Man muss nur langsam genug laufen, dann kommt man viel weiter als man selber denkt
- das war das Fazit aus meinen Erfahrungen mit Strecken jenseits des Marathons. Ich hatte selber Schwierigkeiten damit die Tatsachen, dass ich nur ein Durchschnittsläufer bin (PB Marathon 4:40), aber trotzdem diese Distanzen ohne größere Probleme geschafft habe, unter einen Hut zu bringen.
Seit gestern Nachmittag ist die Welt für mich wieder in Ordnung und alles passt tatsächlich bestens zusammen. Ich war mit meiner Familie in der Stadtbücherei, musste etwas warten und habe mir eher wahllos ein Laufbuch aus dem Regal gegriffen. Ich habe bislang eigentlich keine Bücher zu dem Thema richtig gelsen - nur mal das eine oder ander durchgeblättert und mir einzelne Tipps rausgepickt. Aber dies war ein Goldgriff: Marathon Training von Manfred Steffny - ein etwas älteres Buch von 1999 und da gab es doch tatsächlich ein Kapitel zum 100-km-Lauf. Und das was ich dort gelesen habe, verschlug mir erst mal den Atem - das sind ja genau meine Erfahrungen, die ich im letzten Jahr selber gemacht habe. Ich zitiere einfach mal:
"Marathon Trainig" von Manfred Steffny, 14.Auflage, 1999
Verlag H.Schmitz Mainz ISBN 3-87439-385-2
Es ist einfacher 100 km zu Fuß zurückzulegen, als Marathon zu laufen, darüber hinaus für Muskulatur und Organismus schonender. Wenn dies ein "Uff"-Effekt hervorrufen sollte, er ist erwünscht. ...
Einen 100-km-Lauf kann man nur mit 50 Prozent der maximalen Laufgeschwindigkeit zurücklegen. Dies ergibt sich bei der statistischen Auswertung von Läufen sowie umgekehrt aus Versuchen, ... wonach man auf dem Fahrradergometer 50 Prozent der maximalen Belastung acht Stunden lang aushalten kann. ...
Das indiviuelle Renntempo ist gegenüber dem Marathonlauf so langsam, dass die "schnellen Brüter" des Kohlenhydrat-Stoffwechsels ... im wesentlichen nicht gebraucht werden. Der 100-km-Läufer greift von vorneherein seinen Fettstoffwechsel an. Dies ist beim Marathon meist erst ab 35 km der Fall ... und ist beim relativ hohen Tempo über 42,195 km unökonomisch, für 100 km und länger aber angemessen.
Der Fettstoffwechsel muss nicht derart an eine Grenzbelastung angepasst werden wie der Glykogen-Stoffwechsel. Man kann daher realtiv untrainiert 100 km zurücklegen. Dazu kommt, dass die organische Belastung und die muskuläre Beanspruchung geringer sind. ...
Was natürlich bleibt, ist neben der großen physischen Leistung vor allem die psychische Härte, die Riesendistanz zu bestehen. Im Training wären 100 km für die meisten unerreichbar, doch schon allein das Massenerlebnis am Start sorgt für die richtige Stimmung, und unterwegs gibt es für fast jeden einen Partner, der einen aufmöbelt oder den man selbst anspornt und dabei die eigene Anstrengung vergisst. Aus solchen Begegnungen bei 100-km-Läufen haben sich sicher mehr Freundschaften gebildet als beispielsweise in der Straßenbahn. Da sollen unterwegs schon ganze Lebensgeschichten erzählt worden sein ...
... viele 100-km-Läufer haben nach dem Rennen einen so hochgeputschten Hormonhaushalt, dass sie keine Müdigkeit verspüren und keinen
zusätzlichen Schlaf brauchen. ...
Trotz des relativ geringen Tempos ist der Kalorienverbrauch enorm, jedenfalls viel höher als beim Marathonlauf. Im Schnitt sind es 6000. ... Daher ist die Nahrungsaufnahme unterwegs unbedingt notwendig.
Ein 100-kg-Mann, im Marathon total benachteiligt, kann über 100 km ebensowenig im Vorderfeld landen ... , er wird jedoch gut über die Strecke kommen können.
Aus alledem kann man folgern, dass man entgegen der klassischen Theorie nicht von der kürzeren zur längeren Distanz zu gehen braucht. Wenn ich sage, man brauche für einen Marathonlauf mindestens ein Jahr Vorbereitung, so kommt man für die Teilnahme am 100-km-Lauf schon mit einem halben Jahr zurecht!
Jedenfalls ist es viel einfacher, 100 km im Laufen und Gehen in 14 Stunden (Schnitt rund 7 km/h) zurückzulegen, als im Marathonlauf unter vier Stunden zu kommen. Wer im Marathonlauf sehchs Stunden läuft, beseelt von dem Gedanken, einmal Marathon zu schaffen, sollte es lieber bleiben lassen und sich gleich den 100 km zuwenden. ... Daher empfehle ich gerade dem älteren Anfänger, der sich zu langen Strassenläufen wettkampfmäßig angezogen fühlt, zuerst 100 km zu laufen und erst, wenn er nach einer weiteren Aufbauzeit in der Lage ist, Marathon klar unter fünf Stunden zu laufen, auf die kürzere Straßen-Distanz zu gehen.
Das Training des 100-km-Läufers unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem des Marathonlaufs. Mehr Kilometer und langsamer - so läßt es sich auf einen Nenner bringen.
Der Altersläufer hat eine große Chance im 100-km-Lauf. Wahrscheinlich ist er erst im Alter von 40 und darüber in der Lage, sein Leistungsvermögen voll auszuschöpfen. ... Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist dabei die Bielerin Rosa Vögeli, der es eines Tages zu dumm war, ihren Söhnen nur zuzusehen. Als 70jährige startete sie erstmals über 100 km und gehörte über Jahre zum Inventar des Bieler 100-km-Laufs.
Die Leistung von Rosa Vögeli wie auch die absolute Spitzenleistung zeigen das Leistungsvermögen der Frauen. Die geringere Grundschnelligkeit macht sich kaum mehr bemerkbar, immer deutlicher treten das günstigere Kraft-Last-Verhältnis bei der Frau und ihre spezifische Ausdauer-Fähigkeit
in Erscheinung.
Und dann gibt Steffny noch zwei einfache Formeln an, mit deren Hilfe man seine mögliche 100 km Zeit abschätzen kann:
Formel 1: einfach Marathon-Bestzeit mal drei, oder
Formel 2: Beim 100-km-Lauf läuft man mit der halben Geschwindigkeit des 100-Meter-Laufs
Bei mir stimmt es erschreckend gut: 4:40 h x 3 = 14:00 h - meine 100 km Zeit war 13:50 h.
Dann gibt es noch die Regel -nicht von Steffny- für die 100 meilen = 160 km: 100-Meilen-Zeit = 100 km Zeit x 2 = Marathonzeit x 6.
Auch das passt bei mir erschreckend gut: 4:40 h x 6 = 28:00 h - die gelaufene Zeit war 27:40 h.
Fazit für mich: Es passt alles - ich bin nur ein Durchschnittsläufer, auch im Ultrabereich - und alles ist gut..
Fazit für euch: Biel ruft?
Mein Tipp für denjenigen, der sich nicht direkt an eine lange Distanzstrecke heranwagt: Es gibt auch sehr nette 12h/24h-Läufe, bei denen man auf einer Rundstrecke nach belieben seine Kreise ziehen kann, mit dem Vorteil, dass man bei jeder Runde am Verpflegungsstand vorbei kommt und dass man zu jedem Zeitpunkt Pause machen bzw. aufhören kann, ohne sich Sorgen um den rücktransport machen zu müssen. Weiterer Vorteil, man trifft alle Teilnehmer immer wieder und kann sich mit allen mal in Ruhe unterhalten.
Vom Gesamterlebnis sind jedoch richtige Distanzläufe durch die Natur natürlich viel beeindruckender - da kann man unmittelbar erleben, wie weit man gelaufen ist.
2022: erledigt: G1-Grüngürtel, Kölnpfad 100k, Burginsellauf Delmenhorst 24h Staffel(!), Mega Marsch Köln (63k) ... geplant: nix