal den Weg vor mir. Aber sie lassen mir freundlicherweise genügend Platz um an ihnen vorbeizuziehen .
Ich wechsle wieder die Seite, überquere deshalb die Gustav Heinemann Brücke und lande wieder auf der Wöhrder Wiese, dem zukünftigen Schauplatz meines ersten echten Ultras (zumindest hoffe ich, dass einer draus wird ).
Nach ein paar Minuten bin ich wieder auf der Straße, laufe am Bahnhof vorbei, sehe kurz danach das strahlend beleuchtete Staatstheater vor mir (übrigens ein 1903 bis 1905 errichteter Jugendstilbau, Architek war der bekannte "Theaterbauer" Heinrich Seeling) und trabe an der U-Bahn-Station "Oper" vorbei den leichten Anstieg hinauf wieder in Richtung Plärrer.
Der Autoverkehr ist kurz nach 19.00 Uhr schon etwas weniger stark. Ich nütze eine Lücke und galoppiere daher mal ganz gegen die Vorschrift quer über den Frauentorgraben und die Steinbuehler Straße bis zum Hoteleingang des IBIS.
Fünf Minuten später stehe ich unter der Dusche und freue mich auf einen Abend in der Hütt'n bei fränkischem Essen und einem wunderbarem Glas Pyraser.
Liebe Grüße
Wolfgang
2
Nur eine kleine Korrektur: Die U-Bahnstation heißt Opernhaus!
Danke für den kleinen Rückblick in meine Geburtsstadt, die ich vor anderthalb Jahren hinter mir gelassen habe.
Kleiner Tipp: Laufe nächstes mal den Frauentorgraben links runter, dann Richtung Fürth stadtauswärts am Pegnitzgrund entlang. Auch eine sehr hübsche Strecke, Natur pur mitten in der City.
Danke für den kleinen Rückblick in meine Geburtsstadt, die ich vor anderthalb Jahren hinter mir gelassen habe.
Kleiner Tipp: Laufe nächstes mal den Frauentorgraben links runter, dann Richtung Fürth stadtauswärts am Pegnitzgrund entlang. Auch eine sehr hübsche Strecke, Natur pur mitten in der City.
Man sollte sich die Ruhe und Gelassenheit eines Stuhls zulegen - der muss auch mit jedem Arsch zurechtkommen.
3
Hallo Wolfgang !
Danke für diese schöne Schilderung.
Ich war im vergangenen Jahr auch öfter in Nürnberg, bin aber meistens am Main-Donau Kanal vom Süd-West Park Hotel ausgehend entlanggelaufen. Das ist auch ne sehr schöne Strecke. Einmal war ich draußen beim 1.FCN als sie noch erstklassig waren. Da hab ich dann mehrere Runden um den Dutzendteich gedreht.
Ich find es immer schwierig, mich über Google Earth oder solche Tools zu orientieren. Daher freu ich mich über solche Berichte wie diesen. Machts einem dann leichter, auch mal andere Hotels auszuprobieren, wenn ich weiß das ich in der Nähe laufen kann.
Gruß
Martin
Danke für diese schöne Schilderung.
Ich war im vergangenen Jahr auch öfter in Nürnberg, bin aber meistens am Main-Donau Kanal vom Süd-West Park Hotel ausgehend entlanggelaufen. Das ist auch ne sehr schöne Strecke. Einmal war ich draußen beim 1.FCN als sie noch erstklassig waren. Da hab ich dann mehrere Runden um den Dutzendteich gedreht.
Ich find es immer schwierig, mich über Google Earth oder solche Tools zu orientieren. Daher freu ich mich über solche Berichte wie diesen. Machts einem dann leichter, auch mal andere Hotels auszuprobieren, wenn ich weiß das ich in der Nähe laufen kann.
Gruß
Martin
4
Ach mir macht es auch immer Spaß, laufend neue Orte zu erkunden. Na vielleicht begleite ich dich ja nächsten März schon mal 6 h in Nürnberg - so als Training, ob wir läuferisch harmonieren. Hängt aber auch ein bißchen davon ab, wie ich durch den Winter komme und ob mich das Skifahren vom Laufen abhält.
Grüße
Jörg
Grüße
Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog
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Hallo Wolfgang, hallo Weltenbummler,
diesmal also Nürnberg. Leider gibt's dort keinen Marathon (wenn mich meine Recherchen nicht täuschen) und damit keine Gelegenheit für mich die Stadt laufend zu erkunden. Sollte es mich dennoch mal dorthin verschlagen, mit dem Wunsch eines abendlichen Trainings, dann werde ich deinen unterhaltsamen Bericht rauskramen und damit planen ... Danke dafür.
Für deine Ultraambitionen wünsche ich dir schon jetzt Spaß und Erfolg.
Alles Gute
Gruß Udo
PS: 6h im eng begrenzten "Kreis" laufen ist an sich ja eine klar, strukturierte (Lauf-) Angelegenheit . Sollten dennoch zu Vorbereitung und Durchführung Fragen auftauchen, dann lass es mich wissen.
diesmal also Nürnberg. Leider gibt's dort keinen Marathon (wenn mich meine Recherchen nicht täuschen) und damit keine Gelegenheit für mich die Stadt laufend zu erkunden. Sollte es mich dennoch mal dorthin verschlagen, mit dem Wunsch eines abendlichen Trainings, dann werde ich deinen unterhaltsamen Bericht rauskramen und damit planen ... Danke dafür.
Für deine Ultraambitionen wünsche ich dir schon jetzt Spaß und Erfolg.
Alles Gute
Gruß Udo
PS: 6h im eng begrenzten "Kreis" laufen ist an sich ja eine klar, strukturierte (Lauf-) Angelegenheit . Sollten dennoch zu Vorbereitung und Durchführung Fragen auftauchen, dann lass es mich wissen.
"Faszination Marathon", die Laufseite von Ines und Udo auch für Einsteiger.
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe
PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h
Mit Trainingsplänen für 10 km, Halbmarathon, Marathon und Ultraläufe
PB: HM: 1:25:53 / M: 3:01:50 / 6h-Lauf: 70,568 km / 100 km: 9:07:42 / 100 Meilen: 17:18:55 / 24h-Lauf: 219,273 km
Deutsche Meisterschaft im 24h-Lauf 2015: 10. Gesamtplatz, Deutscher Meister in AK M60 (200,720 km) / Spartathlon 2016: 34:47:53 h
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hallo wolfgang, wunderschöner vorschlag, wie die messe noch heissen könnte. kollegen von mir waren auch dort, aber abends eher mit beschäftigt.... katrinelcorredor hat geschrieben:SPS/IPC/Drives. Für Laien: Dies ist keineswegs ein Fahrtechnik-Kurs der Sozialistischen Partei Surinam in Kooperation mit dem Internationalen Proletariat-Club, sondern eine Messe für Industrielle Automation und Elektronik.
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Hi!Zitat Bass'Tina
Danke für den kleinen Rückblick in meine Geburtsstadt,
Ich nehme fast überall hin meine Laufsachen mit. Auf diese Art habe ich schon viele Städte zu Fuß erkundet. Nächstes Jahr werde ich deinen Lauftipp ausprobieren .
Und Danke für deine Korrektur zum Opernhaus.
Hallo Martin!Zitat Juggler
Ich find es immer schwierig, mich über Google Earth oder solche Tools zu orientieren.
Im städtischen Bereich geht es ganz gut, da die Aufnahmen relativ viele Details erkennen lassen. Ich schau mir die Strecke aber vor dem Lauf auch immer noch auf einem Stadtplan an. Mein fotografisches Gedächtnis hilft mir dann unterwegs, mich zurecht zu finden.
. Das würde mich sehr freuen. Ich hab auf der Wöhrder Wiese ohnehin daran gedacht, ob wir den Lauf vielleicht gemeinsam machen können.Zitat Jörg
Na vielleicht begleite ich dich ja nächsten März schon mal 6 h in Nürnberg
Das ist der Luxus in meinem Beruf. Ein bißchen von der Welt zu sehen - und das möchte ich gerne weiter erzählen. : Kommenden Jänner und Februar habe ich wieder zwei spannende Reisen vor mir. Da gibt es dann wieder Geschichten dazu.Zitat Melrose
Immer wieder schön zu lesen
Hallo Udo!Zitat Udo
Für deine Ultraambitionen wünsche ich dir schon jetzt Spaß und Erfolg.
Danke für die guten Wünsche. Ich werde dazuschauen, dass ich wirklich Topp in Form bin. Ich werde dich davor vielleicht einmal als Trainingsberater "missbrauchen" .
Hallo Katrin!Zitat Tellertaxe
kollegen von mir waren auch dort, aber abends eher mit beschäftigt
Das Bier gab es - wie erwähnt - nach meinem Lauf in der Hütt'n. Übrigens ein Lokal, dass ich nur weiterempfehlen kann.
Liebe Grüße
Wolfgang