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Melancholie im Wald, Solitudelauf 2010

Melancholie im Wald, Solitudelauf 2010

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Sonntags um 7 ist die Welt noch in Ordnung. Von wegen. Mein Ruhepuls verlässt sein Wohlfühltempo kurz vor der eingestellten Weckzeit. Das Umschalten vom Standby-Modus auf Power führt fast zu einen System-Fehler. Aber Unpäßlichkeit gilt nicht, ich bin vorangemeldet zum heutigen Halbmarathon. Also raus aus dem wohligwarmen Bett, denn in der Küche wartet ein übiges Frühstücksbüffet, bestehend aus einem hauchdünn bestrichenen Honigtoast und einer angegammelten halben Banane. Beides im Stehen verdrückt, verschwindet in Windeseile in meinem Kohlehydratspeicher. Dann meine 7 Sachen zusammengerafft und los geht’s nach Gerlingen.

Das Wetter ist noch ausbaufähig, graue Wolken, mein Frostwarner im Auto zeigt 4° C. Brr. Sonst läuft alles bestens bisher. Einer der letzten Parkplätze in der Rathaus Tiefgarage ist meiner. Obwohl es noch fast 1,5 Stunden sind bis zum Startschuss wuselt es schon auf den Strassen der Innenstadt. Läufer in allen Formen und Farben.

In einem braunen Briefkuvert gibt’s die Startnummer, den Chip und ein knisterndes durchsichtiges Mülltütle als Kleidersack. Und die Sicherheitsnadeln bitte selber nehmen. Da heißt es als echter Schwabe zugreifen; kannsch ja fürs dahoim immer braucha. Nach der Fummelei bei der Befestigung der Startnummer und der abschließenden Endkontrolle des Outfits (passt, wackelt und hat Luft) samt Equipment (sitzt der reingewurstelte Chip am Schuh richtig?) bleibt noch etwas Zeit sich in der Halle die auf Arbeit wartenden Läuferwaden zu vertreten. Der Hallensprecher mahnt nicht den letzten Bus zum Startplatz auf der Schillerhöhe abzuwarten, da dieser wegen Überfüllung sonst evtl. nicht mehr alle mitnehmen kann und es bis zum Start zwar nur 2 Kilometer aber gut 150 Höhenmeter sind.

Da ich nicht weiß ob diese Panikmache ernst genommen werden muss und auf keinen Fall nochmals auf einen Wettbewerb mit verpenntem Start scharf bin verlasse ich halt schon um kurz nach 9.00 Uhr die warme Halle um an der Bushaltestelle mit bestimmt Hundert gleich Denkenden frierend auf einen Bus zu warten. Ja wie hieß es mal so schön bei DÖF: „I steh in der Költ’n und woat auf an Taxi oba es kummt net, kummt net, kummt net, I woat auf des Brummen von am Mercedes Diesel oba es brummt net, brummt net, brummt net“. Schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit (in Echtzeit waren es aber nur ca. 5 min.) biegt „Einer für alle“ ums Eck. Kaum das alles in Richtung des ersehnten wärmenden Busses drängt und schiebt kommt Nachschub angebraust. Tja, manchmal werden die Zögerlichen auch belohnt und so komme ich sogar noch zu einem Sitzplatz. Da will man oben gar nicht mehr aussteigen als uns der Bus mitten im kalten dunklen Wald abwirft. Hilfe was mache ich hier eigentlich, zu dieser unchristlichen Zeit an einem so unwirtlichen Ort. Vielleicht hilft es an irgendwas schönes zu denken. Mal schauen ob meine Sinne wenigstens optisch durch etwas gereizt werden können, sündige Gedanken nicht ausgeschlossen. :zwinker5:

Etwas missmutig stapfe ich trotzdem denn anderen zum Startplatz hinterher. Was ist das hier heute für ein trister Ort vor den Toren Stuttgarts. Mitten im Wald steht eine monströse Lungenheilanstalt, die an diesem Morgen im fahlen Licht richtig gespenstisch aussieht. Nun heißt es dicke Jacke bis kurz zuvor anbehalten um der Kälte zu trotzen. Sicher man könnte sich auch Warmlaufen, wenn man(n) wollte, aber meine gebunkerten Kohlenhydrate sollen fürs wesentliche geschont werden. Da meine Faulheit siegt, muss ich mich halt durch positive Energien geistig warm halten. Ohm; Ich fühl mich gut, Ich bin stark, Ich lasse keine negativen Schwingungen an mich ran. Zudem trotzt eine Karnevalstruppe dem einsetzenden Nieselregen durch heiße Sambaklänge. Ich suche mir an einem Wartehäuschen ein trockenes Plätzen, entledige mich meiner langen Hose und der dicken Jacke. Kurz vor knapp reingestopft in das beschriebene Tütle, alles in den orangenen Kleinbus geworfen und langsam zum Start gelaufen, wo die besten Plätze natürlich schon weg sind.

Beim Marsch nach Hinten auf halber Strecke seitlich reingeschmuggelt, damit mein morgenlicher Elan nicht sofort wieder von gemütlich veranlagten Eventläufern und Plaudergrüppchen eingebremst wird. So stehe ich da nun in etwas bedeppertem Häß rum, zu einer kurzen Tight trage ich Langarmshirt, Mütze und Handschuhe. Ich geb‘s ja zu meine zweitempfindlichste Stelle bei Kälte sind halt meine Finger. Das tröge Rumstehen schlägt mehr und mehr aufs Gemüt.

Ein Startschuss reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Endlich jetzt gilts. Adieu Tristesse, Bonjour Stress. Tapp, Tapp, Tapp vor mir, neben mir, hinter mir. Ein einziges Knäuel. Jede Lücke nutzen, Stück für Stück vorarbeiten. Als wir in den Waldweg einbiegen hab ich mir ein Plätzchen ergattert um mein Anfangstempo zu finden. Und das ist recht hoch. Die erste Kilometermarke in knapp über 5 Minuten. Ob ich das durchhalte? Doch zunächst mal geht’s leicht bergab und dann in nach einen ersten kurzen Anstieg durch den Innenhof des Schlosses Solitude. Hier lauert der erste Fotograf. Jetzt entspannt aussehen, was wohl schwer wird. Hof-fentlich sehen meine Handschuhe auf den Bildern nicht zu sehr nach verweichlichter Memme aus. Obwohl, im Gegensatz zum Eiskunstlaufen gibt’s hier ja keine Note für künstlerischen Ausdruck. Also dann halt gefährlich dreingucken, vielleicht ein bisschen den „Emil Zatopek Blick“ aufsetzen.

Dann geht’s über die Brücke der Bundesstraße wieder in den Wald hinein auf einen schmalen, schnurgeraden Kiesweg zur Wegkreuzung „Großer Stern“ und weiter bergab bis zur Brücke über den Bärensee. Noch gelingt es mir mein hohes Anfangstempo zu halten. Eigentlich sollte dieser Lauf ja nur ein Test für meinen nächsten Marathonlauf sein, aber jetzt war mein Ehrgeiz auf eine persönliche Bestleistung erwacht. Bei Kilometer 10 das mit Sicherheitsnadel befestigte Gel gekrallt und beim aufreißen erst mal Hose und Shirt eingesaut. Man sieht das widerlich aus. Würg. Als ich den Glibber im Mund habe muss ich erkennen das der Getränkestand doch noch weiter weg ist als gedacht. Was tun, mit vollem Mund lässt sich schlecht Vollgas laufen. Also den Schlunz runtergewürgt und den Geschmacksnerv ausgeschaltet, bis endlich der gereichte Becher den Kleister verdünnt. Nur halb voll, das ist viel zu wenig, ein bäbbiger Nachgeschmack bleibt.

Aber schon bin ich wieder in meinem Tempo. Schwacher Trost, dass ich in 6 km nachspülen kann. Und jetzt naht auch noch der erste nennenswerte Aufstieg. Nur nicht soviel Geschwin-digkeit verlieren. Geschafft. Fortan macht mir aber ein „Nackenläufer“ schwer zu schaffen. Ich spüre fast seinen Atem im Genick und versuche anzuziehen, was mir aber nicht gelingt. Ob-wohl ich ihn nicht sehe werde ich so langsam grummelich. :sauer: Wie heißt es so schön im Henry Valentino Schlager „Im Wagen vor mir“: „Mensch fahr an meiner Ente doch vorbei, rata rata, ratatata“. Aber den Gefallen tut er mir nicht. Da hilft nur kurzeitig massiv Tempo raus und hoffen das er vorbeizieht. Na endlich, denn roten Buff :teufel: und das Großbottwartalkellerei-Shirt merk ich mir, vielleicht gibt es die Chance einer Revanche. Ausgerechnet Großbottwar, da kommen gleich wieder die Erinnerungen an mein chaotisches Marathondebüt hoch. :confused:

Mein Schatten macht sich aber dann von dannen, ich sehe ihn im Verlauf des weiteren Ren-nens nur noch von hinten, allerdings im gebührenden Abstand. Ich kann ihn also nicht gleich-falls ärgern. Bleibt mir halt Dieter Baumanns Losung vom Rennen in Niahuru: „You must only follow the others“. Jetzt schaue ich aber auf mein Tempo. Zudem kommen doch immer wieder Sonntagsjogger und Waldspaziergänger entgegen die nur widerwillig der Meute Platz ma-chen. Zum Glück wird keiner touchiert.

Nach einigen fiesen Steigungen geht’s wieder Richtung Solitude. An der zweiten Verpflegungs-station wird der herbeigelechzte Becher viel zu schnell geleert, da ich den bereitgestellten Ab-falleimer zur Entsorgung benutzen wollte, wie sich das für einen ordnungsliebenden Schwaben gehört. Die Quittung ist ein heftiger Hustenanfall mit vollem Mund. Prust, das laufgerechte Trinken sollte ich vielleicht doch noch etwas üben. So nun geht’s durch eine kleine Unterführung und dann in Schlangenlinien ins Tal.

Den Rotbebufften habe ich immer noch im Blickfeld, aber die Rechung bleibt offen, obwohl ich den Hahn voll aufreiße. Die Serpentinen des Waldweges sind tückisch, aber ich konzentriere mich auf gefährliche Stellen und halte ausreichende Abstände. Irgendwann bin ich unten. Jetzt geht’s in Richtung Stadt auf Asphalt. Es kommt noch ein widerlicher Anstieg bei Km 20. Reicht's noch für eine neue Superzeit um 1:40. Ich kämpfe. Mehrmals biege ich nun ab in kleinere Anliegersträßchen und endlich rechts rein in die Zielgerade. Es ist ein Zielschuss fast wie beim Abfahrtslauf. Ganz unten steht ein blaues Tor, das Objekt meiner Begierde. Ich spüre wie sich mir jemand von hinten annähert. Oh nein ich muss kontern. :motz: Aber es nützt nichts. Zirka 200 m vorm Ziel zieht er vorbei, ich gebe mein letztes, will den Angriff abwehren. Mit letzter Willenanstrengung, mit Blick auf die leuchtend rote Zeitanzeige, versuche ich dranzubleiben. Ich schaffe es nicht ganz. Genau 1 Sekunde später laufe ich über den roten Zauberteppich. Dann heißt es richtig scharf abbremsen in der kurzen Auslaufzone vorm Marktplatz. Mein Überholer klatscht mich kurz ab und bedankt sich. Da meine Pumpe noch rast, presse ich japsend nur ein kurzes: „Schon gut“, hervor „mir hat’s ja auch zu einer guten Zeit verhol-fen“. Mehr Worte gibt die Lunge noch nicht her. Aus dem Augenwinkel habe ich die Zeitmes-sung beim Einlauf gecheckt. Irgendwas mit 1:38. Wahnsinn, das wäre ja satte 7 Minuten schneller als meine seitherige Bestzeit. Schnell meine Stoppuhr abgedrückt. Ja es stimmt.

Eine paar freundliche Damen halten gelbe Plastikbeutel hoch. Was soll das denn, soll ich die als Medaille umhängen. Na ja, über sinnvolle Finisherpräsente lässt sich streiten. Wäre jeden-falls besser gewesen die Dinger vorher als Kleidersack zu verteilen. Eigentlich wollte ich erst mal langsam auslaufen, nachdem ich schon das Einlaufen ausgelassen habe. Aber eine ande-re nette Dame erinnerte mich streng daran nicht fortzulaufen. Sie wollte allerdings nichts von mir sondern war nur an der ordnungsgemäßen Rückgabe meines pfandlosen Zeitchips interes-siert. Schon rückte Sie mit einer spitzen Schere an um den Plastikbändern an meinen Schuhen den Garaus zu machen. Zum Glück konnte ich Sie noch daran hindern meine Schuhbändel gleich mit abzuschneiden, denn die hatte ich noch mit durch die Chiplöcher gezogen. Ordnung muss halt sein.

Bevor der Regen wieder richtig einsetzte wurden schnell noch die angebotenen Säfte und Äpfel probiert. Schmerzlich vermisst habe ich ein alkoholfreies Weizen, aber dafür fehlte der allseits bekannte Sponsor mit dem E. Musste ich halt daheim gleich nachholen. Meine Urkunde zeigte noch mal schwarz auf weiß, dass ich heute trotz meiner morgendlichen Disharmonie für meine Verhältnisse sauschnell war. :daumen:

Jetzt hätte ich grad Lust noch den Halbmarathon nächstes Wochenende in Lichtenwald zu lau-fen, aber da mein zweiter Marathon schon in knapp 4 Wochen ansteht werde ich jetzt nicht Übermütig werden und mein Resttraining wie geplant durchziehen.

Grüße von Fuße des Kappelbergs

Klaus
13.04. 12h Lauf Grüntal 53,55k
14.04. LIWA-Mara 04:56:44
27.04. Tri-speck 69 km 1100 hm
28.04. Ditzinger Lebenslauf
05.05. Trolli-Mara
11.05. Albtraum 115 k 3000 hm
06.07. Heuchelbergtrail 50 k
28.07. Schönbuch Trophy 47, k 1300 hm
17.08. 100 M Berlin
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