Banner

Auf der Weinstraße vertrocknet

Auf der Weinstraße vertrocknet

1
15 Uhr, 22 Grad (gefühlt über 25!), strahlender Sonnenschein. Ich stehe am Start des einzigen Halbmarathons, den ich in diesem Jahr laufen werde – der Route du Vin Semi-Marathon in Remich in Luxemburg. Durch die Bitcup-Serie lief ich so viele Zehner wie noch nie, doch für einen HM war da einfach kein Platz mehr. Drei Wochen vor dem Marathon in Echternach paßt ein ambitionierter Wettkampf über die halbe Distanz hervorragend in die Vorbereitung. Lief ich letztes Jahr hier bewußt mit leicht angezogener Handbremse (zwei Wochen vor dem Marathon), so will ich es dieses Jahr wissen. Schlechter als die 1:41:39 aus dem Vorjahr wäre eine Enttäuschung, eine 1:39er-Zeit ein realistischer Traum.

Remich entwickelt sich auch immer mehr zu einem guten Ort, um virtuelle Bekannte real zu treffen. Letztes Jahr traf ich hier Achim (Berschee) und Christian (Crescht), in diesem Jahr sehe ich hier Anne (Kobold) und Peter (Foxi). Die beiden nahm ich auch ab dem Konzer Hauptbahnhof mit, denn die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist durch die Sperrung der Grenzbrücke fast unmöglich. Selbst mit dem Auto gestaltet sich der Weg zu einem Abenteuertrip durch die luxemburgischen Weinberge, die Alternative wäre ein Umweg von fast 40 Kilometern über Schengen. Beim Sportzentrum herrscht dann großes Verkehrschaos. Meine beiden Begleiter, die noch die Startnummer holen müssen, lasse ich aussteigen, während ich weit entfernt das Auto parke. Wir finden uns wieder, gehen gemeinsam den halben Kilometer bergab zum Startbereich und lassen das bunte Treiben auf uns einwirken. Noch eine Aufwärmrunde mit anschließender Besichtigung der Dixies, dann ist es Zeit sich im Startbereich einzureihen. Ich trenne mich von meinen beiden Begleitern und stelle mich beim Schild für die Zielzeit 1:30 auf. Die Erfahrungen aus dem Vorjahr lassen mich vermuten, daß hier die Läufer mit Zielzeit 1:40 stehen.

Dann zählt der Sprecher die letzten Sekunden rückwärts und es geht los. Nach rund einer halben Minute überquere ich die Zeitmeßmatte. Auf dem ersten halben Kilometer herrscht noch Gedränge, doch dann ermöglicht die breite Nationalstraße, auf der wir die nächsten 21 Kilometer laufen werden, freies Laufen. Meine Aufstellung war goldrichtig – ich werde kaum überholt und muß auch nur wenige Läufer überholen. Schnell habe ich meine Bezugspersonen gefunden. Besonders auffällig ein Läufer in einem Trikot mit „de roude Leiw“, dem luxemburgischen Wappentier. Er läuft genau meine Wunschgeschwindigkeit. Auch ein kahlköpfiger Läufer, mit Ohrstöpseln aber ohne Kappe (mutig!) ist ständig in meiner Nähe. Kurz vor Kilometer 5 die erste Verpflegungsstation. Die Wasserflasche nehme ich in vollem Lauf, zwei Schluck für den Durst, der Rest zur Kühlung auf Kappe und Trikot. Die ersten 5 Kilometer wie ein Uhrwerk:
4:35 – 4:36 – 4:37 – 4:37 – 4:38

Die Verpflegungsstation wirbelte das Feld etwas durcheinander. Der Kahlköpfige ist noch bei mir, ein Läufer im Trikot der Dexia, vorher noch etwas voraus, ersetzt den roude Leiw. Als Schmankerl läuft vor mir noch eine Kespelter Gazelle, die Läuferinnen dieses Vereins sind immer ein willkommener Anblick. In der Straßenmitte trennen jetzt Pylonen die Strecke. Bald können die führenden Läufer kommen. Über uns kreist ein Hubschrauber. Doch noch dauert es. Hettermillen ist erreicht, zahlreiche Zuschauer trommeln uns einen und machen die La-Ola für uns – großartig! Dann: erst ein Motorrad, dann ein Auto, wieder Motorräder. Der führende Afrikaner kommt uns entgegen. Direkt dahinter der Kenia-Express. Unglaublich, der Laufstil der Farbigen. Fast 5 Kilometer Vorsprung haben die auf mich. Noch ist der Lauf für mich ein Selbstläufer, auch wenn mich mittlerweile die Sonne nervt. Wann kommt endlich die nächste Wasserstelle? Kurz vor Kilometer 9 ist es soweit. Kurz werde ich langsamer, damit ich mehr Wasser in den Mund bekomme. In Ehnen stehen wieder Zuschauer, eine Gartenschlauchdusche ist aufgebaut, die lasse ich aus. Bei Kilometer 10 liegt eine Zeitmeßmatte:
4:39 – 4:41 – 4:40 – 4:42 – 4:40, offizielle Zwischenzeit 46:13

Der Pulk der entgegenkommenden Läufer wird dichter, Zuschauer stehen dicht an der Strecke, der Wendepunkt kommt in Sicht. Scharfe Spitzkehre – die Hälfte ist geschafft! Wo sind meine beiden Begleiter? Mein Blick gleitet über das Feld. Doch zunächst genieße ich noch den Applaus der Zuschauer. Jetzt laufe ich auch durch die Schlauchduschen, die Sonne sticht gnadenlos. Durch Ehnen ist der Lauf noch ein Selbstläufer, auch wenn ich etwas langsamer werde. Die Welle in Hettermillen treibt mich noch einmal vorwärts. Endlich sehe ich Anne und Peter, sie laufen zusammen. Ein schönes Bild. An der Wasserstelle bei Kilometer 12 gehe ich einen Schritt. Frisch hydriert nehme ich wieder Tempo auf und suche mir neue Bezugsläufer. Die folgenden Kilometer werden einfach schwer. Ich rechne: 5er-Schnitt könnte reichen – reicht es wirklich? Mein Kopf trocknet langsam aus, das Rechnen fällt schwer. Bei Kilometer 15 bin ich dann völlig ausgetrocknet
4:42 – 4:53 – 4:48 – 4:50 – 4:52

Ich sehne die nächste Oase herbei. Endlich – Kilometer 16 – Wasser! Gierig trinke ich einige Schluck, verschlucke mich dabei. Der Rest über den Kopf. Nach dem Wiederanlaufen ist der Rhythmus weg. Wie die anderen Läufer um mich herum laufe ich immer im Schatten, sobald sich eine schattige Stelle bietet. Stadtbremius – spornten mich die Trommler auf dem Hinweg noch an, so nerven sie mich jetzt. Sie vereiteln jeden Versuch, wieder in den Rhythmus zu kommen. Auch die Zuschauer nerven. Warum wird hier Viez verkauft? Denken die, ich habe Geld dabei? Wasser, ich brauche Wasser! Ich kämpfe gegen meinen Kreislauf. Ein mit Blaulicht entgegenkommender Krankenwagen bringt mich zur Vernunft. Tempo raus. Nur ein Gedanke hält mich aufrecht: da kommt noch ein Verpflegungspunkt. Wann kommt der denn endlich? Da! Ich wanke auf die Oase zu. Eine richtige Läuferoase: es gibt Cola, Iso und Wasser! Ein Becher Cola und eine Flasche Wasser nehme ich mir. Gehend trinke ich fast alles, meine Lebensgeister kommen wieder. Die verlorene Zeit ist mir so was von egal. Frisch gestärkt finde ich meinen Rhythmus wieder, es läuft wieder! Kurz hinter dem Ortsschild Remich steht das Schild für Kilometer 20
4:53 – 5:01 – 4:56 – 5:21 – 4:52

Ich blicke auf den Garmin: es könnte reichen – wenn, ja wenn ich Vollgas gebe. Kann ich das? Ich versuche es und ziehe an. Die Läufer um mich herum versuchen ähnliches, alle wissen, worum es geht. Wann kommt endlich die Brücke? Die Zuschauer werden zahlreicher, Kinderhände strecken sich uns entgegen – sorry, keine Zeit. Da, endlich die Brücke! Ich blicke auf die Zeit – noch gute 2 Minuten. Wie weit ist es noch? Start und Ziel stehen leicht versetzt. Da, ein Schild – was! – noch 300 Meter? – Mist! 1 Minute, ich ziehe durch, ich will es wissen. Dann die Zielmatte, ich stoppe den Garmin, wanke an den Ordnern vorbei, die zum weitergehen auffordern. Ernüchternd: 1:40:03, handgestopt. Ein Funken Hoffnung bleibt. Die letzten 1098 Meter in 4:30.

Der Verpflegungsbereich nach dem Zieleinlauf läßt keine Wünsche offen. Wasser, Iso, Früchte – alles was das Läuferherz begehrt wird geboten. Einziger Wermutstropfen: der Bereich ist nur für Läufer, Zuschauer dürfen nicht hinein, da ist die Remicher Gastronomie dagegen. Nachdem ich mich ausreichend hydriert habe gehe ich wieder in den Zieleinlaufbereich. Wann kommen meine beiden Begleiter? 2:10 wollten sie laufen. Immer wieder sind die Sirenen von Krankenwagen zu hören, ich beginne mir Sorgen zu machen. Dann, endlich, kommen sie, zwar etwas verspätet, doch wohlbehalten an. Ich bin froh, sie gesund zu sehen. Auch ihnen machten die heutigen Bedingungen zu schaffen.

Leider muß ich etwas drängeln, ich habe abends noch einen Termin – Tanzkurs :hihi: . Doch es bleibt noch Zeit für eine ausgiebige Besichtigung des Verpflegungsbereichs. Dann machen wir uns auf den Weg zum Sportzentrum, bergauf eine echte Herausforderung. Die Bedingungen in den Männerduschen sind von drangvoller Enge geprägt, doch es geht diszipliniert zu. Frisch umgezogen suchen wir dann das Auto. Noch einmal bergauf, dann sind wir froh zu sitzen. Für den Heimweg nehmen wir die Strecke über Schengen. Die Fahrt entwickelt sich zum zweiten Wettlauf gegen die Uhr. Eine Minute vor Abfahrt des Zuges erreichen wir den Konzer Bahnhof. Leider blieb so kaum mehr Zeit für eine Verabschiedung. Es war schön, euch (wieder) zu sehen :hallo: !
Daheim dann das offizielle Ergebnis: 21.098 m, 1:40:05 Std. – PB!

2
Vielen Dank für den spannenden Bericht.

PB unter diesen Bedingungen - ich ziehe den Hut! :daumen:
(Das nächste mal ziehst du bitte den Endspurt ein paar Meter eher an, OK?)

Viele Grüße,
3fach
Bild

Some say there's no magic formula. I say there is. It's just that the magic is different for everyone. Keith Dowling

3
Hi!

:respekt2:

Die paar Sekunden für die Sub-40 erledigst du beim nächsten Mal dann ganz locker.

Liebe Grüße

Wolfgang

4
Vielen Dank euch beiden :D !
3fach hat geschrieben:Das nächste mal ziehst du bitte den Endspurt ein paar Meter eher an, OK?
Wenn es denn geht, dann mache ich das gerne :wink: !
elcorredor hat geschrieben: Die paar Sekunden für die Sub-40 erledigst du beim nächsten Mal dann ganz locker.
Das kannste aber glauben - die 6 Sekunden lasse ich nicht auf mir sitzen :zwinker2: !

Gruß
Ralph

5
Bei der Überschrift fällt mir nur ein: Selbst dran schuld!
Auf der Weinstraße muß man doch keinen schnellen Wettkampf laufen.
Aber scheinbar gab es ja auch keinen Wein an den Verpflegungsständen ;-)
Neue Laufabenteuer im Blog

6
19joerg61 hat geschrieben:Bei der Überschrift fällt mir nur ein: Selbst dran schuld!
Auf der Weinstraße muß man doch keinen schnellen Wettkampf laufen.
Aber scheinbar gab es ja auch keinen Wein an den Verpflegungsständen ;-)
Ne Jörg - Wein habe ich keinen gesehen, aber dafür hätte ich Viez kaufen können :hihi: !

Die Strecke ist übrigens die schnellste HM-Strecke, die ich hier in der Region kenne - also bei optimalen Bedingungen ist da viel drin. Der Sieger lief übrigens eine 1:00:35 :geil:

Gruß
Ralph
Gesperrt

Zurück zu „Foren-Archiv“