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Metropolmarathon Fürth => Ein Lebenstraum geht in Erfüllung

Metropolmarathon Fürth => Ein Lebenstraum geht in Erfüllung

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Vor dem Lauf

Sonntag, 28. Juni 2009: Der Tag, auf den ich mich 12 Wochen lang intensiv vorbereitet habe.

6 Uhr morgens, ich wache das erste mal auf und schaue aus dem Fenster. Es scheint keine Sonne. Graue Wolken beherrschen den Morgenhimmel. Na, das ist schon mal nicht schlecht. Jedoch ist mein rechtes Nasenloch nicht frei. Habe diese Woche ganz leichten Schnupfen bekommen. Nix Dramatisches, aber das Atmen fällt mir etwas schwerer.

Die Nacht habe ich gut geschlafen im Gegensatz zu den letzten. Das Abendessen gestern mit meinen Schwager war spät, aber kurzweilig und hat die Aufregung etwas verdrängt.

Ich döse noch eine Stunde. Danach stehe ich auf und bereite ein kurzes Frühstück. Meine Sachen muss ich noch packen. Es wird die Strategie festgelegt, wo und wann mein Fanclub und meine Frau sich treffen.

30min Autofahrt später finden wir uns im Startbereich. Gerade wird irgendein Lauf gestartet. Ich schau noch zu. Auf dem Weg zum Dixi laufe ich mich ein paar Meter ein. Ja, scheint alles soweit in Ordnung zu sein. Lege meinen Pulsmesser an und checke den Puls. Hoppla! Ich bin wohl aufgeregt. Ein Wert über 100 zeigt mir deutlich, dass es nicht normal ist. Aber die Vorfreude relativiert den Wert.

10min vor dem Start nehme ich ein Gel und 0,3l Iso zu mir. Da bin ich von meinen Trainer genauestens instruiert worden. Auch bezüglich der Zwischenzeiten, die auf einen negativen Split ausgelegt sind. Die 5km-Zeiten habe ich auf dem linken Unterarm notiert.

Start

Ich fühle mich wohl und leicht angespannt. Jetzt geht es zum Start. Ich reihe mich zwischen 4h- und 4:15h-Pacer auf der rechten Seite ein, weil ich nicht zu schnell angehen will. Um mich rum Gelächter und freudige Stimmung. Ich bin allein und sehr in mich gekehrt. Unterhalte mich auch mit niemandem.

Der Moderator zählt runter und der Startschuss fällt. Langsam setzten wir uns in Bewegung. Dann kommen die Startmatten in Sicht und beim Überlaufen stoppe ich die Zeit. Noch ein kurzer Gruß an meine Frau und der Marathon beginnt.

Wie schon bei den letzten zwei Läufen macht mein Puls sofort was er will. Er klettert über die Marke von 160 und wird sie bis zum Ende nicht mehr unterschreiten. Aber ich fühle mich gut. Es läuft soweit rund. Es ist zwar schwül, aber es scheint keine Sonne. Ich schwitze sofort, aber auch das ist nix Neues.

Die letzten Emails meines Trainers hatten jedes mal darauf gedrängt, nicht zu schnell zu beginnen. Die ersten 3 km sind in 5:50 min/km zu laufen. Ich bremse mich leicht, überhole nicht hektisch und versuche so gleichmäßig wie möglich zu laufen. Schon ist das erste Kilometerschild erreicht und ich drücke die Stoppuhr.

Oh! Doch etwas zu schnell. 5:33 min wird angezeigt. Also noch etwas langsamer. Das Läuferfeld ist noch dicht, auch weil die Wege etwas eng sind. Aber alles ist im grünen Bereich. Ich überhole mehr, als mich überholen. Von der Umgebung bekomme ich nur wenig mit. Ich konzentriere mich aufs Laufen. Das Tempo ist leicht zu halten und so registriert die Uhr für die beiden nächsten Kilometer 5:54 min/km.

Kilometer 3 ist für mich ein Checkpunkt. Diese Zeit habe ich auswendig gelernt. Ich sollte hier 17:30min auf der Stoppuhr sehen. Tatsächlich lese ich 17:21min. Na, das hat doch schon mal sehr gut geklappt.

Jetzt etwas beschleunigen und den 4h-Pacer, der vor mir läuft, langsam einholen. Es geht durch einen Park, in dem ein paar Höhenmeter fordern. Dann kommt eine Linkskurve und da ist auf einmal ein Verpflegungsstand. Mann, damit hatte ich nicht gerechnet. Das ging so schnell, dass ich aus meiner Armtasche kein Salz nehmen kann. Ich greife mir einen Becher Wasser und trinke ihn leer. Nehme mir vor, beim nächsten Stand mindestens 1 Becher Wasser und Iso zu trinken.

Ich laufe einigermassen gleichmäßig weiter, alles im grünen Bereich. Da kommt auch schon das 5 km-Schild und ich vergleiche die Zeiten. 28:45min, also nur eine Sekunde langsamer als vorgesehen. Was will man mehr.

Renntempo: 0-3km Pace 5,47 min/km
Renntempo: 3-5km Pace 5,42 min/km

5-10km

Es läuft. Das Feld hat sich gelichtet, man kann nun sein Tempo laufen, ohne behindert zu werden. Der 4h-Pacer ist in Hörweite. Er hat einige Läufer und Läuferinnen um sich geschart und unterhält sie. Auch über die Renntaktik wird gesprochen. Der Pacer schlägt vor, bis zur HM-Distanz etwas schneller zu laufen, so ca. 1:58h. Die Läufer in seiner Umgebung sind noch fit und stimmen zu. Mir wird nicht bewusst, dass mein Plan dieselbe Zeit vorsieht, bei allerdings schnellerem Tempo auf dem zweiten HM. Ob das gut geht für die Anderen?

Da ich ja schneller als der 4h-Pacer laufen will, muss ich mal langsam überholen. Wäre eigentlich nicht notwendig, aber bilde mir das halt ein. Bisschen was für die Psyche tun. Gelingt mir auch ganz leicht und ich kann mich ein paar Meter absetzen. Aber bei der nächsten Verpflegungsstelle holt er wieder auf. Ich verliere beim Trinken zu viel Zeit. Aber die Flüssigkeitsaufnahme ist mir wichtig bei diesen Temperaturen.

Der Zugläufer und seine Gruppe sitzen mir im Nacken. Anscheinend läuft der zu schnell. Ich will mich aber nicht überholen lassen und ziehe das Tempo an. Für Km 8 zeigt die Uhr 5:00 min/km. Na, vielleicht stimmte das Schild nicht? Dran bleiben, nicht überholen lassen. Zack, wieder ein Kilometer vorbei. Pace 5:10 min/km. Ok, jetzt reicht's. Soll der doch laufen was er will. Irgendwas stimmt nicht. Schwupps, ist er an mir vorbei und ich lasse mich zurückfallen. Ich habe eine andere Renntaktik als der Zugläufer. Schliesse mich einer Gruppe an, der eine Läuferin mit Radbegleitung angehört. Wir unterhalten uns über den Pacer, von dem sie auch glaubt, dass der zu schnell ist. Wir plaudern noch ein wenig, ihr Tempo ist jedoch zu niedrig. Ich ziehe davon bis sich die Pace wieder im gewünschten Rahmen einpendelt.

Renntempo: 5-10km Pace 5,27 min/km

10-15km

Die 10-Kilometermarke passiere ich in 56:02 min, 47 Sekunden schneller als im Plan. Passt. Mit der Salzaufnahme klappt es nun auch gut. Ich fühle mich noch sehr gut. Ich sollte das Energie-Gel früh genug in der Hand halten, damit ich es vor der Verpflegungsstelle bei Km 11 nehmen kann. Also krame ich den Beutel aus meiner hinteren Hosentasche und laufe damit weiter. Es behindert mich nicht einmal und so kann ich die Pace von 5:40min/km gut einhalten. Dann kommt der Verpflegungsstand in Sicht. Also Gel aufreissen. Klappt nicht gleich, da die Finger total nass sind. Aber ich schaff es doch und drück mir den Inhalt direkt in die Kehle. Schmecken muss es nicht, dies ist schließlich kein Lauf für Gourmets. Ich trinke zwei Becher nach, was ganz gut klappt und weiter geht's.

Ich laufe gleichmäßig. Auch wenn es hart klingt, das monotone Traben langweilt mich. Ich finde niemanden, der mein Tempo läuft. Im Training nutze ich einen MP3-Player, aber hier lenkt mich irgendwie nix ab. Die Landschaft rund um Fürth ist schön, aber für mich irgendwie nicht interessant. Ich bewege mich einfach weiter. Bei Kilometer 14, an einer Abbiegung, wartet etwas Abwechslung. Ich freue mich richtig, als ich meinen Fanklub erblicke. Meine Nichten mit Freunden sind da. Ach, das tut gut. Sie haben sogar ein Pappschild dabei. Kurzes Abklatschen und die Aufforderung an Markus, ob er mich nicht ein paar Meter begleiten will, da mir so langweilig ist. Diese Abwechslung auf ein paar hundert Meter tut mir richtig gut.

Renntempo: 10-15km Pace 5,27 min/km

15-20km

Es läuft. Zwar ist der 4h-Pacer ca. 150m vor mir, aber meine Zwischenzeiten passen. Bei Kilometer 15 bin ich nur 39 Sekunden zu schnell (1:23:15h). Ich laufe meinen Stiefel. An jeder Verpflegungsstelle nehme ich einen Becher Iso und Wasser, davor etwas Salz aus der Handgelenktasche. Durchgeschwitzt bin ich wegen der Schwüle sowieso schon komplett, somit macht ein Becher, den ich mir über den Kopf schütte, das "Kraut auch nicht fett".

Ich entdecke einen Läufer im Finishershirt von Regensburg, wo ich den Halbmarathon lief. Ich schliesse auf und unterhalte mich ein wenig mit ihm. Er ist in Regensburg auch Marathon gelaufen. Respekt. Da kann ich nicht mithalten. Er will Sub4 laufen, aber da der Pacer vor uns ist, glaubt er nicht, dass es klappt. Durch die Mitteilung, dass der Zugläufer deutlich zu schnell unterwegs ist, kann ich ihn etwas beruhigen. Letztlich ist er mir dann doch zu langsam, also trabe ich alleine weiter.

Ich schließe zu einem Engländer auf, der ein Shirt mit dem Aufdruck "100 marathon club" trägt. Nach kurzer Unterhaltung gibt er mir zu verstehen, dass ihn das zu sehr anstrengt. Ok, jedenfalls habe ich das mit meinen Schulenglisch (lange her) verstanden.

Renntempo: 15-20km Pace 5,44 min/km

20-25km

Kilometer 20, Zwischenbilanz: Fühle mich noch gut. Die Zwischenzeiten kann ich nicht mehr kontrollieren, da sowohl meine Kilometerzeiten am Arm als auch die Zeitentabelle nicht mehr lesbar sind. Dennoch meine ich gut im Rennen zu liegen. Der Pacer ist immer noch voraus. Naja, einfach weiter. Die Einnahme der zweiten Gelportion klappt ohne Probleme.

Zum zweiten Mal treffe ich auf meinen Fanklub, mittlerweile erweitert um meine Frau und meinen Schwager. Ein Moment der Freude und schon bin ich vorbei.

Irgendwann kommt mir der 4-Pacer entgegen!??

Er hat keine "Klienten" mehr bei sich und läuft an einer Brücke ein paar Meter zurück, wahrscheinlich um jemanden aufzulesen und dann den Marathon fortzusetzen. Meine Zeittabelle sieht seit Km 21 ein etwas höheres Tempo vor. Ich bin froh meine eigene Taktik zu haben. Dieser Pacer hat nach meiner Meinung die Läufer durch zu forsche Anfangskilometer "aufgearbeitet". Ins Ziel wird er mit 3:58h kommen. Nach dem Rennen erfahre ich, dass wohl mehrere Zugläufer ihre Aufgabe unzureichend erfüllt haben.


Inzwischen fordere ich immer wieder Zuschauerinnen auf, mit mir zu laufen, weil mir langweilig ist. Aber heute wirkt mein Charme nicht. Keine hat Lust dazu. Einmal begleitet mich eine auf 5 Metern, gibt aber dann auf. Im nächsten Ort wende ich mich auch an eine bestimmt 70-jährige. Aber sie sagt nur: "Keine Zeit."

Gerade in einem größeren Pulk eine Kreuzung passierend, sehe ich meinen Bruder mit Schwägerin und Tochter. Ich habe sie erst bei Km 30 erwartet und so ist die Freude groß. Kaum gegrüßt und schon vorbei. Aber das gibt wieder Kraft. Mittlerweile habe ich das Gefühl dafür verloren, ob das Tempo noch passt. Bei Kilometer 24 stimmt die Markierung keinesfalls, denn so schnell kann ich nicht gelaufen sein. Die Bestätigung bekomme ich beim nächsten, da bin ich zu langsam. Ich frage meinen Bruder, der schon wieder an der Strecke steht, wie ich liege. "Es passt" meint er nur.

Kurz danach die erste unschöne Szene: Am Streckenrand sitzt ein Läufer, dem es offensichtlich schlecht geht. Zum Glück ist schon jemand bei ihm und er wird versorgt.

Renntempo: 20-25km Pace 5,40 min/km

25-30km

Mit der Zeitentabelle in der Gesäßtasche könnte ich mal meine Zeiten checken. Also, Reisverschluss auf, was nicht so leicht geht und den Zettel gesucht. Dabei verliere ich mein zweites Päckchen Salz. Ich blicke kurz um und entscheide, dass ich es zurücklasse. Den Zettel kann ich vergessen. Das ist eine einzige Papierpampe. Total nass fliegt er im hohen Bogen in den linken Straßenrand. Ok, dann eben ohne Anhaltspunkt.

Nach ein paar hundert Metern taucht ein anderer Engländer neben mir auf und reicht mir das verlorene Salzpäckchen. Ich bedanke mich und wir laufen die nächsten Kilometer gemeinsam. Ich unterhalte mich ein wenig in Englisch mit ihm. Auch er trägt ein Shirt mit Aufdruck "100 marathon club". Er will unter 4h finishen und liegt gut in der Zeit. Wir laufen so und beiläufig frage ich ihn, der wievielte Marathon es für ihn ist. Ich erfahre, dass er die Zahl immer in der Landessprache des jeweiligen Marathons auswendig lernt und vernehme, in bestem Deutsch: "Dreihunderteinundvierzig".

"Wow!" beglückwünsche ihn. Da brauche ich mit meiner dritten Marathonteilnahme nicht zu prahlen. Es macht Spaß, gemeinsam zu laufen. Es tut gut zu hören, dass der Nebenmann sich auch anstrengen muss. Wobei, David, der Engländer, noch gut aussieht. Sein Alter von 54 Jahren nötigt mir zusätzlich Respekt ab.

Wir kommen an eine Verpflegungsstelle und ich nehme mein Standardprogramm: 1 x Iso, 1 x Wasser zum Trinken, 1 x Wasser für den Kopf. Noch immer ist es ziemlich schwül, obwohl sich die Sonne nicht sehen lässt. David füllt seine mitgeführte 0,3 Liter-Flasche mit Cola auf. Vier Meter weiter preist eine Helferin Bier an. Das ist nix für mich, doch David ist begeistert und trinkt davon. David braucht eine Weile und ich überlege, alleine weiter zu laufen. Aber gemeinsam war es kurzweiliger und deshalb falle ich in einen sehr langsamen Trab, bis er aufgeholt hat. Er erklärt mir, dass mit dem Bier nun die Sub 4h kein Problem mehr sind. Ich wende ein, dass das alkoholfrei war. Dann ist die Zielzeit nicht mehr drin, meint er nur. So laufen wir schweigsam weiter. Ich bedanke mich immer wieder bei den Zuschauern, Helfern und Polizisten. Genieße nun den Lauf.

Renntempo: 25-30km Pace 5,32 min/km

30-35km

Bei Kilometer 30 kommt mir Markus erneut entgegen. Ich laufe neben ihm und erzähle dies und jenes. Hinter einer kleinen Unterführung steht der Rest des Fanklubs. Abklatschen und weiter geht es. David kann wieder aufschließen und wir laufen weiter.

Weiter immer weiter. Wir müssen nun durch ein Stadion laufen. Vor dem Laufoval ist eine kleine Verpflegungsstelle eingerichtet. Ich nehme mir die üblichen Becher gehe die paar Meter zur Tartanbahn hinunter. Antraben.
Wo ist David?

Der hat nicht gewartet, also beschleunige ich für ein paar Meter. Nach dem Kurvenausgang entdecke ich jemanden im grünen Laufshirt, der nun mein Begleiter, Motivator, Fotograf und Versorger werden wird.


Da steht Udo.


Auf diesen Moment habe ich seit 12 Wochen hingefiebert.

Rückblick:

Als ich Ende 2008 bei Udo anfrage, ob er mir helfen könnte, damit ich endlich den Marathon unter 4h laufe, willigt er sofort ein.

Am Anfang gibt es noch unterschiedliche Einstellungen zu Ehrgeiz und Gewicht, aber Udo kann sich da sehr gut auf mich einstellen. Bereits in dieser Frühphase wird das Training auf mehr Tempo umgestellt. Wir wollen den Mittelrheinmarathon am 6.6.2009 gemeinsam laufen, weil der in seine Vorbereitung passt.
Ich bekomme einen Trainingsplan, der mir gut gefällt, da die Läufe unter der Woche nicht so lang sind und nur am Wochenende sehr viele Kilometer zusammen kommen. Ich stecke schon anderthalb Wochen tief im Marathontrainingsplan, als feststeht, dass Udos Verletzung eine Wettkampfpause erfordert.

Ich plane einen neuen Marathontermin, um nicht so weit reisen zu müssen. Der Metropolmarathon in Fürth bietet sich an. Dort bestritt ich letztes Jahr den 10km-Lauf und es hat mir soweit gut gefallen.
Sofort wird der Traingsplan umgestellt, wieder mehr Wert auf Tempo gelegt.
Am 6.4.2009 beginnt dann das spezielle 12-wöchige Marathontraining. Ich habe noch nie so genau einen Plan eingehalten wie in diesen Wochen.

In dieser Vorbereitung laufe ich insgesamt 611,66km in 61h 16min 27s Trainingszeit. Drei Stunden schwimme ich zur Regeneration. In der vorletzten Woche kann ich wegen einer Magenverstimmung drei Läufe nicht absolvieren. Noch nie absolvierte ich so viele Lange, insgesamt 2 x 32 km, 3 x 30 km, 1 x 28 km. Diese Läufe sind fordernd, aber sie machen mich nicht total kaputt. Das Tempotraining kann ich bis auf die Pyramide in der drittletzten Woche sehr gut erfüllen.

Zusätzliche Motivation gibt mir Udos Absicht mich wenigstens auf den letzten 10km zu begleiten. Lange Zeit glaube ich nicht daran. Als ich in der letzten Woche vor dem Marathon wegen der vorhergesagten heißen Witterung einen Koller bekomme, bitte ich ihn sogar, nicht zu kommen. Er kann mich wieder beruhigen und so bin ich zwar aufgeregt, weiß dennoch, dass ich es schaffen kann. Lediglich hohe Temperaturen oder eine Verletzung können mich aufhalten.

Fast bei jeden Trainingslauf denke ich an diesen Augenblick. Immer wieder stelle ich mir vor, wie es sein wird und jedesmal geht ein Glückshormonschub durch meinen Körper.


Gegengerade


Mann, es ist genauso wie ich es mir vorgestellt habe. Ich winke Udo und informiere noch kurz David, dass mich nun mein Trainer begleiten wird. Udo und ich begrüßen uns mit Handschlag im Laufen. Das gibt Kraft, Motivation, einfach alles.
Ich fange sofort an, zu erzählen, was mir passiert ist. Später werde ich deswegen als Quasselstrippe von ihm bezeichnet. Verstehe ich irgendwie nicht.
Das Tempo ist zwar schneller, aber das merke ich nicht gleich. Das gleichmässige Tempo von ihm und die Aussage, dass ich die Sollzeit nur etwa 30 Sekunden überzogen hab, versetzt mich fast in einen Rauschzustand. Nach etwa 800 m muss ich ihn aber doch bitten, geringfügig das Tempo zu drosseln. Ich merke, dass das einfach zu schnell ist. Aber es läuft sehr gut.

Renntempo: 30-35km Pace 5,45 min/km

35-40km

Bei jeder Verpflegungsstelle kümmert sich Udo um Getränke, damit ich keine Zeit verliere. Einen Becher nehme ich mir selber. Da er Isogetränke mitführt, greife ich nicht mehr zum Angebot des Veranstalters. Momentan habe ich auch keine Lust auf das süße Zeug, obwohl es mir von Udo angeboten wird. Kurz nach Km 35 und einer Verpflegungsstelle kommt eine kurze, aber nach über 3h für mich zu steil abfallende Rampe. Oh Mann! Geht das in die Oberschenkel. Auf Udos Rat hin mache ich größere Schritte, aber auch das bringt keine Linderung. Im Gegenteil, ich habe Angst zu stürzen. Endlich sind wir dann am Ufer der Rednitz. Da ist es wieder schön eben. Das war schon ganz hart.

Die Kilometer fliegen nun nur noch so dahin. Mir geht es noch soweit gut, wenngleich ich nun stärker gefordert bin. Da Udo die Strecke kennt, bereitet er mich darauf vor.
Einmal muss ich seinen Zeitplan lesen, weil er es nicht entziffern kann. Dann verhaut er sich mal um 3 min mit der Zeit. Ich wundere mich nur kurz, erfahre aber hinterher, dass er das für mich zur Abwechslung gemacht hat.

Er bereitet mich nun auf eine letzte Steigung vor. Ich soll die nicht zu schnell angehen. Es sind nur ungefähr 20 Höhenmeter zu überwinden, aber die kosten unendlich Kraft. Schlagartig bin ich fertig. Udo zeigt mir sein Auto am Streckenrand, aber das bekomme ich nicht gleich mit. Nach der Steigung brauche ich 200 m bis ich wieder einigermassen zu Atem komme. Das hat Körner gekostet. Aber nun geht es wieder. Udo plaudert auf mich ein; keine Läuferthemen, irgendwelche Sachen über Architektur. Ich bekomme das nur am Rande mit, mag mich jetzt auch nicht mit beruflichen Dingen auseinandersetzen. An einer Kreuzung danke ich einmal mehr den Polizisten, dass sie für mich die Straße sperren. Dann laufen wir durch die Grüne Halle, wobei Fotos entstehen auf denen ich noch lächeln kann. Ich bitte Udo, mir Iso zu reichen und habe die Wahl: "Kirsch- oder Limonengeschmack?" Wow, was für ein Service. Ich entscheide mich für Kirsch und trinke ein paar Schlucke davon.

Und dann ist es auf einmal anstrengend. Ich spreche sehr wenig, mir tut alles weh. Später werde ich diesen Verfall deutlich auf den Fotos von Udo sehen. Er versucht noch mit Sprüchen mich aufzubauen. Sätze wie "Für die letzten 5 km ziehst zu zuhause nicht mal die Schuhe an" können mich nur noch kurzzeitig aufbauen. Ich will, dass es endlich vorbei ist. Einmal kann Udo mich noch erheitern, als er feststellt, dass wir das Codewort nicht brauchen werden. Ich hatte mit ihm vereinbart mich nach dem Codewort absolut in Ruhe zu lassen und mich nicht mehr zu motivieren, weil ich aufgegeben habe.

Schlagartig ist die Erschöpfung eingetreten. Ich kenne das schon vom München Marathon, da war es auch ab Km 36 sehr hart.
Ich habe bereits einen leichten Tunnelblick, muss mich voll aufs Laufen konzentrieren. Nach einer Unterführung geht es nochmal leicht aufwärts. Oben angelangt erreiche ich das 40 km-Schild. Udo faselt irgendwas wie "das ist die Stelle, auf die sich jeder Marathonläufer freut". Ist mir egal, ich will nur noch ins Ziel. Mittlerweile könnte ich gehen und käme immer noch unter 4h ins Ziel. Kann ich irgendwie nicht glauben und ist mir auch egal.

Renntempo: 35-40km Pace 5,19 min/km

40-42.2km

Nun geht es durch die Fußgängerzone über einen Plattenbelag. Nur ein paar Zuschauer säumen hier die Strecke.

Ich laufe wie ein Automat. Schritt um Schritt. Damit ich nicht zuviel Geschwindigkeit verliere, setze ich wie beim Intervalltraining ganz bewusst die Arme ein. Meine Hände sind verkrampft. Ich kann nicht mehr. Jeder Richtungswechsel kostet Kraft, schmerzt in den Beinen.
Dann geht es über eine Passage mit Kopfsteinpflaster. Normalerweise tödlich für mich. Bei jedem Auftreten der Füße werden die Beine anders belastet. Das schmerzt ungemein. Hier kommen wir jedoch an gut besuchten Cafes vorbei. Da sitzen viele Zuschauer und jubeln. Das tut gut. Diese Begeisterung trägt mich 100 Meter wie schwerelos. Da schaffe ich es sogar noch die Arme zum Jubeln heben.

Dann sind wir da durch und es herrscht Tristesse. Nix mehr los. Ich bin total kaputt, ausgelaugt, Km 41 ist erreicht.

Noch 1200m. Für einen Läufer keine Entfernung. Drei Runden auf der Bahn.

Es werden die längsten 1200m meines Lebens. Ich kann nicht mehr, bewege mich aber immer noch vorwärts. Noch ein Richtungswechsel. Vom Ziel ist nix zu sehen. An einer Stelle wäre ich ohne Udo glatt falsch abgebogen, war schon auf der falschen Seite. Ich sehe nix mehr. Ich will nur noch ins Ziel! Wann ist diese Plackerei zu Ende?

Irgendwann kommt Markus uns entgegen. Ich kläre Udo auf, wer das ist, weiß aber nicht, ob er es verstanden hat. Markus läuft dann wieder voran, um meine Ankunft dem Fanklub mitzuteilen. Ich kann nicht mehr, nehme nur noch wahr, was sich vor meinen Füßen abspielt. Dann endlich, nach einer unendlich langen Zeit, sehe ich die letzte Abbiegung vor dem Ziel.
Dort stehen wieder mehr Zuschauer. Jetzt letzte Kräfte mobilisieren.

Linkskurve laufen. Endlich sehe ich den Zielbogen. Beidseits der Strecke stehen viele Zuschauer. Ich beschleunige nochmal. Links taucht mein Fanklub auf. Hier gibt es keine Absperrgitter, sodass die Zuschauer nur eine schmale Gasse offen lassen. Aber ich bin einfach zu schnell vorbei, um das richtig mitzubekommen.

Jetzt sehe ich deutlich das Ziel. Udo motiviert mich, schneller zu laufen. Ich höre ihn aber nur noch sehr leise. Meine Atemgeräusche, die Zuschauer, der Beifall, das ist alles so laut. "Die Klatschen für dich" höre ich Udo schließlich doch noch rufen.

Dann bin ich durchs Ziel, stoppe die Uhr und checke die Zeit. Ich kann es nicht genau erkennen, lese aber irgendwas mit 3:56h.

Renntempo: 40-42,2km Pace 5,29 min/km


Lebenstraum erfüllt!

Irgendwer überreicht mir eine Medaille. Ich bin völlig erschöpft. Dann sehe ich Udo, falle ihm um den Hals und bedanke mich. Nach zwei Minuten geht es mir wieder besser. Dabei tippe ich immer wieder Udo an, weil ich es nicht glauben kann. Ich gehe kleine Runden. Dabei werde ich einmal so von Glücksgefühlen und der Erschöpfung übermannt, dass Freudentränen fliessen. Die ganze Anspannung der letzten Wochen fällt ab. Freude pur.

Meine Frau kommt lange nicht ins Ziel, sie haben sich verlaufen. Aber Udo ist ja da und teilt die Freude mit mir. Auch David der Engländer kommt knapp unter 4h ins Ziel. Wir wechseln noch ein paar Worte.

Endlich ist meine Frau da und ich nehme sie in die Arme. Tja, man muss sich schon wundern, wie man einen derart verschwitzten Kerl, klatschnass von oben bis unten, lieb haben kann. Die nächsten Freudentränen fliessen. Die letzten Wochen waren nicht einfach für sie, da ich meine ohnehin nicht üppige Freizeit hauptsächlich mit Laufen verbrachte.

Glückwünsche des ganzen Fanklubs. Ich kann es irgendwie noch nicht fassen.

In Ruhe schaue ich mal genauer auf meine Uhr. Da lese ich dann:

3:55:20h (5:35min/km)

Die Zielzeit auf 10 Sekunden genau getroffen. Noch mehr Freude.

So, nun besorgt mir Udo was zum Trinken, später auch noch ein alkoholfreies Weizenbier. Nach 12 Wochen Alkoholabstinenz schmeckt der erste Becher nicht so besonders, beim zweiten ist es dann schon besser.
Etwas verpflegen und umziehen, was erschöpft und mit Muskelkater nicht so leicht ist.

Den Tag lasse ich noch ganz gemütlich ausklingen. Jeder, den ich treffe, und das sind nicht wenige, da in meinem Heimatort Bürgerfest ist, muss sich meine Marathongeschichte anhören.

Dank

Mein Dank geht an alle, die mich bei diesen Vorhaben tatkräftig unterstützt haben.

Meine Frau: Danke für die vielen Entbehrungen der letzten Zeit
Udo: Danke für die Betreuung in der Trainingsphase (auch wenn ich nicht immer alles genau verstanden habe) und besonders für das Ziehen auf den letzten 10km. Ohne dich wäre ich nicht 5min unter 4 Stunden geblieben.
Mein Fanklub: Robert, Karli, Heidi, Steffanie, Markus (spezieller Dank für die mit mir gelaufenen Meter), Katrin, Sabrina und Ergy

Dank an alle anderen, wie die Radiergummis, die Blog-Leser und alle die mir jetzt nicht einfallen.

Bilder auf der Radiergummiseite

Danke für das Durchhalten beim Lesen :daumen:
Reno
Alle Äußerungen von mir sind meine persönliche Meinung und Resultat aus gelesenen, gehörten und teilweise selbst erlebten.
Dies bitte ich zu beachten:zwinker5:

10km 00:49:19 06.05.2006 26. Weidener Straßenlauf
HM 01:51:38 02.09.2007 Ältötting
M 03:55:20 28.06.2009 Fürth
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Hallo Reno!

Herzlichen Glückwunsch zu dieser super Leistung und vielen Dank für den tollen Laufbericht, hat mir sehr gut gefallen! :daumen:

Gruß, arai

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Gratulation. Habe selbst einigemal mich an den 4h probiert, bis es klappte. Mit Udo als Couch hattest du natürlich Vorteile.

Grüße
Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Was für ein grandioser Bericht, ähnlich wie der Lauf! :respekt2: :respekt2:

Und die Vorbereitung, 12 Wochen nach Plan und ohne Alkohol, mein Gott, und durchorganisiert wer wann wo steht und ab wann wie begleitet... bis hin zu Salzpäckchen und sekundengenauer Zwischenabrechung, wow, sowas könnte ich nie!

Nur daß die 70jährige keine Zeit hatte mitzulaufen, irritiert mich ein wenig :zwinker4:
Sag nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst (Matthias Claudius)

http://artificial-nonsense.blogspot.com/

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Na, da hat das Warten sich ja gelohnt, schöner, sehr schöner Bericht, Danke!

......und mit Udo hattest Du mit Sicherheit die bestmögliche Begleitung für die letzten 10 km, prima habt ihr das gemacht.

[
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Mensch Reno, was ein toller Bericht! Da lebt man richtig mit, da steht mir ja beim Lesen das Wasser in den Augen. Nochmals Gratulation!

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Hi Reno,

superschöner Marathonbericht.

Gut gelaufen, gut geschrieben.
Servus

Tom
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Fitnessstudio & CrossFit:daumen:

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Möööönsch, was für ein toller Bericht. Super!

Nochmals ganz, ganz herzlichen Glückwunsch - zum Marathon, zur Zeit, zu den tollen Leuten, mit denen Du zu tun hattest, und zu Deinem schreiberischen Talent. Und natürlich ein dickes Danke! :daumen:
Renn', als wenn Du geklaut hättest !!

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Hallo Reno,

klasse Leistung und danke für den sehr intensiven Bericht, hast dich ja am Ende ganz schön durchgebissen!

Bis 5KM vor dem Ziel dachte ich, man läuft es bei dem rund, doch dann kam mir plötzlich alles sehr bekannt vor :nick: , eben super am Limit gelaufen und das Beste rausgeholt!

Gruß Volker

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Hallo Reno

Schöner Bericht inkl AUflösung des 32.5km Rätsels :nick: Nochmals herzliche Gratulation.

Krahu

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Hach, was für ein schöner Bericht :nick: so richtig zum Mitlaufen, Mitfiebern und Mitfeuchteaugenbekommen. Eine tolle Punktlandung habt Ihr da hingelegt.

Das mit dem Codewort finde ich lustig. Aber das stimmt schon, ab einem bestimmten Moment motiviert einfach nichts mehr und nicht sagen hilft da oft mehr als viele gut gemeinte Worte.

Ganz herzlichen Glückwunsch :daumen: an Dich und Deinen Coach.
Mik

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Ein super toller Bericht, von dem ich jedes Wort gelesen habe, jedes Bild bewundert habe. Sehr ehrlich geschrieben, keine dicke aufgetragene Wolke, sondern hier wird ganz klar, Marathon ist harte Arbeit. Respekt!!!!!!!!!! Dein Ergebnis zeigt Dir, Du hast alles richtig gemacht.

Vor 15 Jahren war Fürth für 5 Jahre meine Heimat, habe sogar die eine und andere Ecke wieder erkannt. Hat sehr viel Spass gemacht Dich hier zu begleiten.

Konstanze
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http://www.radiergummiliga.de/
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Super gemacht, Reno und ein toller Bericht! :daumen:

Ich hoffe, wir treffen uns mal wieder bei einer Laufveranstaltung

Eva

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Herzlichen Glückwunsch, zum Lauf und zum emotionalen Bericht. Für mich ist jetzt nur noch eine Frage offen geblieben: Was war das vereinbarte Codewort? Vielleicht "Silence is golden"? "Der Adler ist gelandet". Oder einfach nur "Schnauze!"? :)

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Hi Reno, :respekt2:

Danke für den tollen Bericht!!! Hat viel Spaß gemacht das zu lesen und mitzufiebern. Bist ja jetzt schon fast im urlaub, gell? trotzdem auch hier nochmal alles Liebe zum Geburtstag!!!!

P.S.: die Frage wird dir nicht gefallen, aber was hast du dir eigentlich als nächstes Ziel gesetzt? :zwinker2:
You must do the thing you think you cannot do!
Eleanor Roosevelt :idee:

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RunningTurtle: "Einmal muß jeder Radiergummi nach Bernau"

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Hallo Reno,

da habe ich so lange auf deinen Bericht gewartet und nun wäre er mir fast durch die Lappen gegangen...

Wunderschön geschrieben, ich habe bei deinem Lauf richtig mitgefiebert, so spannend hast du geschrieben.
Herzlichen Glückwunsch zur Erfüllung deines Lebenstraumes :respekt2: .
Wenn ich demnächst das gleiche Ziel angehe, wird mir dein Bericht Ansporn dafür sein :nick: .
Meine Trainerwahl habe ich auch endgültig getroffen, du weißt ja Bescheid :zwinker5: .

Viel Erfolg im weiteren Läuferleben
Anett :hallo:
Radiergummi-Liga
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