16. August 2004 – es ist Nachmittags und der Wagen schaukelt mich von der Arbeit nach Hause. Weit ist es nicht, 12 Kilometer Landstraße, aber immer Zeit genug zum Abschalten, den Gedanken freien Lauf zu lassen... und in diesem Moment passiert etwas in mir, was mein Leben grundlegend verändern wird. Ich beschließe, meinen fast 100 Kg den Kampf anzusagen, der Lethargie des Feierabends mit Rotwein und fettem Essen zu entkommen – ich will so sein, wie ich eigentlich bin – und ich hasse diese weiten Blusen und Tshirts in XXL...
Ich ziehe mir eine alte weite Jogginghose an, nehme mir meinen Hund, der aufgeregt vor mir herspringt und.... beginne zu laufen.
16. August - gleiche Zeit – 5 Jahre später: Ich laufe immer noch. Über einen blauen Teppich, vorbei an einem Spalier von hunderten Zuschauern, an einer Tribüne und sehe es vor mir – Das Zieltor mit dem roten M und dem Punkt darüber. Das schenke ich mir heute zum Jubliläum – Den Ironman 70.3 Germany – 1,9 km Schwimmen, 90 Km Radfahren und 21 km Laufen liegen hinter mir, als ich die Arme hebe und kurz unter dem Zieltor stehen bleibe. Ich bin glücklich!
Im Shuttlebus, der uns von der Innenstadt Wiesbadens zum Schiersteiner Hafen schaukelt, herrscht angespannte Ruhe. Wenn überhaupt, dann nur kurze Gespräche, jeder ist mit sich selbst beschäftigt, diese Atmosphäre liegt mir, ich brauche niemanden vorher, davon abgesehen wäre ich sowieso nicht zu ertragen. Ich ziehe die Faltgarage von meinem Rad, besorge mir eine Pumpe, bestücke mein Rad mit der Verpflegung für unterwegs, richte meinen Wechselplatz ein, Sonnencreme auftragen, es ist jetzt um 7 Uhr bereits warm und der Himmel ist azurblau. Bis wir in den Vorstartbereich dürfen, ist noch etwas Zeit, ich laufe die Wechselzone ab und sehe... nichts. Mir ist schlecht, ich bin hochkonzentriert – so brauche ich das. Langsam ziehe ich meinen Neo an und gehe Richtung Wasser, ein bischen belangloses Plaudern mit anderen Frauen, wir starten heute alle gemeinsam in einem Startblock
Man warnt mich, dass es dort schlimmer zugehen soll, als im Piranhabecken – deshalb stelle ich mich ganz rechts nach Außen, auf Prügelei habe ich heute keine Lust – zu sehr hängt mir noch der Hieb vom Kraichgau im Kopf.
Als der Startschuß endlich fällt, fällt auch alle Anspannung von mir – das Rennen hat begonnen, für die nächsten Stunden darf ich meinen Körper spüren und ihm alles abverlangen.
Es ist meine zweite Mitteldistanz nach Kraichgau. Kraichgau war schon genial, ein bischen zu wenig Flüssigkeitszufuhr auf der Radstrecke sorgte für Probleme beim Laufen – man lernt ja dazu, das sollte mir heute nicht passieren. Aber Kraichgau hat nur 1100 Höhenmeter auf der Radstrecke – Wiesbaden 400 mehr. Ich rechne mit einer Zeit um die 6:30 – wenn alles gut läuft.
Beim Schwimmen finde ich sofort meinen Rhythmus, fühl mich wohl. An der Wendeboje wage ich einen Blick auf die Uhr: 20:xx – Mist, das ist zu langsam! Ich nehme Tempo auf, jedenfalls glaube ich das... Am Ende steige ich aus dem Wasser und sehe eine 44:xx ... Das verstehe ich eigentlich nicht, das passt nicht zu meinem Gefühl – aber egal, es ist eine Mitteldistanz und genügend Zeit, den Schmach zu beseitigen. Beim Wasserausstieg treffe ich meinen Schwager, der zufällig in der Stadt ist und zum Zuschauen kam. Welch eine Freude, ich bleibe kurz stehen und klatsche ab – soviel Zeit muß sein.
In T1 sucht man Helfer vergebens, aus dem Neo muß ich allein. Wieder habe ich Probleme, an dem Chip vorbeizukommen, nach 3:44 min sitze ich auf dem Rad – YEH! Es ist immer wieder ein tolles Gefühl, nach der ersten Disziplin dann in die zweite zu gehen.
Ich beginne sofort mit der Verpflegung und will das Gel mit Wasser aus der Aeroflasche nachspühlen – doch Shit, ich habe irgendwie meinen Trinkschlauch verloren :o( Ich fluche vor mich hin, was soll ich jetzt mit der blöden Aeroflasche da dran, nur unnötiges Gewicht, wie krieg ich das Wasser jetzt da raus, sind ja immerhin 750 unnötige Gramm. Irgendwann finde ich mich damit ab, bediene mich an der einzigen Flasche hinterm Sattel und überlege, wie ich das Wasser da raus bekomme, ob ich es mit dem Schwamm aufsauge, der zur Abdeckung da drin steckt... dabei bemerke ich, dass nur der Schlauch fehlt, wohl aber das Röhrchen noch drin ist. Etwas kompliziert, aber ich kann damit trinken. An der ersten Bodenwelle schlage ich mir zwar die Lippe leicht an dem harten Plastikröhrchen auf – aber das war nebensächlich.
Es rollt. Auf den ersten flachen 10 Km trete ich ordentlich rein und überhole und überhole... dann geht es nach Hausen hoch. 300 Höhenmeter auf 4 Kilometern gibt’s hier gutzumachen. Ich fahre komplett im Wiegetritt hinauf und bin immer noch ständig am Überholen. Der Abfahrt, die dann folgt, folgt auch der erste „Tria`s Hight“ oder so... 67 km zeigt mein Tacho – es ist einfach geil. Die Radstrecke ist ein ständiges Auf und Ab, das aber immer gleich heftig. An manchen Bergen brodelt die Stimmung, Tourfeeling, man fährt durch enge Menschenspaliere, der Wahnsinn ist das – Gänsehaut gibt’s gratis, obwohl ich bereits gegen 10 Uhr die Hitze an den Anstiegen deutlich zu spüren bekomme. Und so wie das Auf und Ab der Berge geht’s auch mit den Gefühlen, man ist ja allein mit sich selbst in all den Stunden. Doch ich fühle mich stark heute, mal tut das etwas mehr weh, mal ist das einfach nur gigantisch. Wage Hochrechnungen an bestimmten Abschnitten wie km 30/60 usw. verwerfe ich schnell, da das Profil kein gleichmäßiges Tempo zulässt. Erst als die „Platte“ geschafft ist, erst da kann ich meine Zeit einschätzen – und gar nicht begreifen... Nach 3:12 bekomm ich mein Rad abgenommen, Helfer reichen mir meinen Laufbeutel und hier ist es perfekt, es dauert keine Minute und ich bin aus dem Wechselzelt. Aber ich habe ja dieses Mal genug getrunken und das muß raus, das hilft nichts. So bin ich dann nach 2:10 min auf der Laufstrecke, die Stimmung ist gigantisch, mir geht es super, nach den ersten 5 km sagt mir der Blick auf die Uhr, das ich bekloppt zu schnell bin und ich bremse mich etwas aus. An den Verpflegungsstellen gibt’s einen Becher Eis hinten ins Trikot hinein, einen Becher Wasser in den Bauch, ein Gel in die Tasche für den nächsten Verpflegungspunkt, noch einen Becher Wasser über den Kopf, zwei Schwämme in jede Hand (die dann auch auf dem Kopf landen). Diese Zeremonie halte ich durch bis zum Schluß. Es ist wahnsinnig heiß, aber ich komme gut klar, habe ich doch viel in der Hitze trainiert. Ich treffe einige Foris, die an der Strecke stehen und uns anfeuern, sammle meine Rundenbändchen ein, überhole ständig und fühle mich einfach grandios. Ich weiß, dass mir hier nichts mehr passieren kann, das es eine Wahnsinns-Zeit werden wird, egal, wie der Lauf jetzt ausgeht. In der 3. Runde ruft mich jemand mit meinem Namen, das passiert ja öfter, da die Namen auf der Startnummer stehen. Dieses Rufen aber war anders. Es folgt ein „Gratwanderung“... ich drehe mich um, als ich eigentlich schon vorbei bin.... „wer bist Du?“ „Ich bin Dieter“ – Das hat mich sehr gefreut. Ein letztes Mal auf die Runde, ein letztes Mal den Kurpark hoch, ein Dank an die Helfer, die mit ungeheuerer Energie die Athleten betreuen – heute komm ich nicht mehr vorbei, aber irgendwann bestimmt noch einmal... Bändchen Nummer 4 einsammeln, da spüre ich es plötzlich, so ein ungutes Gefühl zunächst in der rechten, später in der linken Wade. So ein Mist, es läuft doch so gut, es läuft auf eine HM-Zeit von unter 1:45 hinaus – was soll das jetzt, ich könnte heulen. Ich fühl mich doch fit, bitte nicht! Es nützt nichts, ich muß passen, wenn ich ins Ziel laufen will, muß ich Tempo rausnehmen. Das reicht nicht und auf den letzen 2 Kilometern muß ich 3 x kurz anhalten und dehnen. Mist! So versuche ich das Unschöne mit dem Angenehmen zu verbinden und bleibe bei Dieter stehen, dehne und kann wenigstens kurz mit ihm plaudern, denn wir kannten uns ja bisher auch nur über Blog und Mail. Die letzen Meter auf der Finish-Line sind der Hammer... sind der Wahnsinn! Viel zu früh steht das Zieltor dort, ich bleibe unter dem Mdot stehen, reiße die Arme hoch – ein Wahnsinn – eine WahnsinnsZeit von 5:50, die ich mir im Traum nicht hätte vorstellen können.
Ich gehe in den Athletik Garden, setze mich auf den Rand einer Absperrung und jetzt, erst jetzt sehe ich die Bilder jenes Tages im August vor genau 5 Jahren vor mir. Ich schiebe mir mein Visor tief ins Gesicht und lasse meinen Tränen freien Lauf! Ein Mann kommt an, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Heh, sei nicht traurig, Du hast das Ding hier gefinisht...“
Ob der sich wohl vorstellen konnte, wie glücklich ich war?
Kathrin
Bilder (auch zur gestrigen Dopingkontrolle) in meinem Blog! Danke für`s Lesen
Ironman 1/2 - manchmal gibt es so Tage...
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Entscheide Dich. Und wenn Du Dich entschieden hast,
vernichte die Alternativen.