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Das Beste zum Schluss - Silvesterlauf in Frankfurt

Das Beste zum Schluss - Silvesterlauf in Frankfurt

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Zum Geburtstag gratulieren, wenn noch gar nicht Geburtstag ist, bringt Unglück. Aber wie ist das mit Silvesterlaufen, wenn noch gar nicht Silvester ist? „Das ist prima“, sagt sich der Spiridon Frankfurt, einer der größten Laufvereine Deutschlands, „wir sind eben unserer Zeit voraus“. Der Frankfurter Silvesterlauf findet folgerichtig ein paar Tage vor Silvester statt. Am Sonntag davor, um genau zu sein. Kaum sind also die Weihnachtsknödel halbwegs verdaut, strebt man schon wieder Bestzeiten zu. „Falsch“, sagt da der Spiridon Frankfurt, „beim Silvesterlauf geht’s ums Auslaufen.“ Ich laufe am 27.12. also aus, was ja durchaus passt. Schließlich gibt es etliche Nichtläufer, die denken, Menschen, die bei -2 Grad im Laufschritt über teilweise vereiste Wege hasten, können nur nicht ganz dicht sein.

Der Frankfurter Silvesterlauf startet an der Commerzbank Arena, die von den Altvorderen hartnäckig Waldstadion genannt wird. Die Anmeldung und das Ganze drumherum finden in der Wintersporthalle statt. Hier kann man sich einen Laufkalender für das nächste Jahr grabschen, nach bekannten Gesichtern Ausschau halten und heimlich schon mal das Kuchenangebot checken.

Zunächst sind die Kinder dran. Aus dem Lautsprecher tönen unüberhörbar die Warnungen vor den glatten Stellen auf der Strecke. Wir tappeln vor uns hin (vor dem Auslaufen muss man sich erst mal einlaufen) und testen die rutschigen Partien. Ich sehe schon. Das wird ein Lauf mit einer einfallslosen Ausrede, falls man langsam war. Alle werden sich hinterher auf die rutschigen Schneeflecken berufen. Ich natürlich auch. Aber ich bin ohnehin sehr gelassen. Vor zwei Tagen hab ich noch eine große Weihnachtsrunde gedreht und 10km-Läufe sind eh nicht so meins – zu kurz und schnell.

1800 Läufer werden per Blockstart etwas entzerrt. Das macht der Spiridon Frankfurt schon seit Jahren so und das macht er gut. So können die Eliteläufer unter sich bleiben und die anderen rennen sich nicht so sehr in die Hacken (was bestimmt auch schlechtes Karma für das kommende Jahr bringen würde). Mein Trainingspartner blockstartet vor mir, aber der hat ja auch Ehrgeiz. Ich hab dagegen Weihnachtsferien. Im Block treffe ich Jörg, der vor sich hin tiefstapelt. Muskuläre Probleme und so. Voller Faszination fällt unser Blick auf einen Herrn mit Baumwollbuchse und Sweatshirt. An den Füßen trägt er Schuhe, die nur noch im weitesten Sinne als solche erkennbar sind. Das Gewebe an den Seiten ist aufgerissen, so dass seine grauen Frotteesocken sichtbar werden. Die Zehenkappe hängt in Fransen. Die Sohle sieht aus, als wäre sie bestenfalls einen halben Zentimeter dick. Hier haben wir Sneakers der Kategorie „Never change a winning shoe.“. Doll. Dabei würde es mich nicht wundern, wenn er am Arm einen neuen Garmin tragen würde. Läufer können so beknackt sein. Ich selbst würde mich ohne meine liebsten Brooks Trailschuhe nie auf die Strecke trauen.

Wir rennen los. Schon nach wenigen 100 Metern setzt sich Jörg von mir ab und nimmt seine muskulären Probleme mit. Zum Glück. Ich mag sie nicht haben. Trotz Blockstart ist es ein wenig eng. Das liegt auch daran, dass alle die schnee- und eisfreien Pfade bevorzugen und man zum Überholen zwangsläufig ins Unwegsame muss. Witsch – aua. Ausrutschen gehört hier zum Geschäft. Bei Temperaturen um null Grad bietet die Kleiderfrage immer besonders viel Unterhaltung auf der Strecke. Es gibt nämlich alles: bloße Beine und T-Shirt (sogar in meiner Zeitkategorie!) und ein Outfit, dass eher an arktische Wissenschaftler erinnert. Vor mir läuft jetzt ein Herr mit Skijacke, die so dick ist, dass er die Arme kaum am Körper führen kann. Oder ist er selbst so mollig? Ich widerstehe der Versuchung, die Dicke seiner Jacke durch Kneifen nachzuprüfen. Weiter geht’s. Bei laufreport.de wird später zu lesen sein, die Strecke sei wellig, aber die Wellen sind keine Tsunamis. Die Strecke ist einigermaßen flach, von einem Hügel bei km 7 einmal abgesehen. Man kann das einfach so durchtrotteln. Hinter mir wird das Weihnachtsmenü noch einmal rekapituliert und die Angesprochene kommentiert es anerkennend. Typisch Silvesterlauf.

Zwei Kilometer vor dem Ziel raffen sich merklich viele zu einer kleinen Tempoverschärfung auf. Das letzte Aufbäumen von Ehrgeiz in diesem Jahr. Da mach ich doch mit! Ich fühle mich noch frisch (das ist der entscheidende Vorteil von 10ern) und ziehe etwas an. Jetzt wäre ein Fotograf gut. Denn immer, wenn ich bisher bei einem vorbei kam, ließ der kurz vor mir die Kamera sinken. Gut, auch ein Fotograf braucht mal eine kurze Verschnaufpause – aber doch nicht, wenn ich komme! Ich laufe an ihn hin, setze mein schönstes Lächeln auf, zupple mir die Startnummer zurecht und dann – nichts. Kein Foto. Mir geht das dauernd so. Oder es setzt sich in der letzten Sekunde ein 2,50 Meter großer Flugsaurier vor mich. Oder dem Fotografen fliegt etwas ins Auge. Irgendwas ist immer. Und selbst wenn! Wenn es dann mal ein Foto von mir gibt! Reden wir nicht drüber.

Ich muss also unfotografiert zum Endspurt ansetzen. Eine Dreiergruppe hat mich überholt und zieht los. Ich schaue auf die Uhr. Wenn ich jetzt noch etwas zulegen kann, komme ich noch unter 53 Minuten rein. Pah, das ist doch für mich keine Zeit! Also los geht’s. Die Dreiergruppe kann sich schon mal warm anziehen. Obwohl – dazu kommt sie nicht mehr, so schnell, wie ich vorbei fege. Jetzt nur nicht mehr auf die Nase fallen, das gibt Abzüge in der B-Note. Und um die geht es hier schließlich. Auch ohne Fotograf. Den letzten Kilometer erledige ich in unter 5 Minuten. 52:56. Das bringt mir den 111. Frauenplatz von 506, den 28. AK Platz von 111. Bei einem Silvesterlauf muss man nicht viel tun, um noch halbwegs gut auszusehen. Im Ziel gibt es heißen Tee, der mit Besenstilen in blauen Plastikfässern angerührt wird. Und er ist köstlich.

Der Streuselkuchen aus der Hand einer sehr fröhlich lachenden Dame ist ebenfalls ausgezeichnet. Leider hat sich die Kaffeemaschine aus dem Dienst verabschiedet, bevor sie mir etwas brühen konnte. Und ebenfalls leider lässt die Anlage den kämpfenden Spiridon Chef Thomas Rautenberg bei der Siegerehrung im Stich – sie fiept, als wollte sie allen Läufern zum neuen Jahr einen Tinnitus kredenzen. Die Läufer nehmen es gelassen - wie Läufer überhaupt nach dem Laufen das meiste gelassen nehmen. Schließlich warten in vielen kleinen Gruppen schon der mitgebrachte Sekt oder Glühwein, mit dem es sich auf das neue Jahr anstoßen lässt. Am Nachmittag des 27.12. In Frankfurt ist man eben seiner Zeit voraus.


(Jetzt hab ich mich doch noch aufgerafft, den Bericht hier reinzusetzen. Bin gerade schön faul :D Bilder wie immer auf meiner Seite.)
Berichte, Geschichten und Streuselkuchen: www.laufen-mit-frauschmitt.de
Laufen mit Verantwortung:
laeufer-pro-umwelt.de
Zum Hören: der Schmittcast
Frauschmitt bei bei Facebook

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Hoffentlich war das jetzt nicht schon das Beste zum Anfang: Ein Jahr, das mit einem Frauschmitt-Bericht am Neujahrstag beginnt, geht auf jeden Fall schon mal sensationell los.

Vielen Dank wie immer für Deinen Bericht! :daumen:
Renn', als wenn Du geklaut hättest !!

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Hehe, bin exat die gleiche Zeit gelaufen wie du :) .
Netter Bericht !

Hast aber vergessen zu erwähnen wie viele sich in die Falschen Startblöcke gestellt hatten, und um so nerviger es auf den engen Wegen war diese zu überholen :D .
Ist ja fast immer so, nur bei den Wegen hatte es mich selber sehr genervt und fiel mehr auf als sonst.

Weiss nicht ob ich dort noch mal mitlaufen werde. Mir liegen eher längere Strecken.

Alex

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Hallo Frauschmitt,

leider haben wir uns nicht gesehen. Ich hatte noch einen Termin und saß um 12:50 bereits wieder im Auto. :frown:
Ich hätte dir gerne vom Riwwelkuchelauf in Groß-Bieberau erzählt. :blah:

Viele Grüße

Gregor

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Hallo frauschmitt,

Danke für den wieder einmal lesenswerten Bericht vom Silvesterlauf. Dabei war ich erfreut zu erfahren, dass Dir die skurielen Typen nicht nur in der tieften hessischen Provinz, sondern auch in Frankfurt über den Weg laufen.
frauschmitt2004 hat geschrieben: ... Voller Faszination fällt unser Blick auf einen Herrn mit Baumwollbuchse und Sweatshirt. An den Füßen trägt er Schuhe, die nur noch im weitesten Sinne als solche erkennbar sind...

Ich bin zwar nicht in Frankfurt, sondern am 31.12.2009 im Schneegestöber und auf Schnee bei -2°C :teufel: beim OTB-Silvesterlauf in Osnabrück gestartet, ich kann jedoch - bezogen auf die Umstände - Deine Feststellung
frauschmitt2004 hat geschrieben: Läufer können so beknackt sein.
voll und ganz bestätigen. :daumen: Aber das muss wohl auch so sein, denn schließlich reicht es ja, wenn die anderen "normal" sind! :hihi:

Alles Gute im neuen Jahr 2010, in dem ich mich jetzt schon auf Deine Laufberichte der besonderen Art freue!
Tschüss, sportliche Grüße aus dem Bergischen Land

Eckhard :winken:

"Radsport ist Mannschaftssport, 60 km/h und 30 cm Abstand zum Vordermann" (Robert Bartko)

Auch 2014 und danach wird weitergelaufen! :zwinker2:

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Toll, wie man über (sportlich, touristisch und was weiß ich noch) völlig belanglose Läufe für tolle Berichte schreiben kann.

Ich wünsche dir (schon aus berichtleserischen Eigennutz) ein gutes Jahr

Jörg
Neue Laufabenteuer im Blog

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Hallo FrauSchmitt,

du hättest meinen erfreut-überraschten Blick sehen sollen, als ich gesehen habe, dass es da ein neuer Laufbericht von dir gibt. Eigentlich wollte ich gerade aufstehen und mir ein Käffchen holen ... hat Zeit, lesen ist wichtiger ... und es hat sich gelohnt ! War wieder ein amüsanter und interessanter Bericht von dir. Freu' mich schon auf weitere Berichte !!!

Viele Grüße
Andrea

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frauschmitt2004 hat geschrieben: Wir tappeln vor uns hin (vor dem Auslaufen muss man sich erst mal einlaufen) und testen die rutschigen Partien. Ich sehe schon. Das wird ein Lauf mit einer einfallslosen Ausrede, falls man langsam war. Alle werden sich hinterher auf die rutschigen Schneeflecken berufen. Ich natürlich auch.
Erwischt :D
frauschmitt2004 hat geschrieben: Bei laufreport.de wird später zu lesen sein, die Strecke sei wellig, aber die Wellen sind keine Tsunamis. Die Strecke ist einigermaßen flach, von einem Hügel bei km 7 einmal abgesehen.
Und gleich noch mal erwischt! Das war Ausrede Nr. 2 und ich fühlte mich durch laufreport.de sehr bestätigt.

Danke für den schönen Bericht!

Liebe Grüße
Bohne
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Hallo Frauschmitt, ich danke dir für diesen tollen Bericht. Ich finde es toll, was du immer wieder mit Sprache veranstaltest! Sehr eloquent! :D :daumen:
Danke für den kurzweiligen Lesegenuss
nachtzeche
"Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden!" (Die Bibel, Jesaja 40,31)

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Hi frauschmitt,

hab auch endlich mal wieder Zeit, hier zu schmökern und dann gleich mal wieder ein Bericht von Dir. Hat mir mal wieder sehr gut gefallen, danke :)

Bin auch mitgelaufen und musste mich auch über die unterschiedlichsten Bekleidungen amüsieren. Ist nie so krass wie beim Silvesterlauf.

Ich wünsche allen Läufern ein schönes und vor allem verletzungsfreies neues Jahr.
Ich bin zwar am Woe richtig fett umgeknickt und hab grad mal wieder Laufpause, hoffe aber, das geht dieses Jahr mal nicht so weiter...

LG,
bibee
Gesperrt

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